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Volksparteien in der Krise: "Die AfD ist die erste Facebook-Partei Deutschlands"


Krise der Parteien
Wie SPD & Co. ihre Wähler zurückgewinnen können

InterviewVon Madeleine Janssen

Aktualisiert am 15.09.2019Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Facebook-Datenzentrum in Odense (Dänemark): Soziale Netzwerke sind unerlässlich zur Wählerbindung an die Parteien.Vergrößern des Bildes
Facebook-Datenzentrum in Odense (Dänemark): Soziale Netzwerke sind unerlässlich zur Wählerbindung an die Parteien. (Quelle: imago-images-bilder)

Die Wähler strafen die Parteien an der Wahlurne ab, und die Politiker finden kein Rezept, um sie zurückzugewinnen. Der Kommunikationsexperte Martin Fuchs dagegen hat Dutzende Ideen.

Während die Landtagswahl in Thüringen noch bevorsteht, hallen die Ergebnisse der vergangenen Wahlen in Brandenburg und Sachsen nach. Klar ist gerade für die SPD, aber auch für andere Parteien: So wie es ist, kann es nicht bleiben. Was müssen die Parteien jetzt lernen? Warum ist die AfD in den sozialen Netzwerken so erfolgreich und was können sich die anderen Parteien davon abgucken? Martin Fuchs, 40, berät Regierungen, Parlamente, Parteien und Verwaltungen in digitaler Kommunikation. Er bloggt über Digitalisierung und hat die Social-Media-Analyse-Plattform pluragraph.de gegründet. Fuchs sagt: Teilen, teilen, teilen – Postings in sozialen Netzwerken müssen digital gestreut, aber auch am Küchentisch diskutiert werden. Und auch auf dem Land kann ein kleiner Ortsverein viel bewirken.

t-online.de: Gibt es etwas, das die SPD in ihrer Kommunikation mit den Wählern richtig macht?

Martin Fuchs: Die SPD hat verstanden, dass Kommunikation im Jahr 2019 stark communitygetrieben ist. Sie versteht sich inzwischen als Teil der Gesellschaft und betreibt nicht nur Parteikommunikation. Als mehrere Duos kurz hintereinander bekannt gegeben haben, dass sie für den Parteivorsitz ins Rennen gehen, hat die SPD aus dem Willy-Brandt-Haus getwittert: "Noch jemand? Sonst würden wir kurz Mittagspause machen". Also: aus dem Leben heraus kommunizieren und nicht mit gestanzten Parteifloskeln.

Was halten Sie von dem gescheiterten sächsischen SPD-Spitzenkandidaten und Wirtschaftsminister Martin Dulig?

Martin Dulig war der beste Kandidat, den die SPD in Sachsen haben konnte. Er ist beliebt, er ist smart, er kommuniziert sowohl analog als auch digital extrem gut, er ist authentisch. Er hat den direkten Dialog mit den Bürgern auf den Marktplätzen und im Netz, den Kretschmer seit seinem Amtsantritt neu erfunden hat, seit Jahren durchgezogen.

Er hat seinen Küchentisch genommen und ihn im Land aufgestellt, um mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen.

Ja, Dulig hat verstanden, wie wichtig der Dialog analog ist. Und er hat die Netzkultur verstanden. Er hat eigene GIFs erstellt (Anm. d. Red.: kurze bewegte Clips, die ein Gefühl ausdrücken sollen), in denen er Emotionen, die sonst in Emojis dargestellt werden, selber nachgespielt hat, wie zum Beispiel "face palm" oder "Daumen hoch", die nun von jedem in die Kommunikation eingebunden werden können. Das ermöglicht Nutzern sehr leicht, ihn als Person im Netz in die Breite zu tragen. Das sind Ansätze, die ich smart finde. Ebenso die Geschichten, die er auf seinem Blog geteilt hat.

Sie meinen Duligs Einsätze als Mitarbeiter in der Gepäckabfertigung am Flughafen oder im Pflegeheim, wo er teilweise unerkannt einen Tag lang gearbeitet hat.

Genau. Auf dem Flughafen oder in der Straßenreinigung, und dann hat er Geschichten dazu erzählt, was ihn bewegt hat und wo er als Minister jetzt rangehen will. Das war hoch professionell gemacht. Die Person Martin Dulig hätte mehr verdient, als die 7,8 Prozent, die die SPD am Ende in Sachsen geholt hat.

Facebook, YouTube, Instagram: Es gibt verschiedene Kanäle, die wichtig sind und die alle unterschiedlich funktionieren. Wer soll die bei den Parteien pflegen? Schließlich laufen gerade den früheren Volksparteien die Mitglieder weg, oder sie sind chronisch überaltert.

Dazu habe ich drei Antworten. Erstens: Um digital hochwertig zu kommunizieren und sichtbar zu sein, darf man höchstens drei Plattformen gleichzeitig betreiben und muss vorher strategisch denken: Wen möchte ich erreichen? Was möchte ich erreichen? Erst dann schaut man, wo diese Zielgruppen sind und welcher Kanal einem auch liegt. Die zweite Antwort: Jeder Landes-, Bundes- und Europapolitiker hat ein Team von mindestens zwei Leuten, das ihm bei Monitoring und Community-Management helfen kann. Christian Lindner bekommt das seit Jahren hin. Dritter Punkt: Die CDU hatte 2018 415.000, die SPD 437.000 Mitglieder. Das ist ein riesenfetter Asset! Wenn ich mir anschaue, wie viele der eigenen Mitglieder motiviert werden, Fan oder Follower der Partei in den sozialen Netzwerken zu werden, fasse ich mir in die Haare! Das sind 180.000, 190.000 Fans, und das sind nicht alles Mitglieder. Was heißt das? Die Parteien haben es nicht begriffen, erst mal ihre eigenen Leute zu motivieren.

Wie könnte die Lösung aussehen?

Man überträgt fähigen Menschen aus dem Umfeld Prokura. Du buckelst zwar nicht seit 20 Jahren im Kreisverband, aber ich vertraue dir, mach mal die Kommunikation für mich. Das machen zum Beispiel die Grünen und andere kleinere Parteien so. Ich sehe in der Politik ganz selten den Mut, Kommunikation aus der Hand zu geben. Stattdessen werden 15 Schleifen dazwischen geschaltet, weil die Chefin alles freigeben muss. So wird es nicht funktionieren! Wenn ich keine Ressourcen dafür abstellen will, muss ich mir die Freiheit nehmen, fremde Menschen in meine Arbeit zu integrieren.

Sie sagen, die Grünen machen vieles richtig. Was ist mit der AfD?

Die AfD ist die erste Internet- und Facebook-Partei Deutschlands. Warum? Weil sie mit dem ersten Herzschlag der Wahlalternative und später der AfD ihre Organisationsinfrastruktur auf Facebook aufgebaut hatte. Sie hatten keine Stammtische, sie hatten keine Kreisverbände, sie hatten kein Geld. Die haben sich über Hunderttausende interne Facebook-Gruppen kennengelernt und die Partei von dort aus aufgebaut. Das heißt, jeder, der in der AfD was zu sagen hat, ist mit Facebook sozialisiert als Parteistruktur. Das heißt, die Partei hat es einfacher, Reichweiten zu erzielen und Themen in die Breite zu tragen.

Was spielt da noch mit rein?

Die AfD polarisiert, sie lotet den Graubereich aus, sie agitiert gegen politische Korrektheit. Sie arbeitet mit Angst und schürt Emotionen. So etwas funktioniert auf Social Media immer besser als windelweiche Kompromisse. Das ist etwas ganz anderes, als wenn ich sagen kann: Diese Sozialschmarotzer müssen alle raus. Hinzu kommt: Die AfD hat über fünf Jahre hinweg bei jedem Posting gesagt, das müsst ihr digital und analog in euren Freundeskreisen teilen, wenn ihr wollt, dass Deutschland – deren Worte – von den Altparteien befreit wird.

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Haben die anderen Parteien diese Strategie unterschätzt?

Für die anderen Parteien war das Kindergarten. Damit hat die AfD sich aber eine Community herangezogen, die weiß, was mit den Postings der AfD zu erfolgen hat, nämlich sie in die Breite zu tragen. Außerdem arbeitet die AfD mit nicht-authentischem Nutzerverhalten, unter anderem sogenannten Social Bots und Fake-Profilen. Sie weiß also, wie man Beiträge in kurzer Zeit relativ schnell populär macht. Das Netzwerk denkt dann: Das ist ein beliebter Beitrag, den zeige ich dem Nutzer prominenter an als andere Beiträge.

Was könnten sich andere Parteien von der AfD abgucken?

Ich glaube, die anderen Parteien sind gut beraten, nicht alles zu kopieren, was die AfD im Netz macht. Im Sinne einer demokratischen Diskurskultur. Aber ja, einige handwerkliche Dinge kann man gewiss ähnlich machen. Zum Beispiel könnte man die Sympathisanten konkreter darauf hinweisen, was sie mit den Postings machen sollen. Wenn sie über das Thema Grundrente sprechen sollen – tragt es an den Abendbrottisch! Fragt: Wie seht ihr das eigentlich? "Call to action" heißt das in der Fachsprache – den Menschen sagen, was mit den Inhalten passieren soll. Man muss den Leuten das Gefühl geben, Teil einer Gemeinschaft zu sein, für die sie brennen und für die sie Zeit opfern würden.

Manchmal wirkt es so, als wäre ein emotionaler Duktus nicht recht die Sache der großen Parteien.

Emotionen waren schon immer ein wichtiger Teil der Parteien. Ich denke an Helmut Schmidts Tränen bei der Flut in Hamburg, an Willy Brandts Kniefall in Warschau – auch wenn der extrem inszeniert war. Was die AfD aber exklusiv hat, ist, dass sie mit Emotionen arbeiten kann, die digital gut funktionieren. Eine Regierungspartei, ob auf Landes- oder Bundesebene, trägt Verantwortung und sollte nicht mit Angst arbeiten, sondern mit positiven Emotionen. Aber: Wir wissen aus Bewertungsportalen, dass Menschen aktiv werden und sich eher fünf Minuten für eine Bewertung nehmen, wenn sie Frust loswerden wollen. Emoji-Studien zufolge reagieren die Leute auf Facebook-Postings der Grünen häufig mit dem grünen Herz und "Daumen hoch". Bei der AfD sind es der wütende Emoji und der Kotz-Emoji.

Die CSU-Landesgruppe hat eine YouTube-Kampagne mit dem Titel "CSYou" gestartet und dafür viel Spott geerntet.

Wer neue Formate in der politischen Kommunikation ausprobiert, darf auch Fehler machen. Das konkrete Beispiel allerdings, und wie es gemacht wurde, ist absoluter Bullshit. Wenn das die Antwort auf Rezo sein sollte, ist es die schlechtestmögliche Antwort. Rezo ging es um Themen, um Inhalte, er hat versucht, das konstruktiv aufzubereiten. Ob ihm das gelungen ist, darüber kann man streiten. Das CSU-Projekt ist nun aber Polemik und billiges Draufhauen. Es zeigt nicht, was die CSU-Landesgruppe gerade Positives tut, um das Klima zu retten. Man weiß auch nicht, wer die Zielgruppe sein soll. Denn: Der CSU-Wähler schaut es sich nicht an, für ihn ist das viel zu flippig. Und die vermeintlich flippigen Leute da draußen schauen es sich nicht an, weil sie zumeist linksliberal geprägt sind – zumindest wenn man sich die Wahlstatistiken der jungen Wähler ansieht.

Stellen Sie sich einen SPD-Ortsverband in Sachsen vor. Elf Mitglieder, zuständig für dreizehn Ortschaften. Das jüngste Mitglied ist 53 Jahre alt. Das politische Umfeld: sehr konservativ, teilweise rechtsextrem. Was würden Sie denen raten?

Die müssten zuerst aus ihrer SPD-Blase raus, mit der sie sich im Hinterzimmer treffen. Rein in die Vereine und die Netzwerke vor Ort! Dort ein bis zwei Themen identifizieren, wo es in der Kommune wirklich gerade brennt! Dann gewinnt man Ehrenamtliche, mit denen man ein Jahr lang einen Schwerpunkt begleitet – mit Veranstaltungen, einer kleinen Demo oder einer Petition. Die Menschen sehen dann, die SPD reißt sich hier in der Region den Arsch auf, um etwas zu verbessern. Das kann ein Kindergarten sein oder eine Umgehungsstraße, was auch immer. Wenn man Menschen einbindet und ihnen Verantwortung überträgt, hat man vielleicht nach diesem Schwerpunktjahr mehr Leute, die über dieses Thema eingebunden wurden. Übrigens: Menschen über 60 gehen häufig medienkompetenter mit digitalen Instrumenten um als die 40- bis 60-Jährigen. Denn die Älteren haben Zeit und genügend Motivation, sich da reinzufuchsen, schon allein, weil sie den Kontakt zu ihren Enkeln nicht verlieren wollen.

Dann ist das Schwerpunktjahr vorbei und alles ist wieder beim Alten.

Dann müsste man überlegen: Welches Format können wir am besten stemmen und worauf haben wir Lust? Ist es ein Blog oder ein Podcast? Millionen Menschen in diesem Land sind bei WhatsApp und Telegram angemeldet. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Politik das im Jahr 2019 schon erkannt hat. Da könnte man einen Newsletter oder ein Newsportal aufbauen, in dem man etwa nur über lokalpolitische Neuigkeiten berichtet. Gerade im ländlichen Raum in Sachsen schafft die Lokalzeitung es oft nicht mehr, weil es sie nicht mehr gibt oder sie über zu wenig Redakteure verfügt. Da sagen die Leute vielleicht: Okay, ich mag zwar die SPD nicht, aber es ist total spannend, wenn mir einmal pro Woche die fünf, sechs wichtigsten Meldungen aus meiner Ortschaft kuratiert werden.


Woran müssten die Parteien verstärkt arbeiten?

Kommunikation ist das eine. Aber es geht viel um ein Mindset, eine Geisteshaltung. Darum, wie man mit Fehlern umgeht und mit Macht- und Kontrollverlust. Man muss Routinen und Hierarchien aufbrechen. Am Ende hat es dann auch mit Kommunikation zu tun, aber diese Prozesse sind meines Erachtens aktuell viel wichtiger, als bunte Bildchen zu produzieren. Um das dann machen zu können, braucht man erst mal vorgeschaltete Aktivitäten der Parteien.

Also einen Kulturwandel.

Ja. Und dass auch mal ein 28-Jähriger SPD-Vorsitzender werden kann.

Sie sprechen vom Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert.

Das war damals unvorstellbar. Aber so was zeigt eben auch eine neue Zeit. Man schafft damit Symbole und zeigt: Wir trauen das auch einem jungen Menschen zu.

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