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Von der Leyens Corona-Berater: Virologe Peter Piot starb fast an Covid-19


Von der Leyens Corona-Berater starb fast an Covid-19

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 10.05.2020Lesedauer: 6 Min.
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Der "Mick Jagger der Virologen": Peter Piot lässt sich auch schon mal in Anzug mit Schutzhandschuhen und Schutzüberzügen fotografieren. Auf dem Foto steht er vor Bildern des Ebola-Virus.Vergrößern des Bildes
Der "Mick Jagger der Virologen": Peter Piot lässt sich auch schon mal in Anzug mit Schutzhandschuhen und Schutzüberzügen fotografieren. Auf dem Foto steht er vor Bildern des Ebola-Virus. (Quelle: imago-images-bilder)

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich den Ebola-Entdecker als Coronavirus-Sonderberater geholt. Der 71-jährige Virologe Peter Piot hat zu Covid-19 eine besondere Beziehung: Er hätte daran sterben können.

Er nennt die aktuellen Corona-Maßnahmen mittelalterlich, fordert eine Reform der Weltgesundheitsorganisation WHO und berichtet eindrücklich von seiner eigenen Coronavirus-Infektion. Mit dem Belgier Peter Piot hat die EU-Kommission sich für die Krise einen schillernden Sonderberater geholt, der nicht nur zu den renommiertesten Virologen der Welt zählt. Er kann auch unbequem für Politiker und Pharmakonzerne werden.

Der "Mick Jagger der Mikroben"

Piot gehörte zu der Gruppe, die 1976 in der Nähe eines Flüsschens mit dem heute weltbekannten Namen Ebola ein todbringendes Virus identifizierte. Er trug bahnbrechende Erkenntnisse zur Erforschung von HIV bei, wurde zum Vorkämpfer gegen AIDS und Gründungsdirektor des UN-Programms gegen AIDS.

"Mick Jagger der Mikroben" hat ihn die "Financial Times" wegen seines Rufs und seiner manchmal ungewöhnlichen Methoden genannt. Jetzt ist er Corona-Sonderberater für Ursula von der Leyen und das siebte Mitglied einer EU-Expertengruppe, der auch Christian Drosten angehört.

"Ich habe mein Leben dem Kampf gegen die Viren gewidmet", sagte er dem belgischen Portal "knack.be". Doch Anfang April habe er gedacht, dass die Viren ihn jetzt erwischt haben und sich rächen. Der 71-Jährige lag mit einem Obdachlosen, einer Reinigungskraft aus Kolumbien und einem Mann aus Bangladesch auf der Intensivstation eines öffentlichen Krankenhauses in England. Dort leitet er die London School of Hygiene &Tropical Medicine. Privatkliniken in England wollen keine Coronavirus-Patienten behandeln, erklärte er, seine private Versicherung nutzte ihm nichts.

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Bereits am 19. März waren die Symptome gekommen. Starke Kopfschmerzen, hohes Fieber, Erschöpfung. "Ich musste damals nicht husten, aber mein erster Reflex war dennoch: Ich habe es." Ein von ihm bezahlter Test bestätigte es.

Angst vor künstlicher Beatmung

Piot arbeitete im Homeoffice weiter, bis ein Freund ihm dringend zum Gang ins Krankenhaus riet. Dort wurde festgestellt, dass die Sauerstoffversorgung alarmierend schlecht war. Bilder seiner Lunge zeigten eine schwere Entzündung. "Und ich war nicht nur müde, sondern völlig erschöpft."

Die EU-Beratergruppe
Piot ist neben seiner Rolle als Sonderberater auch Mitglied einer siebenköpfigen Covid-19-Beratergruppe, die am Donnerstag ihr siebtes reguläres Zusammenkommen hatte. Die Gruppe besteht aus: Epidemiologe Arnaud Fontanet (Pasteur-Institut Paris), Virologe Christian Drosten (Leiter Institut für Virologie an der Charité in Berlin), Tierarzt für Mikrobiologie Lothar Wieler (Präsident Robert Koch-Institut), Mikrobiologin Maria Rosaria Capobianchi (Nationales Institut für Infektionskrankheiten Rom), Virologin Marion Koopmans (Leiterin Abteilung für Virologie Erasmus-Universität Rotterdam) und Epidemiologe Kare Mölbak (Staatliches Serum Institut).

Er hatte zu dem Zeitpunkt Sorge, an künstliche Beatmung angeschlossen zu werden. Studien zeigen, dass die Sterberate dann steigt. Deshalb war Piot froh, dass eine Sauerstoffmaske reichte. Dennoch, so der Belgier, nach dem 2014 ein Asteroid benannt wurde, sei er "eine Woche lang zwischen Himmel und Erde" balanciert. Und das, obwohl er fit sei und keine Vorerkrankungen habe. "Mein einziger Risikofaktor war mein Alter."

Als er schließlich entlassen werden konnte, stellten sich eine Woche später neue Komplikationen ein. Er bekam wieder schlechter Luft. Der Grund: Ein Zytokinsturm – das heißt, sein Abwehrsystem lief quasi Amok und aktivierte massenhaft Immunzellen in der Lunge, die gar keinen Feind mehr hatten. Zu "Knack" sagte Piot: "Viele Menschen sterben nicht an den durch das Virus verursachten Gewebeschäden, sondern an den übertriebenen Reaktionen ihrer Abwehrkräfte." Sein Herzschlag beschleunigte sich auf 170. Er ist heute noch außer Atem, wenn er einige Treppenstufen geht.

Es dauerte bis Anfang Mai, ehe er wieder arbeiten konnte. "Das erste ist meine Arbeit als Corona-Berater der Präsidentin der Europäischen Kommission", sagte er "Knack".

Kritik von der Seitenlinie "sehr unfair"

Er müsse weiterhin Medikamente nehmen. Überhaupt hätten viele Erkrankte länger an den Folgen zu tragen. Bei Covid-19 gehe es eben nicht nur um eine Sterberate von 1 Prozent und Grippesymptome bei vielen anderen: "Viele Menschen werden auch chronische Nieren- und Herzprobleme davontragen, und auch das Nervensystem ist angegriffen."

Beim Coronavirus gebe es so vieles, was noch nicht bekannt sei. "Und je mehr wir wissen, desto mehr Fragen stellen sich." Deshalb machten ihn die Stimmen sauer, die "ohne viel Einsicht von der Seitenlinie aus" die Wissenschaftler und Politiker kritisierten, die hart daran arbeiteten, das Virus unter Kontrolle zu bringen. "Das ist sehr unfair."

Er ist selbst nicht in sozialen Netzwerken, er will sie nicht verurteilen, aber er beklagt, wie dort "atomisierte Meinungen" Gewicht bekämen. Deshalb gäbe es auch das Paradox, dass Menschen, die ihr Leben Impfstoffen verdankten, keine Impfungen mehr für ihre Kinder wollten. Das treibt ihn mit Blick auf den Kampf gegen das Coronavirus um: "Wenn zu viele Menschen nicht mitkommen wollen, werden wir die Pandemie niemals unter Kontrolle bringen."

In Belgien zum Ritter geschlagen

Der neue Sonderberater für von der Leyen, in seiner Heimat zum Ritter mit dem Titel Baron geschlagen, hat eine hohe Meinung von Spitzenpolitikern: "Mein Respekt ist bei meiner Arbeit gewachsen“, sagte er der "Süddeutschen Zeitung" einmal. "Weil ich anfing zu begreifen, wie schwierig es für sie sein muss, ständig Entscheidungen zu treffen." Es gebe Ausnahmen, "aber viele bemühen sich darum, Positives zu bewirken."

Darauf war er in seiner früheren Funktion sehr angewiesen: Er war 1995 der Gründungsdirektor des UN-Programms gegen AIDS. Der Wissenschaftler wurde dort auch zum Strategen: Anfangs habe er gedacht, Beweise reichten, um zu überzeugen. Ein Fehler, das sei zu akademisch gedacht.

Also spornte er afrikanische AIDS-Aktivisten an, den damaligen US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Richard Holbrook, bei einem Besuch möglichst oft zu konfrontieren. Der entsetzte Botschafter ließ AIDS ganz oben auf die Tagesordnung im UN-Sicherheitsrat setzen. Die Immunschwäche-Krankheit wurde nun wahrgenommen als Katastrophe, die die regionale Stabilität bedrohte. "Ich habe gelernt, dass es in der großen Politik nur zwei Themen gibt, die wichtig sind: Geld und Sicherheit."

Piot setzte in der Folge erfolgreich bei den Pharmakonzernen erschwingliche Preise für AIDS-Medikamente in weniger entwickelten Ländern durch. Der "Financial Times" erzählte er, wie er dazu auch das Weltwirtschaftsforum in Davos nutzte: "Da konnten wir mit den Bossen sprechen ohne ihre Anwälte. Wir haben ihnen gesagt, sie können wie die Tabakkonzerne sein oder Menschen vor dem Tod bewahren."

Und dann erreichte er nicht nur im Vatikan eine liberale Haltung zu Kondomen, sondern sagte Chinas kommunistischem Staatschef Wen Jiabao ins Gesicht, dass China für Erfolge gegen AIDS offener sein und aufhören muss Drogensüchtige und Prostituierte nur wegzusperren.

Bei einem Auftritt mit einem Kollegen in einer Fernsehshow zogen sie unabgesprochen ein rosa angemaltes Holzstück hervor und führten vor, wie man ein Kondom richtig überzieht. "Es gab einen Skandal", schreibt er in seinem Buch "No time to lose". In dem 2012 erschienen Werk prognostizierte er, dass die nächste Pandemie kommen wird und es eine globale Feuerwehr braucht, bevor das Haus in Flammen steht.

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"WHO wird zum Spielzeug der Politik"

Piot vertritt den Standpunkt, dass die Schwächsten auch die Schwachpunkte sind – die Menschen wie die Staaten, und dass es deshalb Solidarität und Zusammenarbeit braucht. Labile Gesundheitssysteme würden sonst rasch das schwache Glied in jeder globalen Gesundheitskrise. Wer so denkt, wünscht sich auch eine starke Weltgesundheitsorganisation.

Die WHO leiste gegen Covid-19 aktuell hervorragende Arbeit, sagt Piot. Er hoffe aber, dass sie reformiert werden kann, um sie weniger bürokratisch und weniger abhängig von Beratungsausschüssen zu machen, in denen einzelne Länder in erster Linie ihre eigenen Interessen verteidigen. Seine Kritik: "Die WHO wird zu oft zum Spielzeug der Politik."

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Am 28. Januar hatte er auch deren Zögern kritisiert, keinen internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen zu haben: "Dass es so viele Fälle in so vielen Ländern gibt es und es sich schnell verbreitet ist von internationaler Bedeutung. Ich weiß nicht, was die WHO noch braucht", sagte er der "Financial Times".

Vier Monate später ist heute für ihn klar, dass es beim Coronavirus keine Normalität geben wird ohne Impfstoff. "Die einzige wirkliche Ausstiegsstrategie aus dieser Krise ist ein Impfstoff, der weltweit eingeführt werden kann", so Piot im Gespräch mit "Knack". Dazu gehöre die Herstellung von Milliarden von Dosen, wenn es gelinge, einen Impfstoff zu entwickeln. Das sei trotz der Anstrengungen noch nicht ausgemacht. "Im schlimmsten Fall werden wir nur versuchen können, den Schaden zu begrenzen."

Selbst langsame Lockerungen von Maßnahmen werden zum Anstieg führen, sagte er "Knack". Das werde neuen Unmut schüren. Doch das Ausmaß? "In meinem Institut arbeiten 30 brillante Mathematiker an Modellen, wie sich eine Viruskrankheit entwickelt. Was sie nicht kontrollieren können: Wie werden die Menschen auf eine Maßnahme reagieren?" Was in Singapur möglich sei, sei es bei uns vielleicht nicht. Die Eindämmungsmaßnahmen seien "fast mittelalterlich" und im Widerspruch zur Individualisierung der Menschen. Es sei zu spüren, wie die Geduld nachlasse. "Wir können so nicht weitermachen."

Zugleich nervten ihn relativierende Vergleiche etwa mit der Zahl der Toten durch Krebs oder Folgen des Rauchens. "Zu wenige Menschen erkennen, wie sehr dieses Virus unsere Gesellschaft stört." Die wirtschaftliche Schockwelle werde größer sein als nach der Finanzkrise im Jahr 2008. "Die Europäische Kommission betrachtet sie als die größte Krise unserer Zeit."

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zählt da nun auf Piots "unschätzbare Erfahrung". Er könne Maßnahmen voranbringen, um schneller Impfstoffe, Diagnostika und Therapien zur Bekämpfung des Coronavirus zu entwickeln und einzusetzen, so von der Leyen.

Verwendete Quellen
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