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Nord-Stream-Lecks | Europas Achillesfersen: So angreifbar ist unsere Infrastruktur


Mini-U-Boote für Sabotagezwecke
Europas Achillesfersen


Aktualisiert am 28.09.2022Lesedauer: 4 Min.
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Austrittsstelle des Nord-Stream-Lecks: Explosionen zerstörten die Pipelines.Vergrößern des Bildes
Austrittsstelle des Nord-Stream-Lecks: Explosionen zerstörten die Pipelines. (Quelle: Schwedische Küstenwache)

Die Infrastruktur Deutschlands und Europas hängt an wichtigen Versorgungslinien, die für feindliche Akteure angreifbar sind. Russland interessiert sich seit Langem für Schwachstellen.

Das Internet, der Strom, das Gas: Ohne all das wäre das Leben ein anderes. Ihr Verlust kann Gesellschaften in Krisen stürzen. "Kritische Infrastruktur" nennen sich deshalb diejenigen Versorgungslinien, Knotenpunkte und Verteilstationen, die dafür sorgen, dass alles seinen geregelten Gang geht. Ihr Schutz ist seit jeher Teil nationaler Sicherheitsüberlegungen in Deutschland und Europa – und trotzdem noch immer nicht hundertprozentig gewährleistet. Das zeigen die mutmaßlichen Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee. Feindliche Akteure wie Russland kundschaften seit Langem Schwachstellen aus – von Internet- über Strom- bis zu Gasverbindungen.

Das Internet

Der weltweite Datenverkehr hängt an nur wenigen Leitungen. Würden sie zerstört, wären ganze Staaten oder Kontinente ohne Internet und Telefon, der Börsenhandel bräche zusammen, selbst Militärkommunikation würde erschwert. Einige der für die USA, Europa und Deutschland besonders wichtigen Kabel verlaufen quer durch den Atlantik am Meeresboden.

Seit Jahren ist die Sorge groß, dass besonders Russland im Konfliktfall diese Achillesferse der transatlantischen Infrastruktur angreifen könnte. Immer wieder wurden beispielsweise vor der Westküste Irlands Spionageschiffe der russischen Marine im Umfeld der Kabel gesichtet. Einige dieser Schiffe, wie beispielsweise die als Forschungsschiff getarnte "Jantar", verfügen über sogenannte Mini-U-Boote für Sabotagezwecke. In noch tieferen Gewässern können verschiedene U-Boote die Mini-U-Boote als Mutterschiffe zum Einsatz bringen.

Die Nato habe wegen der massiven russischen Investitionen in Sabotageschiffe bereits ihr Konzept zur Überwachung des Seeraums angepasst, schrieb der Marineexperte H. I. Sutton in einer Analyse für "Forbes" vor zwei Jahren. Wie ernst die Sicherheit der Kabel genommen wird, verdeutlichte Anfang dieses Jahres eine deutliche Warnung aus Großbritannien in Richtung des Kremls.

Jeder Versuch, die Kabel zu beschädigen, könne als "Kriegshandlung" (englisch: "act of war") aufgefasst werden, sagte Admiral Tony Radakin der britischen "Times". Radakin ist der Befehlshaber der britischen Streitkräfte. Einen Tag zuvor war ein für die Kommunikation in Norwegen wichtiges Kabel unter ungeklärten Umständen beschädigt worden.

Der Strom

Zur kritischen Infrastruktur gehören auch Stromkabel. Nach einem Hackerangriff waren 2015 in der Ukraine mehr als 200.000 Haushalte von einem mehrstündigen Stromausfall betroffen, weil die IT-Systeme mehrerer Umspannwerke durch eine Schadsoftware namens "Black Energy" abgeschaltet wurden. Sicherheitsdienste warnen seit Jahren vor solchen Attacken. Der Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes, Wolfgang Wien, sagte kürzlich bei einer Sicherheitskonferenz in Potsdam: "Uns muss bewusst sein, Russland ist in unseren Netzen."

Strom lässt sich aber auch ohne Hacker-Kenntnisse großflächig lahmlegen. Das soll eine Gruppe "Vereinte Patrioten" von früheren NVA- und Bundeswehrsoldaten geplant haben und das Vorhaben "Silent night" (Stille Nacht) genannt haben. Die Möglichkeit, mit geringen Mitteln einen Stromausfall auszulösen und Chaos zu verursachen, lässt Terroristen und Extremisten immer wieder von Umsturzideen fantasieren. Schließlich ist die Strominfrastruktur sehr verletzlich.

Das zeigte sich in Europa auch 1999 während des Krieges auf dem Balkan. Damals verkündete Nato-Pressesprecher Jamie Shea, "dass die Nato jetzt in Jugoslawien ihre Finger am Lichtschalter hat, und dass wir den Strom abstellen können, wann immer wir müssen, wo immer wir wollen." Und tatsächlich nutzte das Verteidigungsbündnis sogenannte Blackout-Bomben.

Wie empfindlich das Stromnetz sein kann, wenn Unvorhergesehenes passiert, zeigte sich ebenfalls am 4. November 2006, als es in weiten Teilen Europas zu einem Stromausfall von bis zu zwei Stunden kam – wegen der eigentlich planmäßigen Abschaltung einer Höchstspannungsleitung im Emsland, damit die "Norwegian Pearl" darunter durchfahren konnte.

Der Strom nahm deshalb Umwege über Leitungen, die sich wegen Überlastung ausschalteten. Verbesserte Sicherheitsmaßnahmen sollen ähnliche Vorfälle zwar inzwischen verhindern, ausschließen lassen sie sich aber nicht.

Die Pipelines

Gas- und Ölpipelines sind besonders anfällige Ziele – ob an Land oder in der See. Erst am vergangenen Wochenende warnte der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, in einem Interview vor den Gefahren von "Seabed Warfare", also Kriegsführung auf dem Meeresboden – und der Verwundbarkeit kritischer Infrastruktur.

"Auch unter Wasser hat Russland erhebliche Kapazitäten aufgebaut", sagte er der "Welt". Kaack weiter: "Auf dem Grund der Ostsee, aber auch im Atlantik, gibt es einiges an kritischer Infrastruktur wie Pipelines oder Unterseekabel für IT. Da können sie Ländern wie Estland schnell das Licht ausschalten, und es gibt Gefährdungen der globalen Kommunikationsstrukturen, auf die man besonders achten muss. Es hat einen Grund, wenn russische Unter- oder Überwassereinheiten sich über längere Zeit im Bereich dieser Kabel aufhalten."

Solche Operationen unter Wasser können nur hoch spezialisierte Einsatztruppen ausführen – an Land sind die Leitungen jedoch wesentlich leichter zu sabotieren.

So versuchten im April zwei Klimaaktivisten der Gruppe "Letzte Generation", eine Ölleitung in Mecklenburg-Vorpommern anzugreifen. Sie hatten laut Polizei geplant, Absperrventile einer Pumpstation der Pipeline Rostock-Schwedt abzudrehen. Die Aktion wurde verhindert, die Polizei kündigte im Anschluss an, ihre Präsenz an den Punkten kritischer Infrastruktur ausweiten.

Doch die Öl- und Gasinfrastruktur in Deutschland ist viel zu weitläufig, um sie durch Polizeipräsenz schützen zu können. Allein die Fernleitungsnetze für Erdgas in Deutschland haben laut den Betreibern eine Länge von 40.000 Kilometern. Durch sie werden große Gasmengen mit hohem Druck geleitet.

Ein mögliches Sicherheitsrisiko sehen Experten auch darin, dass Infrastruktur in den vergangenen Jahren an Tochterunternehmen der russischen Staatskonzerne Gazprom (etwa der größte deutsche Gasspeicher im niedersächsischen Rehden) oder Rosneft (etwa die Ölraffinerie in Schwedt) verkauft wurden. Es sind Deals, die die aktuelle Bundesregierung nun Schritt für Schritt rückabwickelt.

Dass Leitungen auch über Hacker-Angriffe lahmgelegt werden können, erlebten die USA im vergangenen Jahr. Eine Attacke mit Verschlüsselungssoftware führte dazu, dass die Colonial Pipeline, die größte Leitung für raffinierte Ölprodukte der USA, sechs Tage lang kein Öl befördern konnte. Die Betreiberfirma zahlte Lösegeld an die Hacker. An der Ostküste der USA kam es zu Treibstoffmangel an mehreren Flughäfen und in vielen Großstädten zu Panikkäufen an Tankstellen.

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