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Steinmeier erhält Henry-A.-Kissinger-Preis: Das offenbart der Abend


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Schwierige Preisverleihung
Steinmeiers Schatten der Vergangenheit

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, New York

Aktualisiert am 18.11.2022Lesedauer: 5 Min.
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Frank-Walter Steinmeier umarmt die ehemalige US-Außenministerin Condoleezza Rice: Der Bundespräsident erhielt in New York den Kissinger-Preis. (Quelle: Julia Nikhinson/AP/dpa)
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Eine Preisverleihung in New York für den Bundespräsidenten zeigt die schweren Fehler bezüglich Russland. Frank-Walter Steinmeier sucht einen Ausweg.

Manchmal sind die Schatten der Vergangenheit so lang, dass sie bis in die Gegenwart reichen. Niemand wusste das in New York am Mittwochabend wohl besser als Frank-Walter Steinmeier. Der langjährige Glaube an ein freundschaftliches Einbinden von Russland ist spätestens mit dem Überfall auf die Ukraine gescheitert.

Der deutsche Bundespräsident war in die Metropole geflogen, um einen Preis entgegenzunehmen. Es ist nicht irgendeine Ehrung, sondern der Henry-A.-Kissinger-Preis. Sein heute 99-jähriger jüdischer Namensgeber floh mit 15 Jahren vor den Nazis aus Deutschland und wurde später US-Außenminister. Die American Academy verleiht den Preis regelmäßig für herausragende Verdienste um die transatlantischen Beziehungen.

Auch Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Helmut Kohl haben ihn bekommen. Gerhard Schröder wurde nie bedacht und wird den Preis wohl auch nie bekommen. Zu belastet war einst das Verhältnis zwischen dem Ex-Bundeskanzler und dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush. Zu sehr ist Schröder bis heute verwickelt in die Gasgeschäfte des Kremls.

Mit Frank-Walter Steinmeier hat nun aber ausgerechnet Schröders langjähriger und einflussreicher Chef des Bundeskanzleramtes (1999–2005) den Henry-A.-Kissinger-Preis erhalten. Und ausgerechnet die damalige nationale Sicherheitsberaterin von George W. Bush hielt in New York die Laudatio:

Condoleezza Rice, die den Irakkrieg von 2003 mit zu verantworten hat und mit der Schröder-Regierung über Kreuz lag, nennt Steinmeier heute aber einen Freund und macht einen Scherz: "Wir haben damals nicht in allen Dingen übereingestimmt. Ich weiß, das klingt jetzt schockierend." Die Anwesenden lachen. Was aber viel schwerer wiege als politische Differenzen, das sei das Teilen von Grundwerten, so Rice.

"Frank-Walter, ich kann dir immer vertrauen", sagt Rice. Vertrauen sei wichtiger als alles andere. Und das sei besonders in den Tagen gewachsen, als Russland 2008 in Georgien einmarschierte. "Ich weiß nicht, wie viele Reisen du unternommen hast, nach Tiflis und Moskau", sagt Rice. Auch wenn man damals den Krieg nicht habe verhindern können, Steinmeier habe mit seinen Beziehungen große Anstrengungen unternommen, dass der damalige Krieg zumindest schnell wieder beendet wurde.

Steinmeiers Umdenken zu Russland

Heute gibt es wieder einen Krieg, der nicht verhindert wurde. Auch, weil sich in Deutschland lange Zeit kaum jemand vorstellen wollte, wozu Wladimir Putin fähig sein würde. Als Steinmeier im Bundeskanzleramt unter Gerhard Schröder arbeitete, dann während er Außenminister war und schließlich als Bundespräsident wuchs die Abhängigkeit der deutschen Industrie vom russischen Gas immer weiter. Mit der bitteren Konsequenz: Deutsche Strom- und Gaskunden finanzieren Putins Vernichtungskrieg gegen die Ukraine.

"Mein Festhalten an Nord Stream 2 war eindeutig ein Fehler", sagte Steinmeier im April, rund einen Monat nach dem russischen Überfall am 24. Februar. "Wir haben an Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr geglaubt hat und vor denen unsere Partner uns gewarnt haben." Dieses klare Eingeständnis unterscheidet ihn etwa von der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Einmal weicht Steinmeier in New York vom Manuskript seiner Dankesrede ab. Er geht auf den Zwischenfall mit zwei toten Polen im Grenzgebiet zur Ukraine ein. "Wie brutal und gefährlich dieser Krieg ist, haben wir erst gestern gesehen: Mit Dutzenden russischer Raketen, die auf die Ukraine niederprasseln, und mit einem tödlichen Zwischenfall auf polnischem Territorium", sagt Steinmeier. Man habe noch nicht die schlüssigen Beweise, woher diese Rakete gekommen sei. "Aber wir wissen, wir wissen eines mit Sicherheit: All dies wäre ohne den fortgesetzten und rücksichtslosen Krieg Russlands nicht passiert."

Kritik am alten Denken

Die Schatten der Vergangenheit reichen bis in die Gegenwart. Der Bundespräsident will sie zumindest nicht bis in die Zukunft ragen lassen. Das mit Russland darf nicht noch mal passieren, auch nicht mit China. Das will er an diesem Abend auch hier deutlich machen.

Zumindest zwischen den Zeilen steckt dabei sogar ein wenig Kritik an dem Namensgeber des Preises, Henry A. Kissinger, der wegen einer Covid-Erkrankung nicht anwesend sein kann. Die "Koexistenz ermöglicht zu haben, die Öffnung Chinas entscheidend vorangetrieben zu haben, das gehört zu Ihren unbestreitbaren, zu Ihren großen Leistungen", holt Steinmeier in Richtung Kissinger aus. Dann kommt sein Aber: "Heute müssen wir eben auch feststellen: China hat sich verändert."

Kissinger war ein enger Freund des ehemaligen SPD-Kanzlers Helmut Schmidt. Das außenpolitische Denken in einem Gleichgewicht von Großreichen dieser beiden Elder Statesmen hat auch die Politik der SPD, hat auch Steinmeier nicht unerheblich geprägt. Beide warben lange um mehr Verständnis für die russische und die chinesische Sichtweise. Den Glauben an den Wandel durch Handel will Steinmeier zumindest im Hinblick auf China noch korrigieren.

Auf die Zeit der Öffnung in China sei eine Zeit der Verhärtung gefolgt. Innenpolitisch, durch autoritäre Politik, die jegliche Abweichung unterdrücke, außenpolitisch wegen Chinas hegemonialer Ansprüche in der südpazifischen Region. "China folgt neuerdings einer veränderten, einer bedrohlichen außen- und wirtschaftspolitischen Philosophie", so Steinmeier. China wolle sich unabhängig machen von der Welt und die Welt abhängig machen von sich selbst. "Das sind Regeln für ein Spiel, das wir nicht spielen wollen – und können! Darauf müssen wir reagieren."

In einer per Video eingespielten Botschaft von Kissinger zeigt sich dann, dass auch der 99-Jährige ins Zweifeln gekommen ist. Diesen Krieg und die Aggression Putins habe man "niemals erwartet", sagt Kissinger. Das sei ein "Phänomen, auf das wir nicht vorbereitet waren". Nichts sei darum wichtiger, als den Krieg zu beenden.

Doch Kissingers mögliche Szenarien dafür passen nicht ganz zu den Vorstellungen der Ukraine. Als er im Mai beim Wirtschaftsforum in Davos unter anderem mögliche Gebietsabtretungen der Krim ins Spiel brachte, reagierte Präsident Selenskyj prompt: "Man hat den Eindruck, dass Herr Kissinger nicht das Jahr 2022 auf seinem Kalender stehen hat, sondern das Jahr 1938." Auch der russische Propagandasender RT Deutsch reagierte und erwähnt Kissingers Ideen und "Warnungen an den Westen" seither regelmäßig.

Hoffnung auf weniger Dunkelheit

Es ist kein einfacher Preis, den Frank-Walter Steinmeier in New York entgegengenommen hat. Verbunden ist mit der Ehrung aber immerhin die Hoffnung, dass er weiter versuchen wird, seine Erfahrung und seine Beziehungen einzusetzen, um einen Frieden zu erreichen. Frank-Walter Steinmeier spiele eine "wichtige Rolle" dabei, so Kissinger. Die Verleihung an den deutschen Bundespräsidenten sei "Ausdruck unseres Glaubens an die Zukunft."

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Damit die gelingen kann, appelliert Steinmeier an diesem Abend an die Demokratien. "Wenn der Westen mehr sein soll als eine Himmelsrichtung, muss er prinzipienfest, aber gleichzeitig offen sein", sagt er. Er müsse attraktiv sein und die besseren Lösungsmöglichkeiten für das friedliche, gerechte Zusammenleben der Menschen anzubieten haben. "Der Westen" sei für ihn "kein exklusiver Club und kein Kampfbegriff der geopolitischen Konfrontation", sondern stehe für ein Versprechen. Es gelte, angesichts der Bedrohungen zu beweisen, dass "Freiheit und Demokratie den Menschen nützen, in ihren alltäglichen Sorgen und Bedürfnissen." Dazu müsse man auch den Hass und die Spaltung in den eigenen Gesellschaften bekämpfen, so Steinmeier, in den USA ganz besonders.

Die Schatten der Vergangenheit ragen in die Gegenwart. Steinmeier schließt mit den Worten, dass dieses 21. Jahrhundert "sehr viel dunkler geworden ist, als wir zu seinem Beginn erhofft hatten". Er muss daran arbeiten, dass es zumindest wieder etwas heller wird.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
  • Eigene Recherchen
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