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Erdoğan ebnet Weg für Nato-Beitritt von Schweden: Das war der Preis


Nato-Beitritt von Schweden
Was hat Erdoğan dafür bekommen?


11.07.2023Lesedauer: 4 Min.
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NATO-SUMMIT/ERDOGAN-KRISTERSSON
Erdoğan reicht Schweden die Hand: Die Türkei hat angekündigt, den Nato-Beitritt nicht länger zu blockieren. (Quelle: Glomex)

Über ein Jahr wurde mit Recep Tayyip Erdoğan verhandelt und gestritten, aber nun ist klar: Schweden wird der Nato beitreten. Doch wie hoch war der Preis, den der türkische Präsident für das Ende seiner Blockade aufgerufen hat?

Schon einen Tag vor dem Nato-Gipfel in Vilnius ließ er sich vom Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg feiern. Recep Tayyip Erdoğan hat vor dem wichtigen Treffen des Militärbündnisses in Litauen seine Blockade des schwedischen Nato-Beitritt beendet. Schweden tritt der Nato bei, die Erleichterung darüber bestimmt den ersten Gipfeltag, und Erdoğan inszeniert sich als Staatschef, der den Weg dafür freigemacht hat.

Doch mit dem Nato-Beitritt Schwedens geht ein politisches Pokerspiel zu Ende, welches nun über ein Jahr andauerte. Erdoğan wurde für die restliche Nato zum Problem, in einer Zeit, in der das Verteidigungsbündnis im Angesicht des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Geschlossenheit demonstrieren musste.

Doch der türkische Präsident schien in dieser Krise vor allem eigene Interessen im Blick zu haben. Bleibt die Frage: Was hat Erdoğan für sein Ja zu Schweden bekommen?

Wie hoch war der Preis für den schwedischen Nato-Beitritt?

Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Klar ist: Der Druck auf Erdoğan ist in den vergangenen Wochen extrem gewachsen. Die Nato wollte bis zum Treffen in Vilnius eine Lösung präsentierten, und am Ende ist der türkische Präsident eingeknickt.

Hinter den Kulissen sollen vor allem die USA und Deutschland vor dem Gipfel in Vilnius versucht haben, auf die Türkei einzuwirken, wie t-online aus europäischen Diplomatenkreisen erfuhr. Am Sonntag telefonierte US-Präsident Joe Biden mit Erdoğan.

Die Vermittlungsversuche waren am Ende erfolgreich. "Unsere gemeinsamen Anstrengungen haben sich gelohnt. Zu 32 sind wir alle zusammen sicherer. Herzlichen Glückwunsch, Schweden", schrieb Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Montag auf Twitter.

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Der Nato-Beitritt Schwedens ist auch ein diplomatischer Erfolg für die Bundesregierung. Doch über den Preis ist offenbar Stillschweigen vereinbart worden. Bei der Terrorbekämpfung kam Schweden der Türkei schon beim Nato-Gipfel in Madrid 2022 entgegen. Aber war das alles? t-online erklärt, wo die Türkei Zugeständnisse bekommen haben könnte.

1. EU-Beitrittsprozess der Türkei

Erdoğan hat seine europäischen Nato-Partner erpresst. Er wolle den Weg für Schweden in das Militärbündnis erst frei machen, wenn die Europäische Union der Türkei eine EU-Beitrittsperspektive gibt. "Öffnet erst den Weg für den Beitritt der Türkei zur EU, und dann öffnen wir den Weg für Schweden", erklärte der türkische Präsident noch am Sonntag.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan wollte die EU erpressen: Sein Land wolle dem Nato-Beitritt Schwedens nur zustimmen, sofern der Beitrittsprozess der Türkei zur EU deutlich fortschreite.

Mit dieser Ansage hat Erdoğan seine Partner wahrscheinlich überrascht. Doch zu Unruhe innerhalb der Europäischen Union kam es nicht. Der Grund dafür: Kaum eine EU-Regierung dürfte dem türkischen Präsidenten abgekauft haben, dass er mit der Türkei wirklich EU-Mitglied werden möchte. Erdoğan gefällt sich in der Rolle des Pendeldiplomaten zwischen EU und Ländern in Asien und dem Nahen Osten. Das gibt ihm Einfluss, den er mit einem EU-Beitritt aufgeben würde.

Entsprechend wären potenzielle EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei zurzeit eher symbolisch.

2. EU-Visaerleichterungen für die türkische Bevölkerung

Schweden rang der türkische Machthaber das Zugeständnis ab, die Türkei auf dem Weg zum EU-Beitritt zu unterstützen. Viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass Erdoğan EU-Visaerleichterungen für die türkische Bevölkerung im Blick hat.

Viele Menschen in der Türkei haben Verwandtschaft in EU-Staaten und reisen dementsprechend oft in die Europäische Union. Die Möglichkeit, leichter an Visa zu kommen oder gar keine mehr zu benötigen, wäre eine spürbare Erleichterung für viele Türkinnen und Türken. Auch deshalb hat die Opposition im türkischen Wahlkampf genau damit geworben. Für Erdoğan wäre es ein politischer Erfolg, wenn er ebendies umsetzen könnte. Bisher plant die EU allerdings keine Visaerleichterungen.

3. F-16-Kampfflugzeuge aus den USA

Die türkische Luftwaffe ist auf Unterstützung aus den USA angewiesen. Nachdem die türkische Regierung im Jahr 2019 den Kauf von russischen S-400-Flugabwehrsystemen beschlossen hatte, wurde das Land aus dem amerikanischen F-35-Kampfflugzeugprogramm ausgeschlossen. Nun zielt Erdoğan auf F-16-Flugzeuge – und wird vielleicht erhört.

US-Präsident Joe Biden will nach Angaben seines nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan den Verkauf von F-16-Kampfjets an die Türkei vorantreiben. Biden habe seit Monaten klargemacht, dass er den Verkauf der Maschinen an die Türkei unterstütze, sagte Sullivan in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Die USA betonen zwar oft, dass ihre F-16-Entscheidung kein Zugeständnis für die Aufgabe von Erdoğans Blockade werden solle. Schließlich will die Biden-Administration den Eindruck verhindern, dass sie sich von der Türkei erpressen lässt. Aber natürlich sind die F-16 auch Verhandlungsmasse.

4. Terrorbekämpfung in Schweden

Schweden ist Erdoğan entgegengekommen, indem es seine Antiterrorgesetze verschärft hat und nun die kurdische Terrororganisation PKK ins Visier nimmt. Das ist allerdings kein neues Zugeständnis. Die Terrorbekämpfung war bereits Bestandteil der Einigung beim Nato-Gipfel 2022 in Madrid, der den Beitrittsprozess von Schweden und Finnland ebnete.

In der Türkei sieht eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung den schwedischen Umgang mit der PKK kritisch, und Erdoğan konnte dies nicht ignorieren. Vielmehr sagte Schweden außerdem zu, Schritte zu unternehmen, um die Koranverbrennungen im Land zu unterbinden. Auch das kann der türkische Präsident innenpolitisch als Erfolg für sich verkaufen und sich gleichzeitig als Verteidiger des muslimischen Glaubens inszenieren.

Letzteres könnte Erdoğan in der Türkei gut verkaufen. Doch auch, wenn die Kuh – der schwedische Nato-Beitritt – nun für das Militärbündnis erst einmal vom Eis ist: es wird neue Chancen für den türkischen Präsidenten geben, um eigene Interessen innerhalb der Nato durchzusetzen. Das weiß auch Erdoğan. Deshalb ist die aktuelle Einigung wahrscheinlich vor allem eines: ein Burgfrieden auf Zeit.

Verwendete Quellen
  • sueedeutsche.de: Erdoğans Spiel
  • br.de: Erdoğan: Ukraine verdient Mitgliedschaft in der Nato
  • merkur.de: Erdogans Teufelspakt: Warum Putin ihm die Türkei-Wahl retten könnte
  • spiegel.de: Biden stellt Erdoğan Kampfjet-Lieferung in Aussicht
  • fr.de: "EU-Mitgliedschaft ist nicht erpressbar": Empörung über Erdogans Nato-Deal Erdogan gibt Blockade des schwedischen Beitritts auf
  • spiegel.de: Erdoğan, unberechenbar
  • Eigene Recherche
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