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Prigoschin im Exil – wie sicher ist er in Belarus?


Die wichtigsten Fragen zur Lage in Russland
"Putin verzeiht Verrätern nicht": Wie sicher ist Prigoschin?

Von t-online, wan

Aktualisiert am 25.06.2023Lesedauer: 6 Min.
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Auf dem Rückzug: Als Prigioschin Rostow verlässt, wird er von vielen bejubelt. (Quelle: t-online)
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Der Vormarsch Prigoschins auf Moskau ist beendet, der Wagner-Chef auf dem Weg nach Belarus. Dennoch bleiben Fragen: Was passiert mit seinen Soldaten? Und wie steht es um Putin?

Die Ereignisse in Russland überschlagen sich im Minutentakt. In der Nacht zum Freitag setzte der Chef der Wagner-Söldner seine Truppen in den besetzen Gebieten der Ukraine in Marsch und marschierte in die Stadt Rostow am Don ein. Doch bevor Jewgenij Prigoschin Moskau erreichte, ging er einen Deal mit dem russischen Präsidenten Putin ein. Was wissen wir?

Was ist über die Vereinbarung zwischen Putin und Prigoschin bekannt?

Vieles scheint noch unklar. Bekannt ist, dass die Vereinbarung besagt, dass Prigoschin seine Revolte einstellt und seine Truppen zurückbeordert. "Unsere Kolonnen drehen um und gehen in die entgegengesetzte Richtung in die Feldlager zurück", bestätigte er in einer von seinem Pressedienst auf Telegram veröffentlichten Sprachnachricht. Im Gegenzug wird das Strafverfahren gegen ihn eingestellt. Prigoschin selbst werde nach Belarus gehen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Samstag der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge.

Auch die Kämpfer der Wagner-Truppe sollen angesichts ihrer Verdienste an der Front in der Ukraine nicht strafrechtlich verfolgt werden, wie Peskow weiter erklärte. Laut Beobachtern und Experten könnte es weitere Bestandteile geben, die bislang noch nicht bekannt sind. "Die Einzelheiten der Vereinbarung, die Art und Weise sowie der Zeitplan ihrer Umsetzung, die Ergebnisse für jede Partei und das Ausmaß, in dem sich alle beteiligten Parteien an die Vereinbarung halten werden, sind zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar", schreiben etwa die Experten der US-Denkfabrik Institute for the Study of War.

Es wird etwa spekuliert, ob die Personalie des Verteidigungsministers Sergej Schoigu Teil der Vereinbarung ist. Prigoschin hatte ihn scharf angegriffen und für die vielen russischen Verluste und Rückschläge in der Ukraine verantwortlich gemacht. Nach den Worten des Kreml-Sprechers Dmitri Peskow sind personelle Veränderungen im russischen Verteidigungsministerium nicht Teil der Vereinbarung zur Beendigung des bewaffneten Aufstands von Söldner-Chef Jewgenij Prigoschin. Diese stünden alleine in der Macht des russischen Präsidenten und Oberbefehlshabers der Streitkräfte, Wladimir Putin.

Warum stoppte Prigoschin seinen Vormarsch?

Die Wagner-Truppen standen nach eigenen Angaben bereits 200 Kilometer vor Moskau, als Prigoschin eine Rückkehr befohl. Gesichert ist allerdings nur, dass sie bis rund 330 Kilometer vor Moskau kamen. Zu dem Zeitpunkt traf Prigoschin eine Vereinbarung, die den Angaben zufolge von dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vermittelt wurde – da er Prigoschin seit etwa 20 Jahren persönlich kenne, wie das russische Präsidialamt später mitteilte. Lukaschenko hatte zunächst mit dem Kreml und dann mit Prigoschin telefoniert. Ob damit die Revolte tatsächlich beendet ist, muss sich noch zeigen. Experten hatten bezweifelt, dass Prigoschin tatsächlich bis nach Moskau durchmarschieren könnte.

Der Wagner-Chef selbst sagte, er wolle "weiteres Blutvergießen" verhindern. Ein Grund könnte auch gewesen sein, dass Prigoschin mit mehr Überläufern gerechnet hatte – die aber ausblieben. Der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow hatte 3.000 Kräfte in Richtung der Wagner-Söldner geschickt. Sie seien bereit gewesen, jeden Befehl von Präsident Wladimir Putin auszuführen, berichtet der staatliche tschetschenische TV-Sender Grosny. Zu Kämpfen kam es allerdings nicht.

Wie sicher ist Prigoschin im Exil?

Zwar soll das Strafverfahren gegen Prigoschin eingestellt werden und er nach Belarus ausreisen. Doch Sicherheitsgarantien des Kreml sind mit Vorsicht zu genießen. Lukaschenko ist ein enger Vertrauter und Verbündeter des russischen Präsidenten. Ob Prigoschin wirklich sicher ist, muss sich zeigen. Nachdem er Putin öffentlich kritisiert hatte, dürfte sich sein Verhältnis zum Kremlchef verschlechtert haben.

Unklar ist auch noch, was mit seiner Firma Concord und dem Wagner-Hauptquartier in St. Petersburg geschieht. Lukaschenko hat bislang auch keine Erklärung abgegeben, was genau sein Angebot an Prigoschin beinhaltet – und wie lange er bleiben soll. Der belarussische Diktator hat bislang immer wieder seine Gegner verhaften lassen.

Jill Dougherty, die frühere Leiterin des Moskauer Büros von CNN, sagte dem Sender: "Putin verzeiht Verrätern nicht. Selbst wenn Putin sagt: 'Prigoschin, du gehst nach Weißrussland', ist er immer noch ein Verräter, und ich denke, Putin wird ihm das nie verzeihen". Es sei möglich, dass der Wagner-Chef dort getötet werde, denn solange er lebe und "irgendeine Art von Unterstützung hat, ist er eine Bedrohung, egal wo er ist".

Margarete Klein, Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien am SWP kommt zu einem ähnlichen Schluss. "Belarus ist sicherlich kein sicherer Hafen für Prigoschin", schreibt sie auf Twitter. "Eher wirkt die Ankündigung wie der Versuch, unmittelbar einen gesichtswahrenden Ausweg aus der Krise zu ermöglichen, ohne dass die Konfrontation, von der wir immer noch zu wenig wissen, beendet ist."

Wird der Frieden halten?

Da die Wagner-Truppen aus Rostow am Don abgezogen sind, dürfte zunächst einmal Ruhe einkehren. Doch die Unzufriedenheit der Söldner – und offenbar auch russischer Soldaten – mit der Militärführung in Moskau ist damit nicht verschwunden. Ob Prigoschin im Exil tatsächlich Ruhe gibt, ist ebenfalls fraglich.

Was geschieht mit den Wagner-Soldaten?

Teil der Vereinbarung zwischen Moskau und der Wagner-Gruppe soll sein, dass auch die Söldner straffrei bleiben sollen. "Niemand wird sie strafrechtlich verfolgen", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. "Wir haben immer ihre heldenhaften Taten an der Front respektiert." Man habe einigen, die nicht am Aufstand teilgenommen haben, Verträge in der russischen Armee angeboten, sagte Peskow. "Jetzt läuft eine Demontage von Wagner", schrieb hingegen die Politologin Tatjana Stanowaja in ihrem Telegram-Kanal. "Das Ende von Prigoschin ist auch das Ende von Wagner."

Ob die Söldner weiterhin im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden, ist demnach ebenfalls fraglich. Ein Ausweg könnte Afrika sein: In mehreren Staaten auf dem Kontinent hat Wagner Söldner im Einsatz. Unklar ist derzeit auch, ob die Kämpfer ihrem Anführer nach Belarus folgen dürfen.

Hat Putin gewonnen?

Der russische Präsident hat vorerst eine Revolte gestoppt, den Anführer nach Belarus geschickt und militärische Auseinandersetzungen in Moskau verhindert. Doch das könnte ein Pyrrhussieg sein: Denn die Kritik an der Militärführung kam nicht nur von Prigoschin. Auch eigentlich ihm wohlgesonnene russische Militärblogger und TV-Moderatoren hatten die Strategie im Krieg gegen die Ukraine kritisiert. Hinzu kommt, dass die ukrainische Gegenoffensive zumindest an einigen Stellen Erfolge zeigt.

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Von seinem Ziel einer kompletten Kontrolle der Ukraine ist Putin weiter entfernt denn je. "Was für eine Demütigung für Putin", schreibt etwa Militärexperte Carlo Masala auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Putin habe sich demnach sowohl gegenüber den russischen Bürgern und seinen Vertrauten als auch gegenüber dem Ausland blamiert. "Der Lack ist endgültig ab", sagt Masala.

Welche Auswirkungen haben die Vorfälle auf den Krieg in der Ukraine?

Sollten die Wagner-Soldaten komplett abgezogen werden, fehlen Einheiten im Kriegsgebiet. Prigoschin hatte von 25.000 Soldaten gesprochen, die ihn bei dem mutmaßlichen Putsch unterstützen. Sie hatten zuletzt – mit großen Verlusten – um die Stadt Bachmut gekämpft. Nachdem sie deren Einnahme verkündet hatten, zogen sie ab und überließen die Kontrolle der russischen Armee.

Viele Kämpfer waren in Gefängnissen rekrutiert worden und hatten nur geringe militärische Kenntnisse. Russland wird die Lücke füllen müssen. Der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow hat ebenfalls Soldaten im Kriegsgebiet. Der Kreml betonte, der Aufstand der Wagner-Truppe beeinträchtige "keinesfalls" die russische Offensive in der Ukraine.

Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?

Der amerikanische Außenminister Anthony Blinken führte am Samstag Gespräche mit Verbündeten, unter anderem mit der Türkei und der Ukraine. Blinken bekräftigte, dass sich die Unterstützung der USA für die Ukraine nicht ändern werde. Die Vereinigten Staaten werden in enger Abstimmung mit Verbündeten und Partnern bleiben, während sich die Lage weiterentwickelt.

Die Entwicklung in Russland wurde im Westen aufmerksam verfolgt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ließ sich nach Angaben eines Regierungssprechers "laufend unterrichten". Er beriet sich auch mit US-Präsident Joe Biden, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem britischen Premier Rishi Sunak. Im Auswärtigen Amt kam ein Krisenstab zusammen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach demnach mit ihren Kollegen aus den anderen G7-Staaten über die Lage. Sie verkürzte ihre Südafrika-Reise.

Wie geht es weiter in Russland?

Die rasche Eskalation in der Nacht zum Samstag hat gezeigt, dass sich die Lage in Russland kurzfristig ändern kann. Mit der Vereinbarung hat der russische Präsident zwar erst einmal seine Position gesichert. Dennoch dürften die Rufe nach Veränderung, zumindest in der Militärführung, damit nicht aufhören.

Sollte die ukrainische Gegenoffensive erfolgreich sein, könnte die Kritik auch an Putin selbst größer werden. Selbst wenn der Kreml zunächst versicherte, dass es derzeit keine Veränderung in der Militärführung geben wird, sind die Augen auf Verteidigungsminister Sergej Schoigu und seine Zukunft gerichtet.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
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