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Olaf Scholz auf US-Reise: "Biden ist von Bundesregierung maßlos enttäuscht"


USA-Reise des Kanzlers
"Scholz wirkt auf Biden wie ein Naivling"

  • Bastian Brauns
InterviewVon Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 07.02.2022Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Damals nur vor dem Weißen Haus: Olaf Scholz als Bundesfinanzminister im Sommer 2021.Vergrößern des Bildes
Damals nur vor dem Weißen Haus: Olaf Scholz als Bundesfinanzminister im Sommer 2021. (Quelle: imago-images-bilder)

Mitten im Ukraine-Konflikt fliegt Olaf Scholz zum Antrittsbesuch nach Washington. Dort erwarten den deutschen Bundeskanzler genervte Amerikaner, sagt der USA-Experte Stephan-Götz Richter.

Der deutsche Kurs in der Ukraine-Krise wurde in den letzten Wochen international massiv kritisiert. Nun reist Bundeskanzler Olaf Scholz zum US-Präsidenten. Der werde ihm "in die Augen schauen wollen", sagt Stephan-Götz Richter im Interview. Der USA-Experte erklärt die amerikanische Stimmungslage und erhebt einen harten Vorwurf gegen die SPD.

t-online: Herr Richter, schon vor dem Antrittsbesuch in Washington konnte sich der US-Präsident ein Bild vom deutschen Bundeskanzler machen. Was denken Sie, wie blickt Joe Biden auf Olaf Scholz?

Stephan-Götz Richter: Eigentlich sollten die beiden gut miteinander auskommen. Denn der heutige US-Präsident ist seit jeher unprätentiös und – im positiven Sinn – von der Politik als Beruf besessen, ja beseelt. Joe Biden glaubt fest daran, dass Politiker im freundlichen Umgang miteinander auch schwierige Probleme lösen können. Und dass sie so das Schicksal ihrer Nationen und die Geschicke der Menschen, die in ihrer Gesellschaft leben, verbessern können.

Wie passt das mit Olaf Scholz zusammen?

Auch Scholz teilt genau diese persönlichen Werte. Er glaubt fest daran – siehe seine Amtszeiten als Arbeitsminister und Hamburger Bürgermeister – dass Politiker den Menschen helfen können und sollten.

Klingt das nicht etwas zu harmonisch? Die Haltung des Bundeskanzlers zu den Spannungen mit Russland und zur Erdgaspipeline Nord Stream 2 bereiten hier in Washington viel Kopfzerbrechen.

Joe Biden ist – im Unterschied zu Scholz übrigens – ein langjähriger Außenpolitiker. Zudem ist er ein großer Europaexperte. Obendrein ist er ein Bewunderer Deutschlands. Und genau deshalb ist er vom Start der neuen Bundesregierung, auf den die Demokraten in Washington große Hoffnungen gesetzt hatten, maßlos enttäuscht.

Stephan-Götz Richter, Chefredakteur von "The Globalist" und Direktor der Denkfabrik "Global Ideas Center" in Berlin, hat Joe Biden das erste Mal Mitte der 1980er Jahre beobachten können, als er Mitarbeiter eines anderen US-Senators war. Den heutigen Außenminister Tony Blinken, der lange für Senator Biden gearbeitet hat, lernte er bald danach kennen. Julie Smith, die heutige NATO-Botschafterin der USA, war in ihrer Studienzeit Mitarbeiterin im Team von Richter. Auf seinem Twitter-Account und seiner deutschen Webseite teilt er regelmäßig seine Einschätzungen zur US-Politik.

Olaf Scholz kommt Joe Biden bisher überhaupt nicht wie ein bodenständiger Politiker vor, sondern bestenfalls als einer, der den Kopf fest in den ideologischen Wolken festgezurrt hat. Scholz wirkt auf Biden wie ein Naivling, dessen Verständnis von zum Beispiel Russland von geradezu romantischen Vorstellungen geprägt ist.

Wie meinen Sie das? Auch Scholz sagt doch, es liege alles auf dem Tisch. Die Außenminister Annalena Baerbock konkretisierte, dazu gehöre auch Nord Stream 2.

Ja, aber die SPD ist noch immer beseelt von einer Rückkehr zur Entspannungspolitik klassischen Stils. Aber die kann es aus Sicht Joe Bidens nicht geben, weil die Putin-Regierung systematisch die Opposition kriminalisiert und auf dem steten Pfad zur Steigerung der Autokratie ist. Demgegenüber war die Sowjetunion in Zeiten der Entspannungspolitik aktiv um eine Verbesserung der Lage der russischen Durchschnittsbevölkerung bemüht.

Warum sollte davon heute keine Rede mehr sein?

Weil es Putin und den kleptokratischen Oligarchen nur darum geht, die Bodenschätze Russlands in die eigene Tasche zu verfrachten. Da gleicht die heutige Praxis den hochfeudalistischen Zeiten im Zarenreich.

Sie beobachten Biden bereits über einen langen Zeitraum. Was mag er von der eher bedächtigen Haltung von Scholz halten?

Wenn Biden eines nicht mag, dann ist es, einen endlosen Zauderer zu treffen. Aber genau so wirkt Scholz auf ihn. Denn der sieht ganz bewusst auch über glasklare aggressive, wenn nicht menschenverachtende Ansagen der Gegenseite – also vonseiten von Putins Russland – hinweg. Für Biden macht es da kaum einen Unterschied, ob das aus Feigheit, aus Ignoranz oder realitätsfernem Wunschdenken geschieht.

Aber Olaf Scholz hat die deutsche Außenpolitik nicht einfach um 180 Grad gedreht. Die Deutschen sind doch auch aus ihrer Geschichte heraus bekannt dafür, eher mit Logistik, Lazaretten und Entwicklungshilfe als mit Waffenlieferungen in Kriegsgebiete zu punkten.

Ja, aber Deutschland bleibt aufgrund seines wirtschaftlichen Gewichts und seiner Größe der Eckpfeiler der amerikanischen Europapolitik. Darum erwarten die Amerikaner Entschlossenheit. Eine so zögerliche Haltung, wie Olaf Scholz sie an den Tag legt, würde Joe Biden vielleicht von einem österreichischen Bundeskanzler erwarten, aber eben nicht bei einem deutschen. Zumal der Beitrag der USA zum Erreichen der deutschen Wiedervereinigung von so elementarer Bedeutung war.

Wie bedeutsam ist demnach dieses Treffen?

Es ist von großer Bedeutung. Erinnern Sie sich noch an das berühmte erste Treffen des damaligen US-Präsidenten George W. Bush mit Wladimir Putin in Jahr 2001? Bei der anschließenden Pressekonferenz wurde Bush über seine persönliche Einschätzung von Putin gefragt. Er antwortete damals unbeabsichtigt in einer tragikomischen Art und Weise: "Ich habe dem Mann in die Augen geschaut. Und dabei auch einen Eindruck von seiner Seele entdecken können…"

Und Sie meinen, Biden will nun Scholz' Seele ergründen?

Irgendwie sind wir jetzt im deutsch-amerikanischen Verhältnis zumindest an einem ähnlich merkwürdigen Moment angekommen. Biden wird – trotz aller kurioser deutscher Haltung in Sachen Ukraine, Russland, Energieversorgung und Selbstbestimmungsrecht der Nation – Scholz in die Augen schauen wollen.

Scholz wird sicherlich nicht mit leeren Händen kommen. Aber wird es genug sein?

Biden ist ein Politiker, der große Stücke auf persönliche Wirkung und Überzeugungskraft setzt. Also wird er auf jeden Fall darauf bauen, mit seinem Charme den deutschen Bundeskanzler einfangen zu können.

Was denken Sie, wird er damit Erfolg haben?

Leider nein. Scholz ist zu sehr Gefangener in der profunden Verwirrtheit, die in der SPD gegenüber Russland herrscht. Dort schaut man geflissentlich über die völlig ungerechtfertigte Kriminalisierung von Nawalny, die Schließung von Memorial und den Tiergarten-Mord hinweg. Von all dem ungerührt, übt sich praktisch die gesamte SPD in einer zeitgenössischen Version von Heinrich Manns "Der Untertan".

Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder soll nun sogar in den Aufsichtsrat des vom russischen Staat kontrollierten Gazprom berufen werden.

Selbst zu diesem Thema ist es in der SPD trotz einiger Distanzierungen noch immer auffällig still. Es wirkt fast so, als ob "Don Gerhard" irgendwie der Pate der SPD-Führung von heute ist. Und in der Tat sind wichtige SPD-Karrieren sehr eng mit Schröder verbunden, unter anderem die von Steinmeier und Klingbeil. Und beide sind beim Thema Russland sehr wabbelig.

Biden steht unter Druck. Er hat mit Angela Merkel den deutschen Erdgas-Deal unter Vorbehalt abgesegnet. Demokraten und Republikaner im US-Senat wollen einen Stopp von Nord Stream 2. Denken Sie, da wird sich etwas Konkretes erzielen lassen?

Nein. "Einfach" wird es für Olaf Scholz wohl nur, wenn die Russen in der Tat in die Ukraine einmarschieren. Denn dann hat er wohl keine andere Wahl, als das Projekt zu stoppen. Um der Scholz-Regierung eine Brücke zu bauen, hat sich Biden sogar innenpolitisch mit dem Kongress angelegt und die US-Sanktionen temporär auf Eis gelegt. Er tat das in der Hoffnung, die deutsche Seite würde sich darauf besinnen, energiepolitisch – und auch außenpolitisch – nicht weiter so bedenkenlos Spielzeug von Putin zu sein. Dass dieses für Biden innenpolitisch riskante Manöver von den Deutschen nicht durch einen Wandel in der Sachpolitik gewürdigt wurde, irritiert nicht nur Joe Biden. Alle Amerikaner haben das deutsche Herumeiern, das wegen der "Schröder-Connection" noch schlimmer geworden ist als unter Merkel, vollkommen satt.

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Aber worin besteht der deutsch-amerikanische Disput im Kern?

Klare Antwort: Die Amerikaner glauben an das Selbstbestimmungsrecht der Nationen. Für die Deutschen gilt das nicht. Das gilt – und das ist das eigentlich Fatale – nicht nur für die Ukraine. Und nicht nur für die baltischen Staaten, die ja inzwischen in der NATO sind. Putins Forderungen nach einer neuen europäischen Friedensordnung laufen ja darauf hinaus, dass die Russen fortan die Kontrollmacht des ganzen Westens sind. Geschehen darf nur, was den Russen genehm ist. Und die SPD spielt mit ihrer Haltung Putin fleißig in die Hände. Der SPD geht es nicht so sehr um Deeskalation, sondern um Unterwerfung.

Ein harter Vorwurf. Woran sollte sich das konkret ablesen lassen?

Ich glaube, die SPD würde sich sehr schwer damit tun, wenn etwa die sozialdemokratisch-geprägten Regierungen in Finnland und Schweden den Antrag auf einen NATO-Beitritt stellen würden. Was ja angesichts der russischen Aggressionen sogar absehbar ist.

Warum irritiert das die amerikanische Politik sogar überparteilich, was heutzutage ja sehr selten ist?

In der aktuellen Diskussion kommt ja immer wieder das berühmte Wort von Francis Fukuyama auf, der nach 1990 vom "Ende der Geschichte" sprach. Ich bin fest davon überzeugt, dass aus Sicht der SPD das Ende der Geschichte mit der deutschen Wiedervereinigung erreicht wurde. Denn im Anschluss an diesen Zeitpunkt, also unsere eigene nationale Wiedervereinigung, will sie anderen Nationen ein Selbstbestimmungsrecht in eigener Sache nicht zugestehen. Nicht einmal den Schweden und Finnen. Und genau das ist es, was die Amerikaner – nicht nur Joe Biden und sein Team – empört. Diese Empörung kann ich, wohl mit fast allen anderen Europäern, sehr gut nachvollziehen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Interview mit Stephan-Götz Richter
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