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Ukrainer in Frankfurt: "Putin lügt die gesamte Welt an"


Ukrainer in Deutschland
"Putin lügt die gesamte Welt an"

Von Stefan Simon

23.02.2022Lesedauer: 5 Min.
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Demonstration von in Berlin und Deutschland lebenden Ukrainern (Archivbild): Auch in Frankfurt lebende Ukrainerinnen und Ukrainern fürchten sich vor einem Krieg.Vergrößern des Bildes
Demonstration von in Deutschland lebenden Ukrainern (Archivbild): Auch in Frankfurt lebende Ukrainerinnen und Ukrainer fürchten sich vor einem Krieg. (Quelle: Olaf Schuelke/imago-images-bilder)

Russland hat die selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk als unabhängig anerkannt. Nun hat Putin den Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen. Die ukrainische Community in Frankfurt ist besorgt.

Daniel Heinz ist wütend. Krieg herrsche in der Ukraine schon seit 2014. Der Ernst der Lage sei in Deutschland lange Zeit nicht erkannt worden, kritisiert er. "Seit acht Jahren sind russische Soldaten im Donbass. Menschen, die sich nicht russifizieren lassen wollen, werden vertrieben. Die, die sich nicht vertreiben ließen, werden bedroht bis gefoltert", betont er.

Nuh haben russische Streitkräfte in der Nacht zum 24. Februar einen Angriffskrieg auf die Ukraine gestartet. Bis in die ukrainische Hauptstadt Kiew sind russische Soldaten vorgedrungen. Es wird berichtet, dass Bewohner in Luftschutzbunker flüchten.

Der 25-jährige Heinz ist in Deutschland geboren. Letztes Jahr studierte er in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Er arbeitet für die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt und leitet Workshops zu Antisemitismus, Rassismus und Antidiskriminierung. Außerdem organisiert er Austauschprogramme mit einem ukrainischen Verein.

Heinz erzählt von seinen Großeltern, die in den 1930er-Jahren in Odessa am Schwarzen Meer geboren wurden. Sie zählen zu den Schwarzmeerdeutschen. "Im Zuge des Zweiten Weltkriegs wurden sie nach Sibirien deportiert, mussten zwangsarbeiten und konnten erst nach dem Tod Josef Stalins in die Ukraine zurückkehren", erzählt Heinz. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage emigrierten sie in den 1960ern nach Kasachstan und in den 1990ern schließlich nach Deutschland.

Frankfurter mit ukrainischen Wurzeln: Putin lügt über die Geschichte der Ukraine

"Die Geschichte wiederholt sich", sagt er. "Die Krim zum Beispiel ist die historische Heimat der Krimtataren. Sie wurden mit den Schwarzmeerdeutschen und weiteren Gruppen in Gulags deportiert und dort ihrem Schicksal überlassen. Als die Sowjetunion zusammenbrach, kehrten sie in die Krim zurück. Seit der Annexion Russlands werden sie wieder deportiert", berichtet Heinz.

Er spreche Russisch und habe sich die einstündige Rede Putins am Montagabend angehört. "Putin behauptete, dass Lenin die Ukraine erfunden hätte, dabei ist der Vorgängerstaat der Ukraine älter als der von Russland. Auch seine Behauptung, in der Ukraine herrsche ein Bürgerkrieg, ist eine Lüge. Die Ukrainer bekämpfen sich nicht gegenseitig, sondern gegen die russischen Aggressoren", kritisiert er. Einen Faktencheck zu Putins Rede finden Sie hier.

https://compass.pressekompass.net/compasses/tonline/wird-sich-russlands-vorgehen-auf-die-ost-EyYQqz

Auch die 29-jährige Daria Olefirenko war entsetzt über die Rede des russischen Präsidenten. Sie ist in Kiew geboren und aufgewachsen. Seit zwei Jahren lebt sie in Frankfurt und arbeitet als Tanz-Pädagogin sowie Ballettlehrerin. "Putin hat die Geschichte verdreht. Die Ukraine hat eine eigene Kultur, Geschichte und Sprache. Die Ukraine ist nicht russisch. Putin lügt die gesamte Weltbevölkerung an."

Putin spricht Ukraine das Existenzrecht ab

Mit seiner Rede hat Putin der Ukraine das Existenzrecht abgesprochen. Der Vorsitzende des ukrainischen Vereins in Frankfurt, Stepan Rudzinskyy, ging schon bei dem Gespräch mit t-online am Mittwoch von einer Zuspitzung des Konfliktes aus. "Putin wird entweder das ganze Land besetzen oder nur Teile der Ukraine besetzen wollen", glaubt er.

Mit der Absprache des Existenzrechts der Ukraine hat Putin eine argumentative Brücke geschlagen, um das gesamte Land anzugreifen. (mehr zu Putins Plänen lesen sie hier).

Ukrainer in Frankfurt: "Mein Cousin erlitt ein schweres psychisches Trauma"

Rudzinskyy lebt seit einigen Jahren in Deutschland. Seine Eltern und seine Schwester leben in der Ukraine. "Ich komme aus der Westukraine. Die Frontlinie ist tausend Kilometer entfernt. Doch mein Cousin vierten Grades erlitt ein schweres psychisches Trauma, als er in der Ostukraine war und gegen Teile der russischen Armee kämpfte", berichtet er. Auch im Freundeskreis, im Dorf, wo er herkomme, seien Menschen verstorben. "Es gab zudem viele Flüchtlinge aus der Ost- in die Westukraine."

Rudzinskyy befürwortet die Sanktionen der USA und der EU gegen Russland. Er fordert weitere Sanktionen und etwa auch den Ausschluss Russlands aus der Swift. Zudem fordert Rudzinskyy, Waffen und militärische Ausrüstung für die ukrainische Armee. Mit seinem Verein organisiert er am Donnerstagabend ab 18.30 Uhr eine Demonstration in Frankfurt (Mehr dazu lesen die hier).

Auch der Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2 hätte seines Erachtens schon früher kommen sollen. "Es ist der Schritt in die richtige Richtung", sagt er.

Heinz hingegen widerspricht ihm und hält die Sanktionen für "einen Witz". "Die Sanktionen treffen wenn dann die Ukraine und nicht Russland." Bei einem sind sich die beiden dennoch einig: Sie wünschen sich, dass die Ukraine in die Europäische Union eintreten könnte. Rudzinskyy befürwortet zudem den Eintritt in die Nato.

Ukrainer in Frankfurt: "Russland agiert wie Deutschland in der NS-Zeit"

Auch der 28-jährige Sergej Borisenko ist wütend. "Der von Russland geführte Krieg in der Ukraine besteht ja schon seit acht Jahren. Doch nun agieren Putin und die korrupte russische Elite endgültig wie Deutschland in der NS-Zeit", sagt er.

Borisenko lebt seit 1999 in Deutschland. Er kam für das Studium in das Rhein-Main-Gebiet. In Frankfurt arbeitet er als Unternehmensberater. Der Großteil seiner Verwandtschaft lebe in der Ukraine, auch in der viertgrößten Stadt des Landes, Dnipro. "Die Stadt liegt recht nah an den besetzten Gebieten", erzählt er.

Borisenko habe Verwandte und Bekannte in der Armee, stehe ständig im Austausch mit seiner Familie. "Man ist bereit, die eigene Heimat zu verteidigen. Putin hat es geschafft, die Ukraine zu vereinen. Das muss man ihm lassen", sagt Borisenko. "Gerade seit 2014 ist das ukrainische Volk vereint wie noch nie, von einer Spaltung kann keine Rede sein. Die Leute stehen zusammen, egal welche Sprache sie sprechen. Der absolute Großteil ist pro-westlich orientiert", urteilt er.

"Putin will seinen Imperialismus ausbauen"

Russland sei wirtschaftlich ein Zwerg, Menschenrechte und Meinungsfreiheit seien praktisch nichts wert, so Borisenko. Er tritt weiter gegen Putin: "Innenpolitisch hat er nichts vorzuweisen, die Umfragewerte sind gesunken, also legt er seinen Fokus auf die Ukraine, um seinen Imperialismus auszubauen und von den inneren Problemen abzulenken."

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Putin ignoriere alle Absprachen und Regeln. "Das Völkerrecht, das Minsker Abkommen, das Budapester Memorandum. Die Frage wird sein, wie nun der Westen und die Ukraine reagieren", sagt Borisenko. Es sei keine Option, Putin auch nur einen Schritt entgegenzukommen. Der russische Präsident würde testen, wie weit er gehen könne. "Und wenn auch nur ein Teil seiner kruden Forderungen erfüllt wird, wird Europa für die nächsten Jahrzehnte keinen Frieden haben, da er immer wieder so vorgehen wird, nicht nur in der Ukraine."

Ungewissheit, was in den nächsten Tagen und Wochen passieren wird

Der 25-jährige Heinz stellt sich nicht die Frage, wie der Westen reagieren wird. Denn er glaubt, dass der Westen, speziell die EU, weiter zu wenig unternehmen werde, um die Ukraine zu unterstützen. "Ich befürchte, dass noch mehr Menschen sterben. Das wäre katastrophal. Und ich befürchte, dass Deutschland nichts machen wird."

Die 29-jährige Olefirenko sagte im Gespräch am Mittwoch noch, dass sie froh sei, dass ihre gesamte Familie in Kiew lebe. Zu dem Zeitpunkt rechnete sie nicht damit, dass Kiew angegriffen wird. Olefirenkos Familie ist jedoch auf eine Situation vorbereitet. "Sie sitzen auf gepackten Koffern und haben alle Dokumente parat. Wenn Russland die ganze Ukraine einnehmen will, dann wird meine Familie fliehen."

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Daniel Heinz, Stepan Rudzinskyy, Daria Olefirenko und Sergej Borisenko
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