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E-Zigaretten: Raucherindustrie erfindet sich neu – Experten fürchten fatale Folgen


E-Zigaretten
Die Raucherindustrie erfindet sich neu

Von Sarah Kohler

Aktualisiert am 21.03.2022Lesedauer: 7 Min.
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Junge Frau raucht (Symbolbild): Rauchen wird immer unbeliebter, die Branche muss sich etwas einfallen lassen.Vergrößern des Bildes
Junge Frau raucht (Symbolbild): Rauchen wird immer unbeliebter, die Branche muss sich etwas einfallen lassen. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Der Tabakkonzern Philip Morris will die klassische Zigarette abschaffen und nur noch Erhitzer verkaufen. Die jedoch sind umstritten. Wen will der Konzern retten – die Lungen der Raucher oder das eigene Geschäft?

Tabakerhitzer zieht man nicht aus dem Automaten. Das ist der erste Unterschied zur Zigarette. Man baut Tabakerhitzern schicke Läden, in denen Angestellte in weißen und blauen Outfits liebevoll und handverlesen Zigarettenalternativen für die Kunden heraussuchen.

So einen Laden hat auch der weltgrößte Tabakkonzern Philip Morris am Marienplatz in München, einen sogenannten Iqos-Store. Iqos, gesprochen "Eikos", ist eine Abkürzung und soll für den englischen Satz stehen "I quit ordinary smoking", zu Deutsch also: Ich höre mit dem gewöhnlichen Rauchen auf. Gewöhnlich ist von gestern, denn heute ist Iqos.

Nichtraucher sind nicht die Zielgruppe

Im Iqos-Store arbeiten vor allem junge Menschen – und beraten. Einer macht den Türsteher. Hinter der Glastür am Eingang stellt er den Ankommenden erst einmal zwei Fragen.

Die erste lautet: In welchem Jahr sind Sie geboren? Nur wer 18 Jahre oder älter ist wird eingelassen, ab 25 müssen Kunden keinen Ausweis mehr zeigen. Die zweite Frage: Sind Sie schon Iqos-Nutzer oder Raucher? Wer Letzteres mit Nein beantwortet, kann nicht in diesem Laden einkaufen – und daran wird sich tatsächlich gehalten.

Denn Iqos-Geräte werden nicht an Nichtraucher verkauft – sie sind nicht die Zielgruppe. Wer jedoch mit Ja antwortet, wird eingelassen. Weißes Mobiliar, minimalistische Farbgebung – alles hier schreit: Ich bin jung, ich bin rein, ich bin in.

Auch unter Erwachsenen wird Tabakkonsum unbeliebter

Doch eigentlich ist Rauchen out. Seit Jahren geht der Tabakkonsum zurück, immer mehr Jugendliche greifen gar nicht erst zur Zigarette. 2019 rauchten nur 6 Prozent der Jungen und 5,2 Prozent der Mädchen, die Tendenz ist stark abnehmend.

Auch unter Erwachsenen wird der Tabakkonsum unbeliebter, der Anteil der Raucher hat sich in den vergangenen 20 Jahren in allen Altersgruppen halbiert, zeigt der Tabakatlas des Deutschen Krebsforschungszentrums.

Entsprechend nehmen die Umsätze im Zigarettenverkauf – zumindest in den Industrieländern – ab. Zunehmende Verbote an öffentlichen Orten und Warnbildchen tragen ebenfalls zur Abschreckung gerade von noch nicht Konsumierenden bei.

Denn obwohl der Anteil der Raucher bei Menschen ohne Schulabschluss doppelt so hoch ist wie bei Menschen mit Abitur und tendenziell besserem gesellschaftlichem Status, werden Zigaretten in allen Gesellschaftsschichten immer unbeliebter.

E-Zigaretten sollen weniger schädlich sein

Zigarettenkonzerne wie Philip Morris, der einst den Marlboro-Mann erfand, suchen deshalb seit Jahren händeringend nach einem neuen Geschäftsmodell.

Die Idee: Raucher sollen sich künftig nicht mehr die Lungen teeren. Stattdessen sollen E-Zigaretten und Tabakerhitzer für die Hersteller einen Markt erschließen, der ihnen sonst wohl verwehrt geblieben wäre: die technik- und stilbewussten jungen Erwachsenen und Jugendlichen, die Risikobewussten. Qualmen lässt sich schließlich mit Mode, Fortschritt, Jugendlichkeit und Aufstieg gleichermaßen bewerben – ohne Gestank nach kaltem Rauch.

Obendrein, so das Versprechen der Industrie, ist das Ganze auch noch weniger schädlich. Um nicht zu sagen: fast schon gesund. Schließlich handelt es sich laut den Konzernen bei den Verdampfern in erster Linie um Produkte, die Raucher vom Rauchen irgendwann entwöhnen sollen.

Doch spätestens hier wird die Erzählung der Firmen fraglich: Forscher befürchten neue, bislang ungekannte Krankheiten. Und so stellt sich die Frage nach den tatsächlichen Zielen: Wen wollen Philip Morris und andere Hersteller zuerst retten – die Raucher, die nicht von ihrer Zigarette loskommen? Oder doch das eigene Geschäft?

Gesundheitsgefahren und Einstiegsdroge

"Eines Tages, so hoffe ich, werden wir keine Zigaretten mehr verkaufen", sagte Philip-Morris-Konzernchef André Calantzopoulos bereits 2016. Seitdem befindet sich das Unternehmen in der Transformation. Statt auf Tabakzigaretten richtet sich alle Aufmerksamkeit auf Tabakerhitzer.

Der Unterschied zur herkömmlichen Zigarette findet sich in der Temperatur: Während angezündete Zigaretten bis zu 1.100 Grad Celsius warm werden, sind es bei der dampfenden nur maximal 300 Grad Celsius – was tatsächlich verschiedene Gase freisetzt.

Philip Morris zitiert gerne Studien, denen zufolge der Dampf der Tabakerhitzer bis zu 95 Prozent weniger schädlich für Raucher ist als die Tabakzigarette. Nikotin enthalten beide Produkte. Wer als Raucher süchtig war, bleibt es also auch als Dampfer.

Der Lungenkrebs kommt nicht von heute auf morgen"

Reiner Hanewinkel vom Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung in Kiel sieht die Erhitzer kritisch – und glaubt der Mär vom geringeren Schaden nicht: "Die gesundheitlichen Folgen der E-Zigaretten sind unbekannt", sagt er t-online, denn Langzeitstudien fehlten bislang. Und: "Der Lungenkrebs kommt auch nicht von heute auf morgen."

Außerdem gehe das Argument der weniger schädlichen Stoffe im Dampf nicht auf. Zwar möge das Nikotin in den alternativen Produkten weniger hoch dosiert sein, Raucher hätten aber die Angewohnheit, unbewusst den gleichen Nikotin-Spiegel anzustreben – und rauchten einfach mehr. Zu vielen Stoffen, die im Qualm enthalten sind, fehlen überdies noch Daten.

Ohnehin sind laut Hanewinkel die allermeisten Konsumenten der E-Zigaretten sogenannte "Dual user", rauchten also neue und herkömmliche Tabakprodukte "und addieren die Gesundheitswirkungen aus beiden Welten".

Experte: Raucherindustrie hat die Jugend entdeckt

Für den Forscher stellen E-Zigaretten eine weitere Einstiegsdroge in die Welt des Tabakkonsums dar, designt und beworben, um gerade jüngere Zielgruppen anzusprechen – auch wenn die Industrie das konstant verneint.

"Die Raucherindustrie hat die Jugend entdeckt, so wie es mit der normalen Zigarette auch war", erklärt auch Thomas Münzel, Direktor der Universitätsmedizin in Mainz, im Gespräch mit t-online. "So schön bunte Stifte, wie ein USB-Stick. Das ist cool, das ist in, und wenn man dazugehören will, dann muss man E-Zigaretten rauchen."

Er macht sich Sorgen, dass dies mögliche langfristige Folgen für die Gesundheit junger Menschen haben kann: "Hier wird eine Generation an süchtigen Jugendlichen herangezüchtet." Eine Generation, die den Zigaretten womöglich den Rücken gekehrt hätte.

Hört man den Forschern zu, wird deutlich: Um vom Tabakkonsum loszukommen, gibt es weiterhin nur eine gute Lösung: aufhören.

Ein neues Geschäft

Philip Morris weist das zurück: "Studien konnten zeigen, dass die Zigarettenverkäufe in Japan seit Einführung von Iqos in unerwartetem Ausmaß eingebrochen sind", schreibt das Unternehmen auf Anfrage von t-online.

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Dass alle Raucher von der Zigarette loskommen, hält jedoch auch der Konzern für unrealistisch – weswegen das Unternehmen die Tabakerhitzer auf den Markt gebracht hat. Schadensminimierung nennt Philip Morris diese Strategie – die realistischere Alternative zum Rauchstopp.

Zu Philip Morris gehören neben Marlboro Zigarettenmarken wie L&M, Chesterfield, Lark, Juwel, F6 oder Karo. Damit beherrscht der Konzern in Deutschland mehr als ein Drittel des Zigarettenmarktes und ist der führende Tabakproduktehersteller.

Markus Essing, der bei Philip Morris Chef für Deutschland und Österreich ist, sieht sein Unternehmen als Wegbereiter. Der Wechsel von der Zigarette zum Tabakerhitzer lasse sich vergleichen mit dem vom Auto zum E-Auto – nur, dass die Entwicklung der Raucher-Alternative schon weiter ist. Die Gewohnheiten der Menschen dürfen bleiben, doch mit weniger schädlichen Alternativen, sagt er.

Philip Morris macht weniger Geld mit herkömmlichen Zigaretten

Ob der Verkauf von Tabakerhitzern als Alternative tatsächlich gewinnbringend ist? Was Philip Morris im herkömmlichen Geschäft verliert, das kann es mit dem neuen Geschäft schon auffangen: "Der Anteil schadstoffreduzierter Produkte am Gesamtumsatz von Philip Morris International betrug bis Ende des dritten Quartals 2020 28,6 Prozent", heißt es seitens des Unternehmens.

Es ist also auf dem besten Weg, seine Umsatzeinbrüche, die der Konzern wegen der abnehmenden Nachfrage nach gewöhnlichen Zigaretten verzeichnet, mit neuen Produkten zu kompensieren.

In Deutschland konsumierten 2019 1,7 Prozent der Erwachsenen regelmäßig E-Zigaretten, knapp zehn Prozent haben schon einmal solche Produkte ausprobiert. 4,1 Prozent der Jugendlichen rauchen regelmäßig E-Zigaretten, versucht haben diese schon 14,5 Prozent, Tendenz steigend, so der Tabakatlas Deutschland.

Weltweit gibt es sehr unterschiedliche Bestimmungen, die die Nachfrage beeinflussen: So sind Tabakerhitzer und E-Zigaretten in Europa größtenteils für Erwachsene erlaubt, während sie in Japan oder der Türkei weitgehend verboten sind. Australien erlaubt Erhitzer nur ohne Nikotin.

Experte: Aussagen der Industrie mit Vorsicht genießen

Mediziner Thomas Münzel glaubt nicht an die hehren Ziele der Tabakindustrie: "Wenn Philip Morris sagt, es will Raucher zum Aufhören bringen, das macht mich schon aufmerksam", sagt er. "Das Geschäftsmodell der Zigarettenindustrie ist ja, Abhängigkeit zu erzeugen durch Nikotin, also die Raucher bei der Stange zu behalten."

Auch Hanewinkel ist skeptisch: "Man muss die Aussagen der Industrie immer mit etwas Vorsicht genießen. Wenn sie tatsächlich die Zigarette aus der Welt schaffen wollten, dann sind sie doch als größter Produzent ganz einfach dazu in der Lage: indem sie nämlich heute die Produktion einstellen."

Bisher gibt es bei Philip Morris dafür kein genaues Datum, wohl auch, weil sich mit herkömmlichen Zigaretten in vielen Teilen der Welt immer noch gutes Geld verdienen lässt. Andernorts – vor allem in den Industrieländern – droht indes immer neue, härtere Regulierung. Der will die Branche mit ihrer E-Zigaretten-Offensive zuvorkommen und ihr Geschäft retten.

"Wenn nur die Raucher umsteigen sollen, dann würde ich doch Philip Morris ganz stark empfehlen, ihre Tabakerhitzer als medizinisches Produkt anzumelden und den steinigen Weg dieser Prüfung zu gehen", rät Experte Hanewinkel. "Dann wüsste der Verbraucher, dass das ein sicheres Produkt ist und die Nebenwirkungen gering sind und dass es erfolgreich ist."

"Money making"

Ansätze zu einer solchen Strategie sind bei Philip Morris nicht erkennbar. Das Unternehmen möchte sich gar nicht anmaßen, Therapie oder gar Medizin anzubieten: Man betrachte die neuen Produkte "als weniger schädliche Konsumalternativen zum herkömmlichen Rauchen und nicht als Rauchstopptherapien, deren Ziel es ist, den Tabak- und Nikotinkonsum langfristig komplett einzustellen", erklärt der Zigarettenhersteller.

Forscher Münzel nennt diese Strategie "money making" – das Ersetzen der einen Droge durch eine andere. Schließlich sei der Konzern in erster Linie eine Aktiengesellschaft, die Gewinne ausschütten muss. Dafür müssten Raucher aber am Tabak bleiben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Reiner Hanewinkel
  • Gespräch mit Thomas Münzel
  • Anfrage an Philip Morris
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