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CDU in der Zentrifuge: Eine Reise durch eine Partei im Krisen-Modus


CDU in der Krise
Unter Verzweifelten


15.10.2021Lesedauer: 7 Min.
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Noch-Vorsitzender Armin Laschet: Eine Partei wie in der Zentrifuge.Vergrößern des Bildes
Noch-Vorsitzender Armin Laschet: Eine Partei wie in der Zentrifuge. (Quelle: imago-images-bilder)

Die CDU war wohl noch nie in einem so schlimmen Zustand wie im Moment. Nun fordern alle eine Erneuerung. Doch eine Reise durch die tief verunsicherte Partei zeigt, wie schwer dieser Prozess wird.

Thomas Zeibig schaut, als wolle er gleich mit seiner Hand ein Brett zerschlagen. Er schiebt seinen Kopf vor und sagt mit fester Stimme: "Im Moment glaube ich, dass jeder irgendwie sein eigenes Ding macht in der Partei. Und das ist nicht gut. Wir brauchen keine Spitze, die sich an die Macht klammert." Der 24-Jährige ist wütend, als er über die Lage der CDU spricht. Seiner CDU.

Es ist ein Abend Mitte Oktober, kurz nach 19 Uhr, Zeibig läuft durch den Frankfurter Hauptbahnhof. Im Stechschritt umkurvt er die Passanten und sagt dabei: "Unsere Parteispitze kann offensichtlich aktuell keine vernünftigen Themen setzen. Da ist es gut, mal nicht zu regieren."

Jede Woche fährt er aus seiner Heimatstadt in Brandenburg nach Frankfurt am Main, wo er als Banker arbeitet. Seitdem er 17 Jahre alt ist, engagiert sich Zeibig in der CDU, mittlerweile ist er stellvertretender Chef der örtlichen Jungen Union. Manchmal telefoniert er abends mit Parteifreunden und hört sich ihre Sorgen an.

Zeibig tritt aus dem Bahnhofsgebäude und betrachtet die umherstehenden Wolkenkratzer. In der dunklen Nacht glitzern die beleuchteten Bürogebäude. Dann sagt er nachdenklich: "Ich glaube schon, dass mehr konservative Politik gut ist: Mehr innere Sicherheit, mehr Förderung der Wirtschaft, weniger Gender-Sprache." Und er schiebt nach: "Ich bin für Friedrich Merz als Vorsitzenden." Bald darauf verabschiedet er sich und verschwindet in einer Treppe zur U-Bahn-Station.

Für den jungen CDU-Mann ist das Rezept zur Rettung seiner Partei klar: Einfach mal einen entschlossenen Schritt nach rechts machen und politisch mehr Vergangenheit wagen. Zeibig ist mit dieser Haltung nicht allein in seiner Partei. Andere wiederum halten genau dieses Konzept für politischen Selbstmord.

"Die Altvorderen haben ihre Zeit gehabt"

Nach dem Desaster bei der Bundestagswahl, dem angekündigten Rückzug von Armin Laschet und dem wohl bevorstehenden Gang in die Opposition ist die CDU auf Sinnsuche wie lange nicht mehr. Vielleicht so sehr wie noch nie in ihrer Geschichte. Denn auch dem letzten Zweckoptimisten ist nun klar: Die Partei hat weder ein Abonnement aufs Kanzleramt noch die Sicherheit, dauerhaft Volkspartei zu sein. Und da stellen sich sehr grundlegende Fragen, etwa: Wer sind wir eigentlich? Wofür wollen wir stehen? Was ist heute eigentlich konservativ?

Wenn man mit Mitgliedern und Funktionären in ganz Deutschland spricht, ergibt sich das Bild einer Partei in der Zentrifuge: Die Kräfte werden immer stärker, sie zerren in alle Richtungen. Rechts und links, oben und unten. Hauptsache, weg vom Status quo. Und praktisch alle nehmen für sich in Anspruch, für "Erneuerung" zu stehen. Nur wie das Neue aussehen soll, darüber könnte ein bitterer Kampf ausbrechen. Davon, wie er ausgeht, hängt vermutlich ab, wie viel Zukunft der CDU nach ihrer "Erneuerung" noch bleibt.

Am Mittwochmorgen dieser Woche setzt sich Bernhard Rotzinger an seinen Rechner. Der Freiburger CDU-Kreisvorsitzende beantwortet ein paar Mails und sagt dann am Telefon: "Wir sind als zerstrittene Partei aufgetreten, dafür muss man nicht Politik studiert haben – damit wird man nicht gewählt." Nun darf er als Kreisvorsitzender mitentscheiden, ob die Mitglieder über den nächsten Parteichef abstimmen dürfen. Kommt also jetzt die Stunde von Friedrich Merz? Dem Mann, der vor allem im Südwesten viele seiner treuesten Anhänger hatte?

Rotzinger ist skeptisch: "Selbst in Baden-Württemberg ist die Zeit, wo sich viele nach Friedrich Merz gesehnt haben, vorbei. Wir brauchen neue Köpfe, die Altvorderen haben ihre Zeit gehabt." Er glaubt, die CDU habe den größten Erfolg mit einem mittleren Kurs, wie mit dem Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus oder dem Außenpolitiker Norbert Röttgen an der Spitze.

Und jetzt? Jetzt liegen die Mehrheiten jenseits der CDU

Die Partei ist offenbar immer noch so gespalten wie bei den Parteitagen 2018 und 2020, als Merz bei der Wahl um den Vorsitz beide Male nur knapp unterlag. Doch hinter dem Ringen um den richtigen Mann an der Spitze steht auch die Frage, welcher politische Stil die Partei künftig prägen soll. Scharfe Kante wie bei Merz? Oder sanfter Druck wie bei Röttgen und Brinkhaus? Die Meinungen darüber gehen auch deshalb so weit auseinander, weil unter Angela Merkel solche Fragen gar nicht beantwortet werden mussten.

Die Kanzlerin behelligte weder die Deutschen noch ihre Partei mit der Frage nach der richtigen politischen Strategie. 2013 reichte ihr der Satz "Sie kennen mich", um die CDU beinahe sogar zur absoluten Mehrheit zu führen. Bei Inhalten bediente sie sich besonders gern bei der SPD, die CDU stand im Wortsinn für den Zeitgeist. Was eine Mehrheit in der Bevölkerung hatte, war Parteiposition.

Doch Merkels Macht zerbröselte, und 2018 überließ sie die CDU mit ihrem Rücktritt vom Parteivorsitz dann sich selbst. Die zwei Kurzzeit-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet konnten das inhaltliche Vakuum nicht füllen. Jetzt finden sich wohl Mehrheiten jenseits der CDU und die Sehnsucht der Mitglieder nach eigenen Positionen ist umso größer.

Etwa zwölf Stunden vor dem Gespräch mit dem Freiburger Bernhard Rotzinger sitzt Katja Leikert am Dienstagabend in Hanau vor einem Salat mit Pfifferlingen. "Gut durchgebraten" hat sie diese bei der Kellnerin im Restaurant bestellt. Leikert greift zum Besteck und strahlt. Eigentlich hatte sie sich die nächsten Wochen freigehalten, für mögliche Sondierungsgespräche. Doch nun hat sie plötzlich Zeit, die CDU regiert ja nicht mehr mit. Also fährt Leikert erst mal eine Woche nach Österreich, isst vorher aber noch einmal in einem ihrer Lieblingsrestaurants.

Die 43-Jährige ist stellvertretende Chefin der Unionsfraktion im Bundestag und damit eine Art Bindeglied zwischen den CDU-Bundestagsabgeordneten und den Ministern. Ihr Job war es unter anderem bislang, die Mehrheiten bei den Gesetzesvorlagen zu besorgen.

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Leikert will jetzt über Inhalte reden. Sie lehnt sich zurück, die Gabel mit den Pfifferlingen verharrt auf dem Teller, ein Punkt ist ihr wichtig: "Man muss es jetzt mal ganz deutlich sagen: Wir haben einfach die wichtigen Trends verschlafen." Sie findet, die CDU müsse bei ihrer Neuaufstellung vor allem über den Begriff des Konservatismus nachdenken.

Plötzlich sagt sie: "Es ist doch viel konservativer, Cannabis zu kontrollieren, als wenn man seinen Kindern nachlaufen und sie fragen muss: Wo habt ihr das gekauft?" Selbst in der CDU kann man sich inzwischen also die Legalisierung von Cannabis vorstellen. Es sind spannende Zeiten bei dieser Partei im Wandel.

Opfert man jetzt Frauen wie Leikert für Jens Spahn oder Norbert Röttgen?

Und wie sieht Leikert den Wunsch der Basis, endlich ein klareres Profil zu bekommen? Sie sagt: "Ich versuche natürlich, beidem gerecht zu werden: Dem Wunsch nach einem Wandel in der Partei, aber auch gleichzeitig dem Anspruch, dass wir nicht unter dem Eindruck eines historisch schlechten Wahlergebnisses plötzlich auch Bewährtes pauschal über Bord werfen."

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Manchmal klingt Leikert, als wäre sie eingeklemmt zwischen zwei Mühlsteinen, die sich in gegensätzliche Richtungen drehen: Oben die Parteispitze, der Berliner Apparat, die sich noch schwertun mit der Neuausrichtung, nachdem man so sehr an die wohlige Macht gewöhnt war. Und unten die Basis, die endlich Klarheit und einen Neuanfang haben will. Dazwischen Leikert, die allen gerecht werden möchte.

Am Umgang mit Politikerinnen wie ihr könnte sich zeigen, wie ernst es die CDU mit dem angestrebten Wandel hin zu einer weiblicheren, moderneren Partei meint. Nun fallen die vielen Ministerämter weg, viele Ex-Minister wollen einen neuen Posten. Und da gibt es in der Opposition neben dem Parteichef eben nur den Fraktionsvorsitzenden und seine Stellvertreter. Opfert man dafür Frauen wie Leikert, damit Männer wie Jens Spahn oder Norbert Röttgen Vizefraktionschef werden können?

Cloppenburg bei Hannover am Mittwochmittag dieser Woche: Silvia Breher sitzt an einem großen, weißen Konferenztisch in der dortigen Kreisgeschäftsstelle ihrer Partei. Draußen bricht der Herbst über Niedersachsen herein. Breher ist Vizevorsitzende der CDU und damit im obersten Machtzirkel angekommen, doch trotzdem ist sie möglichst oft hier in Cloppenburg, ihrer Heimat.

Als stellvertretende Parteichefin wird an Breher alles herangetragen: Die brodelnde Basis, die Umstrukturierung des mittleren Machtapparats in der Fraktion, die Frage nach der grundsätzlichen Ausrichtung der Partei. Und, was steht jetzt für die CDU an? Breher atmet tief ein und sagt: "Ich glaube, die Partei steht einfach vor einem grundsätzlichen Wandel. Das ist normal und es ist auch gut so." Sie schaut einem dabei in die Augen und spricht mit ruhiger Stimme.

Jung genug für TikTok, alt genug, um die Strukturen zu kennen

Breher gehörte zu den engsten Unterstützerinnen von Armin Laschet. Man könnte glauben, dass sie nun auch gehen muss, weil ja die gesamte Parteispitze vor einem Umbruch steht. In Wahrheit könnte die CDU Köpfe wie sie womöglich gut gebrauchen. Breher hat bereits angekündigt, nicht für das Amt des Vorsitzenden kandidieren zu wollen, was ihr Glaubwürdigkeit verleiht, wenn sie erklärt, dass es ihr um die Sache geht.

Der Wandel in der Partei könnte von jemandem wie Breher gemanagt werden: Sie kennt die Strukturen, sie kennt die Probleme und ist mit 48 Jahre ziemlich jung für eine Spitzenpolitikerin. Jung genug, um soziale Netzwerke wie TikTok zu verstehen. Alt genug, um zu wissen, wie man die vielen unterschiedlichen Interessen vereint, ohne Parteimitglieder vor den Kopf zu stoßen.

Und als erste Maßnahme kündigt Breher an: "Wir werden mit Abgeordneten sprechen, die es ins Parlament geschafft haben. Genauso wie mit jenen, die es leider nicht reingeschafft haben." Der Plan in der Parteispitze ist: Erfolgreiche Rezepte der eigenen Politiker für die Bundespartei zu kopieren.

Am Freitag wird klar: Die ersten Abgeordneten wurden bereits angerufen. Deutlich wird aber auch, dass vor der CDU noch ein weiter Weg der Selbstfindung liegt. Und in diesem Fall gilt tatsächlich: Ende offen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche, persönliche Termine in Hanau, Frankfurt, Cloppenburg
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