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Frankreich: Die Erleichterung nach der Wahl ist trügerisch


Tagesanbruch
Die letzte Warnung

MeinungVon Florian Wichert

Aktualisiert am 25.04.2022Lesedauer: 7 Min.
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Macron schlägt Le Pen: Der französische Präsident sprach mit seiner Frau vor seinen Anhängern. (Quelle: Reuters)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

oft genug haben wir Sie in den vergangenen Wochen an dieser Stelle mit schockierenden Entwicklungen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine begrüßt, mit einem drohenden Atomkrieg, mit Sorgen um die Demokratie, mit den Krisen in der Welt. Mit Tod, Dunkelheit und Leid.

Zu Recht, weil es natürlich keine Option ist, davor die Augen zu verschließen, wenn sich eine Hiobsbotschaft an die andere reiht.

"Bitte nicht noch eine Krise", schrieb mir meine Kollegin Camilla Kohrs deshalb gestern Nachmittag in Erwartung der Ergebnisse der Präsidentschaftswahl in Frankreich. Sie und unser Politik-Ressort arbeiten und recherchieren seit mehr als zwei Jahren im Ausnahmezustand. Im Angesicht von Dauerkrisen – erst mit der Pandemie und nun mit dem Krieg mitten in Europa.

Zumindest diese Krise, die die Präsidentschaftswahl ab dem heutigen Tag hätte auslösen können, bleibt Europa und der Welt erspart. Vorerst zumindest.

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Aufatmen ist ein großes Wort, während in der Ukraine der Krieg tobt und täglich Menschen sterben. Ein Moment der Erleichterung ist es dennoch.

Im Kanzleramt. In der Bundesregierung. In Europa. In der EU, der Nato.

Frankreich hat also gewählt – und Emmanuel Macron eine zweite Amtszeit als Präsident ermöglicht.

Als er um 21.42 Uhr endlich neben dem Eiffelturm vor seine Anhänger trat, kündigte er an: "Diese neue Ära wird nicht die Kontinuität der zu Ende gehenden fünf Regierungsjahre sein. Wir werden anspruchsvoll und ehrgeizig sein müssen. Wir haben so viel zu tun, und der Krieg in der Ukraine ist da, um uns daran zu erinnern, dass wir uns in tragischen Zeiten befinden, in denen Frankreich seinen Weg finden muss."

Er ist erst der vierte Präsident, dem eine zweite Amtszeit vergönnt ist. Der erste war Charles de Gaulle, der jedoch erst zu seiner zweiten Amtszeit 1969 direkt gewählt wurde. Zwei Mandate erstritten auch der Sozialist François Mitterand (von 1981 bis 1995 im Amt) und der Konservative Jacques Chirac (1995 bis 2007).

Was aber viel wichtiger ist: Die Bevölkerung hat damit eine politische Katastrophe verhindert – mit Konsequenzen, die mindestens das Verhältnis zu Deutschland sowie die Stabilität in Europa erschüttert hätten und darüber hinaus unabsehbar gewesen wären.

Macrons Kontrahentin, die Rechtspopulistin Marine Le Pen, wollte die "préférence nationale" einführen, also Franzosen bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche bevorzugen und Ausländer sogar von Sozialleistungen ausschließen. Geflüchtete sollten kein Asyl mehr beantragen können. All das wäre auf einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, insbesondere aber auch gegen das Völker- sowie das EU-Recht hinausgelaufen.

"Nur" ein Rechtsstreit? Ein Zerwürfnis mit den europäischen Bündnispartnern? Sogar ein Austritt aus der EU? Alles wäre möglich gewesen.

Genauso wie eine Kündigung der deutsch-französischen Freundschaft, eine Partnerschaft mit Russland und Ungarn – und wer weiß, was noch alles.

Der Sieg von Macron dagegen ist einer für Europa. Er wird sich für Stabilität einsetzen, für Reformen, für Investitionen, und sich als Anführer Europas inszenieren und damit eine Art Nachfolger von Angela Merkel. Er wird in dieser Rolle auch Druck auf die Bundesregierung ausüben und insbesondere auf Bundeskanzler Olaf Scholz. Da die Amtszeit eines Präsidenten in Frankreich begrenzt ist, ist klar: Macron kann ohne Rücksicht auf eine mögliche Wiederwahl wirken, weil es sie nicht geben wird.

Alles gut also und ein Grund zu frohlocken? Von wegen. Die Erleichterung ist trügerisch.

Vor fünf Jahren hatte Macron die Stichwahl noch mit 66,1 Prozent gewonnen, während Le Pen bei 33,9 Prozent landete. In diesem Jahr kam Le Pen auf mehr als 40 Prozent, Macron dagegen verlor fast zehn Prozent.

Mit Sorgen, Problemen und Gefahren kann ich Sie deshalb leider auch heute Morgen nicht ganz verschonen. Und das erkennen Sie schon daran, dass ein gewichtiger Teil der Macron-Wähler den alten und neuen Präsidenten nicht gewählt hat, weil er von ihm überzeugt ist. Mit seiner Arroganz und auch Passivität im Wahlkampf hat Macron für viel Unmut gesorgt.

Viele Wähler haben ihn also auch gewählt, um die Rechtspopulistin Le Pen zu verhindern. Fast 40 Prozent derjenigen, die bei der Stichwahl für ihn stimmen wollten, gaben in einer Vorwahlumfrage an, das nur zu tun, um Le Pen als Extreme zu "blockieren", wie es in Frankreich heißt.

Das Prinzip der Verhinderung oder Vermeidung also.

Auch in Deutschland haben einige die SPD und somit einen Kanzler Olaf Scholz gewählt, um den in Ungnade gefallenen Unionskandidaten Armin Laschet zu verhindern.

Vermeiden oder verhindern? Das ist fast immer schlecht. Wir kennen das wahrscheinlich alle aus dem Alltag. Wir bleiben mit einer Partnerin oder einem Partner zusammen, damit wir die Einsamkeit vermeiden. Besser wird die Beziehung dadurch nicht. Wir behalten einen langweiligen Beamtenjob, damit wir uns nicht den Risiken des Arbeitsmarktes ausliefern müssen. Dadurch ändert sich natürlich nichts.

Wir fahren in das gleiche mittelmäßige Hotel an der Ostsee, damit wir nicht riskieren, in einem noch mieseren zu landen. Den Urlaub macht das allerdings nicht unbedingt besser. Im Zweifel lassen wir die Post vom Finanzamt aus Angst vor der Steuernachzahlung ungeöffnet. Auch das ist keine gute Idee.

Der Unterschied zwischen der Partnerwahl auf der einen sowie der Wahl eines Präsidenten in Frankreich auf der anderen Seite ist vor allem: Das eine können wir mit unserem Verhalten direkt beeinflussen – das andere nur bedingt. Wer in Frankreich einfach einen anderen Kandidaten gewählt hat, der dann vor der Stichwahl gescheitert ist, der hat vor allem Pech gehabt. Und bezogen auf Frankreichs Politik letztlich die Wahl zwischen Pest und Cholera, wie es eine der Blockiererinnen der Sorbonne im französischen Fernsehen nannte.

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Die Erleichterung über die Macron-Wahl erstreckt sich deshalb in erster Linie auf die europäischen Partner – und nicht unbedingt auf die gesamte Bevölkerung in Frankreich. Hier drohen die Enttäuschung und der Frust noch weiter zu wachsen, genauso wie die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergehen könnte.

Die wichtigste Erkenntnis für Frankreich ist wohl: Diese Wahl ist die letzte Warnung. Wenn Macron nicht die Kurve bekommt und seinen Wunschnachfolger Édouard Philippe in Stellung bringen kann, womöglich neue vielversprechende Kandidaten auftauchen oder eine Reform des Wahlsystems neue Perspektiven schafft, werden die politischen Ränder noch stärker.

Schon im Juni finden die Parlamentswahlen statt. Und bei der nächsten Präsidentschaftswahl in fünf Jahren könnten die Rechtspopulisten Macron den größten Makel beifügen. Und zwar den, dass er ihnen womöglich mit seiner Politik den Weg geebnet hat.


Ist die Bundesliga am Ende?

Die Spieler des FC Bayern haben sich sichtlich Mühe gegeben, sich über die zehnte Deutsche Meisterschaft in Folge ausgelassen zu freuen. Ein bisschen Springen vor der Zuschauertribüne, ein bisschen Klatschen, ein paar Tanzschritte von Abwehrspieler Alphonso Davies.

Ein bisschen Herumtollen mit übergroßen Biergläsern, eine Bierdusche für Trainer Julian Nagelsmann. Dann noch eine. Natürlich alles in frisch bedruckten T-Shirts und Basecaps, auf denen die Zahl 10 prangte. Anstelle der 0 ist dabei die Meisterschale aufgedruckt, weil sie auch rund ist und damit der ovalen 0 ähnelt. Wie originell.

Man kann also nicht behaupten, sie hätten sich nicht gefreut, die Bayern. Trotzdem kommt diese Meisterschaft genauso überraschend wie "Dinner for One" an Silvester, die nächste Diskussion um ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen oder das alljährliche deutsche Scheitern beim Eurovision Song Contest. Oder wo wir schon bei Wettbewerben sind: Wenn Sie beim Skat mit der Familie zum zehnten Mal hintereinander gewonnen haben, flippen sie wahrscheinlich auch nicht mehr völlig aus.

Für den Fußball bedeutet das leider, dass die Erinnerung an spannende Spielzeiten langsam verblasst.

Hach ja, das waren noch Zeiten, als der FC Bayern die Meisterschaft 2001 in der Nachspielzeit gewann und Schalke 04 zum Meister der Herzen degradierte – weil der heutige t-online-Kolumnist und damalige Kapitän Stefan Effenberg die Idee hatte, seinen Mitspieler Patrick Andersson mit dem härtesten Schuss mit Karacho einen Freistoß ins Tor hämmern zu lassen.

Oder ein Jahr zuvor, als Leverkusen das letzte Spiel in Unterhaching mit einem Eigentor von Michael Ballack vergeigte. Auch da profitierte Bayern – allerdings mit viel mehr Jubel als am vergangenen Wochenende. Wie groß erst die Freude bei anderen Klubs als Bayern war. Als Kaiserslautern als Aufsteiger 1998 mit Otto Rehhagel Meister wurde. Was für eine Sensation.

Oder der VfB Stuttgart 2007. Der Kapitän Fernando Meira hielt die Meisterschale falsch herum. Hatte er eben noch nie in den Händen. Oder Wolfsburg 2009. Oder Dortmund 2011 und 2012, als ein Reporter dem späteren Weltmeister Kevin Großkreutz in der Kabine die Haare nur zur Hälfte abrasierte, weil dann die Maschine streikte.

Man fragt sich: Wird die Bundesliga vielleicht nie mehr spannend? Wird sie nie mehr so unterhaltsam?

Diese Frage diskutieren mein Kollege Robert Hiersemann und ich heute im "Zweikampf der Woche". Den können Sie am Abend ab 22.30 Uhr im Rahmen von "Bundesliga Aktuell" im Free-TV bei Sport 1 sehen oder ab ca. 17 Uhr hier bei t-online. In Textform gibt es ihn schon jetzt.


Was lesen?

Der Grüne Anton Hofreiter ist im Ukraine-Krieg zu einem der lautesten Regierungskritiker geworden. In seiner Partei löst er damit bei manchem Kopfschütteln aus, doch er macht einfach weiter. Warum, das erklärt unser Reporter Johannes Bebermeier.


Freiwillig mehr Geld an den Staat überweisen? Klingt verrückt – und doch gibt es Bürger, die das tun. Alle Spenden, die auf dem "Schuldentilgungskonto" des Bundes eingehen, fließen eins zu eins in den Abbau der Staatsschulden. Das Konto ist allerdings kaum bekannt, die Zahl der Eingänge deshalb überschaubar, wie mein Kollege Mauritius Kloft recherchiert hat.


Tamara Butenko floh mit 100 Jahren aus der Ukraine nach Mülheim an der Ruhr. Krieg ist für sie keine neue Erfahrung: Schon im Zweiten Weltkrieg arbeitete die gebürtige Russin als Krankenschwester an der Front. t-online hat mit ihr über ihr bewegtes Leben gesprochen.


Historisches Bild des Tages

Dieses Foto ist ikonisch, war aber keineswegs die erste Begegnung zwischen Amerikanern und Rotarmisten am Ende des Zweiten Weltkriegs. Mehr dazu lesen Sie hier.


Was amüsiert mich?

In der "Bild am Sonntag" wetterte CDU-Chef Friedrich Merz: "Der Bundeskanzler wirft eine Nebelkerze nach der anderen. Er vertuscht, er verschweigt, er sagt nur die halbe Wahrheit." Aber, Moment mal, wer wäre doch gleich die Alternative der Union gewesen?

Ich wünsche Ihnen einen gelungenen Start in die Woche. Morgen schreibt an dieser Stelle wieder Florian Harms den Tagesanbruch.

Ihr

Florian Wichert
Stellvertretender Chefredakteur t-online
Twitter: @florianwichert

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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