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Syrer vor Rückkehr in die Heimat? Die Situation nach Faesers Syrien-Besuch


Syrer vor Rückkehr?
"Die Situation kann man sich nicht vorstellen"


02.05.2025 - 17:37 UhrLesedauer: 5 Min.
syrische Kundgebung in HamburgVergrößern des Bildes
Den Sturz des syrischen Machthabers, Baschar al-Assad, feierten Syrerinnen und Syrer auch in Deutschland. (Quelle: Bodo Marks/dpa/dpa-bilder)
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Es gab bereits zahlreiche Vorschläge, wie es für die Syrer in Deutschland weitergeht. Nun war Innenministerin Faeser vor Ort. Aber eine baldige Lösung dürfte kompliziert werden.

Der Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad war erst einen Tag her, da forderte CDU-Mann Jens Spahn bereits Programme für in Deutschland lebende Syrer, damit sie in ihr Heimatland zurückkehren können. In der Folge bekam er viel Kritik. Zu unsicher sei die Lage vor Ort, es war unklar, wie die neuen Machthaber unter Führung der Islamistengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) vorgehen würden. Nach hitzigen Debatten in den Folgetagen verschwand das Thema allerdings schnell wieder aus der öffentlichen Diskussion.

Nun sind fast fünf Monate vergangen. Und das Thema wird mittlerweile auch ganz offiziell diskutiert. Nachdem eine geplante Reise der geschäftsführenden Innenministerin Nancy Faeser nach Syrien Ende März wegen einer konkreten Anschlagsgefahr noch abgesagt wurde, hat es am vergangenen Wochenende unter höchster Geheimhaltung dann doch noch geklappt. Faeser flog unter strengen Sicherheitsvorkehrungen von Zypern in die syrische Hauptstadt Damaskus.

Gemeinsam mit ihrem österreichischen Amtskollegen Gerhard Karner traf sie dort den syrischen Innenminister Anas Chattab. Im Gespräch ging es auch um die Rückkehr von syrischen Geflüchteten in ihre Heimat. Aber ist es realistisch, dass schon bald Tausende Menschen nach Syrien zurückkehren? Daran gibt es große Zweifel.

Situation in Syrien: Teilweise eine Stunde Strom am Tag

Für Faeser gilt es, "jetzt mit der syrischen Übergangsregierung über Sicherheit, Stabilisierung und Rückkehrperspektiven zu beraten". Syrien-Expertin Bente Scheller von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung sieht allerdings kaum Perspektiven. "Die Situation vor Ort können sich viele nicht vorstellen. Viele Orte haben weniger als eine Stunde Strom am Tag und daran hängt auch die Wasserversorgung", sagt sie t-online. So sei es kaum vorstellbar, dass die Wirtschaft bald wieder auf die Beine komme.

Schließlich benötigen Menschen, die freiwillig zurückkehren, Arbeit. Das hatte der syrische Minister Chattab nach eigener Aussage auch Faeser verdeutlicht: "Wir haben über Energie gesprochen und wie man Investitionen ermöglichen und Arbeitsplätze schaffen kann." Das bedeutet: Deutschland muss investieren, um zu helfen, in dem zerstörten Land eine Bleibeperspektive zu schaffen. Ein Sprecher des Innenministeriums erklärte auf t-online-Anfrage nur knapp, man werde sich mit den anderen deutschen Ministerien abstimmen.

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Bente Scheller (Politologin) 10 24 her Bente Scheller am 2. Oktober 2024 in Markus Lanz , ZDF TV Fernsehen Talkshow Talk Show Deutschland deutsch deutsche Frau Politikwissenschaftlerin Wissenschaftlerin Politik Publizistin german female political scientist quer halb sitzend neutral *** Bente Scheller Politologin 10 24 her Bente Scheller on October 2, 2024 in Markus Lanz , ZDF TV Television Talk Show Talk Show Germany German German woman political scientist scientist politics publicist German female politica (Quelle: IMAGO/teutopress GmbH/imago)

Zur Person

Dr. Bente Scheller ist Politikwissenschaftlerin und leitet das Referat Nahost und Nordafrika der Heinrich-Böll-Stiftung. Zuvor war sie Leiterin des Regionalbüros Mittlerer Osten der Stiftung in Beirut. Zudem arbeitete sie bereits als Referentin für Terrorismusbekämpfung in der deutschen Botschaft in Damaskus und war Leiterin des Syrien-Programms des Aspen Institutes Berlin.

Das sieht auch Expertin Scheller als entscheidenden Schritt: "Syrien braucht entsprechende Hilfe. Die Sanktionen, die sich gegen das Assad-Regime richteten, müssen aufgehoben werden und es fehlt an Investitionen und Wiederaufbauprogrammen." Europa sei wesentlich für eine schnelle Änderung der Bedingungen.

Durch die Neuwahlen und den Regierungswechsel war Deutschland zuletzt allerdings nur bedingt handlungsfähig. Die neue Bundesregierung muss dementsprechend schnell priorisieren, wie sie künftig in Syrien vorgehen will. Denn Scheller warnt: "Deutschland muss zusehen, nicht ins Hintertreffen zu geraten. Die Türkei und die Golfstaaten haben auch Interessen in Syrien."

So müsse Deutschland nun zeigen, wie wichtig die Beziehung zu Syrien ist. "Nur zu fordern, ohne Unterstützungsleistungen zu versprechen, funktioniert nicht."

Abschiebungen nach Syrien: Es gibt Hindernisse

Schließlich ist Deutschland auch auf Kooperation angewiesen. Der designierte Innenminister Alexander Dobrindt kündigte bei seiner Vorstellung bereits an: "Wir werden zurückführen, auch in Länder wie Syrien und Afghanistan." Und auch bei Faesers Besuch ging es nicht nur um freiwillige Rückkehr.

An erster Stelle stehe, dass Straftäter und Islamisten schnellstmöglich abgeschoben würden, teilte sie mit. Syrien soll zu einer Zusammenarbeit bereit sein, erklärte ein Sprecher des deutschen Innenministeriums t-online: "Der syrische Innenminister hat sich für die Zusammenarbeit hierzu offen gezeigt und sich insbesondere bereit erklärt, dass Syrien notwendige Dokumente und Pässe ausstellt."

Allerdings ist für Expertin Scheller auch dieses Unterfangen aktuell noch unrealistisch. "Die Logik hinter den geplanten Abschiebungen ist schwer nachzuvollziehen. Insbesondere im Nordosten sitzen noch Tausende Islamisten des IS in den Gefängnissen, ohne dass es einen Prozess gibt", betont sie. "Ich finde es vermessen, über weitere Abschiebungen zu reden."

Eine Million Syrer leben in Deutschland

Doch wie geht es dann für die rund eine Million Syrer weiter, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind? 163.000 von ihnen sind mittlerweile eingebürgert. Viele weitere warten: Aktuell gibt es keine Asylentscheidungen.

Nach dem Umsturz im Dezember hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wegen der noch unüberschaubaren Lage Entscheidungen über Asylanträge von Menschen aus Syrien vorerst ausgesetzt.

Scheller appelliert an die deutsche Regierung, die zahlreichen Syrer in Deutschland auch als Chance zu sehen und sie nicht sofort loswerden zu wollen. "Viele syrische Geflüchtete haben hier Fuß gefasst. Das wäre ein gutes Sprungbrett für gute deutsch-syrische Beziehungen in der Zukunft." Davon könnten auch deutsche Unternehmen profitieren, sagt sie. Innenministerin Faeser sieht das sogar ähnlich. "Viele haben in Deutschland Arbeit gefunden, Deutsch gelernt und sich ein neues Leben aufgebaut – sie sollen natürlich bleiben können", betonte die SPD-Politikerin.

Denn viele Syrer wollen womöglich gar nicht zurück. Davon geht auch der Migrationsforscher Jochen Oltmer aus. "Eine größere Rückkehrwelle syrischer Menschen aus Deutschland in ihre Heimat ist unwahrscheinlich", sagte er der "Augsburger Allgemeinen". So gehe ein Viertel der Syrer hier zur Schule und habe enge gesellschaftliche Bindungen. "Rückkehrprogramme übersehen oft diese Verwurzelung in der neuen Gesellschaft."

Lage in Syrien: Nur "einige Zwischenfälle"?

Zudem ist nicht nur die Infrastruktur in Syrien ein großer Unsicherheitsfaktor, sondern die gesamte Sicherheitslage. Nachdem es in den ersten Monaten nach der Machtübernahme vergleichsweise ruhig war, kam es in den vergangenen Monaten zu Massakern an Alawiten – Beobachter sprechen gar von einer "ethnischen Säuberung".

Zuletzt verschärften sich die Gefächte mit den Drusen. Nach Angaben der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden dabei mehr als 100 Personen getötet. Der religiöse Anführer der Minderheit in Syrien sprach von "Massakern als Werkzeugen des Terrors" und einer "Völkermordkampagne".

Noch immer herrscht Sorge, wie die sunnitische Regierung mit Minderheiten umgehen wird. Ein hochrangiger Beamter des Außenministeriums zeigte sich beim Empfang von Faeser und Karner am Flughafen "vorsichtig optimistisch". Mit Blick auf die Sicherheitslage sprach er beschwichtigend von "einigen Zwischenfällen".

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Der Übergangspräsident und Rebellenführer Ahmad al-Scharaa präsentiert sich als weltgewandt und diplomatisch. Er hat versprochen, dass das Land zu einem System übergehen wird, das Syriens "Mosaik" religiöser und ethnischer Gruppen in fairen Wahlen einbezieht. Er kündigte Untersuchungen nach den Gewalttaten an. Doch Kritiker bezweifeln, ob dies tatsächlich geschehen wird.

Für die deutsche Regierung sind die Verhandlungen mit der neuen syrischen Regierung deshalb kompliziert. Möglicherweise scheut sich Deutschland auch deshalb vor weitgehenden Zusagen.

Erkundungsreisen als Möglichkeit?

Es sind keine guten Voraussetzungen für eine baldige Rückkehr der syrischen Geflüchteten – insbesondere, wenn sie freiwillig erfolgen soll. Doch dazu hat Faeser einen weiteren Vorschlag: Erkundungsreisen für Syrer in ihr Heimatland, ohne dass sie dadurch ihren Schutzstatus in Deutschland verlieren. Erlaubt wäre demnach entweder eine einmalige Reise für die Dauer von maximal vier Wochen oder zwei Reisen von jeweils maximal zwei Wochen, mit dem Ziel, auszuloten, ob eine Rückkehr möglich wäre.

Das Innenministerium habe den Bundesländern "in einer Arbeitsbesprechung Anfang April erste Eckpunkte eines möglichen Konzepts vorgestellt. Die Rückmeldungen der Länder prüfen wir derzeit", erklärte ein Sprecher. Die Bundesregierung wolle sich jedoch nicht an den Kosten für die Reise beteiligen – anders als bei einer dauerhaften Rückkehr.

Allerdings läuft Faesers Zeit im Innenministerium ohnehin in der kommenden Woche ab, bevor CSU-Mann Alexander Dobrindt übernimmt. Vorher wird es in dieser Thematik keinen Durchbruch geben. Und aus der Union gab es schon Widerstand zu diesem Konzept. Eine Lösung ist folglich nicht in Sicht.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Bente Scheller
  • Anfrage an das Innenministerium

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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