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Banken: Finanzkrise katastrophaler als 2008? "Es kommen furchtbare Zeiten"


Tagesanbruch
"Es kommen furchtbare Zeiten auf uns zu"

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 21.03.2023Lesedauer: 7 Min.
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Händler an der New Yorker Wall Street: Die Börsianer blicken angespannt auf das internationale Bankenwesen.Vergrößern des Bildes
Händler an der New Yorker Wall Street: Die Börsianer blicken angespannt auf das internationale Bankenwesen. (Quelle: IMAGO/John Angelillo)

Guten Morgen aus New York, liebe Leserin, lieber Leser,

diese Stadt versteht sich als Mittelpunkt der Welt. Vielleicht ist sie es tatsächlich. Kunst und Kultur, globale Trends, digitale Innovationen und natürlich das große Geld an der Wall Street: So vieles, was das Leben und Wirtschaften rund um den Globus prägt, hat hier seinen Ursprung. Falls Sie schon mal hier waren, werden Sie wissen: Diese Stadt schläft nie. Sie ist "always on". Und im Weltgeschehen omnipräsent.

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In diesen Stunden schauen noch mehr Augen auf New York als ohnehin. Nervös, ängstlich, unheilschwanger. In der kalten Luft liegt ein Hauch von Frühling, der Himmel strahlt blau, doch am Horizont ballen sich dunkle Wolken: Die Aussichten an den Finanzmärkten sind zappenduster. Mal wieder kündigt sich in Amerika eine unheilvolle Entwicklung an. Als Gegengift gegen die horrende Inflation haben die Zentralbanken die Zinsen Schritt für Schritt erhöht, damit zugleich aber viele Banken in die Bredouille gebracht. Nun sind die ersten Schockwellen zu spüren. Droht uns eine beispiellose Finanz- und Wirtschaftskrise, um ein Vielfaches größer als das Desaster im Jahr 2008, das der amerikanischen Immobilienblase entsprang und binnen Kurzem die ganze Welt erschütterte, zig Milliarden an Sparguthaben und Steuergeld vernichtete, Abermillionen Menschen in die Armut und Tausende Firmen in die Pleite stürzte, Aufstände in Arabien, Hungerkrisen in Afrika und Flüchtlingsströme in Europa auslöste? Kommt all das nun wieder, nur noch viel schlimmer?

Selbst als notorischer Optimist kann man in diesen Tagen Sorgenfalten bekommen. Die Pleite der kalifornischen Silicon Valley Bank und die Last-Minute-Rettung der Schweizer Credit Suisse könnten tatsächlich die ersten Eruptionen eines neuen Finanzbebens sein, das sich diesmal jedoch selbst mit staatlichen Notprogrammen nicht mehr beruhigen lässt. Die Verunsicherung an den Börsen, in den Chefetagen von Versicherungen und in Regierungszentralen ist mit Händen zu greifen. Selbst die Beteuerungen von Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner, das europäische Bankensystem sei mittlerweile "stabil", wirken fadenscheinig. Zwar haben die EU-Staaten den Finanzsektor nach 2008 strenger reglementiert – doch krisenfest ist er bis heute nicht. Noch immer können Banker mit geliehenem Geld zocken, bis es kracht. Noch immer ist die Bankenunion nicht vollendet. Und falls in den USA oder in China die Dämme brechen, wird auch in der EU kein Halten sein. Dann dürfte binnen Stunden in Frankfurt, Berlin und Brüssel Panik ausbrechen. Dann werden sich auch deutsche Sparer fragen, ob ihr Geld bei der Sparkasse oder der Postbank noch sicher ist, ganz zu schweigen von Aktiendepots.

Auslöser der Krise 2008 waren faule Kredite. Diesmal ist es ein gigantischer Schuldenberg: Um nach der Immobilien-, Finanz- und Euro-Krise die Wirtschaft anzukurbeln, fluteten die Zentralbanken den Markt mit unzähligen Milliarden und verlangten dafür keine Zinsen. So wurden zwar Sparer enteignet, aber Unternehmen gefördert. Jahrelang liehen sich Firmen, Banken und Finanzminister Unsummen an billigem Geld – und viele spielten damit wie mit Bauklötzchen: Sie häuften Schuldenmilliarde auf Schuldenmilliarde und errichteten immer wackeligere Türme.

Heute stehen diese Schuldentürme überall: In Zürich und in Hongkong, in Paris und in London, und die höchsten stehen natürlich hier in New York, in der Welthauptstadt der Börsenzocker. "Das Schuldenmachen ist völlig außer Kontrolle geraten – das betrifft Staaten, Unternehmen und Privatleute gleichermaßen", hat der amerikanische Star-Ökonom Nouriel Roubini vor vier Monaten im Interview mit t-online gewarnt. Angesichts des jüngsten Bankenbebens erscheinen seine düsteren Prophezeiungen erschreckend zutreffend:

"Konjunkturmaßnahmen erzeugen gewaltige Spekulationsblasen. Und was tun solche Blasen irgendwann zwangsläufig? Sie platzen! Und das in einer Zeit, in der die Industrie- und Schwellenländer so hoch verschuldet sind wie nie zuvor. Sicherheitsnetze gibt es auch nicht mehr, die Politik hat ihre Mittel der Finanz- und Geldpolitik ausgeschöpft. Zentralbanken und Finanzbehörden sind verdammt, wenn sie etwas tun, und sie sind genauso verdammt, wenn sie nichts tun. Erhöhen sie die Leitzinsen drastisch, um die Inflation zu bekämpfen, werden Realwirtschaft und Finanzmärkte einen ziemlich harten Aufschlag auf dem Boden der Realität erleben. Lassen sie die Zinsen unten, wird die Inflation steigen und steigen. Wir müssen uns auf das Schlimmste gefasst machen, es kommen furchtbare Zeiten auf uns zu."

Ist die Lage wirklich so dramatisch? Auch in Krisenzeiten haben Politiker Möglichkeiten, den Raubtierkapitalismus zu bändigen. Dafür müssen sie sich mit Bankern anlegen und viel einstecken können. In so einem Kampf bekommt man selten schöne Presseschlagzeilen, kann jedoch mehr zum Wohle von Millionen Menschen tun als mit anderen politischen Initiativen. Der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte das verstanden. Leider fand er im Bemühen, die Geldinstitute zu regulieren und sie zu einer höheren Eigenkapitalquote zu verpflichten, weltweit zu wenige Verbündete. Manche Staatschefs erdreisteten sich sogar, strengere Regeln bald wieder zu lockern.

So wie hier in Amerika: 2010 setzte der damalige Präsident Barack Obama den "Wall Street Reform and Consumer Protection Act" durch, ein weitreichendes Gesetz, das die Zocker an der Wall Street bändigte. Doch acht Jahre später lockerte der nächste Präsident Donald Trump die Vorschriften für kleine und mittelgroße Banken und gestattete ihnen unter dem Beifall der Republikaner wieder das hemmungslose Schuldenmachen. Prompt ging die Zockerei von vorne los. Fünf Jahre später ist mit der Silicon Valley Bank nun das erste dieser mittelgroßen Institute in die Pleite geschlittert und es werden Bankkunden wieder mit Steuermilliarden entschädigt. Viele der Republikaner, die damals am lautesten applaudierten, rüsten sich nun für die nächsten Präsidentschafts- und Kongresswahlen.

Geschichte wiederholt sich nicht, heißt es. Dummheit schon. Politiker, Bankmanager und Spekulanten haben das globale Finanzsystem allen Warnungen zum Trotz schon wieder gefährlich nahe an den Abgrund getrieben. Sie spielen mit den Schicksalen von Millionen Menschen. Dieses zynische Spiel muss ein Ende haben. Der erste dringend notwendige Schritt: Jede Bank braucht eine verpflichtende Eigenkapitalquote von 30 Prozent, damit sie auch im Krisenfall genügend Geld besitzt, um nicht zusammenzubrechen. Zugleich würde so den Bankern in Zürich, Frankfurt und New York das Spielgeld gekürzt. Sie müssten endlich seriöser wirtschaften. Es ist höchste Zeit.


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Nicht nur die Zukunft des Finanzwesens wird in New York entschieden. Auch für den Journalismus werden hier die Weichen gestellt. Die Algorithmen künstlicher Intelligenzen haben unsere Branche in Aufregung versetzt. Seit der Bot ChatGPT Schlagzeilen macht, wird man als Journalist gefühlt jeden zweiten Tag gefragt, ob man schon einen Termin beim Arbeitsamt gemacht hat. Wer das jüngste Interview mit Chat-Boss Sam Altman sieht, dem kann heiß und kalt werden: Einerseits spricht er von der "großartigsten Technologie, die die Menschheit bisher entwickelt hat" und prophezeit, diese werde unsere Gesellschaften "verwandeln". Andererseits raunt er von "echten Gefahren", wenn Diktatoren künstliche Intelligenz einsetzen, um Millionen Menschen fremdzusteuern.

Für uns Journalisten sind die Chatbots, die neben Texten auch Bilder kreieren können, aber auch eine Chance. Wer als Redakteur nicht mehr umständlich Agenturmeldungen umschreiben muss, hat mehr Zeit für kreativere Beiträge. Zudem knüpfen die Algorithmen Zusammenhänge, die Menschen oft übersehen. Gleichzeitig ist kaum vorstellbar, dass eine Maschine investigative Enthüllungen und exklusive Recherchen zustande bringt, wie sie beispielsweise meine Kollegen Jonas Mueller-Töwe und Annika Leister veröffentlichen. Oder dass eine Software eine brisante Entwicklung so originell und kenntnisreich kommentiert wie meine Kollegen Miriam Hollstein und Steven Sowa.

Trotzdem: Wer in der Medienbranche relevant bleiben will, sollte sich für die neuen Technologien interessieren. Besser, als sie zu ignorieren und den Fehler vieler Printjournalisten beim Siegeszug des Internets zu wiederholen. Auch deshalb ist New York ein lohnendes Reiseziel: Hier residieren einige der einflussreichsten Medienhäuser und interessantesten Start-ups, die Publizistik und Algorithmen kombinieren. Auch deshalb bin ich hier – verspreche Ihnen aber schon mal vorsorglich: Der Tagesanbruch wird auch künftig von einem menschlichen Gehirn ersonnen.


Termine des Tages

Auch Donald Trump ist in New York zu Hause. Nach monatelangem juristischem Tauziehen könnte der Ex-Präsident heute oder in den kommenden Tagen von der hiesigen Staatsanwaltschaft angeklagt werden. Sogar über eine Verhaftung wird spekuliert. Es geht um Schweigegeldzahlungen an eine Prostituierte. Es wäre ein schwerer Schlag für Trumps anlaufende Wiederwahlkampagne. Umso wilder schlägt er um sich. Dabei könnte sein Kalkül wieder einmal aufgehen, berichtet unser USA-Korrespondent Bastian Brauns.

In Weimar beginnt die Klausurtagung der Grünen-Bundestagsfraktion. Angesichts der schwachen deutschen Klimabilanz wollen die Parlamentarier den Kohleausstieg auch in Ostdeutschland auf 2030 vorziehen. Falls sie das wirklich beschließen, steht der Ampelkoalition der nächste Krach ins Haus. Dabei täte es den Grünen gut, sich mal selbst zu hinterfragen, schreibt unser Reporter Johannes Bebermeier.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfängt den neuen tschechischen Präsidenten Petr Pavel. Nach den Kapriolen seiner populistischen Vorgänger will der sein Land wieder als verlässlichen EU-Partner etablieren – scheut zugleich aber keine kontroversen Themen: Der ehemalige Nato-General plädiert dafür, der Ukraine Kampfjets zu liefern.

Der alarmierende Bericht des Weltklimarats machte gestern weltweit Schlagzeilen. Heute zieht der Deutsche Wetterdienst nach und liefert neue Fakten zur wachsenden Gefahr durch Starkregen.


Was lesen?

Warum lässt sich aus der Warnung des Weltklimarats eine Hoffnung herauslesen? Diesen Kommentar meiner Kollegin Sonja Eichert sollten Sie sich nicht entgehen lassen.


Russland will sich ja nur gegen die Nato verteidigen, und historisch gehört die Ukraine eh zu Russland: Wer in seinem Bekanntenkreis immer wieder Argumente wie diese hört oder selbst daran glaubt, sollte sich diesen Faktencheck des Osteuropahistorikers Klaus Gestwa ansehen.


Immer brutaler unterdrücken die Mullahs die Revolution im Iran. Meine Kollegin Marianne Max hat sich von der Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur erklären lassen, ob ein Exil-Bündnis den Weg zur Demokratie ebnen kann.


Was amüsiert mich?

Heute ist der Welttag der Poesie. Also verabschiede ich mich mit einem meiner Lieblingsgedichte, in dem uns der große Heinrich Heine zeigt, dass wir nicht alles so schwernehmen sollten, wie es manchmal erscheint:

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen zuversichtlichen Start in den Tag. Morgen schreibt Johannes Bebermeier den Tagesanbruch, ich melde mich ab nächster Woche wieder regelmäßiger bei Ihnen.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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