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Corona-Krise und Flüchtlingskrise: EU-Politiker schaffen nur wenig Bleibendes


Was heute wichtig ist
Die Zeit ist gekommen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 10.09.2020Lesedauer: 5 Min.
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Gestern Abend brach im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ein weiteres Feuer aus: Insgesamt wurden mehr als 12.000 Migranten evakuiert.Vergrößern des Bildes
Gestern Abend brach im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ein weiteres Feuer aus. Insgesamt wurden mehr als 12.000 Migranten evakuiert. (Quelle: Alkis Konstantinidis/REUTERS/Reuters-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

und vielen Dank für die netten Zuschriften zum gestrigen Tagesanbruch. Sie sind ein Labsal nach langen Nächten. Hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Politik soll gestalten, sie soll uns den Weg in die Welt von morgen ebnen. Auf unserem Kontinent ist davon wenig zu sehen. Europäische Politiker sind seit Jahren im Krisenmodus gefangen: Sie reagieren statt zu agieren, sie versuchen Probleme zu lösen, statt Probleme zu verhindern. Finanzkrise, Bankenkrise, Schuldenkrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise, Corona-Krise, nebenher auch noch die Krisen im Nahen Osten, in Libyen, im Umgang mit Putin, Xi, Erdogan, Lukaschenko und Trump, und dann sind da ja auch noch die Krisen im eigenen Haus: Brexit-Briten, bröckelnde Demokratie in Polen, ausgehebelter Rechtsstaat in Ungarn. Immer dann, wenn die Staatenlenker in Berlin, Paris, Brüssel und den anderen Hauptstädten einen Brandherd gelöscht haben, flackert schon der nächste auf. Sie machen keine schlechte Figur dabei, aber sie schaffen auch nur wenig Bleibendes.

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Es wäre ungerecht, den Staats- und Regierungschefs mangelnden Einsatz vorzuwerfen, ohne zugleich anzuerkennen, dass sie mit enormen Herausforderungen konfrontiert sind. Wer wollte an ihrer Stelle im Kanzleramt, im Élysée-Palast oder im Berlaymont-Gebäude sitzen, um das Schicksal von Millionen Menschen zu lenken? Aber an Visionen mangelt es ihnen leider eklatant. Wir erleben eine Zeitenwende, an der sich die Wege auf unserem Planeten gleich in mehrere Richtungen scheiden: bettelarme Massen neben wenigen Superreichen oder gleiche Chancen für alle? Zerstörung der Natur oder Verzicht auf den Wachstumswahn? Blinder Egoismus oder Solidarität mit Notleidenden? Brutalität, Gemeinheit und Selbstbereicherung oder Frieden, Rechtsstaat und Gerechtigkeit? Digitale Dominanz oder selbstbestimmtes Leben? Ignoranz oder Empathie?

Es ist leicht, die himmelschreienden Gegensätze auf unserer Erde zu erkennen, aber es ist schwer, sie aufzulösen. Doch wenn wir diesen schönen blauen Ball im schwarzen All in den kommenden Jahrzehnten für uns, unsere Kinder und Enkel als lebenswerten Ort erhalten wollen, dann sollten wir uns schon etwas mehr anstrengen. Und die Damen und Herren in den Ämtern und Palästen regelmäßig daran erinnern, dass sie nicht dafür gewählt worden sind, den schleichenden Niedergang zu verwalten, sondern die Weichen für eine bessere Zukunft zu stellen.

Nähmen sie diesen Gedanken wirklich ernst, dann würden sich die europäischen Staatenlenker eine Auszeit aus dem permanenten Krisenbekämpfungsmodus nehmen und gemeinsame Werte definieren, die alle politischen Entscheidungen binden. Nicht nur schöne Worte, sondern verbindliche Grundsätze. Wofür soll Europa im 21. Jahrhundert stehen? Welche Regeln sind unumstößlich und selbst im Krisenfall nicht zu beugen? Wer ist bereit, sich auf die Einhaltung demokratischer Standards, rechtsstaatliche Prinzipien, sozialen Ausgleich und gelebte Solidarität zu verpflichten – und wer nicht? Genau da verläuft die Trennungslinie. Zieht man sie konsequent, dann ist es keine Frage mehr, wie Europa sich in kniffligen Fragen verhalten soll. Dann hätte das Lager Moria auf Lesbos nicht in Flammen aufgehen können, weil die bedürftigen Flüchtlinge längst auf die EU-Staaten verteilt und die anderen in ihre Heimatländer zurückgeschickt worden wären. Dann dürfte kein einziger Kreml-Beamter mehr in die EU einreisen, solange in Russland Oppositionelle vergiftet oder erschossen werden. Dann würde keine chinesische Spionagetechnologie in deutsche Handynetze eingebaut. Dann könnten arabische Potentaten nicht mit deutschen Panzern und Gewehren auf Zivilisten schießen. Dann würden die EU-Länder alle Anstrengungen unternehmen, um das weitere Aufheizen unseres Planeten zu verhindern. Dann würden wir nicht auch noch die fünfundzwanzigste Brexit-Zumutung der Briten erdulden, sondern sie in Gottes Namen ziehen lassen.

Dann wäre Europa vielleicht etwas weniger global vernetzt, und vielleicht müsste es im internationalen Kräftemessen auch manchen Rückschlag einstecken. Aber langfristig wäre es geeinter, stärker und glaubwürdiger – sowohl in der Welt als auch für seine 450 Millionen EU-Bürger. "Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist", hat der französische Schriftsteller Victor Hugo gesagt. Die Zeit für einen verbindlichen europäischen Wertekanon muss dringend kommen.


Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich will nicht auf Konzerte, Vorträge, Kongresse, Messen oder die Kirmes verzichten. Sie gehören zu einem lebendigen Land. Doch die Corona-Beschränkungen haben Tausende Veranstalter, Schausteller und Messebauer in die Krise gestürzt, viele fürchten um ihre Existenz. Ohne sie wäre Deutschland ärmer. Unter dem Motto "Alarmstufe Rot" sind deshalb gestern in Berlin Tausende Menschen auf die Straße gegangen und haben von der Regierung Gespräche über Kredite und Hilfsgeld verlangt. "Wir sind vielleicht nicht die Maschine und der Motor Deutschlands. Aber wir alle zusammen sind die rauschende Seele, wir sind der öffentliche Herzschlag der Nation", rief der Barde Herbert Grönemeyer in seiner flammenden Rede.


WAS STEHT AN?

Erschrecken Sie bitte nicht, wenn heute um 11 Uhr bundesweit Sirenen heulen, Radios piepen und Handys vibrieren. Der Probealarm soll uns alle für Notfälle wappnen: Unwetter, Chemieunfälle und so weiter. Warum das so wichtig ist, erfahren Sie hier. Und falls Sie einen Vierbeiner oder gefiederten Freund zu Hause haben, interessiert Sie vielleicht auch noch dieser Artikel.

In Berlin tagt der Untersuchungsausschuss zum Pkw-Mautskandal. Die Abgeordneten befragen Vertreter des Lkw-Mautbetreibers Toll Collect und Beamte aus dem Verkehrsministerium. Das Eis für CSU-Minister Andreas Scheuer wird dünner.

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) erklärt die Zahlen der außerordentlichen Steuerschätzung. Wir erfahren, wie viel Geld dem Staat trotz Corona-Krise bleibt.

Falls Sie gern "Tatort" gucken, dann wissen Sie, dass die Folgen aus Österreich zu den Höhepunkten zählen, so wie vergangenen Sonntag. Heute feiert der liebe Moritz Eisner, der in Wahrheit Harald Krassnitzer heißt, seinen 60. Geburtstag. Ois guate!


WAS LESEN?

Das Elendslager Moria auf Lesbos ist abgebrannt, fast 13.000 Flüchtlinge mussten fliehen. Mein Kollege David Ruch hat mit Mohammad Raza gesprochen, der in den Flammen alles verloren hat.

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Verantwortungsbewusste Medien machen Journalismus. Andere machen Aktivismus. Und scheren sich dabei wenig um Wahrheit oder Anstand. Die Kampagne gegen den Virologen Christian Drosten, Attacken gegen Kevin Kühnert aufgrund gefälschter E-Mails, zuletzt die Veröffentlichung von Chat-Nachrichten eines Kindes im Mehrfachmordfall in Solingen – und nach jeder Kritik eine Ausrede: In der "Bild"-Redaktion scheint nicht nur der berufliche, sondern auch der moralische Kompass abhandengekommen zu sein. Immer mehr Beobachter machen dafür Springer-Chef Mathias Döpfner verantwortlich, der als Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger eigentlich der Print-Branche den Weg in die Zukunft weisen soll. Die Stimmen mehren sich, die seine Absetzung als BDZV-Boss fordern.


Der FDP geht es nicht gut: Die Liberalen dümpeln in den Umfragen zwischen fünf und sechs Prozent herum, manche bangen um den Einzug in den nächsten Bundestag. Nur in einer Stadt macht eine Liberale erfolgreich Wahlkampf: Marie-Agnes Strack-Zimmermann will die nächste Oberbürgermeisterin von Düsseldorf werden — und 36 Prozent der Menschen in der Stadt können sich vorstellen, sie zu wählen. Unser Politikreporter Tim Kummert war mit der Kandidatin unterwegs, die ihre Partei verändern könnte.


Alle paar Tage kommt ein Enthüllungsbuch über Donald Trump auf den Markt, doch die wenigsten bieten wirklich belastbare Informationen. Das neue Werk von Bob Woodward, das kommende Woche in den USA erscheint, ist ein anderer Fall. Der Journalist, der einst den Watergate-Skandal aufdeckte, hat 18 Interviews mit dem Präsidenten geführt und sie auf Tonband aufgezeichnet. Die ersten Vorab-Enthüllungen schlagen in Washington hohe Wellen. Unser Korrespondent Fabian Reinbold beschreibt, was sie für Donald Trumps Wahlkampf bedeuten.


WAS AMÜSIERT MICH?

Total effizient, die deutsche Außenpolitik.


Ich wünsche Ihnen einen ersprießlichen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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