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Wladimir Putin zwingt die Deutschen zu Anpassungen, die keiner wollte


Angriff auf die Ukraine
Putins Krieg hat Folgen für Deutschland in fünf Ebenen

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

28.02.2022Lesedauer: 4 Min.
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Ukraine-Krieg: Kanzler Scholz macht Präsident Putin Vorwürfe und findet deutliche Worte zum Krieg in der Ukraine. (Quelle: reuters)

Verspätet, aber konsequent richtet sich Deutschland auf historische Veränderungen ein. Dazu gehören die Aufrüstung der Bundeswehr und das Ende einer moralisch bestimmten Außenpolitik.

"Wenn unsere Welt eine andere ist, dann muss auch unsere Politik eine andere sein", hat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gesagt und Recht hat sie. Die andere Welt verlangt der Regierung und auch uns Veränderungen ab, die wir gerne vermieden hätten, aber nicht vermeiden können.

Dafür sorgt Wladimir Putin, der nicht nach Lenin oder Stalin aussieht, sondern sie nur imitiert. Auch wenn es auf mittlere Sicht so sein mag, dass er mit dem Angriff auf die Ukraine sein Ende einläutet, bleibt uns erst einmal sein ungeheurer Satz im Gedächtnis: Wer ihm Widerstand leistet, und damit sind Europa und die Nato gemeint, dem droht er Atomschläge an. Soweit würde er gehen. So viel muss man ihm zutrauen.

Die Bundesregierung hat gestern alles Zögernde, alles Mehltauige, das vor allem den Kanzler umflorte, hinter sich gelassen. Die Lieferung von 1.000 Panzerabwehrraketen und 500 Boden-Luft-Raketen ist mehr als ein Anfang. Von jetzt an müssen wir wieder in militärischen Kategorien und Waffensystemen denken. Die alte Welt zieht uns in ihren Bann.

Der ewige Krieg in Syrien trudelt aus, Afghanistan ist wieder weit weg, aber Europa wird auf unabsehbare Zeit zum neuen Krisenfall mit Weiterungen, die von Wladimir Putin abhängen und niemandem sonst. Damit erlegt er Deutschland Anpassungen auf, die sich im Handeln und Denken auf fünf Ebenen auswirken.

Die fünf Ebenen

1. Ebene: 100 Milliarden Euro bekommt die Bundeswehr, damit sie mehr als bedingt abwehrbereit sein kann. Über die politisch gewollte Vernachlässigung ließe sich manches sagen, auch über die Haltung der Gesellschaft gegenüber ihren Soldaten, aber egal: Wichtiger ist jetzt, dass wir sicherheitshalber wieder ein Land mit ernsthafter Landesverteidigung und einem ernsthaften militärischen Beitrag zum Bündnis sein wollen.

Es ist ja gut möglich, dass Russland nach der Ukraine irgendwann ein Nato-Land angreift, zum Beispiel im Baltikum. Dann würde Artikel 5 in Kraft treten, wonach der Angriff auf ein Land mit dem Angriff auf alle gleichgesetzt wird. So ungeheuer der Gedanke ist, dass Deutschland in einen Krieg eintritt, müssen wir jetzt das Ungeheure für möglich halten.

2. Ebene: Bald dürfte die Frage auftauchen, ob es eigentlich klug gewesen ist, die Wehrpflicht aufzugeben, und ob es nicht sinnvoll wäre, sie wieder einzuführen. Die Antwort der Regierung wird vermutlich von der öffentlichen Stimmung abhängen. Das Moralisieren, das die deutsche Außenpolitik auszeichnet, spiegelt ja nur die öffentliche Haltung wider. Gut möglich, dass sich diese pazifistisch bestimmte Grundhaltung, die eine Konsequenz aus der deutschen Vergangenheit ist, nun wandelt. Gestern durften Drohnen nicht bewaffnet werden, heute wird die Bundeswehr mächtig nachgerüstet. So grundstürzend kann es zugehen.

3. Ebene: Ohne Amerika ist Europa im jetzigen Zustand nicht verteidigbar. So war es im alten Kalten Krieg, so ist es im neuen kalten Krieg, der nicht nur kalt ist. Klugerweise ließ Joe Biden die Atomdrohung Putins unkommentiert stehen. Aber wie wird sich Amerika verhalten, wenn der Ernstfall im Baltikum wirklich eintreten sollte?

Irak und Syrien, Afghanistan und Libyen: Fehleinschätzungen und Fehlschläge – en bloc raus, nicht wieder irgendwo rein. Und trotzdem Europa militärisch beistehen? Vielleicht ja, aber darauf verlassen? Auf Dauer muss Europa ohne die konventionelle und atomare Schutzmacht auskommen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron empfahl vor zwei Jahren den Aufbau einer europäischen Armee. Deutschland und Frankreich müssen auch hier die Welt endlich neu denken, wobei Polen oder Ungarn diesmal nicht querschlagen werden.

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4. Ebene: In der Regierung müssen die Sozialdemokraten weitreichende Entscheidungen treffen. Sie sind mit einem ehemaligen Bundeskanzler geschlagen, der in russischem Sold steht. Solange Putin herrscht, kann kein Gas durch Nord Stream 2 fließen. Den Schaden hat Mecklenburg-Vorpommern und vor allem Manuela Schwesig, die unter fadenscheinigem Vorwand sogar eine Gazprom-finanzierte Stiftung einging und sich damit ins Unrecht setzte. In der SPD müssen etliche Leute in sich gehen. Und der Vorsitzende Lars Klingbeil, der bis gerade eben in der Sonne stand, muss seine Partei neu ausrichten.

5. Ebene: Zum zweiten Mal müssen die Grünen Entscheidungen treffen, die mit Krieg einhergehen. Damals 1999 der Kosovo-Krieg, heute 2022 die Ukraine und was sonst noch kommen mag. Gut möglich, dass es ihnen am Ende so ergehen wird wie zuvor der SPD und der CDU/CSU: Abspaltung durch Regierungshandeln. Traditionell stehen die Grünen den Anti-Kriegs-Demonstranten nahe, die sich gestern in großer Zahl in Berlin auf der Straße waren. Eine der Hauptreden hielt Luisa Neubauer, eine Ikone der Fridays-for-Future-Bewegung. Um sie könnten sich grüne Gegner der grünen Partei versammeln.

Transformation war bisher ein Begriff aus der Ökologie. Neues Denken. Transformation ist nun kein grünes Monopol mehr.

Das alte Denken meldet sich machtvoll zurück. Leider.

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