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Hans-Peter Bartels: "Das hat der Bundeswehr das Genick gebrochen"


Ex-Wehrbeauftragter Bartels
"Das hat der Bundeswehr das Genick gebrochen"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 14.11.2023Lesedauer: 6 Min.
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Bundeswehr-Soldaten in Litauen: "Frau Högl, die Unterhosen sind jetzt da."Vergrößern des Bildes
Bundeswehrsoldaten in Litauen: "Organize as you fight!" (Quelle: dpa)

Boris Pistorius will die Bundeswehr reformieren – und braucht dafür viel Geld. Der frühere Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels sagt im Interview, warum dem Minister die Zeit davonläuft.

Boris Pistorius (SPD) legt den Finger in die Wunde: Der Verteidigungsminister hat vor wenigen Tagen verkündet, dass er nun doch eine Reform der Streitkräfte plant. Bis Ostern sollen erste Eckpunkte vorgelegt werden. Was bedeutet das für die Bundeswehr und die Ankündigung von Kanzler Scholz, die Truppe zur mächtigsten Armee Europas zu machen?

Im Interview mit t-online erklärt der ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels, was Pistorius als Erstes angehen muss, wann er sich über den Minister gewundert hat – und warum trotz des 100-Milliarden-Sondervermögens das Schrumpfen der Bundeswehr ungebremst weitergeht.

t-online: Herr Bartels, Verteidigungsminister Boris Pistorius will die Bundeswehr künftig "auf allen Ebenen kriegstüchtig" machen. Für die Aussage bekam er viel Gegenwind. Hat er sich im Ton vergriffen?

Hans-Peter Bartels: Nein. Der Begriff soll aufrütteln. In Europa herrscht Krieg, die Bundeswehr muss sich wieder auf die klassische Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung einstellen. Das ist etwas fundamental anderes als etwa multinationale Kriseneinsätze in Afrika. Pistorius hat zudem das Wort nicht erfunden. Es ist spätestens seit Russlands Überfall auf die Ukraine in der Bundeswehr ein gängiger Ausdruck.

Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner hat bei t-online kürzlich vor einer "Militarisierung der Sprache" gewarnt. Auch Pistorius' Ziel, Deutschland zur militärischen Führungsmacht in Europa auszubauen, sei ein "Irrweg".

Das ist Unsinn. Wer immer noch meint, das größte und reichste Land Europas könne sich der Verantwortung für die Bündnisverteidigung gegen Russland entziehen, hat den Schuss nicht gehört. Bundeskanzler Olaf Scholz gibt zu Recht vor, dass die Bundeswehr die stärkste konventionelle Armee des Kontinents wird. Das erwarten auch unsere Bündnispartner von uns.

"Die Zeit der Auslandseinsätze ist vorbei"

In den neuen verteidigungspolitischen Richtlinien, die Pistorius vergangene Woche unterzeichnet hat, steht: Deutschland müsse das "Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa" sein. Wie schreckt man wirksam ab?

Leider leben wir heute wieder in einer Welt, in der nur präsente militärische Stärke abschreckt. Dafür brauchen wir insbesondere autarke, voll ausgerüstete, schnell verlegefähige Großverbände des Heeres. Wir haben der Nato drei deutsche Divisionen mit acht bis zehn Kampfbrigaden zugesagt. Stand heute ist keine einzige unserer siebeneinhalb Brigaden voll aufgestellt.

Welche Herausforderungen kommen dabei auf die Truppe zu?

Die Zeit, als Auslandseinsätze außerhalb des Bündnisgebiets strukturbestimmend für unsere Streitkräfte waren, ist erst einmal vorbei. Es geht nicht mehr um überschaubare, maßgeschneiderte Kontingente von 1.000 oder 5.000 Soldaten, sondern um die Einsatzfähigkeit der ganzen Bundeswehr. Deshalb muss heute die Devise lauten: "Organize as you fight!" Man muss die Truppe von vornherein so organisieren, wie man auch den Kampf führen würde.

Wo liegt das Problem?

In der Ukraine sehen wir: Entscheidend sind am Ende "boots on the ground", also Bodentruppen. Man muss eine Front halten oder durchbrechen können. Cyberattacken und hybride Operationen sind hinzugekommen, aber sie ersetzen offenbar nicht den schrecklichen Landkrieg. Den meisten Veränderungsbedarf in der Bundeswehr gibt es beim Heer.

"Spät, aber hoffentlich noch nicht zu spät"

Wie muss das Heer neu aufgestellt werden?

Es wurde in den letzten Jahren, um Geld zu sparen, aufgespalten und überproportional geschrumpft. Logistik, ABC-, Fernmelde- und Sanitätstruppen wurden in neue Organisationsbereiche ausgegliedert, die Heeresflugabwehr ganz aufgegeben. Das rückgängig zu machen, ist Teil der großen Strukturreform, die Verteidigungsminister Pistorius nun angekündigt hat. Spät, aber hoffentlich noch nicht zu spät.

Also das Rad zurückdrehen?

In gewisser Weise ja. Zumindest muss man es nicht neu erfinden. Zurück zur Landes- und Bündnisverteidigung heißt weg von der Afghanistan-optimierten Bundeswehr. Der Irrglaube des damaligen Verteidigungsministers De Maizière war, dass es in Zukunft nur noch Szenarien wie am Hindukusch oder in Mali geben werde. Das hat der Bundeswehr als Ganzes das Genick gebrochen. Höchster strategischer Parameter für die Reform 2011 war die Schuldenbremse im Grundgesetz. Es ging darum zu sparen, koste es, was es wolle. Für die Bundeswehr war das eine Katastrophe.

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels.
Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels. (Quelle: Wolfgang Kumm/dpa/Archiv./dpa)

Hans-Peter Bartels

Hans-Peter Bartels war von 1998 bis 2015 SPD-Bundestagsabgeordneter. Dann wurde er zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages ernannt und behielt dieses Amt bis 2020. Seit Mai 2022 ist er Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik.

Wie bewerten Sie die bisherige Bilanz von Verteidigungsminister Pistorius?

Er hat einen ganz anderen Ton gesetzt als seine Vorgängerin. Er mag die Truppe, und die Truppe mag ihn. Seine Ankündigungen auf der Bundeswehrtagung sind gut. Jetzt muss er aufpassen, dass ihm nicht die Zeit davonläuft. Denn das erste Jahr der Ampelregierung mit der Verteidigungsministerin Christine Lambrecht war ein verlorenes Jahr.

Sie meinen, außer wohlklingenden Ankündigungen hat Pistorius noch nichts erreicht?

Richtige Ankündigungen sind schon mal besser als keine oder falsche.

Fangen wir mit dem Geld an: Pistorius hatte von Finanzminister Lindner für 2024 zehn Milliarden Euro mehr für die Truppe gefordert. Bekommen hat er 1,7 Milliarden.

Das ist nur die Tariferhöhung im öffentlichen Dienst. Die haben die anderen Ministerien auch bekommen.

"Weniger Stäbe und Kommandos, mehr Truppe!"

Hat Sie das verwundert, dass Pistorius die 1,7 Milliarden einfach so hinnahm?

Er hätte kämpfen sollen, aber er hat die Kröte geschluckt. Warum, weiß ich nicht. Eigentlich ist Pistorius doch in einer starken Position. Er muss das Zeitenwende-Versprechen des Bundeskanzlers umsetzen. Dazu passt ein eingefrorener Verteidigungshaushalt leider gar nicht. Teile des 100-Milliarden-Sondervermögens werden jetzt durch die Inflation der Betriebskosten im regulären Haushalt kannibalisiert. Die Regierung sollte ihre Prioritäten noch mal neu ordnen: Verteidigung und Sicherheit gehören ganz nach vorne!

Bei den Strukturen wagt Pistorius nun doch den großen Aufschlag: Bis Ostern sollen die ersten Ansätze einer Streitkräftereform stehen. Was empfehlen Sie?

Weniger Stäbe und Kommandos, mehr Truppe! Pistorius hat dafür eigentlich alles, was er braucht: das historische Momentum, das politische Standing, und auch die Lösungen sind weitgehend bekannt, sie liegen seit Jahren in der Schublade.

Was fehlt dann noch?

Beim Geld wird er sich gegen Widerstände in einzelnen Koalitionsfraktionen durchsetzen müssen. Bei der Strukturreform gegen die Kräfte des Beharrens in Teilen des Militärs.

Gibt es eine Zeitenwende in der Rüstungsbeschaffung?

Sagen wir: eine Beschleunigung, immerhin. Sehr viel mehr Projekte wurden vertragsreif gemacht und erreichen den Haushaltsausschuss des Bundestags. Aber damit ist noch nicht das Problem gelöst, dass auch schnell Geld abfließt. Das meiste, was man bestellt, kommt ja nicht innerhalb eines Jahres. Wenn man zum Beispiel jetzt schwere amerikanische Hubschrauber bestellt, wird dafür noch bis weit in die 30er-Jahre Geld benötigt. Dann aber soll das Sondervermögen längst ausgeschöpft sein.

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Wie kann man dafür sorgen, dass die Mittel schneller abfließen?

Das Sondervermögen wird nun tatsächlich dadurch schneller aufgebraucht, dass Programme aus dem regulären Haushalt in diesen Zusatzfonds verschoben werden. So soll das Geld theoretisch bis Ende 2027 ausgegeben sein.

Um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu erreichen.

Richtig. Das hat zur Folge, dass alle diese Beschaffungen hybrid werden: Sie werden zunächst aus dem Sondervermögen anfinanziert und müssen später aus dem regulären Haushalt weiterbezahlt werden.

"Das ist eine Wette auf die Zukunft"

Von dem wir noch nicht wissen, ob er groß genug sein wird, um die Beschaffungen auch wirklich zu bezahlen.

Ja, das ist eine Wette auf die Zukunft. Bleibt es dabei, die Nato-Quote von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung auch nach 2027 weiter zu erfüllen? Im schlimmsten Fall würde man sonst die bestellten Stückzahlen wieder reduzieren oder große Projekte ganz streichen. Um das zu verhindern, wäre es besser, jetzt schon den Wehretat jährlich moderat steigen zu lassen, um 2028 auch ohne Sondervermögen die zwei Prozent zu erreichen. Aber danach sieht es im Moment nicht aus.

Hat sich mit Zeitenwende und Sondervermögen wenigstens die Lage der Truppe spürbar verbessert?

Eher verschlechtert. Durch die Abgabe von Ausrüstung an die Ukraine – die ja völlig richtig ist – geht das Schrumpfen der Bundeswehr gerade ungebremst weiter. Neues Gerät und Munition laufen viel zu langsam zu.

Das Material soll zeitnah ersetzt werden.

Ja, aber bisher ist das nicht passiert. Vielleicht brauchen wir eine andere Industriepolitik: Die Rüstungsindustrie wünscht sich Planungssicherheit. Dafür könnte sie Bundeswehr-Aufträge vorziehen.

Ihre Nachfolgerin, die Wehrbeauftragte Eva Högl, warnt vor einer Überlastung der Bundeswehr – auch wegen des Materials, das an die Ukraine geht. Wo liegt die Grenze der Ukraine-Hilfe?

Deutschland muss seine Hilfe fortsetzen. Wir dürfen keine roten Linien ziehen. Jeder russische Panzer, den die Ukrainer ausschalten, ist eine Bedrohung weniger für Europa. Aber mit der Dauer des Krieges wird es natürlich nicht leichter, das Lager der Ukraine-Unterstützer zusammenzuhalten. Wenn die USA wackeln, würde es ganz schwierig.

Ein Panzerbataillon der Bundeswehr hat in der Regel 44 Kampfpanzer. Gibt es nicht irgendeinen Punkt, wo man sagt: Mehr können wir nicht herausrücken?

Sicher könnte man mehr abgeben als die bisherigen 18 Leopard-2-Panzer. Die Wahrheit aber ist: Vieles können wir deshalb nicht liefern, weil es gerade bei der Industrie steht und dort upgegradet oder instand gesetzt wird. Diese Dinge müssten jetzt schneller gehen. Und das Nachbestellen natürlich auch.

Die Ampel hat die Ukraine-Hilfe von vier auf acht Milliarden Euro im nächsten Jahr erhöht. Müsste man nicht neu darüber nachdenken, was der Zweck der deutschen Waffenlieferungen ist?

So oder so: Gäbe es vorher irgendeine Friedenslösung, müsste die Ukraine trotzdem so weit gestärkt werden, dass sie Russland von einer Wiederaufnahme der Okkupation abschrecken könnte. Ich glaube nicht, dass wir da kurzfristig sparen können.

Herr Bartels, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Hans-Peter Bartels
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