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Rassismus und Corona: der Kampf gegen zwei tödliche Gefahren


Was heute wichtig ist
Der Kampf gegen zwei tödliche Gefahren

MeinungVon Florian Wichert

Aktualisiert am 09.06.2020Lesedauer: 8 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Der Protest auf dem Alexanderplatz gegen Rassismus und Polizeigewalt.Vergrößern des Bildes
Der Protest auf dem Alexanderplatz gegen Rassismus und Polizeigewalt. (Quelle: Britta Pedersen/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier kommt der kommentierte Überblick über die Themen des Tages – heute von mir als Stellvertreter von Florian Harms:

WAS WAR?

"Ich denke, kein anderes menschliches Unterfangen hat jemals in so kurzer Zeit so viele Leben gerettet."

Lesen Sie den Satz ruhig noch ein zweites Mal.

Es lohnt sich, weil es ein besonders erfreulicher ist.

Gesagt hat ihn Solomon Hsiang. Sie kennen den Mann womöglich nicht, aber Hsiang ist ein Studienleiter der US-Universität im kalifornischen Berkeley. Mit seinem Team hat er herausgefunden, dass bis zum 6. April die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie rund 530 Millionen Infektionen allein in sechs Ländern verhindert haben.

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Erschienen ist die Studie im Magazin "Nature" – genau wie eine Analyse von Forschern vom Imperial College London. Die hat ergeben, dass der groß angelegte Lockdown samt Grenzschließungen, Kontaktsperren und Schulschließungen allein in elf europäischen Ländern bis Anfang Mai etwa 3,1 Millionen Todesfälle verhindert hat.

Die Zahlen sind natürlich mit äußerster Vorsicht zu genießen und Schwankungen unterworfen, trotzdem zeigen sie: Wir alle haben Leben gerettet, in Europa und in Deutschland. Die Bundesregierung hat Leben gerettet, die Bundesländer, die Kanzlerin, die Mahner wie Virologe Christian Drosten oder SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Auch Sie persönlich haben Leben gerettet, indem Sie sich an die teilweise schmerzhaften Schutzmaßnahmen gehalten haben. Darauf können wir alle gemeinsam stolz sein.

Und uns getrost den nächsten Problemen widmen?

Zum Beispiel könnten wir an einer Demonstration gegen Rassismus teilnehmen. Rassismus tötet schließlich auch – genau wie eine Pandemie. Gesehen haben wir das beim brutalen Mord an George Floyd in Minneapolis in den USA.

Das dachten sich offenbar allein am vergangenen Wochenende mehr als 15.000 Menschen in Berlin, die sich am Alexanderplatz trafen, oder knapp 25.000 Menschen in München. Obwohl nur 200 erlaubt waren. Die Polizei ließ sie gewähren und erntete dafür Kritik. In München hieß es im Polizeibericht später: "Ein polizeiliches Einschreiten war insbesondere durch die erheblichen Teilnehmerzahlen und die erwartbaren gruppendynamischen Effekte mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit nicht geboten."

Seitdem diskutiert Deutschland: Was wiegt schwerer – das Recht auf Demonstration oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit? Die tödliche Gefahr durch Rassismus oder die durch eine Pandemie? Heiligt der Zweck die Mittel?

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte gestern: "Das Anliegen war gut. Die Bilder, die entstanden sind, waren es nicht. Es muss beides möglich sein: das friedliche Demonstrieren und das Abstandhalten."

Hinter der Diskussion über die Corona-Verstöße bei den Demonstrationen steckt noch etwas ganz anderes: ein diffuses Gefühl in der Gesellschaft, eine Unsicherheit, die seit Beginn der Pandemie besteht – aber derzeit besonders groß ist. Die Frage: Was darf ich eigentlich und was nicht? Das gilt sowohl rechtlich, weil die unterschiedlichen Regeln in den verschiedenen Ländern längst nicht mehr greifbar sind, als auch moralisch. Ist es wieder okay, wenn ich die Hand greife, die mir jemand zur Begrüßung entgegenstreckt? Darf ich meine engsten Verwandten wieder umarmen? Vielleicht auch Freunde? Kann ich den Mundschutz in der S-Bahn weglassen, weil ohnehin kaum noch jemand einen trägt?

Die Lösung kann nur die eigene Vernunft sein, vielleicht auch das Bauchgefühl. Nur darauf verlassen sollte man sich indes nicht. Wer sich weiterhin über Fallzahlen, Corona-Erkenntnisse und Regeln informiert, kann sicher sein, eine gute Grundlage für Entscheidungen zu haben.

Und vielleicht ist es an einigen Stellen ein Kompromiss. Ob das Recht auf Demonstration oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit mehr wiegt, ist gar nicht entscheidend. Statt die Polizei für nicht eingehaltene Abstandsregeln in München oder Berlin verantwortlich zu machen, hätten die Veranstalter der Demonstrationen ihre wichtige Botschaft gegen Rassismus auch anders kundtun können.

Wir sind das erste Land, das erfolgreich Spitzenfußball mitten in einer Pandemie ermöglicht. Wir können bereits wieder Restaurants, Bars und Hotels besuchen. Wir haben digitale Konzerte am TV verfolgt. Wir haben Pflegekräften unsere Solidarität mit Applaus von Balkonen gezeigt. Da werden wir es doch wohl schaffen, eine Demonstration unter ungefährer Einhaltung von Schutzmaßnahmen durchzuführen. Als Menschenkette durch die gesamte Stadt ohne Anfassen? Indem alle ihre Plakate aus den Fenstern hängen lassen? Einfach mit dem gebotenen Abstand? Dann braucht niemand beginnen, Leben aufs Spiel zu setzen, um Leben zu retten.

Im Zweifel sorgt das sogar für mehr Aufmerksamkeit und Schlagzeilen.

Denn selbst wenn es immer weniger neue Fälle in Deutschland gibt und Europa schon Millionen Leben gerettet hat, ist die Pandemie noch nicht besiegt. Weder weltweit – erst am Wochenende wurden laut WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus innerhalb von 24 Stunden mehr als 136.000 Fälle gemeldet und damit so viele wie nie zuvor an einem Tag – noch in Europa oder Deutschland, wo eine Zeitraffer-Animation meiner Kollegen Axel Krüger und Martin Trotz zeigt, welche Gebiete durch die Entwicklung in den letzten zwei Wochen nun Anlass zur Sorge geben.


Seine Tennis-Karriere hat Boris Becker zu einem der größten Sportler gemacht, den Deutschland je hatte. Doch nach der Karriere bekam sein Ruf Risse. Nun steht Boris Becker wieder im Fokus, weil er auf einer Demo gegen Rassismus in London war und dafür in sozialen Netzwerken verunglimpft wurde.

Beckers Reaktion? Bei Twitter postete er ein Video und sagte über Rassismus in Deutschland: "Bei uns wird es so ein bisschen unter den Teppich gekehrt. Ich finde das schade. Wir sollten deutlich mehr öffentlich darüber sprechen. Wir sind alle eine Familie."

Zuvor hatte er getwittert: "Ich bin erschüttert, schockiert, erschrocken über die vielen Beleidigungen NUR aus Deutschland für meine Unterstützung der #BlackLivesMatters Demo gestern in London! Warum, weshalb, wieso??? Sind wir ein Land von Rassisten geworden ...?"

Was ist dran an den Vorwürfen der Tennislegende? Kehrt Deutschland Rassismus unter den Teppich?

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Fakt ist: Auch in Deutschland gab es in den vergangenen 20 Jahren rassistisch motivierte Polizeigewalt. Mein Kollege Noah Platschko hat nur einige der Fälle zusammengetragen. SPD-Chefin Saskia Esken sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Auch in Deutschland gibt es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte." Obwohl die große Mehrheit der Polizeibediensteten solchen Tendenzen sehr kritisch gegenüberstehe und unter dem potenziellen Vertrauensverlust leide, der sich daraus ergebe.

Ob Eskens Aussagen stimmen oder nicht: Boris Becker weiß auf jeden Fall, wovon er spricht, weil seine Familie bereits mehrfach zum Ziel von Rassismus wurde. Nur ein Beispiel: AfD-Politiker Jens Maier verunglimpfte Beckers Sohn Noah bei Twitter aufs Übelste.

Reden wir also zu wenig über Rassismus? Es lohnt in jedem Fall, sich mit den Vorwürfen von Boris Becker auseinanderzusetzen.


WAS STEHT AN?

George Floyd – diesen Namen kennt nun die ganze Welt. Gut zwei Wochen nach seinem Tod bei einem brutalen Polizeieinsatz wird Floyd heute in Pearland bei Houston beigesetzt. Zuvor nehmen die Familie und geladene Gäste in der texanischen Metropole Houston an einem Trauergottesdienst (ab 18 Uhr MESZ) teil. Am gestrigen Montag gab es für die Öffentlichkeit die Möglichkeit, am Sarg von Floyd Abschied zu nehmen. Die landesweiten Massenproteste gegen Rassismus und Polizeigewalt werden auch nach der Beerdigung weitergehen.


In der kommenden Woche erscheint sie. Endlich. Die Corona-Warn-App.

Wenn Sie wissen wollen, wie die App funktioniert, was sie bringt und was sie nicht kann, sind Sie hier richtig. Unsere Fotoshow gibt auch schon einen kleinen Einblick, wie die Warn-App aussehen soll.

Die große Frage: Installieren oder nicht installieren? Laut ARD-Deutschlandtrend würden sich 39 Prozent der Deutschen dagegen entscheiden. Die meisten nennen Datenschutzbedenken und ihre Angst vor Überwachung als Gründe.

Meine Kollegin Laura Stresing hat mit einem Informatiker gesprochen, der sich den öffentlich einsehbaren Programmiercode der App genau angesehen und sich mit der Frage beschäftigt hat, ob die Bedenken berechtigt sind. Sein Urteil: alles sicher. Keine Hintertüren. Keine Tracker. Es gebe "keinen Grund, die App nicht zu installieren". Allerdings hat er in einer anderen Hinsicht Restzweifel.


Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe urteilt heute über die Klage der AfD gegen Innenminister Horst Seehofer. Seehofer hatte das Verhalten der Partei in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur als "staatszersetzend" bezeichnet. Das Ministerium hatte den Text zeitweise auf seiner Internetseite veröffentlicht. Ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht als Amtsträger? Den wirft ihm die AfD vor. Verhandelt wurde bereits im Februar.


Seit Wochen schaut die Sportwelt auf die deutsche Fußball-Bundesliga, die als erste Topliga weltweit den Spielbetrieb aufnahm – dank eines umfassenden Hygienekonzepts. Die Bilder der Vereinschefs auf der Tribüne mit Mundschutz und dennoch drei freien Plätzen zwischen einander wirken fast ein wenig aus der Zeit gefallen, wenn zeitgleich Tausende auf den Straßen ohne die konsequente Einhaltung von Abstandsregeln protestieren. Aber im Fußball wird man sich denken: Hauptsache, wir können spielen. Bevor die anderen Topligen nun ebenfalls den Spielbetrieb aufnehmen, restartet der deutsche Fußball mit dem DFB-Pokal schon den zweiten Wettbewerb. Heute empfängt der unterklassige Klub 1. FC Saarbrücken Bayer Leverkusen, morgen der FC Bayern Eintracht Frankfurt. Natürlich wieder mit Hygienekonzept, Abstand und jeweils im Liveticker bei t-online.de.


Die Wirtschafts- und Finanzminister der EU beraten den 750-Milliarden-Euro-Plan der Kommission zum Wiederaufbau nach der Corona-Krise. Dabei geht es unter anderem um die Frage, welche Hilfen aus Brüssel konkret gebraucht werden und ob Krisenstaaten im Gegenzug Reformen zusagen müssen.


Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will sich ab 11 Uhr über die Lage der Kultur vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie informieren. "Kultur ist Lebensmittel – Überleben der Kultur in der Corona-Krise": Unter diesem Motto spricht der Bundespräsident mit dem Regisseur Andreas Dresen und dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater, Christian Bräuer, im Berliner Kino International.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Es ist kaum zu glauben, aber die Zahl der eröffneten Insolvenzen sinkt derzeit noch. Ein Grund zur Freude ist das leider nicht, denn die Corona-Krise dürfte sich hier erst im Herbst bemerkbar machen, und dann umso härter. Tausenden Firmen droht dann das Aus. Womöglich wird es eine echte Pleitewelle. Deshalb hat mein Kollege Florian Schmidt schon jetzt mit dem Insolvenzexperten Lucas Flöther gesprochen, um sich die Hintergründe und Folgen schildern zu lassen. Hier.


Er ist mit 25 Toren in 30 Spielen der beste deutsche Stürmer in der Bundesliga – und wird diese in Kürze verlassen. Timo Werner wechselt von RB Leipzig nach England, in die vermeintlich beste Liga der Welt, die Premier League. Für schlappe 60 Millionen Euro. Die Summe galt bis vor Corona als Schnäppchen, jetzt erscheint sie doch unverhältnismäßig hoch. Erst recht für die künftigen Mitspieler von Werner, die gerade auf Gehalt verzichten und sich entsprechend wenig freuen sollen, dass der Verein das gesparte Geld in einen neuen Star steckt, der ihnen womöglich auch noch einen Platz in der Mannschaft wegnimmt. Überhaupt fragen sich die Fußballfans in Deutschland: Was will Timo Werner bei diesem Verein, der derzeit nicht zur europäischen Spitze gehört? Hier finden Sie den "Zweikampf der Woche".


WAS AMÜSIERT MICH?

Die Not in der Autoindustrie macht erfinderisch. Es lebe das Konjunkturpaket.

Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag. Morgen schreibt wie gewohnt Florian Harms an dieser Stelle.

Ihr

Florian Wichert
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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