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Die 100-Milliarden-Euro-Reform der Bundeswehr: Viele fühlen sich überrumpelt


100 Milliarden Euro für die Bundeswehr
Wer braucht goldene Panzer?


Aktualisiert am 01.03.2022Lesedauer: 6 Min.
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Panzergrenadiere werden aus dem Schützenpanzer Puma bei Schneeschauer abgesetz: Die deutsche Bundeswehr soll wesentlich besser ausgestattet werden als bisher.Vergrößern des Bildes
Panzergrenadiere werden aus dem Schützenpanzer Puma bei Schneeschauer abgesetz: Die deutsche Bundeswehr soll wesentlich besser ausgestattet werden als bisher. (Quelle: imago-images-bilder)

Geld soll künftig nicht mehr das Problem sein. Für die Bundeswehr klingt das gut, doch Insidern ist klar: Nur mit mehr Milliarden lassen sich die Mängel nicht beheben.

Wenn man Johannes Arlt eine Weile zuhört, glaubt man irgendwann: Er erzählt von einer gelähmten Behörde – und nicht von einer einsatzfähigen Truppe.

Arlt sagt Sätze wie: "Es gibt Kameraden, die kommandieren 1.000 Mann, aber wenn sie eine Bohrmaschine brauchen, können sie die nicht einfach bestellen." Er spricht über Ausschreibungen für neue Waffensysteme, wo "wir Deutschen es besonders korrekt machen wollen und die Verfahren deshalb extrem lang sind." Und er erinnert an die Geschichte aus Afghanistan, wo die Bundeswehr Autos stilllegen musste, weil der TÜV abgelaufen war.

Die deutsche Armee soll im Zweifel das Land verteidigen, aber sie verliert sich auch in Bürokratie. Der 37-jährige Arlt, der für die SPD im Bundestag sitzt, kennt die Streitkräfte seit fast 20 Jahren. Er ist sich deshalb sicher: "Die Bundeswehr braucht auch einen Mentalitätswandel."

"Mehr Geld allein hilft uns nicht"

Welche Rolle spielt dabei der Geldmangel? "Natürlich ist der auch ein Problem. Aber mehr Geld allein hilft uns nicht. Wir müssen es auch besser ausgeben", sagt Arlt. Frankreich investiere nicht deutlich mehr als Deutschland in die Verteidigung, sei aber Atomstreitmacht, habe einen Flugzeugträger und mehr einsatzfähige Leute. Woanders läuft es besser – das ist auch ein Teil der Botschaft.

Doch das soll sich nun ändern, wenn es nach Olaf Scholz geht. Der Kanzler vollzog am Sonntag eine abrupte Wende in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Künftig soll nicht mehr gekleckert, sondern geklotzt werden.

Deutschland will die Ziele übererfüllen

Zumindest Geld dürfte für den Verteidigungshaushalt, der in den kommenden Jahren eigentlich wieder schrumpfen sollte, von nun an keine Rolle mehr spielen. Ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro wird der Bundestag wohl bald bewilligen. Zusätzlich könnte schon in diesem Jahr der entsprechende, reguläre Etat von rund 50 auf mehr als 65 Milliarden Euro steigen. Die Botschaft: Deutschland will seine Zusage an die Nato, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in Verteidigung zu investieren, ab sofort sogar übererfüllen.

All dies ist eine Reaktion darauf, dass es wieder Krieg in Europa gibt, dass der Traum von dauerhaftem Frieden nach 1989 eine Illusion war. Alte, geostrategische Gewissheiten wanken. Auch eine Attacke Russlands auf die Nato-Länder gilt nicht mehr als ausgeschlossen. Deshalb soll, praktisch im Hauruck-Verfahren, die Bundeswehr fit gemacht werden.

Weil die deutschen Streitkräfte bislang einen beträchtlichen Prozentsatz ihrer Mittel für Personal und den laufenden Betrieb ausgeben, bleibt ihnen wenig Geld für Investitionen. Deshalb ist die Bundeswehr eine Armee, die zwar viele Flugzeuge, Panzer und Marineschiffe hat. Aber nur wenige, die auch fliegen, fahren oder in See stechen können.

Das soll sich mit dem 100-Milliarden-Euro-Segen ein für alle Mal ändern: Die Bundeswehr soll moderneres und damit einsatzfähiges Material erhalten. Doch bis das deutsche Militär wieder schlagkräftig ist, wird trotz des politischen Willens noch viel Zeit vergehen.

Zum einen ist noch gar nicht sicher, wie die Finanzspritze für die Bundeswehr genau umgesetzt wird. Zum anderen ist offen, wie die Truppe schnell und effizient verbessert werden kann. 100 Milliarden, das ist auch für die Bundeswehr viel Geld. Nur: Die maroden Panzer zu vergolden, das helfe niemandem, heißt es lakonisch in Berlin.

Viele fühlen sich überrumpelt

Zunächst gilt es für Scholz, das zusätzliche Geld überhaupt auf den Weg zu bringen: Der Plan dafür ist, den Bundeshaushalt 2022 mit einem sogenannten "Sondervermögen Bundeswehr" auszustatten. Dahinter verbirgt sich eine zusätzliche, einmalige Kreditaufnahme, die sich die Ampelkoalition leistet. Problemlos möglich ist das in diesem Jahr, weil die Schuldenbremse wegen der Corona-Pandemie noch ausgesetzt ist. Die Regierung will sich also mit einem Mal hoch verschulden, das Geld aber erst nach und nach ausgeben.

Und trotzdem: Auch wenn der Angriffskrieg von Wladimir Putin viele Skeptiker überzeugt hat: Der Plan für die abrupte Milliardenspritze war so brisant, dass Scholz nur einen kleinen Kreis einweihte. Der Finanzminister musste mitmachen, klar. Doch selbst die Grünen-Spitze wusste offenbar nur, dass es ein Sondervermögen geben sollte, war über die Höhe aber wohl nicht vollumfänglich eingeweiht. Von all den Abgeordneten der Koalition ganz zu schweigen. "Das kam schon ganz schön überraschend", heißt es im Bundestag.

In der Koalition tragen trotz der Überrumpelungsstrategie viele den Plan trotzdem mit. Einige zwar nur zähneknirschend, wie die Grüne Jugend und Teile der SPD. Andere dagegen eher freudig, wie etwa die Liberalen. Bei der FDP heißt es schon, man sei politisch etwa wieder auf dem Stand des 8. November 1989, also einen Tag vor dem Mauerfall. Nur, dass der Zustand dieses einen Tages im Kalten Krieg die nächsten Jahre andauern könnte. Da dürfe man nicht einfach die Bundeswehr ein kümmerliches Dasein fristen lassen.

Doch der intern bereits als "Schattenhaushalt" benannte Kredit soll mit einer Grundgesetzänderung festgezurrt werden – wobei die Ampelregierung angesichts der benötigten Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat auf die Unterstützung der Union angewiesen ist. Geschickterweise ist die Opposition so aber gleich eingebunden.

Die Chefin des Wirtschaftsflügels der CDU, Gitta Connemann, sagt t-online: "Eine Änderung des Grundgesetzes für das angekündigte 100-Milliarden-Sondervermögen wird nicht an der Union scheitern – sofern diese Mittel für die Ausstattung und Modernisierung der Bundeswehr zweckgebunden sind. Die Mittel müssen unantastbar sein." Bei den Christdemokraten warten viele erst mal auf die genauen Vorschläge der Ampelregierung.

Die Wunschliste ist lang

Michael Schrodi, finanzpolitischer Sprecher der SPD, sagt, man tue zwar alles für eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr, doch "nur Geld zur Verfügung zu stellen, wird nichts helfen, es muss schon auch effizienter eingesetzt werden, das werden wir in den nächsten Wochen im Parlament und in den Ausschüssen intensiv beraten."

Die Beschaffung ist auch so ein leidiges Thema bei der Bundeswehr. Immerhin gibt es im Verteidigungsministerium seit Langem eine "Wunschliste", die ständig erweitert wird. Am Montag sollte die aktuelle Fassung an Ministerin Lambrecht übergeben werden. Während die Ampelkoalition noch nicht genau weiß, wie sie den Sonderhaushalt auf den Weg bringen soll, hat die Truppe die Milliarden offenbar schon weitgehend verplant.

Besonders sehnsüchtig hoffen viele Soldaten unter anderem auf einen schweren Transporthubschrauber, mit dem sich Menschen aus Krisengebieten retten lassen. Auch die Tornado-Flotte der Luftwaffe und der Schützenpanzer Puma sollen erneuert werden. Diese drei Maßnahmen allein könnten ersten Einschätzungen zufolge rund 25 Milliarden Euro verschlingen.

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Doch die Beschaffung ist ein langwieriger Prozess. Vieles muss bei den Herstellern direkt geordert werden. "Das ist nicht wie bei VW, wo man zum Hersteller fährt, der Autos vorrätig hat – und man muss nur noch die Sonderwünsche wie Sitzheizung angeben", sagt ein Insider der Bundeswehr: "Die meisten Rüstungsgüter werden erst produziert, wenn der Vertrag unterzeichnet ist."

Der "Wasserkopf" ist ein großes Problem

Zumal die zusätzlichen Milliarden auch neue Probleme schaffen. Viele Euros erhöhen nicht unbedingt die Effizienz. "Wenn wir künftig viel mehr Geld haben, müssen wir aber auch aufpassen, dass wir künftig viele Produkte von der Stange kaufen, die schnell einsatzbereit sind", sagt der sozialdemokratische Verteidigungspolitiker Arlt. Außerdem müssten bessere Verträge mit der Industrie geschlossen werden, die die Verfügbarkeit des Materials in der Truppe garantierten.

Ein grundsätzliches Problem seitens der Bundeswehr ist ihr "Wasserkopf": Auch der gesamte Beschaffungsprozess gilt als überreguliert. Kritiker werfen dem zuständigen Amt in Koblenz seit Langem vor, mitverantwortlich dafür zu sein, dass die Auslieferung von Gütern oft enorm lang dauert. In einem ersten Schritt sollen Kommandeure deshalb künftig über Beträge von bis zu 5.000 Euro bestimmen dürfen und der Beschaffungsstelle damit kleinteilige Anträge abnehmen.

Wie die 100 Milliarden innerhalb der Bundeswehr am Ende insgesamt verteilt werden, ist eh noch offen. Denkbar ist eine Art Extra-Stab, ähnlich wie in der Corona-Pandemie im Kanzleramt. Dieses Mal soll jedoch kein Virus im Zaum gehalten werden, sondern die Bürokratie innerhalb der Streitkräfte.

Einer, der die Bundeswehr besser kennt als die meisten, ist Peter Tauber. Der frühere CDU-Generalsekretär war von 2018 bis zum April vergangenen Jahres Staatssekretär im Verteidigungsministerium.

"Das ist ein riesiger Irrglaube"

Er hält einen grundsätzlichen Wandel in Deutschland für nötig, wenn man die Armee erfolgreich reformieren will: "Es reicht nicht, 100 Milliarden Euro auszugeben, wir müssen eine wehrfähige Gesellschaft werden, die die Bundeswehr unterstützt und nicht ständig versucht, eine Armee wie ein Unternehmen zu organisieren." Als Beispiel nennt Tauber die "Soldatenarbeitszeitverordnung". Diese Regelung sorgt selbst in der Grundausbildung dafür, dass um 16.30 Uhr zwangsläufig Dienstschluss ist. Viele in der Truppe schüttelten darüber den Kopf.

Das ist das Risiko der plötzlichen 100 Milliarden: Sie werden in alten Strukturen ausgeben – und sonst ändert sich nicht viel.

Auch unabhängig davon wird es noch dauern, bis das Sondervermögen sichtbar wird. Vor April sei nicht mit einer Freigabe der Gelder zu rechnen, heißt es bei Ampelpolitikern. Und auch danach müssten zunächst "Verträge abgeschlossen werden, dann müssen die bestellten Waffensysteme gebaut werden und anschließend die Soldaten noch an ihnen geschult werden", sagt FDP-Verteidigungspolitiker Marcus Faber. Der SPD-Politiker Wolfgang Hellmich sagt: "Wenn wir sehr ehrgeizig sind, und in diesem Fall würde uns dieser Ehrgeiz sehr gut stehen, dann schaffen wir das in einer Legislaturperiode."

Das wären noch mehr als drei Jahre, mindestens. Und es könnten unsichere Jahre werden. Auf die Frage, ob sich durch die zusätzlichen 100 Milliarden eine russische Invasion zeitnah bekämpfen lasse, antwortet ein Insider der Bundeswehr nur: "Das ist ein riesiger Irrglaube."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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