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Arbeitsproduktivität: Was der Westen besser macht als Ostdeutschland


Arbeitsproduktivität
Was der Westen besser macht als Ostdeutschland

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 26.03.2019Lesedauer: 3 Min.
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Arbeiter im Tagebau: In Ostdeutschland arbeiten die Menschen mehr, aber der Westen ist produktiver.Vergrößern des Bildes
Arbeiter im Tagebau: In Ostdeutschland arbeiten die Menschen mehr, aber der Westen ist produktiver. (Quelle: Eckehard Schulz/imago-images-bilder)

Im Streit über die Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft geht es nicht um Fleiß oder Faulheit, sondern um Investitionen und Innovationen – und um gute Laune.

Was kann der Westen bloß, was der Osten nicht kann? Wenn der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) diese Frage beantwortet, holt er erst einmal weit aus. Er erwähnt das Melkkarussell der Agrargenossenschaft Teichel bei Rudolstadt, das problemlos 450 Kühe am Tag melken kann – mehr als jede Melkmaschine im Westen. Er lobt die Heberndorfer Leistenfabrik, in der die Fußleisten für nahezu alle Baumärkte Europas zurechtgesägt werden – auch für die Heimwerker in Westdeutschland. Er begeistert sich für den Computerspezialisten Bluetech in Meuselwitz, der öfter mal Wettbewerber übernimmt – zuletzt einen aus der Nähe von München.

Ostdeutsche arbeiten im Jahr 64 Stunden mehr als Westdeutsche

Was also kann der Westen besser? "Nichts", schleudert Ramelow den Wirtschaftsforschern entgegen, die den anhaltenden Produktivitätsrückstand der ostdeutschen Wirtschaft konstatieren. Das trifft die Wahrheit zwar nicht ganz. Denn die Unternehmen in Ostdeutschland produzieren mit demselben Einsatz von Arbeit und Kapital tatsächlich durchschnittlich rund ein Fünftel weniger als westdeutsche Firmen. Doch Ramelow weiß, dass der komplizierte Begriff der Arbeitsproduktivität bei den Ostdeutschen nur auf eine Wahrnehmungsebene trifft: Sie glauben, die Wirtschaftsforscher hielten sie für faul und blöd. Und jeder weiß genau, dass es anders ist.

Arbeitnehmer in Ostdeutschland arbeiten im Jahr durchschnittlich 64 Stunden mehr als Beschäftigte in Westdeutschland. Von den 15- bis 65-jährigen Bürgern stehen knapp 80 Prozent im Erwerbsleben, im Westen sind es nur 78 Prozent. Bei den höheren Schulabschlüssen liegen Ost- und Westdeutschland inzwischen gleichauf. Dazu kommt: Seit der Wiedervereinigung sind unter dem Strich rund eine Million Menschen nach Westdeutschland umgezogen. Dort arbeiten sie natürlich genauso produktiv wie ihre Kollegen.

Der Westen ist produktiver, obwohl er weniger arbeitet

Bodo Ramelow meint, die Produktivitätsunterschiede beruhten vor allem auf statistischen Effekten. Weil die meisten Konzernzentralen im Westen säßen, würde beispielsweise jeder schöne Mercedes-Motor, der bei MDC-Power in Kölleda produziert wird, der Produktivität des Stuttgarter Mutterkonzerns zugeschlagen, statt die thüringische Statistik aufzumuskeln.
Leider stimmt das nur bedingt. Denn auch, wenn man die Konzernunternehmen aus der Statistik herausrechnet, bleibt der vertrackte Unterschied bestehen: Der Westen ist produktiver, obwohl er weniger arbeitet.

Die Wahrheit liegt genau in diesem Punkt. Nicht obwohl, sondern weil der Westen fauler ist, muss er mehr leisten. Je weniger Arbeitsstunden ein Beschäftigter leistet, je höher sein Monatslohn ist, desto produktiver muss er sein, damit sein Arbeitsplatz erhalten bleibt. Auch wenn ein Unternehmen in Maschinen investiert, werden die Arbeitnehmer produktiver. Ein Beispiel dafür ist der Landkreis Spree-Neiße im Süden Brandenburgs. Das ist der Landkreis mit der höchsten Arbeitsproduktivität Ostdeutschlands, der in der gesamtdeutschen Statistik sogar vor Hamburg oder Wiesbaden rangiert: wegen der Milliardeninvestitionen in den Braunkohletagebau und das Kraftwerk Jänschwalde. Der Preis: 1990 arbeiteten hier 60.000 Beschäftigte, heute sind es nur noch 7.000.

Produktivitätslücke bleibt

Solange in Ostdeutschland die Arbeitslosigkeit sehr hoch war, war es wichtiger, Menschen in Beschäftigung zu halten, als auf Produktivitätskennziffern zu starren. Auch deshalb haben Wirtschaftsförderer vor allem auf die Arbeitsmarkteffekte von Investitionen geschaut. Jetzt könnte sich eigentlich alles ändern. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, es herrscht Facharbeitermangel. Leider aber gilt das auch für Westdeutschland, sodass sich an der Produktivitätslücke gar nichts ändert.

Um diese Lücke tatsächlich zu schließen, müssen viele glückliche Umstände zusammenwirken. Es müssten Regionen in Ostdeutschland entstehen, die besonders innovativ und besonders erfolgreich sind. Es müssten Unternehmen wachsen, die ihre Unternehmenszentrale in den neuen Bundesländern haben, die hochqualifizierte Mitarbeiter brauchen und die für ihre Produkte sehr gute Preise verlangen können. Solche Firmen entstehen oft in oder in der Nähe von Universitätsstädten.

Saarland und Schleswig-Holstein: weniger produktiv, aber glücklich

Man könnte also jetzt bevorzugt in Universitäten und ihr Umland investieren, wie es das ostdeutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Halle vorgeschlagen hat. Das wäre zwar vernünftig, lässt sich aber im Jahr von Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen politisch kaum vermitteln. Man könnte auch einfach die Statistik neu rechnen, wie es Bodo Ramelow empfiehlt. Oder man lässt alles, wie es ist und nimmt sich ein Beispiel am Saarland oder an Schleswig-Holstein. Auch dort ist die Produktivität seit Jahren deutlich niedriger als im deutschen Durchschnitt. Aber die Laune ist trotzdem glänzend.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neuestes Buch heißt: "Regierung ohne Volk. Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert."

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