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Ukraine-Krieg: Was ist dran am russischen Rückzug?


Die Strategie Moskaus
Was ist dran am russischen Rückzug?

dpa, Carsten Hoffmann, Andreas Stein

01.04.2022Lesedauer: 4 Min.
Ukrainischer Soldat auf einer Straße bei Kiew: Das russische Militär zieht sich zurück – vorerst.Vergrößern des BildesUkrainischer Soldat auf einer Straße bei Kiew: Das russische Militär zieht sich zurück – vorerst. (Quelle: dpa-bilder)
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Seit mehr als fünf Wochen herrscht Krieg in der Ukraine. Für die Hauptstadt Kiew scheint der Einmarsch gescheitert – doch für den Süden und Osten des Landes ist die Gefahr größer als je zuvor. Was plant Putin?

Die ukrainische Hauptstadt Kiew kann sich in der sechsten Woche des Krieges erstmal aus einer versuchten Umklammerung durch russische Truppen befreien. Die militärisch bislang gescheiterten Angreifer scheinen sich, wie von Moskau angekündigt, aus dem Gebiet der Metropole komplett zurückzuziehen – und auch aus dem nördlich gelegenen Tschernihiw. Von Entspannung kann dennoch keine Rede sein. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg brachte es auf eine einfache Formel: "Nach unseren Geheimdienstinformationen ziehen sich russische Einheiten nicht zurück, sondern positionieren sich neu."

Erwartet wird, dass das russische Militär seine Kräfte sammelt, auffrischt und dann in den Kampf schickt. Dafür spricht auch, was britische Militärs beobachten: Aus den abtrünnigen georgischen Gebieten Abchasien und Südossetien wird Verstärkung herangeführt, um die bisher erlittenen Verluste der Russen auszugleichen. Auch dass Russland im Westen der Ukraine Tanklager und Nachschublinien attackiert, um die Ukraine militärisch zu schwächen, passt nach Angaben von Militärexperten zu dieser Strategie.


Zugleich beobachten westliche Diplomaten, dass die russischen Gespräche mit der Ukraine "wenig unterfüttert seien" – also vom Inhalt und der Besetzung her womöglich nicht auf eine Lösung am Verhandlungstisch abzielen.

Unvermögen zum Plan umgedeutet

Die russische Militärführung hat erklärt, dass sich ihre Truppen nun mehr auf die komplette Eroberung der ostukrainischen Gebiete Luhansk und Donezk konzentrieren sollen. Das Unvermögen, die Hauptstadt einzunehmen, wird zum Plan umgedeutet: Ziel der ersten Etappe sei es gewesen, "den Gegner zu zwingen seine Kräfte, Mittel, Ressourcen und Militärtechnik für den Halt großer Siedlungen, einschließlich Kiews, zu konzentrieren."

Auch das Pentagon bestätigt einen Rückzug russischer Soldaten aus dem Gebiet Kiew ins benachbarte Belarus. "In den vergangenen Tagen haben wir begriffen, was für eine starke und große Gruppierung sich vor Kiew befand", sagte dazu der ukrainische General Olexander Pawljuk.

Ukraine meldet Rückeroberungen

Kurz zuvor hatte das ukrainische Militär bereits die Rückeroberung des Kiewer Vororts Irpin gemeldet. Ebenso erfolgreiche ukrainische Vorstöße gab es demnach im Gebiet Dnipropetrowsk, bei denen russische Einheiten in die benachbarte Region Cherson zurückgedrängt worden seien. Eine unmittelbare Bedrohung der Großstadt Krywyj Rih sei abgewendet worden. Kleinere Erfolge wurden ebenso aus dem Gebiet Saporischschja gemeldet. Dazu haben die ukrainischen Truppen westlich und östlich der ostukrainischen Großstadt Charkiw mehrere Orte zurückerobert.

Das aktuelle Hauptziel der russischen Truppen bleibt dabei die seit Anfang März eingeschlossene Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer. Russischen Angaben nach wurden dabei die ukrainischen Kräfte bereits zweigeteilt. Unter russischer Kontrolle soll sich mehr als die Hälfte der Großstadt mit einst 440.000 Menschen befinden, darunter auch Teile des Zentrums um das schwer zerstörte Stadttheater. Auf ukrainischer Seite wird damit gerechnet, dass frische russische Kräfte die Kämpfe intensivieren – einschließlich verstärktem Einsatz von Luftwaffe und Artillerie.

"Dort wird die Hauptschlacht stattfinden"

Die russischen Truppenverlegungen dürften auch zu größerem Kräfteeinsatz im übrigen Teil der Gebiete Donezk und Luhansk führen. "Dort wird die Hauptschlacht dieses Krieges stattfinden, die den weiteren Verlauf der Ereignisse in der Ukraine definieren wird", sagte der ukrainische Militärexperte Oleh Schdanow im Staatssender Dom.

Ziel bleibt es dort offenkundig, die ukrainischen Einheiten um die Städte Slowjansk und Kramatorsk im Gebiet Donezk und Sjewjerodonezk und Lyssytschansk im Luhansker Gebiet einzukesseln. Damit sollen die kampfkräftigsten Teile der ukrainischen Streitkräfte ausgeschaltet und die Regierung in Kiew zu Zugeständnissen bei den zeitgleich stattfindenden Friedensverhandlungen gezwungen werden.

Doppelstrategie aus Krieg und Konferenztisch

"Wer redet, schießt nicht", hatte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock noch im Januar in einem Interview gesagt. Der Satz drückt eine Hoffnung aus, die enttäuscht wurde – allerdings schon im Kosovo, in Syrien, im Jemen und in fast allen kriegerischen Konflikten. Im Gegenteil scheint Putin seine Gegner nach einer Phase strategischer Fehlentscheidung in Unklarheit über seine Ziele lassen zu wollen – und auf eine Doppelstrategie aus Krieg und Konferenztisch zu setzen.

Sollte er seine Donbass-Pläne umsetzen können, besteht weiterhin die Gefahr eines Vorstoßes entlang der Schwarzmeerküste in Richtung Odessa, um der Ukraine den Meereszugang zu nehmen und eine Verbindung in Richtung des international nicht anerkannten Transnistriens in der Republik Moldau herzustellen. Und er kann zum wichtigen Strom Dnipro vordringen und danach eine Offensive nach Norden zur Eroberung Kiews starten lassen.

Parallel zu den Bodenkämpfen setzt Russland die Raketen-Angriffe aus der Luft und von See aus fort. Neu ist dabei, dass nun vor allem Tanklager und auch Munitionsdepots bis in die Westukraine gezielt zerstört werden. Doch auch Objekte der ukrainischen Rüstungsindustrie sind weiter Ziel der Attacken – und das durchaus mit Erfolg. Der Präsidentenberater Olexij Arestowytsch konstatierte schon am Mittwoch: "Sie haben praktisch unsere Rüstungsindustrie vernichtet und erledigen in vielen Bereichen unsere zivile Industrie."

"Auch frische Kräfte komme nicht in die Stadt rein"

Zwar könne Putin das Militär neu gruppieren, sagt der frühere Nato-General Hans-Lothar Domröse der Deutschen Presse-Agentur. Allerdings müsse der russische Präsident erkannt haben, dass er die Hauptstadt nicht erobern könne. "Auch neue, frische Kräfte kommen nicht in die Stadt rein." Domröse hält es für wahrscheinlich, dass Putin an einem Punkt versuchen wird, Gebietsgewinne als Sieg zu verkaufen.

"Ein zweites Syrien wird es nicht geben, das halten beide Seiten nicht durch. Die Menschen verhungern und verdursten in Mariupol, der ukrainische Präsident immer in seinem Bunker", sagt Domröse. "Und auch die Russen haben Verlust, nach britischen Informationen etwa weit über 10.000 Tote in den ersten vier Wochen. Das ist das Dreifache von dem, was die Amerikaner über Jahre im Irak erlitten haben."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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