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Betriebsrenten-Chaos im öffentlichen Dienst: Lehrerverband alarmiert


Betriebsrenten-Alarm
"Ich habe Wut im Bauch"


Aktualisiert am 22.02.2023Lesedauer: 4 Min.
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Lehrer in Deutschland: Mehr als ein Drittel der Lehrer ist hierzulande älter als 50 Jahre. (Symbolbild)Vergrößern des Bildes
Der Unterschied zwischen der Altersvorsorge von Beamten und von angestellten Lehrern ist enorm. (Quelle: skynesher/getty-images-bilder)

Sie haben die gleiche Ausbildung, sie machen die gleiche Arbeit. Aber die Bezahlung von angestellten und verbeamteten Lehrern ist unterschiedlich. Besonders ungerecht wird es, wenn die Pension beginnt.

Was andere in der Schule hassen, begleitet ihn sein Leben lang. Mathematik und Physik. Genau diese Fächer hat Volker Lorentzen mehr als 30 Jahre lang unterrichtet, erst an der Gesamtschule, dann an der Realschule – mit Zahlen kennt er sich also aus, und er geht gern mit ihnen um.

Umso mehr merkt er, dass er benachteiligt wird. Gegenüber seinen Kolleginnen und Kollegen, die im Gegensatz zu ihm verbeamtet sind. Denn seine VBL-Betriebsrente, die die Lücke zur Beamtenversorgung schließen soll, steigt nicht. Oder kaum. Die Schere geht immer weiter auseinander. Er hat sich an Gewerkschaften, Politiker und Verbände gewandt. Niemand hilft ihm: "Ich habe Wut im Bauch", sagt Lorentzen im Gespräch mit t-online.

Geld wird faktisch immer weniger

Hintergrund ist, dass die Betriebsrenten im öffentlichen Dienst nicht dynamisiert sind. Das heißt, die Rente steigt aufgrund eines Gesetzes und eines Versorgungstarifvertrages nur um ein Prozent pro Jahr. Das Geld, das die Betriebsrentner bekommen, wird durch die Inflation, also die steigenden Lebenshaltungskosten, faktisch jedes Jahr stärker entwertet, weil die Betriebsrente nicht an die Inflation gekoppelt ist.

Gewerkschaften reden sich raus

t-online hatte in der vergangenen Woche darüber berichtet. Daraufhin meldeten sich gut 100 Rentner, die über dieses Problem klagten und die um ihre Altersvorsorge fürchten. Bei den Lehrern zeigt sich die Rentenungerechtigkeit am deutlichsten. Denn viele angestellte Lehrerinnen und Lehrer haben genau die gleiche Ausbildung wie ihre verbeamteten Kolleginnen und Kollegen, und trotzdem gibt es extreme Unterschiede. Der Staat schaut weg und lässt die Ehemaligen im Stich. Und die Gewerkschaften reden sich heraus.

Damit will sich Volker Lorentzen nicht zufriedengeben. Er sagt: "Als Lehrer hatte ich die Aufgabe, für Gerechtigkeit zu sorgen. Gerechte Noten zu geben. Ausgleichend zu sein." Er hat den Gewerkschaften geschrieben, die Anfang der 2000er-Jahre den Tarifvertrag ausgehandelt haben. "Es nagt einfach an meiner Seele", sagt Lorentzen. Doch keine Gewerkschaft habe ihm geantwortet.

GEW reagiert auf t-online Anfrage

Zumindest die GEW hat auf die Anfrage von t-online geantwortet. Der Gewerkschaft sei es gesetzlich untersagt, Anfragen von Nichtmitgliedern zu beantworten, da dies als Rechtsberatung verstanden werden könnte. Dies sei aber Mitgliedern vorbehalten. Der Sprecher bietet aber an, wenn t-online die Kontaktdaten von Lorentzen herausgebe, werde man "gerne im oben genannten Sinne antworten".

Volker Lorentzen studierte in Nordrhein-Westfalen. Als er sein Lehramtsstudium abgeschlossen hatte, gab es keine freie Stelle. So musste er zunächst in einem anderen Beruf in der Pharmaindustrie arbeiten. Nach einigen Jahren ergab sich dann aber doch die Möglichkeit, in den Schuldienst einzutreten, gerade weil seine Fächer Mathematik und Physik gefragt waren.

Das muss er teuer bezahlen

Die Lehrer wurden damals nicht verbeamtet, sondern nur angestellt. Da aber der Lehrermangel in den Achtzigerjahren immer größer wurde, entschloss sich das Land Nordrhein-Westfalen einige Jahre nach Lorentzens Einstellung, den Beruf attraktiver zu machen und die Lehrer wieder zu verbeamten. Leider nicht Volker Lorentzen, denn zu diesem Zeitpunkt war er nach den Regeln des Landes schon zu alt, nämlich 35 Jahre. Das muss er jetzt teuer bezahlen.

Schon während seiner aktiven Dienstzeit erhielt er über 600 Euro netto weniger. Im Alter geht die Schere jedes Jahr weiter auseinander, weil die Beamten nach den Tarifverhandlungen immer deutlich mehr bekommen, seine Betriebsrente aber auf ein Prozent Steigerung gedeckelt ist.

Der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" werde hier von staatlicher Seite und den Gewerkschaften "mit Füßen getreten", sagt Ralf E. Heinrich von der Schutzgemeinschaft angestellter Lehrerinnen und Lehrer in Nordrhein-Westfalen (SchaLL).

Bis zu 1.000 Euro weniger

Heinrich beschäftigt sich seit Jahren mit der Ungleichbehandlung von verbeamteten und angestellten Lehrkräften. Nach seinen Berechnungen liegen die Rentenansprüche der ehemals angestellten Lehrerinnen und Lehrer bis zu 1.000 Euro unter den Pensionen der Beamten im Ruhestand. "Diesen Missstand müssen Gewerkschaften und öffentliche Arbeitgeber durch entsprechende Tarifverhandlungen zur VBL-ZUsatzversorgung beseitigen", fordert er.

Zumindest die GEW sieht das aber ganz anders. Da statistisch gesehen "Besserverdiener" im Durchschnitt deutlich länger leben als "Geringverdiener" und damit auch länger Rente beziehen, "würde eine höhere Dynamisierung zu einer Umverteilung von unten nach oben führen. Aus diesem Grund haben die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes bisher immer darauf verzichtet, eine höhere Dynamisierung in ihre Tarifforderungen aufzunehmen", schreibt uns ein Sprecher.

Gleichheitsgrundsatz verletzt

Für Ralf E. Heinrich von SchaLL verstößt die Position des GEW-Sprechers jedoch gegen den Gleichheitsgrundsatz. "Eine tarifvertragliche Regelung, die zumindest den Wertverlust der VBL-Zusatzrente durch inflationäre Entwicklungen abmildert, ist daher dringend erforderlich", sagt Heinrich.

In den laufenden Tarifverhandlungen scheint die Aufhebung der 1-Prozent-Deckelung kein Thema zu sein. Und so werden Staat und Gewerkschaften dafür sorgen, dass die "Gerechtigkeitslücke", wie Betriebsrentner Volker Lorentzen sie nennt, nicht geschlossen wird.

Hintergrund zum Beitrag

Volker Lorentzen wollte nicht mit seinem echten Namen genannt werden. Wir haben diesem Wunsch entsprochen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Kontakte SchaLL.NRW
  • Betriebsrentengesetz
  • Mails an Gewerkschaften
  • Telefonate mit Volker Lorentzen
  • Dokumente von Volker Lorentzen
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