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Einschlag in Polen: Das kann die Nato jetzt tun


Raketeneinschlag in Polen
Das kann die Nato jetzt tun


Aktualisiert am 16.11.2022Lesedauer: 5 Min.
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Im Grenzgebiet: Aufnahmen zeigen den Ort des Einschlags. (Quelle: t-online)

Nach einem mutmaßlichen Raketeneinschlag in Polen nahe der ukrainischen Grenze berät die Nato über das weitere Vorgehen. Was darüber bekannt ist.

Es ist ein Szenario, das seit Beginn des Ukraine-Krieges befürchtet wurde: Die Folgen der Kriegshandlungen betreffen auf einmal ganz konkret das Gebiet der Nato. Wie reagieren? Diese Frage stellt sich nun, seit dem derzeitigen Kenntnisstand zufolge offenbar ein Raketeneinschlag im Mitgliedsland Polen zwei Menschen tötete.

Wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in einer Pressekonferenz sagte, sei es wahrscheinlich, dass es sich bei den in Polen gefundenen Trümmerteilen um Überreste einer ukrainischen Luftabwehrrakete handelt. Die könnten demnach ukrainische Soldaten abgefeuert haben, um eine russische Rakete abzuwehren. Mehr dazu lesen Sie hier.

Wie wird das Bündnis weiter vorgehen? Ein Überblick:

Wie geht die Nato jetzt vor?

Bereits an diesem Mittwochmorgen kamen Vertreter des Bündnisses und der Mitgliedstaaten zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen, um über die neuesten Erkenntnisse und mögliche Reaktionen zu beraten.

Tatsächlich halten sich die Nato sowie die Mitgliedstaaten mit Informationen derzeit merklich zurück. Nato-Generalsekretär Stoltenberg sagte nach dem Treffen, dass die Untersuchungen weiterliefen. "Wir müssen die Ergebnisse abwarten." Es gebe keine Hinweise, dass es ein vorsätzlicher Angriff war oder Russland einen solchen plane.

Er habe bereits mit dem US-Präsidenten Joe Biden und dem polnischen Amtsinhaber Andrzej Duda telefoniert. Mit ihnen sei verabredet worden, dass man "wachsam, ruhig und eng koordiniert" vorgehe. Konkrete Informationen über das weitere Vorgehen der Nato teilte Stoltenberg nicht mit. "Wir werden später entscheiden, wie viele Informationen wir offenlegen können."

Welche Reaktionen sind wahrscheinlich?

Dass die Nato sich zurzeit stark zurückhält, verdeutlicht das Verhalten von Polen: Noch am Dienstagabend hieß es, das Land wolle für Mittwoch ein Artikel-4-Treffen einberaumen. Ein Treffen fand am Mittwochmorgen auch statt, allerdings als Routinetreffen. Polen hatte den Antrag zurückgezogen.

Artikel 4 sieht Beratungen der Nato-Staaten vor, wenn einer von ihnen die Unversehrtheit seines Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die eigene Sicherheit bedroht sieht.

Dass Polen den Artikel nicht beantragt hat, wertet Experte Heinrich Brauß von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik als eine "besonnene Reaktion". Es zeige, dass sich die Lage entspannt habe, teilte er auf Anfrage von t-online mit.

Ganz ausschließen möchte die polnische Regierung die Möglichkeit jedoch nicht: Es werde möglicherweise nicht nötig sein, das Prozedere nach Artikel 4 des Nato-Vertrages in Gang zu setzen, sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Mittwochmittag. Es werde aber weiterhin die Möglichkeit geprüft.

Offen wird allerdings bereits über eine Verstärkung der Luftverteidigung an der Nato-Ostflanke nachgedacht. Stoltenberg ging auf eine entsprechende Nachfrage in seiner Pressekonferenz zwar nicht ein, doch äußerten sich bereits der slowakische Ministerpräsident Eduard Heger und Litauens Präsident Nausėda in diese Richtung.

Der Vorfall zeige, dass Flugabwehrsysteme zügiger an der Ostflanke der Nato stationiert werden müssten, sagte Nausėda. "Litauen wird den Einsatz von Luftverteidigung entlang der polnisch-ukrainischen Grenze aktiv unterstützen." Dies gelte auch für die übrige Ostflanke. Er hoffe, dass bis zum Nato-Gipfel in Vilnius im kommenden Jahr Fortschritte erzielt werden können. Die Lage mache deutlich, dass das die richtige Entscheidung und eine rasche Umsetzung notwendig sei. Die militärische Bedrohung allerdings habe sich nach seiner Einschätzung nicht geändert.

Die Bundesregierung sendete ebenfalls erste Signale. Man stehe mit der polnischen Regierung im Austausch über eine verstärkte Luftraumüberwachung, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Mittwoch in Berlin.

Die 30 Nato-Staaten hatten bereits auf ihrem Gipfeltreffen im Juni angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine eine deutliche Verstärkung der Ostflanke beschlossen. Dazu soll auch eine Stärkung der Luftverteidigung gehören. Zudem sollen künftig mehr als 300.000 Soldaten in hoher Einsatzbereitschaft gehalten werden.

Die Frage nach der Schuld

Darüber hinaus stellt sich nun die Frage nach der Schuld. Denn auch wenn die Trümmerteile von einer ukrainischen Rakete stammten, wurde diese nach US-Angaben offenbar abgefeuert, um eine russische abzuwehren. Noch sind viele Fragen dazu offen: Wie nah kam die wohl abgeschossene russische Rakete an die Grenze zu Polen? Hat Russland in Kauf genommen, dass Trümmer dieser Rakete über die polnische Grenze fliegen könnten?

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg fand klare Worte: "Lassen Sie mich das klar sagen: Das ist nicht die Schuld der Ukraine." Russland trage die volle Verantwortung, die Ukraine habe ein Recht darauf, sich zu verteidigen.

Der britische Premier Rishi Sunak sieht eine grundsätzliche Schuld ebenso bei Russland. Er verwies darauf, dass die russischen Luftangriffe auf die Ukraine deren Raketenabwehr erst nötig machten. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb auf Twitter: "Klar ist: All das wäre ohne Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht passiert."

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Ebenso sieht das die Ukraine. Präsidentenberater Mychailo Podoljak erklärte, es könne nur an einer Logik festgehalten werden, und die laute, dass der Krieg von Russland begonnen worden sei und von Russland geführt werde. "Russland hat den östlichen Teil des europäischen Kontinents in ein unberechenbares Schlachtfeld verwandelt. Absicht, Hinrichtungsmittel, Risiken, Eskalation – all das ist nur Russland", betonte der Präsidentenberater. "Und anders sind Zwischenfälle mit Raketen nicht zu erklären."

Doch aus der Nato gab es auch andere Stimmen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verwies auf die Dementi Russlands und die Äußerung des US-Präsidenten Joe Biden, dass diese Rakete nicht aus Russland stamme. Das zeige, dass der Vorfall nichts mit Russland zu tun habe, so Erdoğan. Zuvor hatte der Kreml verlauten lassen, die Ziele seien nicht mehr als 35 Kilometer von der ukrainischen Grenze zu Polen entfernt gewesen.

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Warum der Vorfall keinen Bündnisfall auslöst

Kurz nach den ersten Berichten über den Vorfall in Polen waren Spekulationen aufgekommen, ob nun der Nato-Bündnisfall in Kraft treten könnte. In diesem Herzstück des Verteidigungsbündnisses ist geregelt, dass die Nato-Staaten einen bewaffneten Angriff gegen einen oder mehrere Partner als Angriff gegen alle ansehen. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, Beistand zu leisten.

Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass die Rakete gezielt auf das polnische Dorf abgefeuert wurde. Das wäre jedoch eine Voraussetzung für den sogenannten Bündnisfall nach Artikel 5 der Nato-Charta. Doch auch in einem solchen Fall gäbe es Bedingungen: Der Beistand muss nicht zwingend militärisch sein, Beistand ziviler oder finanzieller Art etwa ist ebenfalls möglich. Zudem ist Artikel 5 kein Automatismus: Selbst wenn ein Mitgliedstaat diesen ausrufen würde, müsste zunächst der Nordatlantikrat tagen und die Mitgliedstaaten müssten einstimmig zustimmen.

In der Geschichte ist Artikel 5 erst ein einziges Mal aktiviert worden – nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA. Dies führte dazu, dass Deutschland und andere Nato-Staaten sich am Krieg gegen die Taliban und die Terrororganisation al-Qaida in Afghanistan beteiligten.

Selbst wenn es sich um eine irrlichternde russische Rakete gehandelt hätte, wäre der Bündnisfall wohl noch immer nicht wahrscheinlich. Dass Raketen ab und an irrtümlich falsche Ziele treffen, ist sowohl in den westlichen Armeen als auch in Russland bekannt. Dass ein solches Szenario Artikel 5 auslösen könnte, gilt als unwahrscheinlich.

Verwendete Quellen
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