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Methode von Olaf Scholz (SPD): Wenn's schief geht, hat er von nichts gewusst


Die Methode Scholz
Er weiß von nix

  • Jonas Mueller-Töwe
  • Johannes Bebermeier
Von Jonas Mueller-Töwe, Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 15.09.2021Lesedauer: 9 Min.
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Olaf Scholz: Bisher ging es ihm selten wirklich an den Kragen.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Bisher ging es ihm selten wirklich an den Kragen. (Quelle: Clemens Bilan/getty-images-bilder)

Olaf Scholz ist bisher ziemlich unbeschadet durch den Wahlkampf gekommen. Das liegt nicht an einem Mangel an Skandalen. Aber wohl an seinem Umgang mit ihnen.

Eigentlich läuft alles wie am Schnürchen für Olaf Scholz, auch an diesem Spätsommerabend Ende Juli. Die Sonne scheint, bei seiner Rede sind nur wenige Zuhörer gegangen und einige extra stehengeblieben. Und sogar für ein paar Komplimente musste Scholz sich schon bedanken.

Doch plötzlich stört ein junger Mann mit einer kecken Frage die Wahlkampfidylle der SPD am Brandenburger Tor in Potsdam. Beim Milliardenbetrug bei Wirecard, sagt der Mann, da habe Scholz ja lange nicht so genau hingeschaut. Wo er denn als Nächstes nicht so genau hinschauen wolle, wenn er dann im Herbst wirklich Kanzler werde?

Scholz, strahlend weißes Hemd, keine weiße Weste, antwortet: "Ich werde genau hinschauen." Er könne zwar nicht versprechen, dass es keine Probleme geben werde in seiner Kanzlerschaft. "Aber ich kann versprechen, dass ich die Probleme anpacke." So wie bei Wirecard dann ja auch.

Und so wird in Scholz' Welt selbst aus einem der größten Skandale der Finanzgeschichte eine positive Geschichte. Zumindest positiv für Olaf Scholz. Es ist eine Welt, in der er eigentlich immer ziemlich super ist, viel besser jedenfalls als die anderen. Und in der er die meisten Probleme wenn nicht schon längst gelöst, dann doch zumindest vorhergesehen hat.

An Selbstbewusstsein hat es Scholz wirklich noch nie gemangelt.

Ich, der perfekte Olaf. So mag das Selbstbild sein, aber es trügt. Das hat weniger damit zu tun, dass auch Scholz nur ein Mensch ist, also wie alle anderen auch mal Fehler macht. Es ist etwas grundsätzlicher: Es gibt eine Reihe von Skandalen, bei denen aus Olaf, dem vermeintlich Perfekten, auf einmal Scholz, der ziemlich Unperfekte wird. Und aus dem Mann, der sonst gerne vieles besser weiß, der Politiker wird, der sich leider an entscheidende Details nicht mehr so genau erinnern kann.

t-online hat Olaf Scholz für diesen Artikel einen ausführlichen Fragenkatalog zugeschickt. Das Bundesfinanzministerium verwies als Antwort lediglich darauf, dass man sich schon "wiederholt und umfassend" zu den Themen geäußert habe.

1) Der Ärger mit der Hamburger Bank

Interessanterweise ist Scholz' größter Skandal der, in dem er von nichts etwas gewusst haben will. Noch heute will er sich kaum daran erinnern. Fragen dazu beantwortet er nicht wirklich gern. Einmal ging vor laufender Kamera sogar sein Pressesprecher dazwischen. Und wenn Scholz dann doch antworten muss – wie im Hamburger Untersuchungsausschuss – dann soll das Protokoll der Sitzung möglichst nicht öffentlich werden.

Die Rede ist von illegalen Aktiengeschäften der Hamburger Warburg-Bank. Ein feines privates Geldhaus, das – wie könnte es anders sein – ganz in der Nähe der Binnenalster residiert. Aber wie auch bei anderen Banken ging es in Hamburg nicht immer wirklich fein zu. Das Institut war in die Cum-Ex-Deals verwickelt, einem milliardenschweren Steuerbetrug.

Als Scholz Erster Bürgermeister von Hamburg war, wollte das Finanzamt Steuern in zweistelliger Millionenhöhe von dem Geldhaus zurückfordern, nein: Es war sogar überzeugt, dies rasch tun zu müssen, bevor die Ansprüche verjähren. Dann schaltete sich allerdings die Scholz und seinem Senat unterstellte Finanzbehörde ein – und auf einmal unterblieben die Rückforderungen. Die Bank konnte sich vorerst freuen.

Nachgewiesen werden konnte Scholz eine direkte Einflussnahme nie. Das seien "haltlose Schauermärchen", hat er selbst dazu gesagt. Und eine Finanzbeamtin stärkte ihm im Hamburger Untersuchungsausschuss sogar dabei den Rücken. Die Arbeit an der Aufklärung dort geht jedoch weiter. Klar ist, dass Scholz sich mehrfach mit dem damaligen Warburg-Chef Christian Olearius getroffen hatte. Diese Verabredungen gab er aber immer nur anhand der berühmten Salamitaktik preis: Sein Kalender offenbarte stets nur das, was sich nicht mehr abstreiten ließ. An die Inhalte der Gespräche kann Scholz sich auch nicht mehr im Detail erinnern. Sagt er zumindest.

Tagebucheinträge von Olearius, aus denen der NDR und die "Zeit" zitierten, könnten ihm möglicherweise auf die Sprünge helfen: Demnach soll es um die Steuerrückforderungen gegangen sein. Völlig unplausibel klingt das nicht. Zumal, so will es zumindest der Zufall, Olearius die Hamburger SPD kurz nach den Treffen 2016 und 2017 mit Spenden bedachte. Also auch noch wenige Monate, bevor Scholz Hamburg verließ und im Frühjahr 2018 Bundesfinanzminister wurde.

2) Das Problem mit der Geldwäsche

Auch in einer anderen Affäre könnte es bald darum gehen, was Scholz gewusst hat – oder eben auch nicht. Denn vor wenigen Tagen rückten Ermittler der Osnabrücker Staatsanwaltschaft im Bundesfinanzministerium ein, um E-Mails sicherzustellen. Hintergrund der Razzia ist ein Verfahren gegen Beamte der sogenannten "Financial Intelligence Unit", der FIU beim Zoll, die eigentlich dazu gedacht war, den Kampf gegen Geldwäsche zu stärken.

Schon vor Jahren hatte sich herausgestellt, dass die Einheit offenbar nicht in der Lage war, den Status Deutschlands als Geldwäscheparadies zu gefährden. Eher im Gegenteil: Etliche Hinweise auf Straftaten blieben wohl einfach liegen, ohne an Polizei und Justiz weitergeleitet zu werden. Das legt aus Sicht der Ermittler in Osnabrück seit geraumer Zeit den Verdacht der Strafvereitelung im Amt nahe. Und das könnte für Scholz, der als Minister letztlich politisch dafür verantwortlich ist, was in seinem Verantwortungsbereich passiert (oder auch nicht), ungemütlich werden. Denn seit Jahren wirft ihm nicht nur die Opposition vor, die Missstände in der Geldwäschebekämpfung zu vernachlässigen.


Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach eigenen Angaben zwar gegen "unbekannt". Doch sie nimmt laut Pressemitteilung Scholz' Ressort bis zur Hausspitze in den Blick. Untersucht werde, "ob und gegebenenfalls inwieweit die Leitung sowie Verantwortliche der Ministerien sowie vorgesetzte Dienststellen in Entscheidungen der FIU eingebunden waren". Durchsuchungen bei der FIU hätten eine "umfangreiche Kommunikation" zwischen der Zentralstelle und den Ministerien der Finanzen und der Justiz gezeigt.

Weil der Fall in dieser Phase des Wahlkampfs so brisant ist, gibt es nun sogar um diese Pressemitteilung Streit. Einer von Scholz' engsten Vertrauten, Staatssekretär Wolfgang Schmidt, machte per Twitter auf eine angebliche Diskrepanz zum Durchsuchungsbescheid aufmerksam. In dem heiße es lediglich, die Staatsanwaltschaft wolle beteiligte Mitarbeiter der FIU identifizieren. Also keine Ministeriumsmitarbeiter. Weil Schmidt den Gerichtsbeschluss in Teilen auf Twitter veröffentlichte, wird nun gegen ihn ermittelt. Die Staatsanwaltschaft kann derweil einem Sprecher zufolge keine Diskrepanz zwischen Pressemitteilung und Gerichtsbeschluss erkennen. Man ermittle ergebnisoffen.

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Scholz selbst reagierte von Beginn an verschnupft auf die Razzia: Die Fragen hätte die Staatsanwaltschaft auch schriftlich stellen können, sagte er. Die Ermittlungen richteten sich ausdrücklich nicht gegen Mitarbeiter des Ministeriums. Die FIU sei, seit er sie übernommen habe, gewachsen und neu aufgestellt worden und werde auch weiterwachsen.

Über seinen Vertrauten Schmidt sagte er in einer ZDF-Sendung: "Der Staatssekretär twittert viel, das kann ich kaum noch nachvollziehen, was er da im Einzelnen macht."

3) Der Skandal mit Wirecard

Einer der Hinweise, die bei der offenbar nicht besonders schlagkräftigen Anti-Geldwäsche-Einheit versandeten, führt zur zweifellos spektakulärsten Affäre des Olaf Scholz. Der Fall Wirecard hat alles, was einen guten Thriller ausmacht. Einen schillernden Topmanager auf der Flucht zum Beispiel: Jan Marsalek, der Partygästen angeblich Sushi von nackten Frauenkörpern servierte und Kontakte in Geheimdienstkreise haben soll.

Um riesige Summen Geld geht es. Nicht nur um die zwei Milliarden Euro, die bei dem Finanzdienstleister verschwunden sind, sondern auch um viele pulverisierte Anleger-Milliarden. Und es geht um einen nicht ganz so schillernden Finanzminister, der sein Erspartes nach eigenen Angaben vor allem auf einem Sparbuch hat.

Scholz ist als Bundesfinanzminister nämlich nicht nur für die FIU, sondern auch für die Finanzaufsichtsbehörde Bafin verantwortlich. Die hat vom gewaltigen Finanzbetrug offensichtlich nicht nur erschreckend lange überhaupt nichts mitbekommen. Die Behörde erstattete sogar Anzeige gegen zwei Journalisten der "Financial Times", die als Erstes über Hinweise auf Straftaten bei Wirecard berichtet hatten. Der empörende Vorwurf gegen die Reporter: Marktmanipulation.

Im Untersuchungsausschuss zum Fall konnte sich Scholz einmal mehr nicht ganz so genau erinnern. Eine Verantwortung dafür, dass der Betrug mehr als elf Jahre nicht aufgeflogen war, konnte Scholz jedoch für sich und die Bundesregierung sehr sicher ausschließen. Auf die Frage, ob er persönlich Verantwortung dafür trage, dass der Skandal nicht früher auffiel, antwortete er hanseatisch knapp mit: "Nein."

Nachweisen konnte der Ausschuss der Bundesregierung dann auch nichts Handfestes – selbst wenn Union und Opposition von der kollektiven Unschuld nicht ganz überzeugt sind.

Scholz baute die ihm unterstellte Bafin nach Auffliegen des Skandals zumindest rasch und ziemlich nachhaltig um. Der Chef musste gehen, die Behörde bekam deutlich mehr Befugnisse, während Mitarbeiter nun nicht mehr privat mit bestimmten Finanzprodukten handeln dürfen.

Und dennoch bleibt ein Beigeschmack: Entschlossen handeln, wenn ein Skandal auffliegt, ist gut. Besser noch wäre es, den Skandal ganz zu verhindern.

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4) Der Stress mit der Ostsee-Pipeline

Nicht nur im Umgang mit Steuersündern, Geldwäschern und Betrügern ist Scholz verschwiegen. Das gilt auch, wenn es um öffentliche Mittel geht.

Um das deutsch-russische Gasprojekt Nord Stream 2 durchzusetzen, sah die SPD in der großen Koalition über russische Völkerrechtsverletzungen in Europa, Auftragsmorde, Wahlbeeinflussung und Sabotage in Nato-Ländern hinweg. Das Problem: Die USA waren nicht ganz so großzügig und wollten das Projekt, von dem vor allem Russland profitiert, stoppen.

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Ein Kompromiss musste her. Und den sollte der deutsche Steuerzahler wohl mitfinanzieren. Vermutlich dank Olaf Scholz. Denn als die USA zwischenzeitlich sogar mit Sanktionen drohten, machte der Finanzminister offenbar ein geheimes Angebot, das die "Zeit" aufdeckte: Eine Milliarde Euro bot er demnach für den Bau von Spezialhäfen zum Import von US-Flüssiggas. Im Gegenzug sollte Washington aber von Sanktionen wegen Nord Stream 2 absehen.

Zu Details dieses Angebots möchten sich weder Scholz noch die Bundesregierung äußern. Die seien vertraulich. Die Opposition hingegen sieht die Budgethoheit des Bundestags verletzt. Scholz wolle parlamentarische Kontrolle verhindern. Wie es aussieht, ist die Förderung inzwischen vom Tisch. Die neue US-Regierung lenkte schließlich ein, und eine sogenannte Klimastiftung von Scholz' SPD-Parteifreundin Manuela Schwesig beseitigte die letzten umweltpolitischen Hürden für Nord Stream 2. Die Pipeline ist mittlerweile fertiggestellt.

5) Die Großzügigkeit mit der Tabakindustrie

Dafür, dass eine andere Branche erst gar keine Hürden fürchten musste, sorgte Scholz' Finanzministerium bereits Anfang diesen Jahres. Und gab sich dabei erneut bemerkenswert schweigsam. Als der "Spiegel" fragte, wie weit denn die Tabaksteuerreform sei, antwortete ein Sprecher, es sei keine geplant – nur um dann wenige Wochen später das Gegenteil einräumen zu müssen. Möglicherweise legte das Haus keinen Wert auf eine allzu große öffentliche Debatte.

Denn wie sich herausstellte, entsprach der Gesetzentwurf des Ministeriums offenbar ziemlich genau dem, was sich die Zigarettenindustrie wünschte. Der Preis für Zigaretten sollte nur moderat steigen und den Herstellern somit auch die Möglichkeit eröffnen, noch etwas beim Preis draufzusatteln und so höhere Gewinne zu erzielen. Eine denkbare steuerliche Besserstellung der gesundheitlich empfehlenswerteren E-Zigaretten war hingegen gar nicht erst geplant.

Das Gesetz wurde inzwischen vom Bundestag verabschiedet. Dass es ziemlich industriefreundlich ausgefallen ist, scheint nicht gänzlich verwunderlich zu sein: Dem "Spiegel"-Bericht zufolge traf sich der für die Reform zuständige Scholz-Vertraute immer wieder mit den Tabaklobbyisten: Erst räumte das Ministerium drei Treffen ein, schließlich wurden daraus zehn. Termine etwa mit Ärzten gab es hingegen nicht. Und auch Gesundheitsverbände wurden nicht angehört.

Was bei den Treffen mit der Tabakwirtschaft besprochen wurde? Das lässt sich so einfach nicht in Erfahrung bringen. Das Ministerium jedenfalls gibt dazu keine Auskunft.

6) Die Eskalation des G20-Gipfels

Zu den Sätzen, die Olaf Scholz am meisten bedauern dürfte, gehört sein vollmundiges Versprechen an die Hamburger, der G20-Gipfel im Jahr 2017 werde nicht großartig anders als der jährliche Hafengeburtstag. Denn viele Hamburger würden kaum etwas bemerken, wenn sich die wichtigsten Politiker der Welt in ihrer Stadt träfen. Also ein Polithappening, das schon vorher längst nicht alle in Feierlaune versetzte, obwohl es doch den Ruhm der Stadt mehren sollte.

Am Ende wurde es nichts weniger als ein Desaster.

Vermummte verwüsteten Teile der Stadt und gingen dabei deutlich wahlloser vor, als die Verantwortlichen vermutet hatten. Viele Polizisten und Demonstranten wurden zum Teil schwer verletzt. Selten hat Scholz mit einer Einschätzung öffentlich so danebengelegen. Auch, weil er im Zweifel lieber gar nichts sagt oder eine Floskel bemüht, bevor er sich auf unsicherem Grund festlegt.

Sein Krisenmanagement beim G20-Gipfel machte es erst mal nicht wirklich besser, sondern schlimmer. "Polizeigewalt hat es nicht gegeben", urteilte er rasch, obwohl längst Ermittlungsverfahren gegen Beamte liefen.133 der 169 Strafverfahren gegen Polizisten waren bis Anfang Juli dieses Jahres tatsächlich eingestellt, kein Polizist ist bisher angeklagt worden. Teile der Opposition sehen den Grund dafür aber im mangelnden Aufklärungswillen und fordern eine unabhängige Ermittlungsstelle.

Scholz jedenfalls tat nach dem G20-Desaster etwas, was er nicht häufig tut, was er eigentlich in allen seinen Affären nicht getan hat: Er gab sich zerknirscht und bat die Menschen um Entschuldigung für sein falsches Versprechen der Sicherheit. Einen Hinweis darauf, dass alle Behörden es genauso wie er gesehen hätten, sparte er sich aber nicht.

Aber es war zumindest ein kleines Signal der politischen Verantwortung. Davon hat er in anderen Affären bislang wenig erkennen lassen.

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