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EM 2021: Hirn leer. Angst. Mama. – Italien nach Elfer-Drama im Finale


Tagesanbruch
Hirn leer. Angst. Mama.

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 07.07.2021Lesedauer: 6 Min.
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Der Moment der größten Anspannung: Italiens Mittelfeldspieler Jorginho vor seinem Elfmeterschuss.Vergrößern des Bildes
Der Moment der größten Anspannung: Italiens Mittelfeldspieler Jorginho vor seinem Elfmeterschuss. (Quelle: Facundo Arrizabalaga/REUTERS)

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Ein erhebender Moment

Dieser eine Moment zählt. Höchste Konzentration. Zusammengebissene Lippen. Starrer Blick. Jetzt keinen Fehler machen, nur jetzt nicht, nicht in diesem Augenblick! Der Druck von Zehntausenden Menschen im Stadion und vielen Millionen weiteren vor den Fernsehern. "Die ganze Welt schaute auf meinen rechten Fuß", hat mir Andreas Brehme erzählt, als ich ihn vor einigen Jahren danach fragte, wie er den Moment erlebte, als er im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 1990 das Siegtor schoss. "Beim Anlauf dachte ich: Ruhig bleiben! Nur auf den Schuss konzentrieren! Dann schoss ich mit rechts. Als der Ball auf den Innenpfosten zulief, erlebte ich eine Schrecksekunde – aber dann war er drin."

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Dann war er drin. Drin, drin, drin. In so einem Augenblick zählt nur diese ungeheuer banale und zugleich ungeheuer bedeutende Tatsache: drin. Ganze Romane könnte man über die Angst eines Spielers vor dem Elfmeter schreiben, sie kann ihm wie eine Ewigkeit vorkommen. Manche denken an ihre Mama, andere an ihre Kinder, manche versuchen an gar nichts zu denken: alles ausblenden, das Hirn leeren, damit der Körper wie automatisch funktioniert und die elende Pille einfach nur rein, rein!, rein!! macht. Und ein, zwei Sekunden später zählt nur noch das Ergebnis: drin oder nicht drin, Sturzbäche aus Glückshormonen – oder Abgründe der Scham.

So muss es auch den Elfmeterschützen gestern Abend ergangen sein, als sie sich am Ende des ersten Halbfinales der Fußball-Europameisterschaft mit den gegnerischen Torhütern maßen. Italien gegen Spanien, der Klassiker. Fußballkunst auf höchstem Niveau, selbst wenn nicht jede Szene von Brillanz und Genialität veredelt wird. 1:1 nach der Verlängerung, also muss das Elfmeterschießen die Partie entscheiden. Spaniens Keeper Unai Simon wehrt den ersten Schuss der Italiener ab. Dann brettert ausgerechnet der Spanier Dani Olmo, dieses leichtfüßige Wunderkind von RB Leipzig, den Ball über den Kasten. Anschließend versenken drei Italiener, aber nur zwei Spanier die Kugel im Netz – und nun ruhen sie alle auf einem einzigen Mann, die Zehntausenden, die Millionen Augenpaare: Italiens Jorginho hat die Entscheidung auf dem Fuß. 29 Jahre ist er alt, wuchs in einer italienischstämmigen Familie in Brasilien auf, zog mit 15 allein nach Italien, kämpfte sich durch, lebte von wenig Geld, er kennt nicht nur die hellen Seiten des Lebens. Nun sind alle Scheinwerfer auf ihn gerichtet. Er läuft an, stockt, lässt den spanischen Torwart in die linke Ecke hechten – und schiebt den Ball gemächlich in die rechte. Mehr Coolness geht nicht. Aus, das Spiel ist aus! Die vielleicht beste Mannschaft Europas steht im Finale. Die Azzurri rennen über den Platz und liegen sich in den Armen, auf den Rängen toben Zigtausende.

Es sind diese archaischen Momente, die den Zauber des Fußballs ausmachen. Selbst wenn es nur ein Spiel ist. Selbst wenn es unvernünftig ist, in Zeiten von Corona-Delta derart viele Zuschauer in ein Stadion zu lassen. Trotz allem bleibt etwas nach so einem Abend: ein erhebendes Gefühl in den Herzen aller, die das Spektakel gesehen haben. Die Gewissheit, dass einige der mitreißendsten Momente unseres Lebens durch einen ganz einfachen Vorgang ausgelöst werden können: Ein Fuß tritt gegen einen Ball – in ein Netz oder eben nicht in ein Netz. Dafür kann man durchaus dankbar sein. Grazie, Ragazzi!


Und jetzt das zweite Halbfinale

Auf den einen Fußball-Thriller könnte gleich der nächste folgen: Heute Abend trifft im erneut viel zu vollen Londoner Wembley-Stadion England auf Dänemark. Das englische Team ist vielleicht das beste seit 1966, kickt kompakt, gewitzt, ballsicher – und hat nun auch noch den Heimvorteil. Der dänische Trainer Kasper Hjulmand hat sich deshalb entschieden, die Situation listig umzudeuten: "Sie haben viele Fans, sie haben aber auch mit enorm hohen Erwartungen zu kämpfen, daraus wollen wir einen Vorteil ziehen." So kann man es natürlich auch sehen.


Gelockerte Reiseregeln

Es sind zwei Wortungetüme, die verdeutlichen, dass die postpandemische Normalität leider noch in der Ferne liegt: Ab heute gelten Portugal, Großbritannien und Nordirland, Russland, Indien und Nepal nicht mehr als Virusvariantengebiete, sondern "nur" noch als Hochinzidenzgebiete. Die Rückstufung der Risikokategorie durch das Robert Koch-Institut bedeutet zwar zunächst einmal, dass die Einreisebeschränkungen aus diesen Ländern nach Deutschland gelockert werden: Für vollständig Geimpfte und Genesene entfällt die Quarantänepflicht ganz, für alle anderen wird sie verkürzt.

Der Hintergrund ist aber weniger erfreulich. Denn die Erleichterung liegt ja daran, dass die Delta-Variante des Coronavirus, deren Ausbreitung gebremst werden sollte, längst auch in Deutschland angekommen ist. Im RKI-Bericht vom vergangenen Mittwoch betrug ihr Anteil an den Neuinfektionen bereits 37 Prozent. Außerdem sind die Infektionszahlen in mehreren europäischen Ländern immer noch zu hoch. Großbritannien ist das Land mit den höchsten Zahlen in Europa, Portugal hat nach Zypern die höchsten Werte in der Europäischen Union. Mit der Herabstufung sinkt die Zahl der Virusvariantengebiete weltweit wieder von 16 auf 11. Ein Trost ist das leider nicht.


Seit gestern weiß die Welt, mit welchem Satz Armin Laschet ins Kanzleramt zu schlendern gedenkt: "Deutschland gemeinsam machen". Es ist der Titel der CDU-Plakatwerbung, vorgestellt von Generalsekretär Paul Ziemiak. Flankierende CDU-Slogans für die Wahl sind die Parolen: "Heute lernen, was morgen zählt." Oder: "Für bezahlbares Wohnen." Oder: "Klima schützen. Jobs schaffen."

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Falls Ihnen das ungefähr so wolkig wie Zuckerwatte auf dem Jahrmarkt vorkommt, sind Sie nicht allein. Nebulöses Wortgeklingel auf Wahlplakaten ist zwar nicht neu, doch die CDU mag es schon besonders unkonkret. Der Politikberater Martin Fuchs hat dazu unserem Reporter Tim Kummert gesagt: "Die Plakate sind so klassisch unaufgeregt und uncool wie der Spitzenkandidat. Und damit passen sie perfekt sowohl zum politischen Angebot als auch zu den potenziellen konservativen Wählern, die die Plakate lieben werden. Keine Experimente – Version 2021." Außerdem stellt sich jetzt heraus, dass Herr Laschet für seine Kampagne Angestellte der eigenen Partei verpflichtete: Mal ist eine Pressesprecherin der CDU zu sehen, mal eine Internet-Koordinatorin.

Natürlich ist das eine Steilvorlage für die Opposition. Agnieszka Brugger, die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen und Vertraute von Annalena Baerbock, hat meinem Kollegen dazu gesagt: "Es sagt viel über das rückwärtsgewandte Denken der CDU, wenn für die abgebildete Scheinwelt sogar verkleidete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der eigenen Parteizentrale herhalten müssen. Diese Kampagne geht am Lebensgefühl der meisten Menschen in unserem Land vorbei." Und der stellvertretende SPD-Fraktionschef Dirk Wiese unkt: "Mein Eindruck: Die Plakate sind ebenso schnell zusammengebastelt worden wie das gesamte Wahlprogramm der CDU." Was Sie von den Motiven halten, entscheiden Sie bitte selbst.


Comeback-Kid

In Schweden geht die Suche nach einer stabilen Regierung in die nächste Runde – und es sieht ganz danach aus, als könnte der neue Ministerpräsident der alte sein: Zwei Wochen, nachdem seine rot-grüne Minderheitsregierung im Zuge eines Mietpreis-Streits mit der Linkspartei per Misstrauensvotum gestürzt wurde, bekommt der zurückgetretene Sozialdemokrat Stefan Löfven die Chance auf ein Comeback. Ob es ihm wirklich gelingt, seine früheren Unterstützerparteien wieder auf Linie zu bringen, wird die heutige Abstimmung im Stockholmer Parlament zeigen. Schafft er es, dass keine Mehrheit gegen ihn votiert, kann er bereits am Freitag wieder die Arbeit aufnehmen. Ein einziger Abweichler unter den Sozialdemokraten, den Grünen, den Linken mitsamt einer aus der Partei ausgetretenen Abgeordneten oder der Zentrumspartei reicht allerdings, um ihm den Weg zu versperren.


Was lesen?

Trotz großer Fortschritte scheint auch in Deutschland die Impfbereitschaft zu sinken. Die USA haben dasselbe Problem – und eine originelle Lösungsidee dafür entwickelt, wie mein Kollege Bastian Brauns berichtet.


In zwölf Tagen will der britische Premierminister Boris Johnson sämtliche Corona-Beschränkungen aufheben, inklusive Maskenpflicht und Abstandsregel. Kann das funktionieren – und wäre es auch für Deutschland ein gangbares Modell? Meine Kollegin Sandra Simonsen hat Antworten für Sie.


Kurz vor der Bundestagswahl will keine Partei den Spielverderber geben. Deshalb begeht Deutschland mit seinen Corona-Lockerungen denselben Fehler wie vor einem Jahr, kommentiert die "FAZ".


Was amüsiert mich?

Mark Zuckerberg hat zum amerikanischen Unabhängigkeitstag ein schwülstiges Video veröffentlicht. Ein findiger Zeitgenosse hat allerdings herausgefunden, welche Geräusche der Facebook-Chef dabei von sich gab (dafür muss man den Ton anstellen).

Ab morgen bis Ende Juli kommt der Tagesanbruch von meinen tüchtigen Kolleginnen und Kollegen. Von mir lesen Sie Anfang August wieder. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Treue und wünsche Ihnen fröhliche Sommerwochen.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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