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Angriff auf die Ukraine: Zwei Wochen Krieg – und jetzt?


Angriff auf die Ukraine
Zwei Wochen Krieg – und jetzt?

Von dpa
09.03.2022Lesedauer: 5 Min.
Irpin in der Nähe von Kiew: Ein Angehöriger der ukrainischen Territorialen Verteidigungskräfte umarmt einen Bewohner, der seine Heimatstadt nach russischem Artilleriebeschuss verlässt.Vergrößern des BildesIrpin in der Nähe von Kiew: Ein Angehöriger der ukrainischen Territorialen Verteidigungskräfte umarmt einen Bewohner, der seine Heimatstadt nach russischem Artilleriebeschuss verlässt. (Quelle: Oleksandr Ratushniak/AP/dpa-bilder)

Am 24. Februar sprach der russische Präsident Wladimir Putin in einer Rede von einer "Militäroperation". Was folgte, ist Krieg – Zerstörung, Flucht und Tod, und die Frage: Wie geht es jetzt weiter? Eine Bilanz.

Seit zwei Wochen ist Krieg in Europa. Russland griff am frühen Morgen des 24. Februar die Ukraine aus mehreren Richtungen an. Die USA und ihre Verbündeten antworteten mit harten Strafmaßnahmen auf das Vorgehen des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Bislang gibt es wenig Hoffnung auf ein Ende des Krieges, der Hunderttausende in die Flucht treibt und Leid, Tod, Zerstörung bringt.


Zwei Kriegswochen aus unterschiedlichen Perspektiven:

Wie weit will Russlands Präsident Putin gehen?

Befürchtet wird vom Westen, von der Ukraine und auch von vielen Menschen in Russland, dass der Kremlchef versuchen könnte, mit den Streitkräften das gesamte Nachbarland zu besetzen. Militärexperten sind sich einig, dass dafür Hunderttausende Soldaten nötig wären. Putin selbst sagt, es gehe ihm nicht um eine Besetzung. Nach Berichten über Verluste und Probleme bei der Invasion erklärte er, dass alles nach Plan und auch im vorgesehenen Zeitrahmen laufe.

Der Präsident bekräftigt immer wieder die angeblichen Ziele der "militärischen Spezial-Operation", die nicht Krieg genannt werden darf in Russland. Demnach geht es ihm um eine "Entmilitarisierung" der Ukraine und um eine Säuberung der Führung in Kiew von "nationalistischen" und vermeintlich russlandfeindlichen Kräften.

Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, dass bisher rund 2.500 ukrainische Militärobjekte zerstört worden seien. Kremlsprecher Dmitri Peskow betonte am Mittwoch erneut, dass die Ukraine für ein Ende des Kriegs die Regionen Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten sowie die Zugehörigkeit der Schwarzmeer-Halbinsel Krim zu Russland anerkennen müsse. Verpflichten müsse sich die Ukraine auch, auf eine Nato-Mitgliedschaft zu verzichten. Moskau betont immer wieder, sich trotz des wachsenden Drucks der Sanktionen nicht vom Kurs abbringen zu lassen.

Wo steht der ukrainische Präsident?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich mit Einsatz und Beharrlichkeit neuen Respekt in der Ukraine, auch bei einstigen Gegnern, erworben. Aktuell ist der frühere Schauspieler, der viele Jahre einen Präsidenten in einer Comedy-Serie spielte, der unumstrittene Anführer des Landes. Der 44-Jährige selbst entwirft in seinen täglichen Botschaften bereits Wiederaufbaupläne angesichts der Zerstörungen.

"Es wird einen neuen Marshallplan für die Ukraine geben", versichert der Staatschef. Milliarden sollen – wie nach dem Zweiten Weltkrieg für Westeuropa – auch in die Ukraine fließen. "Wir haben standgehalten und wir wissen, wie wir unser Land wieder aufbauen werden", lautet seine Botschaft. Eine Kapitulation lehnt er kategorisch ab.

Wie kann Polen dauerhaft den Flüchtlingen helfen?

Nach Angaben des polnischen Grenzschutzes sind bereits mehr als 1,3 Millionen Flüchtlinge im Land eingetroffen. Unklar ist, wie viele in andere EU-Länder weiterreisen. Nach Beobachtungen des UN-Flüchtlingswerks (UNHCR) will eine überwiegende Mehrheit zunächst in Polen bleiben.

Bereits seit vielen Jahren leben, arbeiten und studieren in Polen etwa 1,5 Millionen Ukrainer, und viele der jetzt Geflüchteten haben Verwandte in dem Nachbarland, bei denen sie unterkommen können. In der Bevölkerung gibt es eine überwältigende Hilfsbereitschaft. Viele stellen kostenlos Wohnraum bereit, andere helfen mit Sachspenden.

Die Regierung in Warschau hat ein Gesetzespaket mit Hilfen auf den Weg gebracht. Das sieht unter anderem vor, dass die Geflüchteten eine Aufenthaltsgenehmigung für 18 Monate bekommen, die bei Bedarf um weitere 18 Monate verlängert werden kann. Damit könnten die Geflüchteten arbeiten. Polen hat Arbeitskräftemangel in vielen Branchen.

Was haben die USA als Anführer der westlichen Welt erreicht?

Präsident Joe Biden und seine Regierung warnten über Wochen in zunehmend dramatischer Tonlage und erstaunlicher Detailgenauigkeit vor der Invasion. Sie legten in ungewöhnlicher Weise Informationen der Geheimdienste offen – und lagen am Ende erschreckend richtig. Nach dem außenpolitischen Debakel beim Afghanistan-Abzug, das das Ansehen Bidens und der USA angekratzt hat, ist die Krise mit Russland nun eine Möglichkeit für ihn, Stärke zu zeigen.

Die US-Regierung, die EU und andere westliche Partner haben beispiellose Sanktionen gegen Russland verhängt. Die Amerikaner schreiten voran. Auch die Nato-Partner demonstrieren große Geschlossenheit. Das Weiße Haus verbucht das vor allem als Bidens Verdienst und als Zeichen seiner Führung.

Der Demokrat bietet Putin die Stirn, ohne sich in eine Spirale rhetorischer Eskalation zu begeben. Auf die unverhohlene Nuklear-Drohungen des Kremlchefs reagiert Biden betont ruhig, und er lässt sein Team Tag und Tag betonen, die USA wollten sich nicht in direkte Kampfhandlungen mit Russland verwickeln lassen. Einen Weltkrieg will Biden mit aller Kraft vermeiden. Er setzt auf Sanktionen, Strafen und eine maximale Isolation Russlands auf der Welt.

Offen ist aber, wie sich die Krise am Ende innenpolitisch für Biden auswirken wird – wenn Benzinpreise und Inflation weiter steigen. Im November stehen Kongresswahlen an, und Bidens Demokraten droht der Verlust der Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments. Bislang ist die Mehrheit der US-Bevölkerung einer aktuellen Umfrage zufolge gewillt, höhere Kosten aus Solidarität mit der Ukraine zu tragen.

Kann Deutschland auf russisches Gas verzichten?

Deutschland verurteilt den Krieg energisch, die Anteilnahme ist groß, und die Energie- und vor allem die Spritpreise explodieren. Können Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) so gegensteuern, dass es nicht zu so massiven Folgen für die Verbraucher kommt, dass die Stimmung im Land kippt?

Sanktionen sollen Russland schmerzen, müssen für Deutschland aber durchzuhalten sein – so erklären es Regierungsvertreter in Berlin seit Tagen. Ein Verzicht insbesondere auf russische Gasimporte könnte gesamtwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Schäden "schwersten Ausmaßes" haben, warnt Habeck. Das könne auch Rückhalt in der Bevölkerung kosten, so die Befürchtung.

Für die letzten kalten Wochen dieses Winters reichen die Gasvorräte, auf die Dauer soll der massive Ausbau erneuerbarer Energien Deutschland unabhängiger machen. Sorge hat Habeck mit Blick auf die Zeit dazwischen und den kommenden Winter. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums liegt der Anteil russischer Importe an den fossilen Gasimporten bei rund 55 Prozent, bei Kohle bei rund 50 Prozent und bei Rohöleinfuhren bei rund 35 Prozent.

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Wie gravierend genau ein gewollter oder ungewollter Verzicht auf russisches Gas wäre, das müsste sich erweisen. Sollte es knapp werden, müsste zuerst die Wirtschaft verzichten, um Haushalte zu schonen.

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle argumentiert, mit Sofortmaßnahmen wie der Beschaffung von Flüssiggas (LNG) auf dem Weltmarkt durch die EU, mehr Kohleverstromung und Entlastungen für Bürger und Wirtschaft lasse sich einiges auffangen.

Auch die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erklärt, ein Stopp jeglicher Energielieferungen aus Russland könne mit Importen aus anderen Ländern, erneuerbaren Energien und Energiesparen ausgeglichen werden.

Kann Europa als Ganzes das Sanktionsregime langfristig durchhalten?

Wohl noch nie zuvor in ihrer Geschichte hat die Europäische Union so schnell und entschlossen scharfe Sanktionen verhängt. Das sei historisch, lobte US-Außenminister Antony Blinken jüngst den oft als zaudernd charakterisierten Partner. Offen ist, ob die EU den Kurs durchhalten kann.

Sollten die russischen Angriffe auf ukrainische Städte noch grausamer und zerstörerischer werden, wird der Druck auf die EU steigen, bislang nicht genutzte Sanktionsoptionen zu nutzen. Dazu gehört ein Importverbot für russisches Öl und Gas. Dieser Schritt würde für Russland Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe bedeuten, könnte aber gleichzeitig explodierende Energiepreise in der EU zur Folge haben.

Wie groß ist die Gefahr, dass die Nato in den Konflikt gezogen wird?

Für die Nato ist der Umgang mit Russlands Krieg ein Drahtseilakt. Auf der einen Seite will das stärkste Militärbündnis der Welt zeigen, dass es das Partnerland Ukraine nicht im Stich lässt. Auf der anderen Seite macht es deutlich, dass es nicht bereit ist, durch militärisches Einschreiten einen dritten Weltkrieg zu riskieren.

"Wir haben als Nato-Verbündete die Verantwortung, eine Eskalation dieses Krieges über die Ukraine hinaus zu verhindern, denn das wäre noch gefährlicher, verheerender und würde noch mehr menschliches Leid verursachen", sagte jüngst Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Ob das gelingt, ist offen, da etliche Nato-Staaten die ukrainischen Streitkräfte auf Basis von bilateralen Vereinbarungen mit Waffen unterstützen. Niemand könne genau vorhersagen, wie Putin reagieren werde, wenn ihm gesagt werde, dass Dutzende seiner Panzer in der Ukraine durch deutsche Panzerabwehrwaffen eliminiert würden, heißt es in Bündniskreisen. Das alles sei ein Ritt auf der Rasierklinge.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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