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Olaf Scholz: Der SPD-Kanzlerkandidat plötzlich im Aufschwung: Hoppla!


Olaf Scholz
Hoppla!

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 25.08.2021Lesedauer: 6 Min.
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Olaf Scholz: Schafft er's wirklich?Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Schafft er's wirklich? (Quelle: Leon Kuegeler/Reuters-bilder)

Plötzlich ist die SPD im Aufschwung. Einige Genossen können es noch gar nicht recht glauben. Doch dass die Sozialdemokraten am Ende mitregieren, ist keineswegs sicher.

Olaf Scholz mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. Hat es noch nie. "Der nächste Kanzler werde ich sein", sagte Scholz auf einer digitalen Veranstaltung in Bayern. Er war per Video zur Klausur der SPD-Landtagsfraktion zugeschaltet. Und gab sich siegesgewiss.

Warum auch immer.

Die Szene ist schon ein paar Monate alt. Damals war es Ende Januar, und die Wahlkampfwelt sah noch komplett anders aus. Die Union stand in den Umfragen bei 34 Prozent, die Grünen bei 21 und die SPD bei 15. Diesen scheinbar ewigen 15 Prozent, bei denen sie seit Jahren festbetoniert war.

Scholz als Kanzler? Damals konnte man das Gefühl bekommen, die SPD erzählt das immer wieder, damit zumindest sie es selbst irgendwann glaubt. Und nicht verzweifelt.

Heute, sieben Monate später, glauben offensichtlich immer mehr Menschen daran. Es läuft gerade für die SPD. So gut, dass sich Olaf Scholz ein wenig Bescheidenheit auferlegt hat. In der Partei wird schon davor gewarnt, in einen "Freudentaumel" zu verfallen.

Gute Nachrichten sind die Sozialdemokraten ja gar nicht mehr gewohnt.

Zum Feiern ist es jedoch in der Tat reichlich früh. Nicht nur, weil es noch knapp fünf Wochen bis zum Wahltag sind. Das Problem ist: Selbst wenn die aktuellen Umfragen zu Wahlergebnissen würden, wäre es alles andere als sicher, dass Olaf Scholz Kanzler wird. Es könnte sogar sein, dass die SPD nicht einmal mehr mitregiert. Ohne dass Scholz viel dagegen tun könnte.

Der Trend ist ein Genosse

Wer dieser Tage mit Sozialdemokraten telefoniert, um über den Wahlkampf zu sprechen, erlebt etwas seit Jahren völlig Unbekanntes: gute Laune wegen der Umfragen. Am Wochenende hatte Insa die SPD gleichauf mit der Union bei 22 Prozent gesehen, die Grünen lagen fünf Prozentpunkte dahinter.

Insa gilt vielen in Berlin nicht als das zuverlässigste Institut. Aber auch bei renommierteren Meinungsforschern lag die SPD zuletzt nur noch ein, zwei Prozentpunkte hinter der Union. Am Dienstag ist es dann passiert: Mit Forsa sieht das erste Institut die SPD vorne: 23 Prozent, vor der Union mit 22.

Hoppla! Der Trend ist plötzlich ein Genosse.

Was nur hat Olaf Scholz gemacht, um das zu schaffen? Die Antwort lautet: Vor allem keine Fehler. Zumindest keine, die irgendjemanden interessiert hätten. Das sehen sie auch in der SPD so. Es stimmt nicht, was politische Gegner gerade gerne behaupten: dass Scholz nämlich im Schlafwagen ins Kanzleramt fahren wolle. Er ist schon seit vielen Monaten im Wahlkampf, viel länger als die anderen, und absolviert auch mehr Termine.

Doch lange nahm kaum jemand Notiz vom Abgeschlagenen, während die vermeintlichen Duellanten Armin Laschet und Annalena Baerbock sich mit Fehlern und Fehlerchen munter selbst zerlegt haben. Oder zerlegt wurden. Scholz blieb währenddessen erstaunlich unbeschadet. Und das, obwohl seine politische Verantwortung für die Cum-Ex-Affäre und den Wirecard-Skandal sogar in Untersuchungsausschüssen aufgearbeitet wird.

Das bisherige Desinteresse an Scholz führte auch dazu, dass Grüne und Union lange Zeit ausschließlich gegenseitig von der Schwäche des jeweils anderen profitierten. Als Baerbock zur Kandidatin gekürt wurde und die Grünen in neue Umfragehöhen hinaufzog, sackte die Union entsprechend ab. Als Baerbock stolperte und es für die Grünen wieder runterging, berappelte sich die Union wieder.

Die SPD blieb die ganze Zeit erstaunlich konstant. Im Umfragekeller.

Genau sein Markenkern

Es muss also mehr hinter dem sozialdemokratischen Aufschwung stecken. Und es spricht vieles dafür, dass sich tatsächlich bewahrheitet, was SPD-Strategen seit Monaten mantraartig wiederholen: Je näher der Wahltag rückt, desto genauer fragen sich die Menschen, wer im Kanzleramt sitzen soll. Baerbock und Laschet haben sich zuletzt nicht unbedingt empfohlen. Scholz ist zumindest nicht negativ aufgefallen. Er war nicht aufregend, aber irgendwie solide.


Und einen soliden Kanzler zu wählen, ist durch die jüngsten Krisen wohl noch einmal attraktiver geworden. Das gilt für die Corona-Krise, aber auch für die Flutkatastrophe. Während Laschet da an der unpassendsten Stelle lachte und Baerbock verschwand, gab Scholz den Staatsmann mit den Taschen voller Geld.

Das Afghanistan-Desaster könnte ihm zwar theoretisch gefährlich werden, weil er als Vizekanzler selbstverständlich auch politische Verantwortung dafür trägt. Es könnte aber auch schlicht den Wunsch nach solidem Regieren stärken. Und das ist ja genau sein Markenkern.

Jemand, vor dem sie Respekt haben

In der SPD sprechen sie gerade auffallend oft über ihre konservativen Nachbarn im Wahlkreis, die sie bei ihren Haustürbesuchen treffen. Menschen, die seit 30 oder 40 Jahren in der CDU sind, und dem SPD-Kandidaten jetzt angeblich sagen: Nee, den Laschet, den wähle ich nicht. Oder sogar: Wir müssen jetzt mal in die Opposition.

Man kann diese Geschichten schwerlich überprüfen, vor allem kann man nicht wissen, ob diese Menschen am Ende tatsächlich SPD wählen. Doch eine der Erklärungen dafür klingt zumindest nicht unplausibel für Konservative. "Die wollen auch von jemandem regiert werden, vor dem sie Respekt haben", sagt ein wichtiger Genosse. Und das ist eben offenbar nicht der kichernde Laschet.

Mancher in der SPD klingt in diesen Tagen so, als könne er sein Glück noch nicht so recht fassen. Dass man die Grünen überhole, na gut, aber dass man kurz vor der Wahl mit der Union gleichziehe, damit habe er so nicht gerechnet, sagt jemand Wichtiges. Andere verweisen vorsichtshalber auf eine Umfrage des Instituts Allensbach, das die Union vor einer Woche bei 27,5 und die SPD bei 19,5 Prozent sah. Doch ein so großer Abstand ist zurzeit eben die Ausnahme und nicht die Regel wie bisher.

Illusionen jedenfalls machen sie sich in der SPD nicht. Umfragen seien natürlich Momentaufnahmen, heißt es. Man habe ja gesehen, wie schnell es derzeit auch wieder runtergehen könne. "Das kann einen auch schnell selbst treffen", sagt jemand. Ein Fehler und zack – wieder abgeschlagen.

Jetzt bloß kein Freudentaumel, keine Arroganz, heißt es deshalb nun allenthalben. Sondern konzentriert weiterarbeiten, mit Ruhe und Gelassenheit. Und ohne Patzer.

"Ich empfehle allen Demut"

Olaf Scholz wiederholt diese Devise selbst gerade immer wieder. Und gibt sich bescheiden, zumindest ein bisschen. "Ich bin sehr berührt von den sehr hohen Zustimmungswerten für mich als Person und dass mir so viele die Führung dieses Landes zutrauen", sagt er t-online. "Und selbstverständlich freue ich mich auch über die besser werdenden Umfragen für die SPD. Aber ich empfehle allen Demut." Die Menschen hätten jetzt die Wahl.

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Demut ist auch deshalb eine gute Devise, weil Scholz eben längst noch nicht am Ziel ist, selbst wenn die derzeitigen Umfragen zu Wahlergebnissen werden sollten. Das liegt daran, dass es wahrscheinlich nicht ausreichen wird, wenn sich nach der Wahl zwei Parteien für eine Regierung zusammentun.

Es braucht wohl drei Partner für eine Mehrheit, und da gibt es ungleich mehr Konstellationen. Zwei sind sehr realistisch: eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP sowie eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP.

Klappt Jamaika, ist die SPD raus.

So stark wie möglich werden, stärker als die Union: Das ist deshalb das Ziel der SPD. Auch wenn es nicht zwingend ist, dass immer die stärkste Partei eine Regierung führt, hat sie doch das beste Argument für sich.

Den Absagen der FDP an eine Ampel glauben sie in der SPD nicht wirklich. Zumal sich Liberalen-Chef Christian Lindner am Ende fragen müsste, ob er mit einer Union, die wahrscheinlich acht oder mehr Prozentpunkte im Vergleich zur vergangenen Wahl verliert, tatsächlich ein Aufbruchsbündnis schmieden könne. Mit einer Union dann auch noch, in der "der Teufel los sein" werde, weil sie im Bundestag mehr als 100 Abgeordnete verlöre. Doch auch die Grünen müssten bei einer Ampel eben mitspielen.

Endlich Angriffe

Die Konkurrenz jedenfalls wird ob des sozialdemokratischen Aufschwungs sichtlich nervös. Die Grünen attackieren die SPD nun mit Vorliebe, nachdem sie sie bisher schlicht ignoriert haben. Annalena Baerbock ließ sich kürzlich sogar zu der Aussage hinreißen, Scholz unterscheide sich "beim Klimaschutz von Armin Laschet überhaupt nicht". Was die Wahrheit schon ziemlich strapaziert.

Die Union derweil behauptet, eigentlich wolle Olaf Scholz sowieso nur mit der Linkspartei regieren, den Kommunisten. Und versucht sich damit ausgerechnet an einer Rote-Socken-Kampagne gegen den extrem mittigen Scholz. Ob das verfängt?

In der SPD jedenfalls beobachten sie all diese Angriffe gerade ziemlich entspannt. Und wenn der Eindruck nicht täuscht, sogar mit einer gewissen Freude. Man kann es ja verstehen: Die SPD darf endlich mal wieder mitspielen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Gespräche
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