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Katastrophe in Beirut: Das ist die Folge von Käuflichkeit und Schlamperei


Katastrophe in Beirut
Das ist die Folge von Käuflichkeit und Schlamperei

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 06.08.2020Lesedauer: 5 Min.
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Ein Soldat läuft durch eine zerstörte Straße in Beirut: Im Libanon und der ganzen Region muss sich etwas ändern.Vergrößern des Bildes
Ein Soldat läuft durch eine zerstörte Straße in Beirut: Im Libanon und der ganzen Region muss sich etwas ändern. (Quelle: Aziz Taher/reuters)

Beirut ist immer wieder aufgestanden: Nach dem Bürgerkrieg, nach Attentaten, nach Flüchtlingswellen. Ob es sich aber von der Explosion erholt? Nur wenn sich etwas grundlegend ändert.

Der Libanon, kaum größer als das Rheinland, nimmt schon wegen seiner wunderschönen Zedernwald-Landschaft eine Sonderstellung in der Region ein. Sie führt vom Mittelmeerstrand hinauf zum schneebedeckten Berggipfel auf 3.000 Meter. Der Libanon ist außerdem Heimat für verschiedene Ethnien sowie für Christen, Muslime, Drusen und andere Religionsgruppen. Die kulturelle Vielfalt, die heute immer noch prägend für die ganze arabische Welt ist, brachte der Hauptstadt Beirut einst den Beinamen "Paris des Orients" ein.

Reich und Arm treffen sich an der Promenade

Libanesen gelten als die offensten Menschen in der ganzen Region. Und Beirut ist ihr Hotspot. Hier pulsiert das Leben. Reich und Arm treffen sich an der Corniche, um sich vor allem abends und nachts am Mittelmeer, bei arabischer Popmusik und dem Geruch von Popcorn, das dort verkauft wird, zu erfreuen. Beirut ist nicht nur eine Metropole, es ist eine Haltung. Kaum eine andere arabische Großstadt im Nahen Osten ist vergleichbar. Aber diesen Status musste sich die Stadt immer wieder neu erkämpfen.

Das Land hat viele schwere gewaltsame Auseinandersetzungen hinter sich. Die Narben des Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 sind teilweise noch sichtbar. Nach wie vor herrscht offiziell Kriegszustand mit dem benachbarten Israel. Im Süden wirkt die islamistische Hisbollah.

Ein Viertel der Einwohner sind Flüchtlinge

Gegenwärtig reiht sich eine Krise an die nächste. Mehr als eineinhalb Millionen Flüchtlinge aus Syrien wurden aufgenommen – in Relation zur Einwohnerzahl sind das die meisten weltweit. Sie entsprechen ungefähr einem Viertel der Einwohnerzahl von vor zehn Jahren. Der Libanon steckt in einer schweren Wirtschaftskrise, in einer schweren Finanz- und Währungskrise.

Vor allem letzteres – der Dollar gilt als inoffizielle Landeswährung – ist für das importabhängige Land katastrophal. Hinzu kommt die Corona-Krise. Angesichts des deutlichen Anstiegs an Neuinfektionen wurde gerade erst aus Angst vor der zweiten Welle ein neuer Lockdown erlassen.

Und nun diese gewaltige Detonation, die aussah wie ein Atombombeneinschlag. Man konnte sie selbst noch auf Zypern wahrnehmen. Über 130 Menschen sind tot, mehr als 5.000 verletzt. Ihre Einrichtung habe den 15-jährigen Bürgerkrieg sehr viel besser überstanden als dieses Ereignis, sagte die Leiterin des deutschen Orient-Instituts Beirut, Professorin Birgit Schäbler, mit Blick auf die Zerstörungen am Gebäude.

Wenn die Libanesinnen und Libanesen eines sind, dann krisenerprobt. Doch dieses Mal besteht die akute Gefahr, dass sie am Ende ihrer Kräfte angelangt sind. Die Situation ist höchst brisant.

Es hat nicht lange gedauert und die ersten Theorien zur Ursache für die Detonation kursierten bereits gewohnheitsgemäß in den sozialen Medien. Dass ausgerechnet US-Präsident Donald Trump über einen Angriff spekulierte, obwohl amerikanische Armeekreise dem widersprachen, sorgt nicht gerade für eine Beruhigung vor Ort. Natürlich ist ein Anschlag denkbar, aber genauso plausibel ist die Vorstellung, dass das Hafendepot ungewollt explodiert ist.

Seit längerem war offenbar bekannt, dass rund 2.700 Tonnen Ammoniumnitrat, das in der Regel für die Produktion von Dünger oder Sprengstoff benutzt wird, ohne spezielle Sicherung in einem heruntergekommenen Gebäude im Hafenviertel herumlag. Die Politik vor Ort hat versagt. Niemand fühlte sich zuständig. Das kann niemanden wundern.

Der Libanon wird seit Jahrzehnten von denselben reichen Eliten regiert und dominiert, die sich häufig bloß um ihr eigenes Los kümmern und denen das Schicksal der Bevölkerung egal ist. Sicherheitspolitik heißt da oftmals: aus den Augen, aus dem Sinn.

Die Lage in der Region ist fragil

Aber es reicht nicht, nur die schlechte Regierung für das Drama verantwortlich zu machen. Sie ist symptomatisch für die Misere der ganzen Region. Egal wohin man schaut, überall ist die Lage fragil. Vorneweg Syrien, Jemen und Libyen. Gefolgt vom Irak. Die Türkei wird von einem nationalislamistischen Präsidenten regiert, Saudi-Arabien und Iran von islamistischen Fundamentalisten, in Ägypten steht ein Putschist an der Macht, die Emirate stehen auf Kriegsfuß mit der Meinungsfreiheit und sonstigen Freiheitsrechten. In Israel ist der Ministerpräsident wegen Korruption, Bestechlichkeit und Untreue angeklagt. In Tunesien werden – Arabischer Frühling hin oder her – Männer wegen Homosexualität ins Gefängnis gesperrt, und als sei der Jemen nicht schon gestraft genug, starben diese Woche mehrere Menschen bei Überschwemmungen.

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Warum das alles? Ist das die Rache Gottes? Gewiss nicht. Es ist die logische Folge von Käuflichkeit, Schlamperei, Herrschsucht, Ausbeutung, mangelnder Bildung, Kriegen, Interventionen fremder Staaten und ähnlichem in einer teilweise von klimatischen Extremen durchzogenen Region. Diese verheerende Kombination sorgt dafür, dass Katastrophen wie in Beirut förmlich angezogen werden und man ihnen anschließend kaum etwas zur Überwindung entgegenzusetzen hat.

Weg zum Wohlstand ist quälend lang

Um solche Desaster künftig zu verhindern, sollte sich die Region grundlegend wandeln. Der Weg zu Wohlstand und Sicherheit, wie wir ihn in Europa genießen können, ist noch quälend lang. Ad hoc wird es keine Lösungen geben. Aber man muss anfangen, sie zu suchen und umzusetzen. Dazu gehört, dass die politischen Eliten im Libanon mittelfristig abtreten müssen. Trotz aller Resilienz wird die Bevölkerung den Regierenden die Schlamperei nicht durchgehen lassen. Gestern gab es bereits die ersten Demonstrationen.

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Wer derart mit dem Rücken zur Wand steht wie die Menschen im Libanon, hat bald nicht mehr viel zu verlieren. Will die Weltgemeinschaft nicht einen weiteren kompletten Staatszerfall in der Region mit ansehen, muss sie jetzt handeln.

Es mag eine mitfühlende Geste und ein großes Zeichen von Solidarität sein, aber es wird nicht reichen, zum Gedenken an die Opfer die Beleuchtung des Eiffelturms in Paris um Mitternacht auszuschalten. Oder das höchste Gebäude der Welt in Dubai mit der libanesischen Flagge anzustrahlen.

Der größte Teil der Getreidevorräte des Libanon ist vernichtet oder kontaminiert. Die Hauptstadt liegt in weiten Teilen im wahrsten Sinne des Wortes am Boden, der wichtigste Hafen ist zerstört, Hunderttausende sind obdachlos geworden, Krankenhäuser überfüllt. Allein kann das Land aus dieser Situation nicht herauskommen.

Bereits gestern haben zahlreiche Staaten ihre Unterstützung zugesagt. Auch Israel bot dem "Feind" in einer wunderbaren Geste seine Hilfe an und zeigte sich solidarisch. Menschlichkeit sei wichtiger als jeder Konflikt, schrieb Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai auf Twitter.

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Das ist bemerkenswert und stimmt zuversichtlich und hoffnungsfroh. Schon bald aber werden die ausländischen Fernsehkameras ausgeschaltet und die Aufmerksamkeit gewichen sein. Die Staatengemeinschaft aber muss auch dann noch da sein, wenn in einigen Monaten der Wiederaufbau beginnt.

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