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EuGH-Urteil: Deutsche Regelung zum Familiennachzug ist rechtswidrig


Urteil des EuGH
Deutsche Regelung zum Familiennachzug ist rechtswidrig

Von dpa, pdi

01.08.2022Lesedauer: 4 Min.
Unterricht für junge unbegleitete Asylbewerber aus Syrien und dem Irak (Symbolbild): Das EuGH hat mit mehreren Entscheidungen die Rechte von Geflüchteten in Europa gestärkt.Vergrößern des BildesUnterricht für junge unbegleitete Asylbewerber aus Syrien und dem Irak (Symbolbild): Das EuGH hat mit mehreren Entscheidungen die Rechte von Geflüchteten in Europa gestärkt. (Quelle: Ulli Winkler/imago images)
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Mit mehreren Entscheidungen stärkt der Europäische Gerichtshof die Rechte von Geflüchteten in Europa. Ein Urteil hat auch Konsequenzen für Deutschland.

Deutschland verstößt mit seinen Regeln zum Nachzug von Familienangehörigen von Flüchtlingen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen EU-Recht. Der Familiennachzug dürfe nicht deshalb verwehrt werden, weil ein minderjähriges Kind während eines laufenden Verfahrens volljährig geworden sei, urteilten die Richter am Montag in Luxemburg. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sprach von einer "guten Nachricht für zerrissene Familien". Die bedeute für Deutschland eine "180-Grad-Wende".

Hintergrund sind zwei Konstellationen: Zum einen geht es um Eltern aus Syrien, die Visa zur Familienzusammenführung mit ihrem in Deutschland als Flüchtling anerkannten, minderjährigen Sohn beantragten. Zum anderen geht es um den Nachzug von Kindern. Eine minderjährige Syrerin wollte zu ihrem in Deutschland als Flüchtling anerkannten Vater. Da die Minderjährigen im Laufe der Verfahren volljährig wurden, lehnte deutsche Behörden die Anträge auf Familienzusammenführung ab.

Familienzusammenführung begünstigen

Ein Verwaltungsgericht verpflichtete die deutschen Behörden zwar dazu, den Betroffenen Visa zur Familienzusammenführung zu erteilen. Doch die Bundesrepublik legte Revision am Bundesverwaltungsgericht ein, das den EuGH anrief.

Dieser ist in seinem Urteil vom Montag eindeutig und bestätigte damit einen vorherigen Richterspruch aus Luxemburg. Ziel der maßgeblichen EU-Regeln sei, die Familienzusammenführung zu begünstigen und insbesondere Minderjährigen Schutz zu gewähren. Das deutsche Vorgehen sei weder mit diesen Zielen noch mit den Anforderungen der Grundrechte-Charta vereinbar.

Den deutschen Regeln zufolge hätten die zuständigen Behörden und Gerichte nämlich keinen Grund, die Anträge der Eltern mit der gebotenen Dringlichkeit zu bearbeiten. Zudem hänge der Erfolg eines Antrags hauptsächlich von Umständen ab, die in der Hand nationaler Behörden und Gerichte liege, insbesondere deren zügiger Bearbeitung.

EuGH stärkt Rechte minderjähriger Flüchtlinge

Der Europäische Gerichtshof stärkte außerdem die Rechte minderjähriger Flüchtlinge, die in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz stellen. Die Richter des höchsten europäischen Gerichts entschieden am Montag, dass bei einem Antrag keine Rolle spielen darf, ob den Eltern des Minderjährigen zuvor bereits in einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt worden ist (Rechtssache C-720/20). Voraussetzung ist allerdings, dass der Minderjährige zuvor nicht schon in einem anderen Land schriftlich um Schutz gebeten hat. Zudem darf kein anderer EU-Staat nach EU-Recht für das Prüfverfahren zuständig sein.

Hintergrund des Urteils ist der Fall einer russischen Minderjährigen, deren Antrag auf internationalen Schutz in Deutschland abgelehnt wurde, weil ihre Familie bereits in Polen den Schutzstatus bekommen hatte. Nach Ansicht Deutschlands waren die polnischen Behörden für die Prüfung ihres Antrages zuständig. Der Fall wird nun weiter vor dem Verwaltungsgericht Cottbus verhandelt.

In einem weiteren Urteil stellte der EuGH zudem klar, dass minderjährige Flüchtlinge ein Recht darauf haben, die Verweigerung der Aufnahme eines EU-Landes in bestimmten Fällen anzufechten. Hintergrund ist der Fall eines ägyptischen Minderjährigen, der zunächst einen Antrag auf Schutz in Griechenland stellte, jedoch seinen Onkel in den Niederlanden erreichen wollte. Dies lehnten die niederländischen Behörden zunächst ab.

Italien darf Rettungsschiffe nicht grundlos kontrollieren

Darüber hinaus sorgte eine weitere Entscheidung für Aufsehen: Italienische Behörden dürfen Rettungsschiffe wie die der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch nicht ohne Anhaltspunkte für eine Gefahr in ihren Häfen kontrollieren. Das geht aus einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hervor. Die EU-Regeln zu den Kontrollen eines Hafenstaats seien auch auf Schiffe humanitärer Organisationen anwendbar, urteilten die Richter am Montag in Luxemburg.

Für eine Kontrolle müssten die Behörden detailliert nachweisen, "dass belastbare Anhaltspunkte für eine Gefahr für die Gesundheit, die Sicherheit, die Arbeitsbedingungen an Bord oder die Umwelt vorliegen". Allein die Anzahl der Personen an Bord - Rettungsschiffe steuern oft mit Hunderten Flüchtlingen und Migranten die Häfen an - sei für sich genommen kein Grund für eine Überprüfung.

Der EuGH betonte, dass es im Völkerrecht die Pflicht gebe, Personen in Seenot zu helfen. Menschen, die nach einem Rettungseinsatz an Bord seien, müssten bei Sicherheitsüberprüfungen außer Betracht bleiben. "Die Anzahl der Personen an Bord, selbst wenn sie weit über der zulässigen Anzahl liegt, kann daher für sich genommen keinen Grund darstellen, der eine Kontrolle rechtfertigt", teilte der EuGH mit. Nachdem die Geretteten von Bord gegangenen seien, dürfe der Hafenstaat das Schiff jedoch kontrollieren.

"Das Urteil ist ein großer Erfolg für uns"

Bei der Begründung einer solchen Kontrolle dürfe auch berücksichtigt werden, dass ein als Frachtschiff zertifiziertes Schiff systematisch als Rettungsschiff im Einsatz sei. Jedoch dürften nur Nachweise über Zeugnisse verlangt werden, die auch im Flaggenstaat nötig sind. Falls eine Kontrolle Mängel ergebe, dürfe der Hafenstaat Maßnahmen ergreifen, die "geeignet, erforderlich und angemessen" seien.

"Das Urteil ist ein großer Erfolg für uns", sagte ein Sprecher von Sea-Watch der Deutschen Presse-Agentur. Italien müsse jetzt konkrete Anhaltspunkte für eine Hafenkontrolle vorlegen. Die Organisation sprach davon, dass das Mittelmeerland zuvor darauf verwiesen habe, dass die Sea-Watch-Schiffe nicht in der richtigen Kategorie als Rettungsschiffe zertifiziert seien. Der deutsche Flaggenstaat hingegen sieht laut der Organisation eine solche Kategorie für zivile Schiffe überhaupt nicht vor.

Seenotretter beklagen immer wieder, dass die italienischen Behörden ihre Schiffe mit fadenscheinigen Begründungen festhalten. Bei dem EuGH-Urteil vom Montag ging es um die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe "Sea-Watch 3" und "Sea-Watch 4". Sie fahren regelmäßig ins zentrale Mittelmeer, um dort Menschen zu retten, die auf der Flucht von Nordafrika in Richtung EU in Seenot geraten sind.

Verwendete Quellen
  • dpa
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