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Taiwan-Konflikt zwischen China und USA: Angst vor einem Dritten Weltkrieg


Taiwan-Konflikt zwischen China und USA
Angst vor einem Dritten Weltkrieg

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 17.10.2021Lesedauer: 6 Min.
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Ein taiwanischer Soldat in Tarnkleidung: Der Konflikt um die Insel sorgt für Spannungen zwischen China und den USA.Vergrößern des Bildes
Ein taiwanischer Soldat in Tarnkleidung: Der Konflikt um die Insel sorgt für Spannungen zwischen China und den USA. (Quelle: Kollage: Google Maps/ZUMA Wire/imago-images-bilder)

Im Konflikt zwischen China und den USA ist Taiwan ein Spielball der gegensätzlichen Ideologien. Doch das klingt harmloser, als es ist: Die Lage droht mehr und mehr zu eskalieren.

"Taiwan könnte die Tschechoslowakei dieser Generation werden." Dieser Satz stand vor Kurzem in einer der größten englischsprachigen Zeitungen in Taiwan. Die USA, so die Sorge des Autors der "Taipei Times", könnten den Inselstaat im Pazifik "opfern". Wie "ein Stückchen rotes Fleisch, das nach China geworfen wird, um dessen unersättlichen Appetit zu stillen." Stattdessen könnten die USA künftig womöglich lieber auf Südkorea und Japan als Verbündete gegen China setzen.

Es sind dramatische Worte in einer tatsächlich immer dramatischeren Lage.

Wer einmal in Taiwan war, merkt schnell: Die mehr als 23 Millionen Menschen auf der Pazifikinsel leben so etwas wie die westliche Variante des kommunistischen China. Taiwan, genauer gesagt die Republik China, ist eine präsidiale Demokratie, die technologisch sehr hoch entwickelt ist. Der Chip-Hersteller TSMC ist Weltmarktführer und der wertvollste Konzern Asiens, die Hauptstadt Taipeh mit ihren vielen Wolkenkratzern eine pulsierende Weltmetropole.

Die Taiwaner kennen das Leben zwischen zwei Systemen, Kulturen und Traditionen. Während Hochchinesisch die Amtssprache ist, sprechen dort viele auch fließend Englisch, der Taiwan-Dollar ist die offizielle Währung. Erfolgreich beweist die weniger als 200 Kilometer vom chinesischen Festland entfernte Insel, dass die chinesische und die westliche Zivilisation nicht per se aufeinanderprallen müssen, sondern auch ziemlich harmonisch verschmelzen können. Eigentlich.

Angst vor einem dritten Weltkrieg

Denn im sich zuspitzenden Konkurrenzkampf zwischen China und den USA, zwischen Autokratie und Demokratie, droht Taiwan mehr denn je zum Spielball dieser beiden vollkommen gegensätzlichen Ideologien zu werden. Immer näher rückt dabei eine quasi erzwungene Entscheidung zwischen beiden Systemen. Während China zunehmend aggressiver auf eine Wiedervereinigung hinwirkt, wächst in den USA der Druck, eine klare, auch militärische, Strategie für diesen Fall der Fälle zu entwickeln.

Taiwan, so lauten die Schreckensszenarien, könnte sogar zum Schauplatz eines dritten Weltkrieges werden. Meldungen zu militärischen Drohgebärden in der Region seitens der USA, Taiwans und Chinas häufen sich. Nichts fürchten Experten deshalb derzeit so sehr wie einen Krieg, der quasi versehentlich ausgelöst werden könnte. Soldaten könnten sich durch Provokationen der Gegenseite zu einer Reaktion verleiten lassen, mit fatalen Folgen.

"Es ist die schlimmste Lage, die ich in meinen 40 Jahren im Militärdienst erlebt habe", sagte jüngst Taiwans Verteidigungsminister Chiu Kuo-cheng. Vergangene Woche hatten 150 chinesische Kampfflugzeuge Taiwans relativ weitreichende Luftsicherheitszone überflogen. Die USA halten ihrerseits wiederum Militärübungen in den Gewässern des Inselstaates ab, aber eben mit dem Einverständnis oder sogar auf Wunsch Taiwans.

Auch rhetorisch trat der Interessenkonflikt zwischen China und Taiwan lange nicht mehr so dramatisch wie derzeit zutage: In einer Rede an die Nation machte der chinesische Präsident Xi Jingping am vergangenen Wochenende mehr als deutlich, dass die als abtrünnig angesehene Provinz in jedem Fall mit dem Land wiedervereinigt werde. Es ist aus chinesischer Perspektive keine Frage nach dem Ob, sondern nach dem Wann. Und dieser Tag rückt immer näher, auch weil Xi Jingping nicht hinter den Erwartungen zurückstehen kann, die er geschürt hat.

Entschlossen konterte Taiwans demokratisch gewählte Präsidentin Tsai Ing-wen in einer Rede an ihre Nation: Man solle sich "absolut keiner Illusionen hingeben, dass sich das taiwanische Volk diesem Druck beugen wird." Im Gegenteil, Taiwan werde seine militärische Verteidigungsfähigkeit ausbauen. Der Weg, den China anbiete, so Tsai, stehe weder für ein "freies und demokratisches Leben noch für Souveränität". So zerstritten die beiden wichtigsten Parteien in Taiwan auch sein mögen, hinter dieser Position kann sich nahezu das ganze Land vereinen.

Wie werden sich die USA verhalten?

In Washington wächst derweil der Druck auf die Administration von Joe Biden, sich zu dieser sich zuspitzenden Situation konkret zu verhalten. Insbesondere, weil China seine militärischen Fähigkeiten und Kapazitäten ausbaut, rechnen Experten damit, dass das Land spätestens 2025 dazu in der Lage sein könnte, Taiwan tatsächlich erfolgreich und ohne große Verluste einnehmen zu können. Der US-Verteidigungsexperte Elbridge Colby sagte jüngst: "Ich bin sehr, sehr besorgt und jeden weiteren Monat werde ich noch besorgter." Er rechnet sogar damit, dass China noch deutlich schneller bereit sein könnte, diesen Schritt zu gehen.

Der Interessenkonflikt um Taiwan besteht eigentlich schon lange. Die chinesische Regierung will die als abtrünnig geltende Provinz von der Größe Baden-Württembergs im Rahmen seiner sogenannten Ein-China-Politik mit der kommunistischen Volksrepublik vereinen. Für die USA aber ist Taiwan schon seit Jahrzehnten ebenfalls von großem strategischen Interesse. Die Taiwaner selbst lehnen mehrheitlich eine Einverleibung durch China ab, auch wegen des abschreckenden Beispiels Hongkong.

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Spätestens seit US-Präsident Barack Obama einen "Schwenk nach Asien" vollzogen hat, rückte Taiwan als De-facto-Brückenkopf der Amerikaner direkt vor der chinesischen Küste immer stärker in den Fokus. "Es liegt im klaren Interesse der USA, dass Taiwan nicht mit China vereint wird", sagt nicht nur Elbridge Colby. Alles, worauf die USA mit ihrer Pazifik-Strategie strategisch abzielen, ist darauf ausgerichtet, China an einer weiteren Expansion zu hindern.

Unabhängigkeit, Status quo oder Invasion?

Trumps Rhetorik gegenüber China war zwar immer martialisch. Doch unter Joe Biden erlebt die amerikanische Pazifik-Strategie ein echtes Revival. Auch der Abzug aus Afghanistan kann vor diesem Hintergrund gesehen werden.

Die US-Administration fokussiert ihre Strategie auf China und den Pazifik: Ob es das neue "Aukus"-Militärbündnis mit Australien und Großbritannien ist, das sogenannte Quad-Format mit Indien, Japan und Australien oder auch die immer engere Zusammenarbeit mit Ländern in der Pazifikregion wie den Philippinen, Südkorea, Singapur oder Indonesien. Joe Bidens Ansage an die Welt, es gehe um nicht weniger als den Fortbestand der Demokratien gegen die aufstrebenden Autokratien, war ebenso deutlich. Dass der US-Präsident mit Katherine Tai ausgerechnet eine Frau mit Wurzeln in China und in Taiwan zur US-Handelsbeauftragten gemacht hat, spricht ebenfalls für seinen klaren Fokus auf diese Region.

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Militärisch extrem heikel werden könnte ein Gesetz, das Ende September vom US-Repräsentantenhaus verabschiedet wurde. Im "National Defense Authorization Act" ist zu lesen, dass Taiwan erstmals am sogenannten Rimpac teilnehmen solle, ein zweijährlich abgehaltenes multinationales Militärmanöver der US-Pazifikflotte. Experten zufolge wäre dies eine für China kaum hinnehmbare militärische Provokation. Ob es wirklich dazu kommt, ist unklar. Die Sorge, dass die USA Taiwan im Zweifel fallen lassen könnten, wirkt vor diesem Hintergrund aber eher unbegründet.

Im Gegenteil: Denn das Säbelrasseln geht weiter. Ausgerechnet zur Ferienzeit um den Nationalfeiertag der Chinesen veröffentlichte das "Wall Street Journal" zuletzt einen Artikel, der offenlegte, dass die USA offenbar schon seit einem Jahr das taiwanische Militär ausbilden. Es war ein Leak, der zum Muskelspiel der Amerikaner gegenüber den Chinesen gut passte. In asiatischen Medien wunderte man sich zwar bisweilen über diese Geschichte, weil diese Tatsache ebenso bekannt sei wie die ohnehin stattfindenden US-Waffenlieferungen an den Inselstaat. Aber solche Artikel wirken nicht nur außen-, sondern eben auch innenpolitisch.

Taiwan, sagt Verteidigungsexperte Elbridge Colby, sei im Kampf gegen China so etwas wie ein "Zweidrittel-Alliierter", nicht so wichtig wie etwa Großbritannien, aber militärisch trotzdem sehr wichtig.

China indessen wirft den USA schon lange vor, Taiwan aus der De-facto-Autonomie in eine "echte Unabhängigkeit" führen zu wollen. Deshalb vermeiden die offiziellen US-Stellen dieses Wort, wo sie nur können. Stets wird betont, es gehe um nicht mehr als um eine Sicherung des Status quo. Taiwan weiterhin nicht als unabhängigen Staat anzuerkennen, ihn aber zugleich tatsächlich als solchen zu behandeln.

Angesichts der klaren Ansagen aus Peking zur angestrebten Wiedervereinigung mit Taiwan, reicht aber auch dieser Status quo aus, um einen Konflikt langfristig kaum noch vermeiden zu können. Während China seine militärischen Drohgebärden immer weiter intensiviert, ist in einem im März veröffentlichten Leitfaden zur Strategie der nationalen Sicherheit der USA zu lesen: "Wir werden Taiwan als eine führende Demokratie und einen entscheidenden Wirtschafts- und Sicherheitspartner im Einklang mit langjährigen amerikanischen Verpflichtungen unterstützen."

Mehrheit würde US-Truppen befürworten

Aber was würde das konkret bedeuten? Mehr als die Hälfte der befragten US-Amerikaner befürworten einer aktuellen Umfrage des Chicago Council on Global Affairs zufolge zum ersten Mal seit fast vier Jahrzehnten den Einsatz von US-Truppen zur Verteidigung Taiwans, für den Fall, dass China dort einmarschieren sollte. Das ist vor dem Hintergrund, dass eine deutliche Mehrheit hinter dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan steht, durchaus bemerkenswert. Beim Thema China, so wirkt es derzeit, weichen selbst die verhärteten Fronten zwischen Demokraten und Republikanern auf.

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Taiwan-Experten wie Shelley Rigger vom Davidson College in North Carolina warnen indessen davor, Taiwan dürfe von den USA nicht nur als Faustpfand zur Durchsetzung der eigenen strategischen Interessen benutzt werden. Auf einer Diskussionsveranstaltung der Brookings-Institution in dieser Woche warnte sie vor den Auswirkungen, die ein solches Vorgehen auf die Gesellschaft Taiwans habe.

Der Inselstaat dürfe nicht nur als "Asset" im Kampf gegen China gesehen werden. Aber: Die USA müssten endlich damit beginnen, darüber zu diskutieren, welchen konkreten Weg man mit Taiwan gemeinsam einschlagen wolle. Zu wenig Aufmerksamkeit habe das Thema in den vergangenen Jahren bekommen.

Viel Zeit für solche Diskussionen scheint es allerdings nicht zu geben. Auf einer weiteren Veranstaltung des Thinktanks Council on Foreign Relations zur aktuellen Lage im Pazifik brachte der eingeladene taiwanische Admiral Lee Hsi-Min die militärische Dringlichkeit mit einem einfachen Satz auf den Punkt: "Wir müssen vorbereitet sein."

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