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Syrien-Talk bei Anne Will: "Putin ist rational, aber ein absoluter Zyniker"


"Anne Will" zum Syrien-Konflikt
"Putin ist rational, aber ein absoluter Zyniker"

Von David Heisig

Aktualisiert am 16.04.2018Lesedauer: 3 Min.
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Anne Will (von links), Wolfgang Ischinger und Jan van Aken: Bei der Beurteilung Russlands war man sich nicht ganz einig.Vergrößern des Bildes
Anne Will (v.l.), Wolfgang Ischinger und Jan van Aken: Bei der Beurteilung Russlands war man sich nicht ganz einig. (Quelle: Screenshot ARD)

Westliche Bomben auf vermutliche syrische Giftgasanlagen sorgen in Russland für erhöhte Alarmbereitschaft. Geht davon eine Gefahr für den Weltfrieden aus? Da war man sich bei Anne Will nicht ganz einig.

Die Gäste

  • Golineh Atai, ARD-Korrespondentin in Moskau
  • Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag
  • Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz
  • Jan van Aken (Die Linke), ehemaliger UN-Waffeninspekteur
  • Alexander Graf Lambsdorff (FDP), stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion

Das Thema

Wolfgang Ischinger nannte die Ergebnisse der weltpolitischen Agitationen in Syrien einen "Sieben-Jahre-Scherbenhaufen". Anne Will versuchte mit ihrer Runde, das aufzudröseln. Ihre Ausgangsfrage war, ob die Bombardements syrischer Ziele durch die USA mit französisch-britischer Unterstützung zu einer gefährlichen Konfrontation mit Russland führen könnten. Immerhin ist der russische Präsident Wladimir Putin der Schutzpatron syrischer Machthaberinteressen. Oder sei Russland überhaupt nichts mehr an guten Beziehungen zum Westen gelegen?

Die Fronten

Alle Diskutanten betonten: Der Einsatz von Chemiewaffen ist ein grauenvoller und inakzeptabler Verstoß gegen internationale Konventionen. Für Norbert Röttgen waren die Luftangriffe daher ein richtiges Signal an Damaskus. Allerdings dürfe die Weltgemeinschaft nun nicht in eine "beschämende Inaktivität nach der Welle der Empörung" über die Lage in Syrien verfallen. Sie müsse zu aktiver Diplomatie zurückkehren.

Ischinger unterstrich das: Wolle man den Krieg in Syrien beenden, "dann helfen die Luftschläge nichts". Auch Alexander Graf Lambsdorff empfahl, die "Bestrafung" von der politischen Gesamtlösung zu trennen. Van Aken pflichtete bei: Eine Antwort sei notwendig gewesen. Der Linke packte jedoch umgehend das dicke "Aber" dahinter: Reaktionen hätten rechtsstaatlich geschehen müssen, nachdem Experten die Faktenlage geklärt haben. "Sie zerballern auch die Diplomatie", resümierte er die Luftangriffe. Der Liberale Graf Lambsdorff konterte mit einem: "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht". Man wisse, wer der Giftgasverbrecher in Syrien sei.

Es wäre erstaunlich gewesen, wenn die Runde dieses Faktendilemma hätte auflösen können. So stritt man sich vor allem darum, wer auf dem Kriegsschauplatz welche Rolle spiele. Golineh Atai führte den Begriff der Obstruktionsstrategie ein: Russland stelle sich mit Vetos im Weltsicherheitsrat schützend vor Baschar al-Assad, verfolge aber ein doppeltes Spiel, weil es im Grunde eigene Interessen in der Region habe. Röttgen ergänzte, Putin wolle über innenpolitische Probleme hinwegtäuschen. Ischinger sagte: "Putin ist rational, aber ein absoluter Zyniker."

Der Aufreger des Abends

Van Aken zeigte sich "erschrocken, wie leichtfertig hier mit Fakten umgegangen wird". Man wisse nicht, wer hinter dem Giftgasangriff gesteckt habe. "Sie bestrafen in Deutschland niemanden, bevor sie wissen, wer der Täter ist", konterte er Einwürfe. Die Fachleute der Organisation für das Verbot chemischer Waffen hätten erst die Sachlage überprüfen müssen. Jetzt käme es darauf an, "sich erst mal locker zu machen". Deutschland müsse eine tragende Rolle darin spielen, Russland und die USA am diplomatischen Tisch zusammenzubringen.

Röttgen platzte da die Hutschnur. Van Aken vertrete naive Ansichten. Zum einen werde Deutschland von den Hauptakteuren nicht zur Vermittlung gebraucht. Zudem ließen sich Dinge in Syrien nicht nach rechtsstaatlichen Verfahren überprüfen, weil Russland als Schutzmacht vor Ort alles torpediere: humanitäre Hilfsleistungen ebenso wie die Arbeit der Chemiewaffeninspektoren.

Atai und Lambsdorff fiel es ebenfalls schwer, sich "locker zu machen". Die Linke zeige keine kritische Distanz zu Russland. Ischinger indes betonte, den Wunsch nach einer stärkeren Rolle Deutschlands in der Sicherheitspolitik in der Welt habe die große Koalition im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Hierzu müsse man zumindest Treiber eines einheitlichen europäischen Standpunkts sein, wenn man sich schon nicht an Luftangriffen beteiligen wolle.

Der Faktencheck

Anne Will fragte in die Runde, ob Russland kein Interesse mehr habe, Partner des Westens zu sein. Atai bestätigte das. Russland habe in den vergangenen 20 Jahren eine periphere Rolle in Weltsicherheitsfragen gespielt. Man habe in Moskau das Gefühl, zum "Aperitif, aber nicht zum Essen eingeladen" gewesen zu sein. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnte in einem Interview vor der "galoppierenden Entfremdung" zu Russland. Das sei die eigentliche Herausforderung an verantwortungsvolle Politik in Zukunft.

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Ischinger konterte das: Die Anlässe zur Entfremdung seien russische, zum Beispiel die Annexion der Krim, das "zynische Verhalten in Syrien". In der Tat scheint es keine Vertrauensbasis mehr zu geben. Bei manchen werden Erinnerungen an den Kalten Krieg wach, da sich die Rhetorik dieser Zeit der aktuellen wieder annähert. Da werden innen- und außenpolitische Feindbilder gemalt, ist sich der Historiker Jeronim Perovic von der Universität Zürich sicher. Das sei beängstigend. Die ideologische Basis für einen Kalten Krieg, für den Widerstreit zwischen Kapitalismus und Kommunismus, fehle indes, da Russland die Ressourcen für einen Wirtschaftskrieg nicht habe.

Vieles deutet allerdings darauf hin, dass es Putin um die Wiederauferstehung eines starken Russlands geht. "Niemand wollte mit uns reden, niemand wollte uns zuhören. Hört uns jetzt zu!", äußerte er bei seiner Ansprache zur Lage der Nation. Auf die Diplomatie wartet einiges an Arbeit.

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