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G20-Gipfel mit Xi Jinping | Experte: "Putin kennt Chinas größte Angst genau"


Russland und China
"Nun erleben Putins Truppen allerdings ein Desaster"

InterviewVon Patrick Diekmann und Marc von Lüpke

Aktualisiert am 15.11.2022Lesedauer: 7 Min.
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Wladimir Putin und Xi Jinping: China kann Russland nicht fallen lassen, sagt Experte Klaus Mühlhahn.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin und Xi Jinping: China kann Russland nicht fallen lassen, sagt Experte Klaus Mühlhahn. (Quelle: Sergei Bobylev/imago-images-bilder)

Chinas Aufstieg scheint unaufhaltsam. Russland hingegen strauchelt in der Ukraine. Warum Wladimir Putin den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping aber in der Hand hat, erklärt Experte Klaus Mühlhahn.

Wladimir Putin ist nicht zum G20-Gipfel erschienen, sein Krieg gegen die Ukraine verläuft schlecht. Zwei andere Männer hingegen reisten als Gewinner auf die indonesische Insel Bali: US-Präsident Joe Biden, dessen Demokraten gerade bei den Zwischenwahlen den Senat gehalten haben. Und Chinas starker Mann Xi Jinping, der seit seiner kürzlichen Wiederwahl so mächtig ist wie nie zuvor. Wie mächtig, das erklärt der führende deutsche China-Forscher Klaus Mühlhahn im Gespräch. Und auch, warum Putin Xi Jinping in gewisser Weise erpressen kann.

Professor Mühlhahn, Chinas Machthaber Xi Jinping reiste als Triumphator zum G20-Gipfel nach Bali. Seit dem kürzlichen Parteitag der chinesischen Kommunisten ist er so mächtig, wie es zuletzt der Langzeitdiktator Mao Zedong gewesen war. Ist Xi Jinpings Position tatsächlich so unerschütterlich im Land?

Klaus Mühlhahn: Die offizielle Inszenierung hat beim Parteitag jedenfalls hervorragend funktioniert. Allein wie Xi Jinping seinen Vorgänger Hu Jintao aus dem Saal entfernen ließ, war eine deutliche Machtdemonstration. Der massive Einsatz von Propaganda hat aber wiederum eine Kehrseite – und zwar haben sich die Menschen an derartige Zurschaustellungen gewöhnt. Wie viel Eindruck der Parteitag dann tatsächlich auf die Bevölkerung in China gemacht hat, sei einmal dahingestellt.

Nun hat Xi Jinping nicht nur eine dritte Amtszeit erhalten, sondern auch sämtliche entscheidenden Posten mit seinen Gefolgsleuten besetzt.

In diesem Umfang haben das selbst Experten nicht für möglich gehalten. Der Ständige Ausschuss des Politbüros wird nun ausschließlich von Xis Gefolgsleuten kontrolliert – seine Macht ist noch angewachsen. Was tatsächlich in der Kommunistischen Partei vor sich geht, ist aber schwer zu deuten: Die Vorgänge im Apparat sind überaus intransparent, die Partei ist effizient darin, keine Informationen an die Öffentlichkeit dringen zu lassen.

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Wie ist Xi Jinpings weiterer Aufstieg überhaupt erklärbar?

Xi Jinping ist ein Meister der Parteipolitik. Rivalen und solche, die es werden konnten, hat er kurzerhand in den Ruhestand abgeschoben. Andere Missliebige wurden durch seine sogenannte Antikorruptionskampagne beseitigt. Anders als beim früheren Sowjetdiktator Josef Stalin hat Xi seinen Aufstieg jedoch weitgehend hinter den Kulissen vollzogen – still und langsam, aber unaufhaltsam.

Welche Rolle spielt der Kommunismus noch für die Partei, die ihn im Namen trägt?

Chinas Kommunismus zeichnet sich durch ein hohes Maß an Pragmatismus aus. Anders wären die gewaltigen wirtschaftlichen Veränderungen im Land auch gar nicht möglich gewesen. Xi Jinping ist kein Ideologe, sondern ein knallharter Machtpolitiker. Er hält zwar an der kommunistischen Sprache und Propaganda fest, aber vor allem aus Gründen des Machterhalts.

Klaus Mühlhahn, Jahrgang 1963, ist Professor für Sinologie und Präsident der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Zuvor war er Vizepräsident der Freien Universität Berlin. Mühlhahn ist ein führender China-Experte, 2009 wurde der Forscher mit dem John-King-Fairbank-Preis der American Historical Association ausgezeichnet. Im Mai letzten Jahres erschien Mühlhahns Buch "Geschichte des modernen China. Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart" (Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung). Einmal im Monat ist er in seinem kostenfreien Podcast "China ungeschminkt" (mit Anja Blanke und Julia Haes, erhältlich überall, wo es Podcasts gibt) zu hören.

Nun ist der Machtpolitiker Xi Jinping anlässlich des G20-Gipfels auf der indonesischen Insel Bali bereits auf US-Präsident Joe Biden gestoßen. Die Drohungen, die Xi zuvor gegen Taiwan ausgestoßen hat, waren da wenig hilfreich für ein konstruktives Gespräch. Besteht denn reale Kriegsgefahr wegen der Insel?

Joe Biden hat Xi Jinping eindrücklich gewarnt vor einer weiteren Eskalation. Ich kann mir beim besten Willen auch nicht vorstellen, dass China Taiwan im Augenblick von sich aus angreifen würde.

Warum? Verschiedene Experten warnen vor einem Angriff Chinas auf Taiwan in den nächsten Jahren.

Die Ausgangslage ist für Peking einfach ungünstig. Nehmen wir das Beispiel Russland: Die russische Armee führt seit Jahrzehnten Krieg im Ausland, in Tschetschenien, Georgien, Syrien und nun in der Ukraine. Dass Russland bereit ist, Kriege zu führen, war keine Überraschung. Nun erleben Putins Truppen allerdings ein Desaster. Chinas militärische Erfahrung ist weitaus geringer

Seinen letzten Krieg führte Peking 1979 gegen Vietnam.

Und er war für China alles andere als erfolgreich, diese Tatsache ist bis heute unvergessen. Chinas Armee hat also so gut wie keine Erfahrung in einem realen Krieg, daher wäre ein Konflikt um Taiwan extrem riskant. Erst recht, wenn die USA intervenieren würden.

Die wiederum nicht nur die stärkste Militärmacht des Planeten sind, sondern ihrerseits durchaus über Kampferfahrung verfügen.

Richtig. Es gibt allerdings eine Situation, in der es brenzlig werden wird: Wenn sich der politische Status Taiwans ändern sollte. In diesem Fall wird China aufgrund seiner bisherigen Drohungen kaum anders können, als militärisch anzugreifen.

Der rechtliche Status Taiwans ist bis heute umstritten, für die Volksrepublik ist der demokratische Inselstaat ein integraler Bestandteil Chinas.

Jede chinesische Regierung im 20. Jahrhundert hat in Bezug auf Taiwan die gleiche Haltung vertreten – seien es die Kommunisten heute oder die Nationalisten vor 1949. Diese Position ist sowohl in Taiwan als auch in Washington wohlbekannt. China handelt nicht so unbesonnen wie Putin, auch diese Tatsache ist allen beteiligten Regierungen bewusst: Peking hat Zeit und nimmt sie sich auch, solange sich Taiwan nicht für unabhängig erklärt. Tsai Ing-wen, die dortige Präsidentin, betreibt im Übrigen eine geschickte Politik, ihr Land autark zu machen, ohne China dabei zu sehr zu provozieren.

Nun ist Taiwan nicht der einzige Reibungspunkt zwischen China und den USA. Im vergangenen Monat hat Präsident Joe Biden weitgehende Sanktionen gegen Peking in Bezug auf Halbleiter verhängt. So soll der technologische Aufstieg des Rivalen zumindest gebremst werden.

Die Vereinigten Staaten betrachten China als die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Diese Rivalität sollte uns schon große Sorgen machen. Die Ablösung einer Weltmacht durch eine andere verläuft in der Weltgeschichte nur selten friedlich. Das kann eine gefährliche Spirale in Gang setzen: Die etablierte Macht fürchtet, dass der neue Rivale irgendwann angreifen wird – und setzt ihrerseits zur Attacke an. Das ist kein zwangsläufiger Mechanismus, aber wir sollten uns dieser Bedrohung bewusst sein.

Kommen wir auf eine andere Bedrohung zu sprechen: Wladimir Putin. Zum G20-Gipfel wird er nicht anreisen und auf seinen "Freund" Xi Jinping treffen.

Putin hätte Xi Jinping auch kaum etwas Positives zu berichten, sein Krieg bereitet China eine Menge Probleme. In Zentralasien entsteht etwa ein gefährliches Machtvakuum, weil Russland die Ukraine bekämpft. Xi befindet sich dabei in einer heiklen Position: China kann Russland nicht kollabieren lassen, will es aber auch nicht zu stark sehen. In gewisser Weise hat Putin China sogar in der Hand – was viele Beobachter aber zu wenig beachten.

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Wie meinen Sie das?

Die engsten Verbündeten Chinas sind unberechenbar, dennoch aber macht Xi sich abhängig. Nehmen wir das Beispiel Nordkorea. Das Land ist vollkommen auf China angewiesen, trotzdem kann es sich immer wieder provozierende Alleingänge erlauben. Warum? Weil die Schutzmacht China in der Zwickmühle steckt. Wenn das Regime von Kim Jong Un fallen sollte, könnte das Chaos folgen. Das Gleiche gilt für Russland, nur noch in einem viel größeren Ausmaß: Putin kennt Chinas größte Angst ganz genau, Xi Jinping ist im Grunde ziemlich erpressbar.

Zumindest hat Xi zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz Russlands Präsidenten kürzlich vor einer nuklearen Eskalation gewarnt. Das Gleiche tat Xi nun einvernehmlich mit Joe Biden.

Eine solche dramatische Eskalation liegt auch keineswegs in Chinas Interesse. Hoffen wir, dass der G20-Gipfel etwas Entspannung bringt.

Nun fehlt Putin in Bali, Biden und Xi müssen miteinander auskommen. Wird es eventuell gar konstruktive Ansätze geben?

Wie konstruktiv es werden kann, sei einmal dahingestellt. Wichtig ist vor allem, dass sie überhaupt miteinander sprechen. Das ist ein wichtiges Signal für die restliche Welt, dass Dialog möglich ist. Die Geschwindigkeit, mit der wir uns im Augenblick auf eine Zeit zubewegen, die an Kalten Krieg und Eisernen Vorhang erinnert, ist bedenklich.

Deutschland wiederum befindet sich im Dialog mit China, etwa durch den geplanten Verkauf von Teilen des Hamburger Hafens an einen Staatskonzern, den Olaf Scholz gegen massiven Widerstand durchgesetzt hat.

Laut Umfrage hat mittlerweile die Hälfte der Deutschen Angst vor China und will die Beziehungen zu dem Land herunterfahren. Das ist eine dramatische Verschlechterung des chinesischen Ansehens. Ich würde dafür plädieren, den Dialog aufrechtzuerhalten. Denn Isolation hat historisch gesehen fast immer negative Folgen, weil die Gefahr von Missverständnissen und Fehlannahmen steigt. Zudem zeigt die historische Erfahrung, dass eine Abkopplung Chinas die Entwicklung höchstens verlangsamen, aber nicht aufhalten kann.

Ist der Deal bezüglich des Hamburger Hafens also in Ordnung? Kritiker warnen beispielsweise vor chinesischer Spionage.

Die chinesische Spionage findet ohnehin statt – da bin ich mir relativ sicher. Selbstverständlich ist bei Veräußerungen an China Vorsicht geboten, insbesondere bei Infrastruktur und Hochtechnologie.

Zurzeit werkelt die Bundesregierung an einer neuen China-Strategie.

Dabei empfehle ich einen gesunden Sinn für Realismus und einen Abschied von der Naivität. China ist eine kommende Supermacht und China hat Interessen. Das ist selbstverständlich. Bei der Formulierung der neuen China-Strategie bemängele ich allerdings, dass sie ohne die Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen vorgenommen wird. Warum werden nicht öffentliche Anhörungen durchgeführt? Sind aus dem Bereich der Kulturschaffenden oder des Jugendaustausches Vertreter beteiligt, die China kennen? Oder auch jemand aus der Wissenschaft? Wir wissen nicht, ob in dem Prozess das ganze Spektrum der Meinungen repräsentiert ist. Ich finde die Geheimnistuerei unverständlich.

Sind denn die Ängste eines nicht geringen Teils der deutschen Bevölkerung berechtigt?

Das kommt darauf an. Wir haben im Westen unsere Selbstsicherheit verloren. Im Kalten Krieg sind die liberalen Demokratien selbstbewusst mit den kommunistischen Regimen umgegangen. Lesen Sie einmal Helmut Schmidt über China. Und eben weil wir so verunsichert sind, entwickeln wir Angst vor Peking. Das muss aber mit der nötigen Selbstvergewisserung im Rücken nicht so sein.

War denn Olaf Scholz' China-Reise so kurz nach Xi Jinpings Wiederwahl eine gute Idee? Der Bundeskanzler erwies dem Machthaber so seine Referenz, sagen Kritiker.

In China herrschte eine gewisse Unsicherheit, wie es mit Deutschland nach Angela Merkels Abschied weitergehen würde. Insofern war die Erleichterung über den Besuch des Bundeskanzlers groß. Von der Symbolik her kann man darüber streiten. In deutschen Medien ist zudem nicht wahrgenommen worden, dass die Begrüßung des Bundeskanzlers durch Xi Jinping an Brüskierung grenzte. Beim ersten Zusammentreffen warf Xi Jinping gönnerhaft ein "Ach, Hallo" in den Raum und sagte anschließend "Jetzt machen wir ein Foto" – kein Willkommensgruß, keine Höflichkeitsformel, nicht mal die offizielle Amtsbezeichnung "Bundeskanzler" fiel. Fest steht, dass Xi Jinping fest im Sattel sitzt – und das demonstriert er auch. Insofern herrschte im Kanzleramt wohl einfach Realismus. Denn China kann man weder politisch noch wirtschaftlich ignorieren.

Professor Mühlhahn, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Klaus Mühlhahn via Videokonferenz
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