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Münchner Sicherheitskonferenz: Was das Treffen für die Ukraine bedeutet


Münchener Sicherheitskonferenz
Die Wut wird größer

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 18.02.2024Lesedauer: 6 Min.
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Wolodymyr Selenskyj: Der ukrainische Präsident war einer der Hauptgäste der Münchner Sicherheitskonferenz. (Quelle: Pool /Ukrainian Presidentia/imago images)

Der Verlust von Awdijiwka ist ein herber Rückschlag für die Ukraine. Präsident Wolodymyr Selenskyj warnt eindringlich vor einem Angriff Russlands auf die EU. Doch am Ende ist es ein US-Republikaner, der das Publikum der Konferenz schockiert.

Patrick Diekmann berichtet aus München.

Als er am Samstagvormittag bei der Münchener Sicherheitskonferenz seine Rede beginnt, ist seine Stimme zittrig und ein wenig zu leise, um für alle im Konferenzsaal deutlich verständlich zu sein. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj steht in schwarzem Pullover und grüner Militärhose auf der Bühne.

Er wirkt müde, fast schon ein wenig abgekämpft. Kein Wunder: Selenskyj kämpft seit nun knapp zwei Jahren an zwei Fronten: Einerseits wehrt sich die ukrainische Armee gegen die russische Invasion, andererseits kämpft der Präsident an der Unterstützungsfront in vielen westlichen Ländern, damit seine Verbündeten weiterhin Waffen und Ausrüstung an die Ukraine geben.

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An beiden Fronten sieht es für die ukrainische Führung nicht sonderlich gut aus. Einerseits bröckelt seit Monaten die westliche Unterstützung. Andererseits platzt mitten in der Nacht zu Samstag die Nachricht in die Sicherheitskonferenz, dass sich die ukrainische Armee aus Awdijiwka zurückziehen wird. Die Kleinstadt im Südosten der Ukraine ist hart umkämpft, beide Seiten erleiden hier große Verluste. Nach Bachmut ist Awdijiwka zum Symbol des ukrainischen Widerstandes geworden. Der nächste Fleischwolf, in dem wahrscheinlich Tausende Kämpfer starben. Mehr zur Lage in der Ukraine lesen Sie hier.

Der Verlust von Awdijiwka ist auch ein Warnschuss für den Westen. Die Befürchtung vieler Experten: Wenn sich nichts ändert, wird Wladimir Putin diesen Krieg gewinnen. Diese Angst mischt sich in München mit Wut – vor allem auf Donald Trump und die US-Republikaner.

Westen schlägt sich selbst

Die Stimmung auf der Sicherheitskonferenz ist im Angesicht multipler großer Krisen bedrückt. Spricht man mit Politikern oder Diplomaten in den engen Gängen des Hotels "Bayerischer Hof", sagt kaum jemand, dass es ihm oder ihr gut gehe. "Den Umständen entsprechend" ist die häufigste Antwort auf Frage nach dem allgemeinen Wohlbefinden. Die Umstände? Das sind oft Kriege, Putin, die Angst vor Trump und gelegentlich auch die Sorge vor der Krise.

Diesen gegenwärtigen Pessimismus des Westens greift Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Rede am Samstagmorgen auf. Er erinnert daran, dass Putin sich mit seinem Krieg in der Ukraine verrechnet habe. Moskau habe "kein einziges seiner Kriegsziele" in der Ukraine erreicht. Kiew sei nicht erobert, Europa habe sich von der Energieabhängigkeit von Russland gelöst und die Sanktionen würden die russische Wirtschaft treffen. Es geht Scholz um Hoffnung und darum, europäische Weichen für eine längerfristige Unterstützung für die Ukraine zu stellen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Doch die Zeichen dafür stehen momentan schlecht. Deutschland ist mittlerweile mit großem Abstand das zweitgrößte Geberland für militärische Hilfen für die Ukraine – hinter den USA. Die Amerikaner drohen durch den Wahlkampf, durch den Druck von Trump und den Republikanern auszufallen. Schon jetzt blockieren sie ein Ukraine-Hilfspaket im US-Kongress, um von der Biden-Regierung Zugeständnisse im Bereich der Migration zu erpressen.

Der Westen arbeitet also aktuell daran, sich selbst zu schlagen – und die Ukraine droht am Ende das Opfer von Putin zu werden. Während zu Kriegsbeginn einige Staaten bereitwillig ihr altes Kriegsgerät an die ukrainische Armee gaben, stockt die Hilfe nun dort, wo es große finanzielle Investitionen in Rüstungsgüter erfordern würde. Wenn die USA als Unterstützer der Ukraine also wegfallen würden, wäre Deutschland plötzlich aus russischer Perspektive der Hauptgegner in diesem Krieg.

Suche nach mehr Autonomie

Das bedeutet nicht, dass es einen militärischen Konflikt zwischen der Bundesrepublik und Russland geben wird. Deutschland hätte aber als größter Unterstützer eine Verantwortung, die das Land momentan noch vor allem im militärischen Bereich deutlich überfordern würde. Davor warnen Experten während der Sicherheitskonferenz in München immer wieder.

Für dieses Dilemma gibt es laut europäischen Diplomaten eigentlich nur eine Lösung: Kurzfristig müssen sich die Europäer darum bemühen, dass die USA weiterhin ihrer aktuellen Verantwortung gerecht werden. Längerfristig muss Europa verteidigungspolitisch souveräner werden. Doch was logisch klingt, ist bei jedem sicherheitspolitischen Treffen ein harter Kampf – besonders für Selenskyj.

Selenskyj wirbt für Team

"Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es Putin gelingen, die nächsten Jahre zur Katastrophe zu machen", sagt Selenskyj in seiner Rede am Samstagvormittag. "Wir müssen gemeinsam in einem Team agieren. Wenn die Ukraine allein dasteht, dann werden Sie sehen, was passiert: Russland wird uns zerstören, das Baltikum zerstören, Polen zerstören – es ist dazu in der Lage."

Ein "Team", in dem die Ukraine die Verteidigung übernehmen möchte und dafür nach westlichen Kriegsgütern verlangt. Selenskyj erklärt weiter, dass er nicht wirklich daran glaubt, dass die EU-Staaten "psychologisch bereit" für eine russische Invasion seien. Klar sei: "2024 erwartet eine Reaktion von uns allen", meint der ukrainische Präsident. "Unser Widerstand hat die Zerstörung der regelbasierten Welt verhindert." Je länger der Krieg aber dauere, desto größer sei die Gefahr einer Ausweitung und einer weiteren Beschädigung der internationalen Ordnung.

Scholz wirkt isoliert

Die zentrale ukrainische Botschaft: Sie verteidige auch uns gegenüber einer russischen Invasion. Sie kann siegen, braucht allerdings dafür Waffen. Westliche Solidaritätsbekundungen gibt es für die Ukraine dieser Tage viel. Auch Selenskyj bekommt nach seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz langen Applaus, der ganze Saal erhebt sich.

Aber Applaus gewinnt keine Kriege und es ist am Ende der Westen, der die militärischen Möglichkeiten bewusst in einigen Bereichen kleinhält. So etwa auch in der Debatte um eine mögliche Lieferung des Marschflugkörpers Taurus durch Deutschland. Aus Angst vor einer weiteren Eskalation des Krieges sende Deutschland die Waffe nicht in die Ukraine. Ein Fehler, meinen viele Sicherheitsexperten in München. Scholz scheint mit seiner Position relativ isoliert zu sein – selbst in seinem Kabinett.

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"Es ist beschämend, wie Selenskyj betteln muss"

Zusicherungen gibt es für die Ukraine auf der Sicherheitskonferenz viele. Mehr Geld, mehr Flugabwehr, mehr Munition. Doch konkret ist wenig, dabei brauchen die ukrainischen Verteidiger so schnell wie möglich jede Hilfe, die sie bekommen können. Denn jeden Tag sterben zahlreiche Menschen durch russische Angriffe.

Eine europäische Diplomatin wird am Rande der Rede des ukrainischen Präsidenten im Gespräch mit t-online deutlich: "Es ist beschämend, wie Selenskyj betteln muss", meint sie. Bei der Unterstützung der Ukraine bewege sich alles viel zu langsam, zu zögerlich. Und in der Tat: "Es gibt keine weitreichenden Waffen. Russland hat sie, wir haben sehr wenige davon. Das ist die ganze Wahrheit. Daher sind unsere Hauptwaffen gerade unsere Kämpfer", sagt der ukrainische Präsident und klingt fast schon etwas verzweifelt. "Waffenpakete, Flugabwehrpakete, das ist gerade das, was wir erwarten."

Republikaner schockiert Konferenzpublikum

Klar ist: Die Hauptlast für die militärische Unterstützung müssen die Amerikaner bereitstellen. Ohne ihre militärischen Möglichkeiten geht es nicht. Deswegen macht der ukrainische Präsident den Republikanern Gesprächsangebote, selbst Donald Trump möchte er an die Front einladen. "Das ist dort anders als auf Instagram", erklärt Selenskyj.

Doch schnell werden sich die Probleme der Ukraine vor allem mit Blick auf die USA auch damit nicht lösen. Das wird kurz nach Selenskyjs Rede deutlich. Um 10 Uhr verlässt der ukrainische Präsident den Konferenzsaal, auf die Bühne kommen Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Estlands Regierungschefin Kaja Kallas und der republikanische Senator Pete Ricketts.

Der Republikaner zeigt sich bei der Podiumsdiskussion überzeugt, dass seine Partei die US-Hilfen im Repräsentantenhaus nicht langfristig blockieren wird. Zugleich verteidigt er die bisherige Blockade und verweist darauf, dass "jedes Land seine eigene Politik und seine eigenen Prioritäten" habe. Für seine Partei ist demnach derzeit die illegale Migration über die US-Südgrenze das Hauptthema und "ein dringendes nationales Sicherheitsproblem".

Und dann ein Schock: Ricketts vergleicht plötzlich die Migranten in den USA mit den russischen Soldaten in der Ukraine. Beide seien eine Gefahr für die Sicherheit der Länder. Es ist der Moment, in dem am Samstag ein empörtes Raunen durch die Menge und den Saal geht.

Die fehlende Empathie der Republikaner für das Leid der Ukrainer sorgt für große Wut in München, immerhin werden ukrainische Menschenleben für politische Spiele in den USA geopfert. Diese Erkenntnis wiegt auch nach drei Tagen Sicherheitskonferenz schwer – und es ist bisher kein Entgegenkommen des Trump-Lagers in Sicht. Für die Ukraine und Selenskyj ist das bitter, denn sowohl das Land als auch ihr Präsident könnten eine kleine Pause gebrauchen – zumindest an einer Front.

Verwendete Quellen
  • Besuch der Münchener Sicherheitskonferenz
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