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Millionenschaden: Union und SPD waschen von der Leyens Weste weiß


Was heute wichtig ist
Millionenschaden: Madame ist fein raus

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 10.06.2020Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Ursula von der Leyen steuert Europas Corona-Krisenmanagement. In ihrem früheren Job verantwortete sie viele Ungereimtheiten.Vergrößern des Bildes
Ursula von der Leyen steuert Europas Corona-Krisenmanagement. In ihrem früheren Job verantwortete sie viele Ungereimtheiten. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, soll Lenin gesagt haben, und selbst wenn er mit vielen anderen Gedanken mächtig danebenlag, in diesem Fall hatte der Wladimir Iljitsch mal recht. Doch gelegentlich gerät sogar sein berühmtester Lehrsatz an seine Grenzen. In demokratischen Systemen zum Beispiel gibt es das nützliche Prinzip der Gewaltenteilung: Regierung, Parlament und Justiz sollen sich gegenseitig kontrollieren. Damit der Deutsche Bundestag der Bundesregierung auf die Finger gucken kann, haben ihm die Schöpfer des Grundgesetzes das Instrument des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zugebilligt. Schon ein Viertel aller Abgeordneten genügt, um solch ein Gremium einzusetzen, weshalb es auch als "scharfes Schwert der Opposition" bezeichnet wird.

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Leider entpuppt sich dieses Schwert gelegentlich als ziemlich stumpf, manchmal verkümmert es sogar zum Buttermesserchen. Ein besonders markantes Beispiel einer solchen Waffenschrumpfung haben wir gestern vorgeführt bekommen. 16 Monate lang hat der Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre im Verteidigungsministerium Akte auf Akte gewälzt, um herauszufinden, was findige Journalisten längst herausgefunden hatten: Unter der Ägide der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen entwickelte sich das Ministerium zu einem Selbstbedienungsladen für Unternehmensberater, neben McKinsey vor allem die Firma Accenture, die sich rühmt, "die weltweit führenden Berater für Strategie, Management Consulting, Digitalisierung, Technologie, Outsourcing und Business Transformation" zu beschäftigen. Ähnlich groß wie der Titel der Damen und Herren war offenkundig ihr Talent, eine der größten deutschen Behörden um einen beträchtlichen Batzen Steuergeld zu erleichtern.

Die Vorwürfe reichen von unkorrekter Auftragsvergabe bis zu Vetternwirtschaft. Allein in von der Leyens Amtszeit summierten sich die Honorare aller Strategie-Consulting-Dingsbums-Berater auf einen dreistelligen Millionenbetrag, was der Bundesrechnungshof bereits vor anderthalb Jahren angeprangert hat. Was genau die Herrschaften in dem von Kompetenzwirrwarr, Selbstherrlichkeit, Führungsmangel und sonstigem Chaos gezeichneten Ministerium als Gegenleistung für ihre fürstliche Entlohnung zum Besseren wendeten, ist bis heute unklar. Manche sagen: Ja, die eine oder andere Unterabteilung hätten die Berater wohl schon ausgemistet, und irgendwas mit Cybersicherheit machten sie auch, wenngleich diesbezüglich bis heute mehr Frage- als Ausrufezeichen bleiben. Die anderen sagen: Unterm Strich war der Beratereinsatz weitgehend sinn- und folgenlos – aber teuer. Sehr teuer.

Katrin Suder heißt die Frau, die damals als beamtete Staatssekretärin im Verteidigungsministerium diente. Als ehemalige Beraterin bei McKinsey hatte sie einen guten Freund, der praktischerweise ebenfalls Unternehmensberater war. Schon bald durfte dessen Firma das Ministerium beraten und dafür Rechnungen mit vielen Nullen schreiben. Dafür gingen sie bei den Offizieren ein und aus, die Nullen, Pardon: die Berater, und hinterließen viele dicke Beraterpapierstapel.

Wenn Sie nun denken: Da die Ministerin diesen Braten doch bestimmt früher oder später gerochen, aber nichts dagegen unternommen hat, ist sie mitverantwortlich für die Verschwendung von Steuergeld, dann darf ich Sie beruhigen: Frau von der Leyen hat eine blitzsaubere Weste. Als Chefin des Filzministeriums hat sie nämlich "kaum eine Entscheidungsvorlage zu den untersuchten Vorgängen selbst gezeichnet". Zwar sei ihr Büro von den entscheidenden Vorgängen stets in Kenntnis gesetzt worden, "die Entscheidungen selbst wurden aber häufig auf Ebene der Staatssekretäre getroffen". So steht es im Abschlussbericht zur Berateraffäre, den die Regierungsfraktionen von CDU, CSU und SPD angefertigt haben und der nun durchgesickert ist. Er enthält weder juristische noch direkte politische Vorwürfe gegen die ehemalige Verteidigungsministerin. Frau von der Leyen trägt also keinerlei Verantwortung für den Schlamassel, sie ist fein raus. Ein butterweicher politischer Freispruch.

Nun mögen Sie denken: Das ist doch eine Farce, wie bitte kann das sein, wenn doch das Parlament die Regierung kontrollieren soll? Und da kann ich Ihnen als Antwort leider auch nicht viel mehr anbieten als ein Schulterzucken. Ach ja, doch, vielleicht noch eine kleine Randbemerkung: Praktischerweise ist Frau von der Leyen nämlich in derselben Partei wie die größte Fraktion im Bundestag, und der Macht der CDU scheint sich auch die SPD gebeugt zu haben. Koalitionsdisziplin. Käme ja auch ungelegen, wenn die heutige EU-Kommissionspräsidentin inmitten der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten Knall auf Fall ihren Posten räumen müsste, weil ihr die Verschwendung von haufenweise Steuergeld nachgewiesen wird. Da lässt man sie doch lieber weitermachen und drückt nicht nur eines, sondern gleich beide Augen zu. Realpolitik nennt man das in diesen Kreisen vermutlich. Andernorts würde man es wohl Schamlosigkeit nennen.

Ich meine: Kontrolle hin oder her, Vertrauen in die Politik wird so nicht gestiftet.


"Bewegte Zeiten" ist eine Untertreibung. Das Coronavirus hat uns tiefgreifende Umwälzungen beschert, enorme Beschränkungen, gewaltige Hilfspakete. Aber übersehen wir auch nichts, während wir mit diesen historischen Ausnahmeerscheinungen beschäftigt sind? Die eine oder andere unscheinbare Veränderung vielleicht, die uns später böse auf die Füße fällt? Hat sich etwas getan am Rand unseres Blickfeldes, bei dem wir besser genauer hingesehen hätten? Und ob.

Slowenien steht selbst unter normalen Umständen nicht gerade im Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Ein kleines Land auf dem Balkan, das eher durch bildhübsche Landschaften als durch hässliche Schlagzeilen auffällt. Im März, als wir in Deutschland gebannt auf die bevorstehenden Schulschließungen starrten, beging in der Hauptstadt Ljubljana ein neuer Regierungschef seinen ersten Arbeitstag. Die Koalition, die seinen Vorgänger unterstützt hatte, war heillos zerstritten, und Janez Janša glitt ohne Neuwahlen ins Amt. Seine Partei stellt die größte Fraktion im Parlament, sie hat ein Viertel der Wähler hinter sich. Der Premier darf auch in Angelegenheiten mitreden, die Deutschland betreffen: Seit 2004 ist Slowenien EU-Mitglied und in der Nato ebenfalls mit von der Partie.

Bevor wir dem frischgebackenen Regierungschef applaudieren, weil Slowenien die Corona-Epidemie zügig unter Kontrolle gebracht hat, sollten wir einen Blick darauf werfen, was der Neue sonst so macht. Am Tag nach seiner Amtseinführung hat er erst einmal die Chefs von Polizei, Armee und militärischem Geheimdienst gefeuert. Die Polizei hatte gegen seine Partei wegen möglicherweise illegaler Finanzspritzen aus dem Ausland ermittelt. Eine der Schlüsselfiguren bei diesen dubiosen Transaktionen sitzt nun als Innenminister und oberster Chef der Ermittler am Kabinettstisch, und Premier Janša und sein Team teilen seitdem kräftig gegen ihre Feinde aus. Als da wären: die Justiz, die öffentlich-rechtlichen Medien, kritische Journalisten, der Milliardär und Philanthrop George Soros und ein angeblich im Geheimen agierender Staat im Staate. Für Drohungen, Verleumdungen und Mobbing seiner Kritiker greift der Premier vorzugsweise auf Twitter zurück.

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Falls Ihnen das irgendwie bekannt vorkommt: Von Herrn Trump hat sich Herr Janša vieles abgeschaut. Und so, wie der amerikanische Präsident sich auf den Propagandasender "Fox News" stützen kann, um seine Fans mit einer maßgeschneiderten Version der Wirklichkeit zu versorgen, hat der Slowene den populistischen TV-Kanal "Nova24" im Rücken. Die unterstützende Medienmaschinerie wird aus Ungarn finanziert, von Firmen aus dem Umfeld des Premiers und Rechtspopulisten Viktor Orbán, der es mit der Demokratie ja auch nicht so hat.

Während wir mit dem Coronavirus alle Hände voll zu tun hatten, hat sich ein weiterer Mitgliedsstaat der EU still und leise unter die Antidemokraten eingereiht. Ungarns Orbán und Polens Kaczyński haben nun einen Alliierten an ihrer Seite. Sofern Sloweniens Ministerpräsident nicht vorher an seiner hauchdünnen Parlamentsmehrheit scheitert, wird er 2021 die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Im gemeinsamen Europa bröckelt der demokratische Konsens. Ja, wir waren abgelenkt.


WAS STEHT AN?

Bis heute ist unbekannt, wer vor mehr als 34 Jahren den schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme erschoss. Es gab Spuren zur kurdischen PKK, zu Rechtsextremisten, nach Südafrika und zu einem hasserfüllten Einzelgänger. Heute will die Staatsanwaltschaft neue Erkenntnisse präsentieren.

Die Kontrollen an den EU-Binnengrenzen werden schrittweise aufgehoben, einige Einreiseregeln könnten aber bleiben. Welche genau, will Innenminister Horst Seehofer (CSU) heute erklären.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) stellen die deutsche Wasserstoffstrategie vor. Selbst wenn das Wort größer klingt als das Budget von sieben Milliarden Euro: Wasserstoff soll zu einem wichtigen Energieträger werden.

Peter Tschentscher (SPD) lässt sich von der Bürgerschaft in Hamburg zum Bürgermeister wiederwählen.

Die EU-Kommission stellt ihren Bericht zur Verbreitung von Desinformationen in der Corona-Krise vor. Brüssel verlangt, dass Facebook, Twitter und Co. monatlich über ihren Kampf gegen Propaganda und Lügen berichten und Wissenschaftlern mehr Raum gewähren. Richtig so.


WAS LESEN?

Als Herbert Diess vor gut zwei Jahren bei Volkswagen das Steuer übernahm, steckte der Konzern in einer tiefen Krise. Da waren der hausgemachte Dieselskandal, die Abgastests mit Affen, die verschlafene E-Mobilität. Der fesche Herr Diess trat an, das Unternehmen umzukrempeln: Ausrichtung auf Elektromobilität, Rückstand aufholen, mehr Profit, das war sein Programm. Er fuhr einen Rekordgewinn ein und investierte Milliarden. Nun der große Knall: Diess ist weg von der VW-Spitze und darf sich künftig nur noch um die allgemeine Strategie des Konzerns kümmern. Einen Frühstücksdirektor hätte man so jemanden früher genannt. Wie konnte es dazu kommen? Mein Kollege Markus Abrahamczyk erklärt Ihnen, wie ein monatelanger Machtkampf und ein entscheidender Fehler den Abstieg des VW-Lenkers besiegelten.


Lügde, Staufen, Bergisch Gladbach, nun auch noch Münster: Immer neue Fälle von Kindesmissbrauch erschüttern uns – und der Verdacht wächst, dass sie nur die Spitze eines Eisbergs bilden. Vor allem die Polizei in Nordrhein-Westfalen unter Innenminister Herbert Reul (CDU) ermittelt akribisch gegen Pädophile, während andere Bundesländer hinterherhinken. Bundesweit müssen Behörden endlich besser zusammenarbeiten, um Verbrechen an Kindern vorzubeugen, kommentiert Kerstin Lottritz in der "Süddeutschen Zeitung".

Haben Sie kürzlich in den Nachrichten die kurze Meldung zu einer Ölpest in Sibirien gesehen und ebenso schnell wieder vergessen? Dann sollten Sie sich von unserem Rechercheur Lars Wienand erklären lassen, warum das Leck eines russischen Dieseltanks eine Folge der Klimakrise ist und zum Problem für uns alle werden könnte.


Corona, Rassismus, ein unberechenbarer Präsident: Die USA durchleben eine traumatische Krise und geraten weltweit ins Zwielicht. Dabei übersehen viele Beobachter wichtige Entwicklungen, die Anlass zur Hoffnung geben, kommentiert unser Korrespondent Fabian Reinbold: Er entdeckt im krisengeschüttelten Amerika drei gute Nachrichten.


WAS AMÜSIERT MICH?

Toll, dass wir jetzt alle wieder nach Malle dürfen!

Ich wünsche Ihnen einen tollen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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