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Chaos in Erfurt: Die CDU muss ihr Verhältnis zur AfD klären


Was heute wichtig ist
Erst Chaos in Erfurt, jetzt in Magdeburg – und wo als Nächstes?

MeinungVon Sven Böll

Aktualisiert am 07.12.2020Lesedauer: 7 Min.
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Keine Berührungsängste: Kanzlerin Angela Merkel und der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow 2019.Vergrößern des Bildes
Keine Berührungsängste: Kanzlerin Angela Merkel und der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow 2019. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

heute schreibe ich stellvertretend für Florian Harms für Sie den kommentierten Überblick über die Themen des Tages.

WAS WAR?

Jede Krise bringt offenbar einen Satz mit sich, der in kaum einer Rede fehlen darf. In der Finanzkrise war dies der regelmäßige Hinweis, das chinesische Schriftzeichen für Krise bedeute auch Chance. Und in der Corona-Pandemie heißt es oft, sie wirke wie ein Brennglas für Probleme.

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Ob das stimmt, wird häufig nicht hinterfragt. Doch wer könnte ein paar Chancen nennen, die wir durch die Finanzkrise ergriffen haben? Und bräuchten diejenigen, die etwa bis zum Frühjahr noch nicht wussten, dass Deutschland bei der Digitalisierung nicht auf der Höhe der Zeit ist, nicht eher eine bessere Brille als eine Lupe?

Zumal es derzeit eher so aussieht, als wirke die Corona-Krise wie ein Milchglas. Viele Probleme bekommen nicht die Aufmerksamkeit wie in normalen Zeiten, bleiben im Ungefähren und wirken deshalb weniger wichtig. Das lässt sich etwa an den Ereignissen in Magdeburg in den vergangenen Tagen studieren.

Die Koalition aus CDU, SPD und Grünen in Sachsen-Anhalt steht offiziell wegen eines Streits um die Erhöhung der Rundfunkgebühr auf der Kippe, in der Realität aber wohl eher wegen eines Machtkampfs in der dortigen CDU. Ob Ministerpräsident Reiner Haseloff diesen durch den Rausschmiss seines Konkurrenten Holger Stahlknecht aus dem Kabinett für sich entscheiden konnte, ist fraglich. Ein beträchtlicher Teil seiner Fraktion hat anscheinend kein Problem damit, im Zweifel gemeinsame Sache mit der AfD zu machen.

Natürlich wird darüber berichtet. Doch angesichts der Dominanz der Corona-Krise geht das Thema etwas unter – zumal, wenn man bedenkt, dass es im Februar tagelang nichts Wichtigeres gab, als in Erfurt der FDP-Politiker Thomas Kemmerich auch mit Stimmen von CDU und AfD zum Superkurzzeit-Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt wurde. Der liberale Bundesvorsitzende Christian Lindner ist seither beschädigt, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte sogar ihren Rückzug an.

Dabei ist das Chaos von Magdeburg für die Christdemokraten noch gefährlicher als das Beben von Erfurt. Was in Thüringen passierte, ließ sich noch als Einzelfall abtun. Doch nun gibt es schon zwei Einzelfälle. Mindestens. Denn bereits bei der Landtagswahl in Brandenburg im vergangenen Jahr war die Abgrenzung des CDU-Spitzenkandidaten von der AfD nicht ganz – um im Bild zu bleiben – lupenrein.

Es zeigt sich zunehmend, dass der , nur dort absolute Gültigkeit hat, wo die AfD keine bedeutende Rolle spielt. Das trifft vor allem auf die Landtage im Westen zu – und auf den Bundestag. Weshalb Erfurter oder Magdeburger Verhältnisse in Berlin derzeit kein realistisches Szenario sind.

Doch vor allem in drei Ländern hat die CDU zunehmend ein Problem. Wenn die Umfragen halbwegs stimmen, liegt die AfD in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt bei deutlich mehr als 20 Prozent. Das ließe sich vielleicht noch halbwegs ignorieren, wenn nicht auch die Linke dort vergleichsweise stark wäre. Gemeinsam kommen Linke und AfD in Thüringen auf mehr als 50 Prozent, in Sachsen und Sachsen-Anhalt auf rund 40 Prozent.

Das heißt: Die Parteien, die die alte Bundesrepublik prägten (und da sind die Grünen bereits mitgezählt), haben in Thüringen keine Mehrheit mehr – und in mindestens zwei weiteren Bundesländern müssen sie ernsthaft darum kämpfen. Deshalb könnte auch der CDU perspektivisch das fehlen, was Politiker gern eine Machtoption nennen.

Trotzdem gibt es für die Partei keine Alternative dazu, alles dafür zu tun, dass die Brandmauer gegen die AfD nicht bröckelt. Die AfD ist nicht nur rechtspopulistisch, sie ist in Teilen sogar völkisch. Sie versucht, das parlamentarische System lächerlich zu machen, wo sie nur kann. Eine Partei, deren ehemaliger Sprecher eingesteht "Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD", kann für die CDU kein Partner sein. Denn zum christdemokratischen Markenkern gehören Stabilität und Wohlstand.

Niemand sollte Experimente durchführen, die etwa versuchen, die AfD "einzuhegen". Nicht einmal unter Laborbedingungen in einem nicht sonderlich großen Bundesland. Und schon gar nicht in Deutschland.

Dass wir wissen, wie ihre Regierungspraxis aussieht, ist einer der wesentlichen Unterschiede der Linken zur AfD. Die Linke hat auch radikale Züge: Im Grundsatzprogramm von 2011 steht unter anderem, dass die Partei "in einem großen transformatorischen Prozess gesellschaftlicher Umgestaltung für den demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts" kämpft. Und: Dieser Prozess werde "von Brüchen und Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe" gekennzeichnet sein. Die Reformer in der Partei sahen darin damals ein "im Grunde neokommunistisches Politikverständnis" und bemängelten, es werde geradezu "ein Horrorszenario der Welt" skizziert.

Zumindest bislang versucht die Linke allerdings mit eher gängigen Mitteln, diese vermeintlich so schreckliche Welt zu verändern. Denn die Partei regiert in den Ländern zumeist superpragmatisch mit. Es gehört zur Ironie der jüngeren Geschichte, dass man beim ziemlich mittig agierenden thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow nicht sicher sein kann, ob die SPD-Linke ihn überhaupt als Mitglied akzeptieren würde.


WAS STEHT AN?

Wer gedacht hat, eine Deadline, ein Ultimatum oder eine letzte Frist sei in der Politik wirklich relevant, wurde in den vergangenen Monaten eines Besseren belehrt. Denn noch immer ist unklar, wie die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien aussehen. Vielleicht gibt es heute bei einem erneuten Telefonat zwischen der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem britischen Premier Boris Johnson einen Deal, vielleicht auch nicht.

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Und wer weiß, ob es wirklich eine Entscheidung bis zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag und Freitag dieser Woche geben muss, wie es jetzt immer wieder heißt. Zwischen Weihnachten und Neujahr ist ja auch noch Zeit. Gerade in diesem Jahr.

Viel wichtiger als das künftige Verhältnis zu den Briten ist für die 27 EU-Staaten eh ihr Verhältnis untereinander. Und auch darum wird es beim Europäischen Rat unter Leitung von Charles Michel gehen. Schließlich haben Polen und Ungarn ihr Veto gegen das mehr als 1,8 Billionen Euro schwere Haushaltspaket eingelegt, weil sie eine Verknüpfung von Zahlungen an die Rechtsstaatlichkeit ablehnen. Man kann lange darüber diskutieren, ob das aus unserer Sicht fragwürdige innenpolitische Vorgehen der Regierungen in Warschau und Budapest derzeit wirklich das größte Problem Europas ist, es also klug war, dass Fass der Rechtsstaatlichkeit im Moment überhaupt aufzumachen.

Doch fest steht: Für die europäische Selbstfindung ist dieser Prozess wichtig. Schließlich geht es darum, ob die EU wirklich unverrückbare Prinzipien hat. Oder ob jedes Problem durch viele Formelkompromisse und noch mehr Geld irgendwie dann doch wegverhandelt werden kann.

Zuletzt sah es zumindest so aus, als versuchten die anderen EU-Mitglieder, Polen und Ungarn auszubremsen. Es könnte sein, dass der 750 Milliarden Euro umfassende Corona-Aufbaufonds mit Rechtsstaatsprinzipien, aber ohne die beiden Länder, in Kraft gesetzt wird. Polen und Ungarn würden dann leer ausgehen.

Ähnlich schmerzhafte finanzielle Konsequenzen hätte es für beide Regierungen, wenn die EU 2021 mit einem Nothaushalt operieren müsste. Dafür stünden ihr pro Monat ein Zwölftel des Budgets von 2020 zur Verfügung. Allerdings wohl nur in der Theorie, denn ohne den Beitragszahler Großbritannien gibt es im kommenden Jahr deutlich weniger Geld. Und darunter leiden wiederum besonders die großen Profiteure des EU-Haushalts wie ... genau: zum Beispiel Polen und Ungarn.

Man möchte dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán und seinem polnischen Kollegen Mateusz Morawiecki eine Lebensweisheit zurufen, die sowohl in mehr als auch in weniger demokratischen Staaten gilt: Steige nie so hoch auf einen Baum, dass Du nicht ohne Blessuren wieder runterkommst.


Die Geste stellte alles in den Schatten, was bis dahin über die deutsche Schuld und Sühne für die Nazigräuel gesagt wurde: Mit seinem Kniefall vor dem Mahnmal für die Opfer des Ghetto-Aufstands in Warschau bat der damalige Bundeskanzler Willy Brandt am 7. Dezember 1970 eindringlich um Vergebung für die Verbrechen der Nazizeit. Die Wirkung einer so großen Geste ist auch ein halbes Jahrhundert später noch nicht verblasst.


Der Bundestag verabschiedet in dieser Woche den Bundeshaushalt. Deshalb kommt es am Mittwoch zur Generaldebatte über die Politik der Bundesregierung, die traditionell zu einem Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition führt. Weil in der Haushaltswoche besonders viel debattiert wird, finden bereits heute die Sitzungen der Fraktionen statt – und nicht wie üblich erst am Dienstag. "Das bisschen Haushalt" macht sich eben nicht von allein.


Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache präsentiert angesichts von Trends, gesellschaftlichen Debatten und Innovationen neue Wörter. Unter anderem werden Begriffe wie Aluhut oder Trumpismus im sogenannten Neologismenwörterbuch neu aufbereitet. Die Beschreibungen sind allerdings in der Regel weniger spektakulär als die Wörter selbst. Unter dem bereits aufbereiteten Begriff "Maskenpflicht" heißt es etwa: "Vorschrift zum Tragen eines Nasen-Mund-Schutzes o.Ä. in Ladengeschäften, öffentlichen Verkehrsmitteln usw. zur Eindämmung einer Infektionskrankheit."


WAS LESEN?

Es soll ja Menschen geben, die Montage schrecklich finden, weil noch die ganze Arbeitswoche vor ihnen liegt. Es gibt aber auch solche, für die Wochenenden nicht automatisch Freizeit, Entspannung und Spaß bedeuten. Sie fallen regelmäßig in ein Loch, wenn der Freitag wieder rum ist. Was hinter diesem "Weekend Blues" steckt, erklärt meine Kollegin Julia Sima.


Geruchs- und Geschmacksstörungen halten zum Teil noch Monate nach einer Corona-Infektion an. Dresdner Forscher wollen Betroffenen nun mit einer neuen Therapie zumindest wieder das Riechen beibringen, berichtet meine Kollegin Melanie Weiner.


Jens Spahn macht Hoffnung: "Spätestens im Sommer wird es Massenimpfungen geben", sagte er im Interview mit t-online. Zugleich warnte der Bundesgesundheitsminister aber, die Infektionszahlen seien derzeit zu hoch.


WAS AMÜSIERT MICH?

Viele laden sich die Corona-App nicht herunter, weil sie sich Sorgen um den Datenschutz machen. Wie überaus bescheiden die App im Vergleich zu Facebook und WhatsApp allerdings ist, wenn es um den Zugriff auf Handydaten geht, zeigt eine Übersicht, die in den vergangenen Tagen in den sozialen Medien die Runde machte.

Wer auch immer sich die Mühe gemacht hat, diese Grafik zu erstellen: Ich bin ihr oder ihm dankbar. Denn nun kann ich alle, die mir erklären, dass sie Bedenken gegen die Corona-App haben, mit noch besseren Gründen – und einem Lächeln – fragen: "Und, hast Du auch kein WhatsApp?"

Wie viele Apps Sie auf Ihrem Handy auch immer haben: Behalten Sie den Überblick und starten Sie gut in die Woche. Morgen schreibt an dieser Stelle wieder mein Kollege Florian Harms für Sie.

Ihr

Sven Böll
Managing Editor t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @SvenBoell

Mit Material von dpa.

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