Exklusive Studie Wer so denkt, verdient mehr

Wer an die eigene Gestaltungskraft glaubt, dem gelingen viele Dinge besser. Eine neue Studie zeigt: Das lohnt sich auch finanziell.
Menschen mit einer stark ausgeprägten Überzeugung, ihr Leben selbst beeinflussen zu können, erzielen im Durchschnitt ein höheres Einkommen. Das zeigt eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), die t-online exklusiv vorliegt. Darin untersuchen Anna von Witzendorff und Dominik Enste, wie sich die sogenannte Kontrollüberzeugung auf den wirtschaftlichen Erfolg auswirkt. Das Ergebnis: "Ein höheres Maß an internaler Kontrollüberzeugung korreliert positiv mit dem Nettoeinkommen."
Die Kontrollüberzeugung beschreibt die grundsätzliche Einschätzung eines Menschen, in welchem Maße sein Leben durch eigene Anstrengung oder durch äußere Umstände bestimmt ist. Der Begriff geht auf den US-Psychologen Julian Rotter zurück, der ihn im Jahr 1966 prägte. Menschen mit einer sogenannten internalen Kontrollüberzeugung glauben, dass sie selbst für Erfolg oder Misserfolg verantwortlich sind. Wer dagegen meint, hauptsächlich von äußeren Umständen oder anderen Menschen beeinflusst zu werden, verfügt über eine sogenannte externale Kontrollüberzeugung.
"Meine Pläne werden oft vom Schicksal durchkreuzt"
In der repräsentativen Studie wurden die 3.267 Teilnehmenden gefragt, inwieweit sie Aussagen wie "Ich habe mein Leben selbst in der Hand" oder "Meine Pläne werden oft vom Schicksal durchkreuzt" zustimmen. Daraus wurde eine standardisierte Skala gebildet, um internale und externale Kontrollüberzeugung messbar zu machen.
Der Zusammenhang zeigt sich besonders deutlich bei mittleren bis höheren Einkommen: Je höher ihr durchschnittliches Nettoeinkommen, desto mehr Gestaltungsspielraum schreiben sich Menschen selbst zu.
Positive Effekte auf Motivation und Karriere
Bereits im Jahr 2020 hatte Studienleiter Dominik Enste in einer Analyse des IW Hinweise darauf gefunden, dass die Kontrollüberzeugung mit dem Erfolg am Arbeitsmarkt zusammenhängt. Nun konnte er diesen Zusammenhang durch eigene Daten belegen: "Ein Ergebnis war, dass internale Kontrollüberzeugung und im Prinzip auch Selbstwirksamkeitserfahrungen positiv mit dem Einkommen korrelieren", sagte Enste t-online. Die neue Studie zeigt damit, dass die Kontrollüberzeugung, die auch "Locus of Control" genannt wird, ein entscheidender Einflussfaktor für wirtschaftlichen Erfolg sein kann.
Intern kontrollierte Menschen verfügen über ein starkes Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Kompetenz. Dieses Bedürfnis speist laut Studienlage ihre intrinsische Motivation. Wer daran glaubt, dass eigene Anstrengung zum Erfolg führt, ist im Durchschnitt leistungsbereiter, investiert mehr Zeit und Mühe und arbeitet zielorientierter. "Sie setzen sich häufiger hohe und ambitionierte Ziele – und erreichen diese auch öfter", so Enste.
Großer Einfluss der beruflichen Stellung
So sind intern kontrollierte Personen nicht nur motivierter, sondern finden sich auch häufiger in anspruchsvolleren Tätigkeiten wieder. So zeigt die IW-Analyse, dass rund 75 Prozent der Menschen mit Meisterabschluss eine internale Kontrollüberzeugung aufweisen. Bei Vorarbeitern und Kolonnenführern liegt der Anteil bei rund 66 Prozent. Demgegenüber verfügen rund 61 Prozent der ungelernten Arbeiterinnen und Arbeiter über eine externale Kontrollüberzeugung.
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Enste stellte fest, dass rund 61 Prozent der Erwerbstätigen über eine internale Kontrollüberzeugung verfügen, während 39 Prozent äußere Umstände als bestimmend für ihr Leben wahrnahmen. Der höhere Anteil intern kontrollierter Menschen unter den Erwerbstätigen kommt laut IW wohl daher, dass diese Persönlichkeitsstruktur mit besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt einhergeht. Mit Blick auf die Gesamtbevölkerung liege die Verteilung von internaler und externaler Kontrollüberzeugung bei jeweils 50 Prozent, so die Studienautoren.
Unternehmen profitieren – wenn sie es zulassen
Aus Sicht der Studienautoren ist die Kontrollüberzeugung auch für Unternehmen relevant. Denn: Mitarbeitende mit internaler Kontrollüberzeugung bringen demnach häufig mehr Eigeninitiative, Innovationskraft und Verantwortungsbereitschaft mit. Voraussetzung sei aber, dass Unternehmen ihnen die nötigen Freiräume geben. "Diese Überzeugung ist mit Selbstwirksamkeit, Innovativität und Verantwortungsübernahme verbunden, was insbesondere in Krisenzeiten wichtig ist", schreiben die Forschenden.
Gleichzeitig betonen sie, dass Mitarbeitende mit externaler Kontrollüberzeugung nicht zwangsläufig weniger geeignet sind – sie benötigen jedoch eine andere Führung: klare Strukturen, mehr Orientierung und Routineabläufe.
Erlernt, aber nicht unveränderlich
Die Forscher gehen davon aus, dass die Persönlichkeitsstruktur den beruflichen Werdegang beeinflusst – nicht umgekehrt. So wird die Kontrollüberzeugung schon in der Kindheit und Jugend geprägt, etwa durch Erziehung oder Bildung.
Sie ist damit zwar relativ stabil, aber nicht unveränderlich. "In gewissem Rahmen kann versucht werden, die Selbstwirksamkeit zu stärken, sodass die Person lernt, dass die meisten Dinge nicht extern vorherbestimmt sind", erklärt Enste. Wer im Beruf oder in der Schule erlebt, dass das eigene Handeln Wirkung zeigt, stärkt seine Überzeugung, Einfluss nehmen zu können.
Das könnte in Zukunft wichtiger werden. "Internale Kontrollüberzeugte werden durch die zunehmende Digitalisierung noch an Bedeutung gewinnen", prognostiziert Enste. Da einfache Routinetätigkeiten immer häufiger von Computern oder Robotern übernommen werden, seien künftig vor allem Beschäftigte gefragt, die selbstständig, flexibel und lösungsorientiert agieren – Eigenschaften, die intern Kontrollüberzeugten zugeschrieben werden.
Konzept mit Grenzen
Es gibt jedoch durchaus Kritik an dem Konzept der Kontrollüberzeugung. So bemängelte etwa der Psychologe Albert Bandura bereits in den 1970er-Jahren, dass die Kontrollüberzeugung als Persönlichkeitsmerkmal zu unspezifisch sei. Auch die Sozialpsychologen Lee Shulman und Robert Rosenthal wiesen bereits 1986 in einem Beitrag im "Journal of Personality Assessment" darauf hin, dass die Unterscheidung von intern/extern zu vereinfachend sei. So könnten Menschen je nach Lebensbereich unterschiedlich empfinden – etwa intern im Beruf, aber extern im Privatleben.
Zudem warnen Arbeitsmarktforscher wie Timothy Judge oder Adrian Furnham davor, soziale oder strukturelle Hindernisse zu ignorieren. Eine rein individuelle Zuschreibung könne leicht verdecken, dass auch äußere Faktoren wie Armut, Bildungshintergrund oder prekäre Arbeitsverhältnisse das Verhalten maßgeblich beeinflussen.
Enste entgegnet dieser Kritik, dass der "Locus of Control" neben den "Big Five" Persönlichkeitsfaktoren (Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus) einen wichtigen Platz in der Forschung habe und in der Sozialpsychologie etabliert sei. In seiner Arbeit gehe es darum, auf die Bedeutung dieser Faktoren hinzuweisen. Zur Armutsbekämpfung gehöre eben auch, in der frühkindlichen Bildung mehr auf internale Kontrollüberzeugungen hinzuwirken.
- Anfrage an Dominik Enste
- IW-Kurzbericht 57/2025: Kontrollüberzeugung und Einkommen