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Reiner Holznagel: "Politiker gehen sensibler mit Steuergeldern um"


Reiner Holznagel
"Unterm Strich ist es ja unser Geld"

InterviewEin Interview von Sandra Simonsen

30.10.2019Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Quelle: Frank Rumpenhorst/Britta Pedersen/dpa

Reiner Holznagel ist seit 2012 Präsident des Bundes der Steuerzahler. Im t-online.de-Interview erklärt er, warum das Schwarzbuch zur Steuergeldverschwendung auch nach 47 Jahren noch wichtig ist und welche Fälle er besonders skurril findet.

Jedes Jahr im Herbst gibt der Bund der Steuerzahler sein Schwarzbuch heraus. In der aktuellen Ausgabe werden rund 100 Fälle von Steuergeldverschwendung in Deutschland gelistet. Kritisiert werden beispielsweise die gescheiterte Pkw-Maut oder die Sanierung des Kongresszentrums in Hamburg. Doch das Schwarzbuch gibt auch Lösungsvorschläge und listet Fälle, in denen Steuergeldverschwendung verhindert werden konnte, wie der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, im Gespräch mit t-online.de bekräftigt.

t-online.de: Das Schwarzbuch ist bereits zum 47. Mal erschienen. Warum werden die Fälle der Steuerverschwendung in dieser Form öffentlich gemacht?

Reiner Holznagel: Das Schwarzbuch ist ein Instrument, um Steuergeldverschwendung kurz und knackig auf den Punkt zu bringen. Wir machen das seit 47 Jahren relativ erfolgreich. Der eine oder andere fragt sich vielleicht: "Nützt das etwas?" Ich sage: Ja, es nützt! Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass es das Schwarzbuch auch weiterhin geben wird. Denn dort, wo Menschen Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen, passieren auch Fehler. Diese Fehler dokumentieren wir, damit Sensibilitäten geweckt werden und das Gleiche nicht noch einmal passiert. Denn die öffentliche Hand, die Entscheider, die Beamten, die Politiker, müssen wissen, dass wir ihnen auf die Finger schauen und Fehlverhalten dokumentieren und öffentlich machen.

Konnten Sie schon Erfolge verbuchen?

Zum Schwarzbuch gehören auch die Kapitel "Erfolge" und "Verschwendung droht". Hier zeigen wir auf, dass man Steuergeld retten kann, wenn man rechtzeitig eingreift. Und dass – auch aufgrund des Schwarzbuchs – ein Umdenken und ein Revidieren mancher Entscheidungen gelingen. Zum Beispiel ist die Stadt Frankfurt von ihren Plänen abgerückt, ihr Stadthaus kurz nach der Fertigstellung wieder umzubauen, um dort ein Museum einzurichten. Hamburg stellt keine Fahrradzählsäulen mehr auf. Und in Kiel hat man sogar darauf verzichtet, ein Fußballstadion mit Steuergeld auszubauen – das macht der Verein jetzt mit eigenen Mitteln. Daran sieht man, wie sehr das Schwarzbuch wirkt.

Sehen Sie eine Entwicklung – gibt es heute mehr oder weniger Steuerverschwendungen als beispielsweise vor zehn Jahren?

Die Qualität hat sich grundlegend verändert. Wir haben heute mit oft komplexen Projekten zu tun. Die Digitalisierung spielt hier eine große Rolle. Und wir haben mit sehr hohen Anforderungen gegenüber dem Staat zu tun, die teilweise gerechtfertigt und teilweise nicht gerechtfertigt sind.

Können Sie das weiter ausführen?

So befasst sich unser Sonderkapitel mit der Wohnpolitik in Deutschland. Wir nehmen durchaus zur Kenntnis, dass viele Menschen es gut finden, wenn der Staat Wohnungen besitzt und als Vermieter auftritt. Und das Ziel "bezahlbarer Wohnraum" ist ja richtig. Unsere Analyse zeigt aber, dass weder Rückkäufe noch Enteignungen geeignete Maßnahmen sind, um mehr Wohnraum zu schaffen. Der Wohnungsmarkt wird nicht entspannt – und die Fehlleitung von Steuergeld droht. Letztlich muss einfach mehr gebaut werden. Und der Staat kann die Wohnkosten senken, indem er dort ansetzt, wo er selbst das Wohnen teurer macht: bei der Grundsteuer, der Grunderwerbsteuer, den Abgaben auf Energie sowie bei Vorschriften, die das Bauen verteuern.

Also hat die Verschwendung von Steuergeldern eher zugenommen?

Ob Steuergeldverschwendung nun zu- oder abgenommen hat, kann niemand sagen. Für unser Schwarzbuch wählen wir exemplarische Fälle aus. Dies ist also keine vollumfängliche Dokumentation, sondern ein Querschnitt dessen, was wir über das Jahr erlebt haben und worauf wir reagieren. Fakt ist aber, dass es einige Probleme nicht mehr gibt. Beispielsweise nutzen Politiker nicht mehr die Flugbereitschaft, um private Termine wahrzunehmen. Solch plumpes, dreistes Verhalten findet man nicht mehr. Ich denke schon, dass die Politiker und die Verantwortlichen wesentlich sensibler mit Steuergeld umgehen.

Wie kommen Sie an die Informationen zu den Steuerverschwendungen – sind es immer die Steuerzahler oder auch beispielsweise die Kommunen selbst, die Fälle melden?

Das ist ganz unterschiedlich. Wir erhalten sehr viele Meldungen aus der Bevölkerung: Bürger rufen uns an, schicken uns E-Mails, Briefe und Fotos. Diesen Hinweisen gehen wir nach. Darüber hinaus recherchieren wir, wie Journalisten dies auch tun: Wir nutzen öffentliche Quellen und bitten um Stellungnahmen der Betroffenen und verifizieren das. Wenn Sie 47 Schwarzbücher herausgeben, sind Sie sozusagen Profi in dem Bereich und wissen schon, wo etwas im Argen liegt. Aber: Viele Hinweise aus der Bevölkerung entpuppen sich auch als Nicht-Steuergeldverschwendung.

Wie kann es Ihrer Meinung nach überhaupt immer wieder zu so großen Verschwendungen kommen?

Der Staat soll handeln. Und Politiker sehen es jeden Tag als Herausforderung an, Geld auszugeben. Genau deshalb wird es auch weiterhin Steuergeldverschwendung geben. Diese Meinung teilen auch die Rechnungshöfe und viele andere Prüfinstanzen. Aber die Herausforderungen ändern sich, die Ansprüche und Erwartungen an den Staat ändern sich – zum Beispiel von jungen Familien. Hier hat der Staat viel Verantwortung und muss viel leisten. Gleichwohl passieren dabei viele Dinge, die so nicht funktionieren können.

Das wäre?

Bei Bauprojekten sehen wir das Problem "immer höher, weiter, schneller"! Deshalb laufen die Kosten aus dem Ruder und Zeitpläne werden schließlich nicht eingehalten. Das Problem der Kostenexplosion gibt es auch bei der Bundeswehr, die beim Rüstungseinkauf oft auf individuelle Lösungen setzt statt auf bewährte Standards. Dementsprechend wird es auch hier permanent teurer und zeitaufwendiger. Unterm Strich ist das alles unser Geld. Es sind wir, die Steuerzahler, die Mittel für den Staat bereitstellen, damit er handelt. Insofern müssen wir immer kritisch sein.

Welche Projekte sind in diesem Jahr die teuersten? Welches hat Sie am meisten schockiert?

Schockieren kann man mich mittlerweile wenig. Dennoch bin ich immer wieder erschrocken. Skurril ist zum Beispiel, dass unter dem Motto "Kunst am Bau" in einer Berliner Schule ein Nest aus purem Gold eingebaut worden ist. Leider wurde es mittlerweile gestohlen. Das Nest hatten also die Steuerzahler bezahlt – das ist schon mehr als kurios. Hier denke ich auch an einen Fall aus Erfurt: Vor dem Thüringer Umweltministerium wurde eine Solar-Sonnenblume aufgestellt. Die Kosten für die Aktion betrugen 5.000 Euro. Allerdings steht die Solar-Sonnenblume meistens im Schatten...

Und welche Projekte sind besonders kurios?

Nur noch mit dem Kopf schütteln kann ich über eine Straße im Harz: Die Bundesstraße B6 hat nämlich ein Upgrade erfahren und ist mittlerweile eine Autobahn, die A36. Für die Autofahrer selbst ändert sich nichts: Die Straße war damals schon vierspurig, auch eine Geschwindigkeitsbegrenzung gab es vorher nicht. Aber weil die Straße jetzt eine Autobahn ist, mussten die Schilder ausgetauscht werden – erst gelb, jetzt blau. Kein Mehrwert, kein neuer Nutzen, aber drei Millionen Euro Steuergeld verschwendet.

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Um viel mehr Geld geht es bei der Bundeswehr: Die Mehrkosten für die Top-Einkäufe – diverse Panzer und Flugzeuge – liegen bei 13,5 Milliarden Euro. Mehrkosten! Ein trauriges Beispiel ist immer noch die "Gorch Fock". Ursprünglich wollte man das Schiff für zehn Millionen Euro sanieren, wir haben vor diesen Plänen gewarnt – jetzt sind es 135 Millionen Euro.

Welche Lösungen schlagen Sie gegen Steuerverschwendung vor?

Steuergeldverschwendung liegt im Bereich des menschlichen Handelns und muss leider einkalkuliert werden. Dennoch gibt es viele Instrumente, um Verschwendung zu vermeiden. Und vor allem geht es mir darum, dass der Verstand eingeschaltet wird. Deshalb ist es wichtig, über Steuergeldverschwendung zu sprechen. Das Schwarzbuch leistet einen wichtigen Beitrag dazu. Im Sonderkapitel "Wohnpolitik" legen wir dar, was der Staat tun kann, um das Wohnen insgesamt günstiger zu machen. Wir wollen also nicht nur kritisieren, sondern geben der Politik auch ganz konkrete Vorschläge an die Hand. Damit sollen Sensibilitäten geweckt werden.

Der Staat sollte eine hohe Ausgabenmoral an den Tag legen, damit die Menschen das Gefühl haben, dass ihr Geld gut eingesetzt ist. Wenn das nicht der Fall ist, sinkt ihre Steuermoral. Deswegen ist beides im Tandem zu sehen. Ich sehe, dass Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt ist und hart bestraft werden muss – aber Steuergeldverschwendung auch! Dementsprechend brauchen wir eine Erweiterung des Strafgesetzbuchs, um juristisch mehr zu ahnden. So soll gezeigt werden: Wer Fehlverhalten an den Tag legt, muss mit Konsequenzen rechnen.

Herr Holznagel, vielen Dank für das Gespräch.

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