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Warnung vor Gasstopp: "Dann droht Deutschland ein Schweinestau"


Chef des Fleischerverbands
"Dann droht Deutschland ein Schweinestau"

InterviewVon Mauritius Kloft

Aktualisiert am 24.05.2022Lesedauer: 4 Min.
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Ferkeltransport (Symbolbild): Bei einem Gasstopp droht ein Schweinestau.Vergrößern des Bildes
Ferkeltransport (Symbolbild): Bei einem Gasstopp droht ein Schweinestau. (Quelle: Countrypixel/imago-images-bilder)

Leberwurst, Mortadella oder Steak: Wer im Supermarkt oder beim Metzger einkauft, beobachtet seit Wochen steigende Preise. Woran liegt das? Und: Könnten die Preise noch anziehen? Der Chef des Wurstproduzenten-Verbands gibt Antworten.

Deutschlands Fleischliebhaber müssen schon seit Wochen mit steigenden Preisen klarkommen. Schnitzel, Hackfleisch und Wurst kosten immer mehr – wegen der Folgen des Ukraine-Krieges (t-online berichtete). Nun warnt der Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Wurst- und Schinkenproduzenten, Thomas Vogelsang, vor noch höheren Preisen.

Im Interview mit t-online erklärt Vogelsang, was die Preisentwicklung für die Tierhaltung bedeutet. Und warum er nicht daran glaubt, dass die Deutschen jetzt zu Vegetariern werden.

t-online: Herr Vogelsang, haben Sie die Grillsaison für dieses Jahr bereits eröffnet?

Thomas Vogelsang: Ja, für mich und viele andere hat die Grillsaison begonnen. Bei dem schönen Wetter sind ja auch die Bedingungen hervorragend, um den Grill anzuwerfen. Allerdings ist die Nachfrage nach Schweinefleisch derzeit noch sehr verhalten. Die Grillsaison wird daher möglicherweise kleiner ausfallen als in den vergangenen Jahren.

Warum?

Wegen der gestiegenen Preise. Schweinefleisch hat sich extrem verteuert, auch andere Fleischsorten sind deutlich im Preis gestiegen.

Wie stark?

In der Industrie nutzen wir den sogenannten Schlachtschweinepreis der Vereinigung der Erzeugergemeinschaften für Vieh und Fleisch. Der ist seit Jahresanfang von 1,20 Euro bis Mitte Mai auf 1,80 Euro pro Kilogramm Schlachtgewicht gestiegen.

Woran liegt das genau?

Der Energieaufwand in der landwirtschaftlichen Erzeugung ist hoch, aber auch in der anschließenden Schlachtung, der Verarbeitung und der Logistik. Steigen die Energiekosten, spüren wir das drastisch. Auch die Futtermittelpreise sind gestiegen, ein großer Teil des Futtermittels kommt aus der Ukraine. Die höheren Kosten schlagen sich hier direkt nieder. Die Verfügbarkeit von Lebensmitteln hat sich grundlegend verändert, für manche Verbraucher ist das ein Schock.

Wird der Preis noch weiter steigen?

Das lässt sich seriös noch nicht abschätzen, es wäre ein Blick in die Kristallkugel. Doch die Energiesituation wird sich so schnell nicht entspannen. Es gibt daher die Gefahr, dass die Fleischpreise im Herbst weiter steigen werden. Zumal die Preise schon vor Kriegsausbruch anzogen.

Wegen der Corona-Pandemie?

Richtig. Die Preise stiegen bereits vor der russischen Invasion, weil die weltweiten Lieferketten gestört waren und es ja immer noch sind. Verpackungsfolien sind beispielsweise 70 Prozent teurer als vergangenes Jahr, auch Gewürzpreise haben deutlich angezogen. Der Verbraucher wird sich einschränken müssen. Auch die Gastronomie wird die Preisexplosion spüren.

Das Schnitzel in der Gaststätte wird also ebenfalls mehr kosten?

Das muss es, ja. Ein Wiener Schnitzel wird bald deutlich teurer. Ein Gastwirt muss kostendeckend arbeiten. Die Hilfen von der Bundesregierung reichen bei weitem nicht aus, die Kostensteigerungen aufzufangen.

Haben Sie denn Angst, dass es zu Fleischengpässen kommen könnte?

Nein, da kann ich die Deutschen beruhigen. Es gibt genügend Fleisch im Markt, mit Schweinefleisch sind wir gut versorgt in Europa. Es wird nur eben teurer. Wir müssen die Preise an den Handel und letztlich an den Verbraucher weitergeben. Im Wesentlichen ist das gelungen. Wie der Verbraucher beim Einkauf reagiert, muss man schauen.

Werden die Deutschen wegen der steigenden Preise jetzt zu Vegetariern?

Nein, ganz bestimmt nicht.

Was macht Sie da so sicher?

Nun ja: Die Fleischersatzprodukte werden auch teurer, ebenfalls Obst und Gemüse. Soja wird etwa auch in der Ukraine angebaut. Den Zusammenhang zwischen steigenden Fleischpreisen und mehr Vegetariern sehe ich nicht.

Im Bundesverband Deutscher Wurst- und Schinkenproduzenten sind die industriellen Hersteller der Fleischwirtschaft organisiert, etwa Rügenwalder Mühle, Meica oder Wilhelm Brandenburg. Die Unternehmen der Fleischwarenindustrie sind mit einem Umsatz von rund 20 Milliarden Euro und 65.000 Beschäftigten der größte Teilbereich in der Lebensmittelindustrie.

Aber glauben Sie nicht, dass ein Anreiz besteht, auf Fleisch zu verzichten?

Das wird man abwarten müssen. Ich könnte mir vorstellen, dass der Kunde statt der Rinderroulade eher preiswerteres Hackfleisch kauft. Und ja, möglich ist auch, dass er weniger kauft. Ich glaube aber nicht, dass der Antrieb jetzt da ist, vegetarisches Hack zu kaufen, nur weil es preiswerter ist. Die Deutschen werden am Fleischkonsum festhalten. Sicher ist: Der Preis hat an Bedeutung gewonnen, das Einkaufsverhalten wird sich ändern.

Inwiefern?

Das ganze Thema Tierwohl kostet jede Menge Geld, das treibt den Preis zusätzlich. Auch bereits hochpreisige Bio-Produkte werden jetzt teurer. Ich schätze, dass viele Menschen nun vor dem Hintergrund der allgemeinen Kostensteigerung möglicherweise auf Bio verzichten und vermehrt konventionelle Lebensmittel kaufen werden.

Für das Tierwohl ist das keine gute Nachricht.

Ich glaube nicht, dass das Thema Tierwohl an Bedeutung verlieren wird. Das ist ein riesiges gesellschaftliches Thema, das nicht einfach durch etwas höhere Preise infrage gestellt wird. Aber die Biobranche könnte einen Schlag bekommen.

Klingt hart.

Ja, ist es auch. Der Bund sollte daher jetzt Klarheit schaffen, was seine Pläne für höhere Tierhaltungsstandards angeht. Seit Monaten wartet die Branche vergeblich auf klare Signale des zuständigen Ministers Özdemir. Der Bund sollte den Landwirten und den Fleischproduzenten in dieser schweren Zeit Orientierung bieten und nicht noch mehr Steine in den Weg legen.

Schwierigkeiten könnten Sie auch bekommen, wenn der Bund im Notfall das Gas rationieren muss. Welche Auswirkungen hätte ein Gasembargo für die Fleischbranche?

Fatale! Die Nahrungsmittelindustrie ist nach der Chemieindustrie in Deutschland der Bereich, der am meisten Energie benötigt. Und innerhalb der Lebensmittelproduzenten macht die Fleischbranche den größten Anteil aus. Die Bundesnetzagentur hat signalisiert, dass sie der Lebensmittelproduktion das Gas wohl nicht abstellen wird – zum Glück.

Erklären Sie das bitte.

Wir sind systemrelevant, die Deutschen brauchen schließlich Nahrungsmittel. Die Regale müssen weiterhin gefüllt sein. In der Fleischwirtschaft spielt der Tierschutz noch eine zusätzliche Rolle.

Wieso?

Bei einem Gasstopp droht Deutschland ein Schweinestau, und zwar noch deutlich schlimmer als nach dem Corona-Ausbruch bei Tönnies. 30 Millionen Tiere müssten über ihr Schlachtgewicht hinaus in den Ställen stehen. Im Notfall müssten sie sogar massenhaft gekeult werden. Ich will mir eine solche Situation gar nicht ausmalen. Nöte gibt es zwar überall, doch hier wären die Folgen besonders furchtbar. Ich hoffe und gehe davon aus, dass die Entscheider das auch wissen.

Herr Vogelsang, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Videointerview mit Thomas Vogelsang
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