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Ampelkoalition: Die Bundesregierung hat überraschende Erfolge erzielt


Ampelkoalition
Das kommt überraschend


14.07.2023Lesedauer: 8 Min.
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Christian Lindner und Robert Habeck: Viel Streit, viel Ehr? (Quelle: IMAGO)

Pleiten, Pech und Pannen: Die Ampelkoalition gibt derzeit ein verheerendes Bild ab, die meisten Minister sind ähnlich unbeliebt wie der Kanzler. Dabei haben einige echte Erfolge vorzuweisen.

Auweia! Ach, du liebe Güte! Das darf doch wohl nicht wahr sein!

Unverständnis in allen möglichen Variationen – das hört man in diesen Tagen oft, wenn das Gespräch auf die Bundesregierung kommt. Und es drängt sich ja tatsächlich der Eindruck auf, die Ampelkoalition betreibe einen Feldversuch, bei dem getestet wird, wie lange sich Politiker und Parteien zerlegen können, bis auch der letzte Bürger das Vertrauen verloren hat.

Vom Zauber, der dem Anfang der Ampel innewohnte, war nur noch wenig übrig, als im Frühjahr das Heizungsgesetz ins grelle Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde. Der Koalitionskrach der vergangenen Wochen machte alles nur noch schlimmer. Inzwischen, so der weitverbreitete Eindruck, wird das Land von Leuten regiert, die sich selbst dann nicht einig sind, wenn sie gerade erst beschworen haben, sie seien sich jetzt aber wirklich einig. Eine Regierung zum Abhaken. Entsprechend unpopulär sind viele Spitzenvertreter von SPD, Grünen und FDP.

Was angesichts des ständigen Streits untergeht, sind die Erfolge der Regierung. Ja, Sie haben richtig gelesen: Erfolge der Regierung. Denn bei vielen Problemen sind die drei Parteien tatsächlich Koalitionspartner: Sie suchen unaufgeregt nach einem Kompromiss, der für alle tragbar ist, schrecken selbst vor Reformen nicht zurück, die lange verschleppt wurden – und modernisieren das Land.

Dass so wenig über die positiven Dinge gesprochen wird, mag einen trivialen Grund haben: Vor lauter Streit kommt niemand dazu. Deshalb hier ein Überblick über ein paar eher stille, manchmal überraschende Erfolge der Ampel.

Robert Habeck: Es hätte viel schlimmer kommen können

Bevor Robert Habeck zum Mann wurde, der den Menschen angeblich höchstpersönlich mit der Brechstange die Gasheizung aus dem Keller wuchtet, war der Vizekanzler ein beliebter Politiker: wortgewandt, pragmatisch, irgendwie anders, so sahen ihn viele.

Ähnlich wie bei der Gaspreisbremse – seinem ersten großen Fehler – hielt Habeck bei seinem Projekt des Heizungstauschs zu lange an seinem Plan fest, besonders strikte Regeln durchzusetzen. Das Heizungsgewürge der Ampelkoalition machte ihn persönlich unbeliebt. Am Ende aber steht nun ein Gesetz, mit dem Deutschland zumindest die Chance hat, schnell von Gas und Öl wegzukommen. Und das, nachdem das Problem jahrelang ignoriert wurde. So schlecht ist das nicht.

Habeck hat mitgeholfen, nach Ausbruch des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eine Wirtschaftskrise abzuwenden, eine Energiekrise vor allem. Er hat Ersatz für das weggefallene russische Gas besorgt und dabei unangenehme Entscheidungen getroffen für einen Grünen: die Kohlekraftwerke laufen länger, die Atomkraftwerke blieben auch ein bisschen länger am Netz – und Flüssiggas besorgte Habeck sogar in Katar.

Habecks Ressort hat durch die Krise mit Abstand die meisten Gesetze geschrieben. Der Minister ist trotz vieler Unkenrufe auch in Wirtschaftsthemen drin, selbst wenn nicht alle jede Lösung gut finden. Habeck macht pragmatische Wirtschaftspolitik, mobilisiert Milliarden für Intel, setzt sich für den Batteriehersteller Northvolt ein. Und sorgt für mehr Wettbewerb, indem er die Kompetenz des Kartellamts massiv erweitert.

Beim Klimaschutz sieht die Bilanz zwar sehr gemischt aus. Auch ein Klimaminister Habeck wird die Ziele deutlich verfehlen. Die riesige Einsparlücke des Verkehrsressorts wird sich in dieser Legislaturperiode nicht schließen, da macht er sich keine Illusionen. Es ist eine Niederlage. Doch beim Ausbau der Erneuerbaren geht es wieder voran, vor allem bei der Solarenergie. Insgesamt alles zu spät und zu langsam. Aber immerhin geht es in die richtige Richtung.

Christian Lindner: Die Schuldenbremse existiert tatsächlich noch

Wenige Politiker polarisieren so sehr wie Christian Lindner. Auf der einen Seite stehen treue Jünger, ja echte Verehrer. Auf der anderen Seite dominieren Bürger, die der Meinung sind, Lindner sei als Porschefahrer und Sylt-Fan die Inkarnation des Turbokapitalismus.

Wie meistens, ist es unwahrscheinlich, dass eine der Extrempositionen stimmt. Wer der wahre Christian Lindner ist, wissen zwar selbst langjährige Parteifreunde nicht. Aber es wäre allzu menschlich, wenn der 44-Jährige trotz seines in der Öffentlichkeit fast durchweg selbstsicheren Auftretens vor Amtsantritt ein wenig Bammel vor dem Job gehabt hätte. Schließlich hatte er vorher nie ein exekutives Amt inne und übernahm dann gleich den schwierigsten Ministerjob auf Bundesebene. Zumal seine Vorgänger stets politische Schwerstgewichte waren.

Was sich inzwischen sagen lässt: Lindner ist dem Amt gewachsen. Könnte er allein über die Ausgaben des Staates entscheiden, würde er den Etat deutlicher zusammenstreichen, als es in einer Koalition möglich ist. Aber der FDP-Chef hat sich – auch mithilfe des ihm wohlgesinnten Kanzlers – damit durchgesetzt, dass in diesem Jahr erstmals seit 2019 die Schuldenbremse wieder eingehalten wird. Und dieses Ziel auch 2024 erreicht werden soll.

Das ist auch deshalb eine beachtliche Leistung, weil Lindner den Haushalt in wirtschaftlich ungemütlichen Zeiten konsolidiert. Anders als sein langjähriger Vorgänger Wolfgang Schäuble kann er nicht darauf setzen, dass der Etat früher oder später von allein ins Gleichgewicht kommt, indem die Ausgaben langsamer steigen als die Einnahmen.

Nancy Faeser: Sie könnte das fast Unmögliche möglich machen

Krieg, Unruhen, Klimawandel: Mehr Menschen denn je sind weltweit auf der Flucht. Das sichere Europa – und insbesondere Deutschland – sind oft ihr Ziel. Die massive Zuwanderung sorgte in der Vergangenheit bereits für Krisen, für Angela Merkel war die Flüchtlingskrise 2015/2016 ihre größte Bewährungsprobe.

Während Merkels Motto trotz massiver Probleme bei der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge stets "Wir schaffen das" blieb, wagt ausgerechnet die linksliberale Ampelkoalition den Richtungswechsel hin zu einer restriktiveren Flüchtlingspolitik. Das Ziel: den Zustrom von Menschen, die ohnehin keine Bleibeperspektive in Deutschland haben, senken sowie eine bessere und fairere Verteilung von Flüchtlingen in Europa erreichen.

Auf EU-Ebene Einigkeit bei der Steuerung der Migration zu schaffen, gilt allerdings als nahezu unmögliches Vorhaben. Zu unterschiedlich sind die Länder betroffen, zu weit gehen die Positionen auseinander.

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Innenministerin Nancy Faeser ist deswegen im Juni ein großer Fortschritt gelungen: Nach Jahren des Streits hat sich die EU auf eine Asylreform geeinigt. Ein zentraler Punkt dabei: Asylverfahren für jene, die wenig Aussicht auf Anerkennung haben, sollen künftig bereits an der EU-Außengrenze geführt werden – und die Menschen im Falle einer Ablehnung gleich von dort abgeschoben werden. Die Belastung für die EU-Länder soll so deutlich sinken.

Vor allem in der SPD und bei den Grünen sind die Pläne der sozialdemokratischen Ministerin äußerst umstritten, die Parteien verfolgen eigentlich eine offenere Flüchtlingspolitik. Faeser aber hielt stand – und schaffte so einen lange nicht für möglich gehaltenen ersten Konsens für die seit Langem geplante Reform.

Karl Lauterbach: Die Skeptiker haben sich geirrt

Es war seine Rolle als Mahner in der Corona-Pandemie, die Karl Lauterbach ins Amt des Gesundheitsministers brachte. Die Skepsis ihm gegenüber war selbst bei den eigenen Genossen groß. Eigenwillig, nicht teamfähig, als Minister schlicht nicht geeignet – dieser Ruf eilte ihm auch in der SPD voraus.

Die große Skepsis war unbegründet. Lauterbach stemmt mit dem Gesundheitsministerium zahlreiche Gesetzesvorhaben. Die Arbeitsbelastung in seinem Haus ist hoch, das Stöhnen manchmal laut – doch sein Ressort liefert Schlag auf Schlag. Schon das ist angesichts der Befürchtungen bei seinem Amtsantritt als Erfolg zu verbuchen.

Was ebenfalls für Lauterbach spricht: Er bringt Reformen auf den Weg, die aus Furcht vor großen Protesten jahrzehntelang nicht angepackt wurden. Dazu zählt vor allem die Reform der Krankenhauslandschaft. Mit dem Vorhaben soll sich nach rund 20 Jahren die Finanzierung für Kliniken grundlegend ändern - und die Belastung des Personals gemindert, die Qualität der Versorgung für Patienten verbessert und so Leben gerettet werden.

Änderungen im Gesundheitswesen sind immer schwierig durchzusetzen. Und Krankenhäuser sind für die Bürger ein besonders sensibles Thema. Entsprechend scheuen die Länder, die bei dem Thema viel mitzureden haben, Veränderungen. Lauterbach wagt den Schritt dennoch und hat nach monatelangen Diskussionen gerade Eckpunkte für die so wichtige Reform verabschiedet. Gemeinsam mit den Ländern wohlgemerkt.

An dem Kompromiss gibt es Kritik, Experten gehen die Vorschläge nicht weit genug. Doch die Arbeit ist auch noch nicht beendet, Lauterbach hat noch Spielraum. Und allein die Einigung auf eine grundlegende Reform ist nach 20 Jahren Stillstand ein enormer Fortschritt.

Lisa Paus: Die Frau mit dem Geld will noch mehr

Familienministerinnen gehören für gewöhnlich zu den eher unbekannten Wesen einer jeden Bundesregierung. Nimmt man das als Maßstab, ist Lisa Paus in den vergangenen Wochen geradezu prominent geworden. Das liegt vor allem am Ampelzank um die Kindergrundsicherung und das Elterngeld.

Paus, die erst im April 2022 ins Kabinett wechselte, um Anne Spiegel zu beerben, hat die schwierige Aufgabe, mit der Kindergrundsicherung ein zentrales Projekt der Grünen durchkämpfen zu müssen.

Das Problem: Die FDP findet, dass die Ampel schon genug für Kinder getan hat und sperrt sich bislang gegen weitere Erhöhungen von Leistungen. Was an sich schon ein Erfolg von Paus ist: Sie setzte die größte Kindergelderhöhung seit Jahren durch und einen Sofortzuschlag für arme Kinder und Jugendliche.

Beim Kindergeld hat Paus mit ihrer Verhandlungsstrategie, die sie öffentlich nicht immer gut aussehen ließ, immerhin Olaf Scholz dazu bewegt, auch "Leistungsverbesserungen" zu versprechen. Und eben nicht nur eine Verwaltungsreform. Noch ist nichts unterschrieben, aber wenn sie kämen, wäre es ein wichtiger Erfolg.

Und Paus, die sich vor ihrer Zeit als Ministerin einen Namen als Finanzpolitikerin gemacht hat, könnte am Ende auch beim Elterngeld besser aussehen, als es zu Beginn den Anschein hatte. Nach anfänglich verkorkster Kommunikation ist sie dazu übergegangen, die Elterngeld-Abschaffung für Paare mit mehr als 150.000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen als die beste aus vielen schlechten Optionen zu verteidigen. Weil sie immerhin nur Gutverdiener trifft.

Das ist auch für eine Grüne keine bequeme Entscheidung, weil viele dieser Paare ihre klassische Wählerklientel sind. Ob es am Ende überhaupt so kommt, bleibt angesichts des Widerstands der FDP abzuwarten. Gleichstellungspolitik war jedoch lange nicht mehr so präsent.

Volker Wissing: Einer, der sich ernsthaft für die Bahn interessiert

Volker Wissing gehört zu jenen Politikern, die nicht viel von Inszenierungen halten. Man könnte auch sagen: Sie sind ihm zuwider. Deshalb hat er nach seinem Amtsantritt darauf verzichtet, den Bahnvorstand rauszuwerfen – obwohl das ein deutliches Signal gewesen wäre: Der Staatskonzern ist in einem katastrophalen Zustand, aber ich bin nicht bereit, diesen Schlamassel weiter zu akzeptieren.

Doch Wissing fragte, was sich eigentlich mit neuen Köpfen ändern würde. Seine Antwort, nachdem er mit vielen Experten gesprochen hatte: vermutlich nichts bis gar nichts. Also blieb Konzernchef Richard Lutz, der in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist, im Amt. Wissing mobilisierte bei seinem Parteifreund Christian Lindner Milliarden Euro für die Sanierung des Netzes und erarbeitete mit der Bahn das Konzept der sogenannten Korridorsanierung.

Die Idee: Die wichtigsten Abschnitte des Streckennetzes werden in den nächsten Jahren komplett saniert. Und zwar nicht wie bislang bei laufendem Verkehr peu à peu, sondern mit einem Mal im Rahmen einer mehrmonatigen, kompletten Sperrung. Anschließend sind die am meisten befahrenen Abschnitte in einem Topzustand und stabilisieren die Zuverlässigkeit der Züge im ganzen Land.

Ob das Konzept die ganz großen Hoffnungen erfüllt, wird sich vermutlich erst 2030 mit einiger Gewissheit sagen lassen. Aber bereits heute ist klar, dass es eine der tragfähigsten Ideen der vergangenen Jahrzehnte ist – und dass der in der Öffentlichkeit als Autofreund titulierte Wissing einen Großteil seiner Arbeitszeit mit Zügen und Schienen verbringt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen
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