t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikTagesanbruch

Was passiert nach dem Tod? Jede Antwort ist besser als keine


Tagesanbruch
Der beste Tag meines Lebens

  • David Schafbuch
MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 13.04.2022Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Organtransplantation (Archivbild): Die Zahl der spenderwilligen Menschen in Deutschland ist viel zu niedrig.Vergrößern des Bildes
Organtransplantation (Archivbild): Die Zahl der spendewilligen Menschen in Deutschland ist viel zu niedrig. (Quelle: Jan-Peter Kasper/dpa-Zentralbild/dpa/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

im Journalismus gibt es einige Weisheiten, die wohl in jeder Ausbildung mal zur Sprache kommen. Zum Beispiel ist bei Superlativen Vorsicht geboten. Denn die lassen sich eben nicht mehr steigern. "Er maßt sich an, das Äußerste zu kennen, damit ja niemand ihn mehr übersteigern könne", spottet etwa der als "Sprachpapst" bekannte Wolf Schneider dazu. Auch bei Interviewfragen ist die höchste Steigerungsform häufig nicht so sinnvoll, wie sie zunächst klingen mag. Wer eine Band nach ihrer besten Platte oder ihrem liebsten Song fragt, läuft Gefahr, in viele fragende Gesichter zu blicken. Denn die Antwort, was das Größte, Beste, Wichtigste ist, fällt vielen Menschen schwer: Oder wissen Sie auf der Stelle, was etwa der schlimmste oder beste Tag Ihres Lebens war?

Heute möchte ich aber diese Regel brechen. Denn ich weiß sehr genau, welcher Tag bisher der beste in meinem Leben war – und er kam völlig überraschend. Am 28. April 2019 rief mich morgens meine Schwester an und sagte mir, dass sie mit unseren Eltern auf dem Weg ins Krankenhaus sei. Denn die Ärzte hätten für meine Mutter eine passende Spenderniere gefunden.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Ich hatte zuvor jahrelang miterlebt, wie meine Mutter mit ihrer immer schlechter werdenden Gesundheit kämpfte. Die vielen Medikamente, die sie seit meiner Kindheit schluckte, die häufigen Arztbesuche. "Es ist jetzt ein anderes Leben", sagte sie mir mal, als klar war, dass die Tabletten bald nicht mehr ausreichen werden. Seitdem stand in meinem Elternhaus eine Dialysemaschine, an die sie sich jede Nacht anschließen musste.

Trotz intensiver Therapie half alles immer weniger. Je nachdem, welche Medikamente meine Mutter nahm, traten unterschiedliche Nebenwirkungen auf: Mal waren es schwere Muskelkrämpfe, dann Juckreiz, zeitweise konnte sie nicht mehr einschlafen. Es war ein schlechteres Leben.

All das hörte nach diesem 28. April auf. Die furchtbare Maschine steht nicht mehr neben ihrem Bett. Die Medikamente sind andere, aber sie bereiten meiner Mutter keine Schmerzen mehr oder rauben ihr den Schlaf.

Ich musste zuletzt häufiger an diesen Tag denken – denn die Zahl der Organspenden ist in Deutschland stark zurückgegangen. In den ersten drei Monaten des Jahres kam es zu 29 Prozent weniger Spenden als zur gleichen Zeit im Vorjahr. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) sei deshalb "zutiefst besorgt" und nannte den Einbruch "völlig unerwartet".

Die Stiftung hat mehrere Erklärungen für den Rückgang. Aufgrund der Corona-Pandemie könnte etwa das Klinikpersonal überlastet sein, wodurch immer weniger Transplantationen durchgeführt werden konnten. Dazu kamen potenzielle Spender, die an einer Corona-Infektion gestorben waren, für eine Transplantation nicht mehr infrage.

Wären die Probleme also ohne das Coronavirus gelöst? Wohl kaum. Bei Organspenden war Deutschland schon vor der Pandemie im europäischen Vergleich ein Hinterbänkler. 2017 etwa spendeten bundesweit nur knapp 800 Menschen, nachdem sie verstorben waren. Es war der niedrigste Stand seit 20 Jahren. Auch wenn sich die Zahlen danach etwas besserten: Auch 2020 kamen in Deutschland auf eine Million Einwohner nur knapp elf spendewillige Personen, in Spanien waren es fast viermal so viele. Im gleichen Jahr starben bei uns pro Tag etwa zwei Menschen, die vergeblich auf ein Herz, eine Leber oder eine Lunge gewartet hatten.

Ich habe auf einem Spenderausweis einer Organentnahme nach meinem Tod zugestimmt. An dieser Stelle könnte ich jetzt fordern, dass jeder dem Beispiel folgen sollte. Doch das will ich überhaupt nicht, denn diese Entscheidung ist eine sehr persönliche. Mehr potenzielle Spender allein bedeuten nicht automatisch, dass es zu mehr Spenden kommt. Unser Gesundheitswesen ist überarbeitet, unterbezahlt und auf Transplantationen nicht ausreichend eingestellt. Auch unsere Regierung ist weiter gefordert, die Rahmenbedingungen dort zu verbessern.

Worum ich Sie aber bitte, ist Folgendes: Überlegen Sie in Ruhe, wie Sie persönlich zu dem Thema stehen und treffen Sie bitte eine Entscheidung, ob Sie für oder gegen eine Spende sind. Sprechen Sie mit Ihrer Familie, oder halten Sie Ihre Antwort in einer Patientenverfügung oder auf einem Organspendeausweis fest.

Ein solcher Ausweis bedeutet nicht automatisch, dass Sie einer Organentnahme zustimmen: Sie können dort etwa festhalten, dass nur bestimmte Teile Ihres Körpers gespendet werden sollen. Genauso lässt sich der Name einer Person vermerken, die im Falle Ihres Todes über eine Spende entscheidet. Sie können dort auch festhalten, dass Sie einer Organentnahme ausdrücklich widersprechen.

Egal wie Ihre Antwort lautet: Dafür gebührt Ihnen Respekt, denn jede Antwort ist besser als gar keine. Statistisch haben 37 Prozent der Deutschen diese Entscheidung nämlich noch gar nicht getroffen. Dadurch müssen viele Angehörige in schweren Stunden rätseln, wie der oder die Verstorbene sich wohl zu Lebzeiten entschieden hätte.

Darüber nachzudenken, was nach dem Tod mit uns passiert, kann unangenehm sein. Wo immer eine Organspende zum besten Tag des Empfängers wird – für die Hinterbliebenen des Spenders bedeutet sie häufig das genaue Gegenteil. t-online-Chefredakteur Florian Harms befand sich einmal am genau anderen Ende einer solchen Geschichte: 1994 stand er als Zivildienstleistender in einem OP, als bei einem jungen Unfallopfer der Hirntod festgestellt wurde. Daraus zog er andere Schlüsse als ich, aber auch daran ist nichts verwerflich. Es gibt kein richtig oder falsch, aber jedes Ja oder Nein ist besser als nichts.

Ich hoffe, dass alle Hinterbliebenen in irgendeinem Moment Trost empfinden, weil andere Menschen wegen der gespendeten Organe weiterleben können. Meine Mutter weiß bis heute nur, dass ihre neue Niere von einer jungen Frau stammt, die bei einem Autounfall ums Leben kam. Sie schrieb mir erst gestern, dass sie ihrer Spenderin dankbar sei. Und zwar ein Leben lang.


In Kiew nicht erwünscht

Loading...
Loading...
Loading...
Täglich mehr wissen

Abonnieren Sie kostenlos den kommentierten Überblick über die Themen, die Deutschland bewegen. Datenschutzhinweis

Erst am vergangenen Wochenende hatte es in Kiew prominenten Besuch gegeben: Während der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer sich offiziell angekündigt hatte, war am Samstag überraschend auch der britische Premier Boris Johnson aufgetaucht. Der nutzte seinen Besuch, um unter anderem mit Wolodymyr Selenskyj durch die Straßen der ukrainischen Hauptstadt zu streifen.

Vielleicht hatte Frank-Walter Steinmeier etwas Ähnliches im Sinn – doch der Bundespräsident wird vorerst nicht in die Ukraine kommen. Er habe eine Reise geplant, doch offenbar "war das in Kiew nicht erwünscht", sagte er am gestrigen Dienstag in Warschau. Steinmeier steht in dem Land wegen seiner früheren Russland-Politik in der Kritik. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk schlug dagegen vor, Bundeskanzler Olaf Scholz solle stattdessen nach Kiew kommen. Am liebsten wäre der Ukraine vermutlich, es würden aus Deutschland neue Waffen kommen.

Doch Druck auf die Bundesregierung gibt es nicht nur von ukrainischer Seite: Für ein Öl-Embargo, mehr Waffen und eine klare EU-Perspektive sprechen sich die Politiker Michael Roth (SPD), Anton Hofreiter (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) aus. Die waren im Gegensatz zu Scholz und Steinmeier bereits am Dienstag in Lwiw.


Aus und vorbei

Eigentlich war der FC Bayern froh über den vermeintlich leichten Gegner in der Champions League, doch es kam anders: Nach der Auswärtsniederlage beim FC Villarreal reichte es auch in München nicht für mehr als ein 1:1. Ein Treffer der Spanier in der 88. Spielminute besiegelte das Aus. Damit scheidet die deutsche Topmannschaft gegen den spanischen Tabellensiebten aus der europäischen Königsklasse aus. Aus dem DFB-Pokal hat sich das Team von Trainer Julian Nagelsmann ebenfalls schon länger verabschiedet. Jetzt bleibt den Münchnern wohl "nur noch" die deutsche Meisterschaft als Titel. Nach dem eigenen Selbstverständnis ist das wohl eher eine erfolglose Saison.


Was steht an?

Annalena Baerbock in Mali: Für die Bundeswehr ist der Einsatz in dem Land der aktuell gefährlichste – die Frage ist nur, wie lange noch. Nachdem Frankreich bereits seinen Abzug verkündet hat, könnte auch Deutschland folgen. Die Außenministerin macht sich ein Bild vor Ort. Heute sind Gespräche mit dem Chef der Militärjunta angesetzt, die durch zwei Putsche an die Macht kam.

Zwei Länder suchen Schutz: Mit seinem Krieg in der Ukraine wollte Wladimir Putin auch verhindern, dass das Land der Nato beitritt. Gut möglich, dass er damit nun zwei andere Länder zu einem Beitritt bewegt: In Finnland wird erwartet, dass bereits im Sommer ein entsprechender Antrag gestellt werden könnte. Auch in Schweden wird immer lauter darüber nachgedacht, obwohl die Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Magdalena Andersson noch skeptisch sind. Beim Besuch ihrer finnischen Amtskollegin Sanna Marin in Stockholm wird das Bündnis vermutlich eines der großen Themen sein.

Strafmaß für Messerstecher: Im vergangenen Oktober wurde der britische Abgeordnete David Amess während einer Bürgersprechstunde getötet. Ein 26-jähriger Islamist wurde bereits wegen Mordes für schuldig gesprochen. Während der Verhandlung hatte er keine Reue gezeigt. Heute verkündet das Gericht das genaue Strafmaß. Es wird erwartet, dass der Mann zu lebenslänglicher Haft verurteilt wird.


Was lesen?

Reiches Heilbronn, armes Gelsenkirchen: Die Einkommen in Deutschland variieren zum Teil erheblich. Eine neue Studie zeigt jetzt, über wie viel Netto ein Mensch in den 401 deutschen Landkreisen im Schnitt verfügt. In unserer interaktiven Karte können Sie herausfinden, wie es bei Ihnen vor Ort aussieht.


Am Montagabend machte das ukrainische Asow-Regiment schwere Vorwürfe: Russland habe in Mariupol mit Chemiewaffen angegriffen. Sollten die Angaben stimmen, wäre das ein neues Kriegsverbrechen. Doch so einfach ist es nicht, wie meine Kollegin Sonja Eichert erklärt.


Vor rund 80 Jahren wurde eines der beeindruckendsten Denkmäler der US-Hauptstadt eingeweiht. Welches es war, lesen Sie hier.


So leer wie aktuell waren die Supermarktregale zuletzt zu Beginn der Corona-Pandemie. Doch statt mit Klopapier decken sich viele Deutsche aktuell mit Öl ein, mit Mehl, zum Teil mit Eiern. Und nicht nur Backzutaten sind vielerorts knapp. Bei den meisten Produkten hängt das mit dem Ukraine-Krieg zusammen, etwa durch Lieferausfälle und die gestiegenen Energiekosten. Meine Kollegin Frederike Holewik hat die verschiedenen Gründe zusammengetragen und erläutert, was das für das anstehende Osterfest bedeutet.


Wer wird Nachfolger von Anne Spiegel im Familienministerium? Die Grünen versuchen jetzt, mit ihrer Quote und dem Parteien-Proporz eine Lösung zu finden. Leicht wird das nicht, berichten meine Kollegen Annika Leister und Tim Kummert.


Das war nichts! Mit 2:3 hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen am gestrigen Dienstag in Serbien verloren – und muss nun weiter um die WM 2023 in Australien und Neuseeland bangen. Dabei findet schon in diesem Jahr eine Europameisterschaft statt, für die sich die DFB-Frauen bereits qualifiziert haben. Wie, von der EM 2022 in England wussten Sie gar nichts? Eben. Und das hat vielerlei Gründe. Mein Kollege Noah Platschko hat seinem Ärger darüber etwas Luft gemacht.


Was amüsiert mich?

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Mittwoch. Am Gründonnerstag lesen Sie dann wieder von Florian Harms.

Ihr

David Schafbuch
Redakteur Politik und Panorama
Twitter @Schubfach

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

Den täglichen Newsletter von Florian Harms hier abonnieren.

Alle Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier.
Alle Nachrichten lesen Sie hier.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website