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Tagesanbruch: Erdogan triumphiert, das wollen die Deutschen im Asylstreit


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 25.06.2018Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Gedenktag für die Opfer von Flucht und VertreibungVergrößern des Bildes
Angela Merkel und Horst Seehofer (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

die Nationalelf hat bei der WM ihre Chance aufs Weiterkommen gewahrt, und eine Regierung haben wir auch noch. Die Woche beginnt also positiv. Bevor wir uns ansehen, ob das so bleibt, bitte ich diejenigen von Ihnen, die den "Tagesanbruch" als Newsletter abonniert haben, aber bis mittags oder gar nachmittags auf die E-Mail warten müssen, mir dies kurz mitzuteilen (den Kontakt finden Sie unten). Dann können meine Kollegen das Problem lösen.

Und nun zu den Themen des Tages:

WAS WAR?

Knapp 60 Millionen Türken haben gewählt, und der Sultan hat gewonnen. Sagten erst der Sultan und seine AK-Partei, danach auch die Wahlkommission. So bekommt er, was er wollte: die absolute Macht, denn ab jetzt gilt in der Türkei ein striktes Präsidialsystem. Gefährlich werden kann Recep Tayyip Erdogan nun wohl niemand mehr; er will schalten und walten, wie es ihm beliebt. Mit der Macht wächst aber auch die Kritik. Das war schon zu sehen, während noch die Stimmen ausgezählt wurden. Der Chef der größten Oppositionspartei CHP sprach von Manipulation, in mehreren Städten versammelten sich Demonstranten. Heute Nachmittag werden europäische Wahlbeobachter ihre Ergebnisse vorlegen. Unser Reporter Patrick Diekmann wird auf t-online.de berichten.

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"Man hatte das Gefühl, gegen eine Mauer zu rennen … Die Schweden nutzten unsere Verwirrung nüchtern aus … In der Kabine ging es anders zu als sonst in der Pause. Wir waren zornig … Das Spiel wurde härter… Der gegnerische Spieler wälzte sich am Boden und stieß einen lauten Schmerzensschrei aus … Mehrere schwedische Spieler liefen auf den Schiedsrichter zu und redeten gestikulierend auf ihn ein. Der Schiedsrichter sprintete zum Tatort, und plötzlich sahen wir die gefürchtete Handbewegung des Unparteiischen, die einen Platzverweis andeutete. 'Wir können's auch mit zehn Mann schaffen', sagte der Boss hoffnungsvoll…"

Atemlose Sätze des großen Uwe Seeler. So beschrieb er aber nicht etwa das deutsche Spiel am Samstag, sondern das Halbfinale der WM 1958: in seiner 1965 erschienenen Autobiografie "Alle meine Tore", die ich als Jugendlicher dreimal verschlungen habe. Am Ende dieses Fußballdramas vor 60 Jahren unterlag die deutsche Elf – anders als vorgestern.

Nachdem ich mir die beiden Spiele noch mal angesehen und obwohl ich Toni Kroosʾ Freistoßtor aus zwölf Kameraperspektiven bewundert habe, hege ich allerdings Zweifel, dass das Team von Bundestrainer Löw besser ist als das Team von Bundestrainer Herberger damals. Okay, eine kluge taktische Anweisung Löws rettete der DFB-Elf in Sotchi den Sieg. Okay, Südkorea sollte als letzter Gruppengegner zu schaffen sein. Aber in dieser Form gegen Kroatien, Brasilien oder gar Portugal? Puh. Da muss noch einiges passieren. Finde nicht nur ich. Findet auch unser Nationalmannschaftsreporter Luis Reiß, und der muss es wissen.

Ebenso wie unser Kolumnist Stefan Effenberg, der das Spiel gegen Schweden gemeinsam mit t-online.de-Lesern in unserem Berliner Newsroom verfolgt hat. Anschließend hat er meinem Kollegen Tobias Ruf in unserem Videostudio Rede und Antwort gestanden – und erklärt, warum Thomas Müller im nächsten Spiel auf der Bank besser platziert ist als auf dem Platz. Klare Haltung, klares Video.

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WAS STEHT AN?

"Katastrophe", "Kernschmelze", "Sintflut", "historische Dämlichkeit": Leitartiklern von links bis rechts ist in diesen Tagen keine Metapher und kein Wort zu groß, um vor dem Abgrund zu warnen, in den Deutschland angeblich gerissen werde, falls der Streit in der Union tatsächlich zu einem Bruch zwischen CDU und CSU führt. Das Land taumele ins politische Chaos, und weil es außer Merkel niemanden von weltpolitischem Format gebe, werde Europa mit hineingerissen.

Ich halte derlei Alarmrufe für ein bisschen übertrieben. Wenn es schon die Regierenden nicht tun, vielleicht sollten dann wenigstens die Kommentatoren einen kühlen Kopf bewahren. Und unabhängig von dem erbitterten Machtkampf zwischen Berlin-Mitte und Bayern einfach mal schauen, was sich die Bürger dieses Landes eigentlich wünschen. Sieht man sich die jüngsten Umfragen an, aus denen "Bild am Sonntag", "Spiegel Online" und andere Medien zitieren, ergibt sich ein ziemlich klares Bild:

  • 57 Prozent der Deutschen fordern einen restriktiveren Kurs in der Flüchtlingspolitik und wollen, dass es Migranten und Flüchtlingen erschwert wird, nach Deutschland zu kommen, weil das Land mit ihrer Zahl und ihrer Integration überfordert sei.
  • 61 Prozent unterstützen die Position der CSU, Flüchtlinge, deren Fingerabdrücke bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, an der Grenze zurückzuweisen.
  • 58 Prozent wollen, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt.
  • 68 Prozent denken, dass die Flüchtlingsthematik nur gemeinsam mit den anderen EU-Ländern zu lösen ist.

Kurz gesagt: Merkel soll weitermachen, aber in der Asylpolitik den harten Kurs der CSU übernehmen und diesen durch Verhandlungen auf europäischer Ebene durchsetzen. Die Voraussetzungen sind nach dem gestrigen Gipfeltreffen in Brüssel noch nicht besonders gut, aber auch gar nicht so schlecht.

Das spannendste Ergebnis der Umfragen kommt aber noch. Nämlich:

  • 54 Prozent der Befragten sind dafür, dass sich CDU und CSU künftig getrennt im gesamten Bundesgebiet zur Wahl stellen und gegeneinander antreten.

Der politische Umbruch in Deutschland ist in Wahrheit also größer, als es der Asylstreit suggeriert. Er wurzelt auch in einer entkräfteten Union, einer SPD mit Auflösungserscheinungen und einer kontinuierlich erstarkenden AfD. Jede Wendung, jede neue Provokation, jede Verletzung im Streit innerhalb der Bundesregierung speist sich aus diesen Wurzeln und vertieft sie zugleich.

Wie kommt man da raus? Wenn sich politische Koordinaten verschieben, lassen sich Weichen neu stellen. Vielleicht so: Die CSU löst sich von der CDU, tritt bundesweit an und vertritt die Interessen konservativer, empörter Bürger, die bislang aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik der etablierten Parteien die AfD unterstützen. Sie bindet also den rechten Rand – bleibt anders als die AfD und in bester Franz-Josef-Strauß-Tradition aber strikt den demokratischen, europäischen Grundprinzipien der Bundesrepublik verpflichtet. Und meidet natürlich jede rassistische und geschichtsrevisionistische Hetze.

Die Grünen gehen ein Bündnis mit der ergrünten CDU ein. Ohnehin gibt es nicht mehr viel, was die beiden Parteien trennt. Unter Anhängern der Grünen genießt Angela Merkel schon jetzt den Status einer Seligen, wenn nicht den einer Heiligen.

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Die FDP schwört dem Liebäugeln mit rechten Parolen ab, besinnt sich auf ihre liberalen Wurzeln und tut ansonsten das, was sie seit Jahrzehnten am besten kann: Mehrheiten beschaffen.

Und die SPD? Nimmt sich endlich der Sorgen und Nöte der "kleinen Leute" an. Will also nicht mehr nur gewerkschaftlich organisierte Facharbeiter, Lehrer und Beamte vertreten, sondern auch die Niedriglöhner der Dienstleistungsgesellschaft; die Paketzusteller, Friseure, Kassierer, Zeitarbeiter und Selbstständigen. Schärft die SPD ihr Profil in diese Richtung und wird zur neuen Vorkämpferin für Gerechtigkeit, steht auch einer Wiedervereinigung mit der Linken nicht mehr viel im Wege.

So könnte es gehen. Es wäre ein grundlegender Umbruch des deutschen Parteiensystems. Und wie immer bei solchen Szenarien ist es vermutlich viel zu theoretisch, viel zu einfach gedacht. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Und drittens bezweifle ich, dass sich die CSU-Spitzen derzeit überhaupt dafür interessieren, was nach dem 14. Oktober geschieht.

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WAS LESEN?

Deutschland bei der Weltmeisterschaft 2006: Stabilität, Weltoffenheit, Zuversicht. Deutschland bei der Weltmeisterschaft 2018: Wankende Regierung, Ausgrenzung, Pessimismus. Was ist geschehen? Der liberale Vordenker Ralf Dahrendorf hat schon 1997 das Aufkommen autoritärer Bewegungen als Reaktion auf die Veränderungen durch die Globalisierung prophezeit – weil in den westlichen Staaten die Mittelschicht unter Druck gerät, Einkommen stagnieren und Abstiegsängste wachsen. Ist das so? Ein Text über die Republik im Wandel: Wie ein neuer Nationalismus Deutschland verändert.

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In den meisten Industriestaaten, auch bei uns, wird die Bevölkerung immer älter. Meistens sprechen wir darüber, wenn es um die Sicherheit der Rente geht und um die Belastungen für die Jungen. In Japan spricht man über die Sicherheit auf den Straßen. Nirgendwo ist die Bevölkerung älter. Fahrer, die älter als 75 Jahre sind, verursachen dort im Durchschnitt doppelt so viele tödliche Unfälle wie andere Altersgruppen. Jenseits der 80 sind es dreimal so viele. Alte Menschen müssen deshalb ihre geistigen Fähigkeiten testen lassen, wenn sie ihren Führerschein erneuern – üblicherweise alle drei Jahre. Wer schlecht abschneidet, muss zum Arzt. Und stellt der Anzeichen von Demenz fest, ist der Führerschein weg. Mehr als 400.000 Japaner gaben freiwillig das Fahren auf, ermuntert von öffentlichen Kampagnen, verbilligten Bus- und Taxifahrten und Gutscheinen. Andere jedoch klagen über den Verlust der Eigenständigkeit – gerade auf dem Land, wo es kaum Alternativen zum Auto gibt. Da nützt der schönste Gutschein nichts. Das alternde Land im fernen Osten ist noch dabei, die richtige Balance zu finden. Und wir? Wir sollten wohl irgendwann auch mal mit der Suche anfangen. Artikel lesen (engl.)

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WAS AMÜSIERT MICH?

Ein bisschen mehr Elan hätte ich mir von den deutschen Nationalkickern am Samstag schon gewünscht. Hätte Kroos in letzter Minute nicht dieses geniale Füßchen gehabt, wäre die Fußballnation wohl in kollektiver Depression versunken. Gegen Südkorea also bitte mehr Schwung, mehr Sprungkraft, mehr Schmackes! Manchmal hilft ja auch ein Vorbild – selbst wenn es kein Trikot trägt und am anderen Ende der Welt hüpft.

So, und weil heute Montag ist und ich Ihnen etwas Gutes tun möchte, spendiere ich Ihnen noch ein zweites Schmunzeln. Voilà, der unübertroffene Mario Lars hat wieder zugeschlagen, Pardon, gezeichnet:

Ich wünsche Ihnen einen vergnügten Start in die Woche.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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