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Aiwanger, der Kuriose: "Er will so sein, wie die CSU unter Strauß war"


Bayern-Vize Hubert Aiwanger
Endlich sagt's mal wieder einer


Aktualisiert am 17.10.2022Lesedauer: 9 Min.
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Bayerns Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger: "Vielleicht mit der Faust nach Berlin zeigen" (Quelle: IMAGO/Rolf Poss)

Hubert Aiwanger ist nur Minister in Bayern, trotzdem wächst seine Bekanntheit: Er gilt als konservativ, kurios und kampfeslustig. Unterwegs mit einem, der glaubt, seine Zeit sei jetzt gekommen.

An einem Montagmittag im September findet Hubert Aiwanger plötzlich einen Freund. Der bayerische Wirtschaftsminister steht vor einem Stand für Ledertaschen in Schwabmünchen, einem Städtchen südlich von Augsburg. Der Verkäufer ruft ihm zu: "Herr Aiwanger, das Volk wird vergessen, die da oben tun doch gar nichts mehr für uns!"

Hubert Aiwanger antwortet blitzschnell: "Ja, weil einige Journalisten sich für die besseren Politiker halten. Die Grünen-Politiker hat man hochgeschrieben! Und normale Politiker, die das Ohr am Volk hatten, die hat man als Bauern bezeichnet!" Er verzieht das Gesicht.

Dann sagt der Verkäufer: "Ich lasse mich jedenfalls nicht verbrennen, wenn ich sterbe. Ich komme zurück in die Erde. Dann ist der Kreislauf wieder hergestellt." So viel zu grüner Politik, soll das heißen. Der Verkäufer lacht, Aiwanger lacht, sie strahlen sich an. Hier haben sich zwei gefunden.

Er will so sein, wie die CSU unter Franz Josef Strauß war

Solche Begegnungen sind Aiwanger am liebsten, denn dann fühlt er sich bestätigt. Der 51-Jährige ist nicht nur Wirtschaftsminister in Bayern, sondern auch stellvertretender Ministerpräsident. Mit seinen "Freien Wählern" regiert er seit 2018 in einer Koalition mit Markus Söder und der CSU.

Lange hatte die CSU die absolute Mehrheit in Bayern, doch ihre Macht bröckelt. Inzwischen freuen sich die Christsozialen über Ergebnisse von rund 40 Prozent, die Freien Wähler kommen schon auf fast zwölf Prozent der Stimmen – lagen bei der letzten Landtagswahl vor der SPD, AfD und FDP. Der Erfolg der Partei dürfte auch damit zu tun haben, dass Hubert Aiwanger sich als Politiker des "normalen Volkes" sieht, wie er das gern nennt. Als einen, der ausspricht, was viele Bürger denken, aber sich nicht zu sagen trauen.

In einer Zeit hoher Inflation und von Angriffen auf die kritische Infrastruktur, wo alte Gewissheiten verschwimmen, sieht Aiwanger seine Chance gekommen. Er hat eine politische Marktlücke zwischen der nach links gerückten Union und der ins Rechtsextreme abdriftenden AfD ausgemacht. Dort will er seine "Freien Wähler" positionieren: konservativ auftreten, aber nicht durchgeknallt. Kampfeslust zeigen, aber keine politischen Kamikaze-Aktionen durchführen. Eigentlich will er so sein, wie es die CSU unter Franz Josef Strauß war.

Am liebsten attackiert er die Grünen, seinen Lieblingsfeind

Und Bayern soll erst der Anfang sein. Hubert Aiwanger will die "Freien Wähler" deutschlandweit groß machen. Spricht man ihn darauf an, wie das Vorhaben gelingen soll, sagt er: "Ich bin bundesweit unterwegs und bekomme Zuspruch für unsere vernünftige Politik, wenn man mit den Menschen redet oder bei öffentlichen Auftritten."

Und vielleicht stehen Aiwangers Chancen besser als viele glauben. In den Umfragen in Bayern liegt die Partei stabil bei zehn Prozent. Bei der Bundestagswahl kam sie zwar nur auf zwei Prozent, aber das war immerhin doppelt so viel wie 2017. Aiwangers Problem könnte allerdings sein, dass er außerhalb von Bayern häufig mit skurril anmutenden Auftritten und merkwürdigen Thesen von sich reden macht. Einmal behauptete er, Deutschland sei sicherer, wenn "jeder anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte". Die Deutsche Polizeigewerkschaft widersprach scharf. Beim Impfen gegen das Coronavirus warnte Aiwanger ernsthaft vor einer "Apartheidsdiskussion". Ministerpräsident Markus Söder rügte ihn, Aiwanger ruderte zurück.

Will da einer mit bürgernaher Politik nach oben? Oder mit Populismus? Wer mit ihm eine Weile unterwegs ist, merkt, wie schmal der Grat ist, den Hubert Aiwanger beschreitet. Und wie leicht er dabei abrutschen kann.

"Natürlich wollt ihr das, ihr Lügenbeutel!"

Nirgendwo zeigt sich der politische Kompass von Hubert Aiwanger so klar wie auf seinem Twitter-Profil. Kürzlich kündigte ein Verlag an, die Winnetou-Kinderbücher nicht mehr herausgeben zu wollen, die Folge war eine wilde Diskussion in den sozialen Medien. Aiwanger twitterte: "Ist interessant, wie einige ‚Woke‘ jetzt zurückrudern und behaupten, niemand wollte Winnetou abschaffen, weil sie mit der breiten öffentlichen Empörung nicht gerechnet haben."

Und dann: "Natürlich wolltet Ihr das, Ihr Lügenbeutel! Ich sag nur, 'niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen'." Deftige Wortwahl, dem politischen Gegner ordentlich eins mitgegeben und das Ganze mit einem DDR-Vergleich gekrönt. Ein klassischer Aiwanger. Kurz darauf ließ er sich mit einem Winnetou-Darsteller fotografieren. Andere Politiker zielen auf den Kopf des Publikums, Aiwanger zielt eher auf den Bauch. Er ist Häuptling Haudrauf.

Zurück auf den Markt in Schwabmünchen. Aiwanger hat an diesem Mittag für alle ein freundliches Wort übrig. Zur Schmuckverkäuferin: "Für die schönen Dinge im Leben muss auch etwas bleib'n". Zum Eismann, für den sich im Regen gerade niemand interessiert: "Müsstet's noch Glühwein anbieten!" Sogar den ADAC-Stand findet Aiwanger spannend: "Habt's a neue Sicherheitswest'n?" Er drückt Hände, begutachtet Keramikteller und schaut dabei immer wieder in die Kamera seiner Mitarbeiterin, die ihn fotografiert. Aiwanger probiert mehrere Posen aus, bis die beste gefunden ist. Hauptsache, das Bild stimmt.

Der Satz knallt – und das ist das Wichtigste

Zwischendurch gibt Aiwanger einem regionalen Fernsehsender ein Interview. Es geht um die Frage, wie die Freien Wähler den Druck auf die Bundesregierung erhöhen könnten, damit die Bürger entlastet werden. Frage des TV-Journalisten: "Sie zeigen doch schon mit dem Zeigefinger nach Berlin. Was wollen Sie noch tun?" Aiwanger gibt seine Antwort auf Hochdeutsch: "Ja, wir zeigen mit dem Zeigefinger nach Berlin. Vielleicht …", er macht eine kleine Kunstpause, "sollten wir eher mit der Faust nach Berlin zeigen!" Was das genau heißt, sagt Aiwanger zwar nicht, aber der Satz knallt. Und das ist das Wichtigste, der Fernsehjournalist ist zufrieden.

Erst mal zeigt Aiwanger, nicht mit der Faust, sondern mit der Hand auf ein nahegelegenes Festzelt. Da will er jetzt rein. Aiwanger geht zur Bühne und sagt ins Mikrofon: "Schwabmünchen ist mindestens so schön wie München!" Er schaut erwartungsvoll, die Zuschauer applaudieren aber nur ein bisschen.

Die Kapelle soll nun "Mein Heimatlied" spielen und Hubert Aiwanger hat eine Idee. Er will dieses Festzelt jetzt für sich einnehmen, aber das geht nicht, wenn er nur tatenlos auf der Bühne herumsteht. Also bittet Aiwanger den Dirigenten um seinen Taktstock. Dann stellt er sich selbst vor das Orchester und fängt an zu dirigieren. Die Blasmusiker stoßen in Hörner und Posaunen, Aiwanger wedelt mit dem Stab herum. Er ist völlig aus dem Takt, aber das ist egal für seine Mission.

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Mitten im Lied dreht sich Aiwanger plötzlich herum, er dirigiert jetzt das Publikum. Die Leute klatschen und singen allmählich mit, das Orchester spielt ungerührt das Lied zu Ende. Aber Aiwanger hat noch nicht genug. Auch das anschließende "Prosit der Gemütlichkeit" dirigiert er. Jetzt hat er die Menge endgültig. Es wird gelacht, es wird angestoßen, es wird mitgeschunkelt. Aiwanger ist am Ziel. "Das ist", ruft er zum Abschluss, "die beste Kapelle, die ich seit Langem gehört und gesehen habe!" Er gibt den Dirigentenstab zurück, klettert von der Bühne herunter und setzt sich vor einen Maßkrug mit Bier.

Es geht jetzt um die Frage, wie Aiwanger Politik macht. Sein Blick streift über die Menschen, über Teller mit Schweinshaxen und über kleine bayerische Fahnen. Dann sagt er irgendwann: "Ich fahre ins Bierzelt, höre mir die Sorgen an, kanalisiere das und gehe damit zu Twitter, Facebook und zum Habeck." Das ist der Dreiklang des Hubert Aiwanger, so will er seinen Aufstieg betreiben. Er beschreibt das so: "Ich bin ein Resonanzverstärker für die Volksseele."

In Deutschland, glaubt Aiwanger, gerate aktuell etwas ins Rutschen: "Viele finden die Fehler der Ampel furchtbar, die Energiepreise sprechen da ja eine deutliche Sprache", sagt er. Zwischendurch nimmt er einen Schluck Bier. Dann macht er weiter und sagt über die Winnetou-Debatte: "Das geht ja noch viel weiter: Fleischessen wird angegriffen, man soll lieber frieren, als Brennholz einzusetzen. Aber wir können nicht so mit der Wirtschaft umgehen." Die "vernünftige bürgerliche Welt" müsse "das normale Leben verteidigen."

Alles laufe irgendwie aus dem Ruder, glaubt Aiwanger

Dass gerade die Postfaschistin Giorgia Meloni in Italien die Wahl gewonnen hat, wundert ihn nicht: "Man sieht in verschiedenen europäischen Ländern eine Ernüchterung über eine zu liberale unkontrollierte Zuwanderungspolitik der letzten Jahre. Wenn die politische Mitte nicht mehr handlungsfähig ist, profitieren Extremisten."

Für Aiwanger hängt das alles miteinander zusammen: Winnetou-Bücher, hohe Energiepreise, rechtsradikale Erdrutschsiege in Italien. Alles laufe irgendwie aus dem Ruder, findet er. Und das könnte eine Rampe für konservative Politik sein, wie es sie aus seiner Sicht in Deutschland zu wenig gibt.

Hubert Aiwanger wuchs in einer kleinen Gemeinde bei Rottenburg an der Laaber auf. Er studierte Agraringenieurwissenschaften, arbeitete auf dem elterlichen Bauernhof. 2002 schloss er sich den "Freien Wählern" an, im Jahr 2006 wurde er Vorsitzender in Bayern und 2010 Bundeschef. Er ist die herausragendste Figur in der Partei, man kann sagen: Die "Freien Wähler" sind Hubert Aiwanger – und er ist die "Freien Wähler".

"Ich grüße Sie vorm Eiffelturm"

Sein Führungsstil ist intern umstritten. 2013 sagte der designierte Spitzenkandidat der Partei für die Bundestagswahl, es herrschten "diktatorische Führungsverhältnisse wie in Kuba". Wenn Aiwanger sich etwas in den Kopf setzt, verfolgt er sein Ziel mit Vehemenz. 2009 kandidierte er fürs Europaparlament, scheiterte an der Fünfprozenthürde – und klagte. Er bekam recht, 2014 zog dann eine Parteifreundin ins Parlament ein. Der Aufwand, den Aiwanger für seine Partei betreibt, ist enorm.

Nach dem Besuch im Bierzelt soll Aiwanger einen Mobilfunkmast mitten im Wald einweihen. Sein Dienstwagen braust heran, fährt fast bis vor den Mast, Aiwanger steigt aus und sagt grinsend zu der kleinen Delegation, die wartet: "Ich grüße Sie vorm Eiffelturm." Es muss, na klar, ein Foto gemacht werden, die Fotografen dirigieren die Gruppe hin und her, es dauert eine Weile. Dann sagt einer, die Männer sollten doch mal nach oben zum Mast deuten. Aiwanger macht sofort mit. Hauptsache, das Bild stimmt.

Aiwanger erzählt von einer Entscheidung aus seinem Ministerium: Er hat ein Auto so ausrüsten lassen, dass es das Netz in Bayern sukzessive abtasten kann. Der Wagen fährt nun mit mehreren Handys durchs ganze Bundesland, eines misst die Netzstärke, ein anderes telefoniert automatisch und immer wird mitgeschnitten, wie gut die Abdeckung gerade ist. "Weil wir der Bundesnetzagentur nicht trauen", erklärt Aiwanger am Fuße des Mobilfunkmastes und rückt seinen Mantel zurecht. Es klingt wie: Die da oben reden ja nur, wir hier unten handeln.

"Die Grünen dachten, das Auto liege schon im Sarg"

Dann ist der Mast eröffnet, nach dem Termin unterhält er sich noch mit Vertretern des Landkreises und des Netzanbieters. Man werde sich "in Berlin für Ihre Interessen einsetzen", verspricht Aiwanger. Der Einsatz sieht dann manchmal so aus: Aiwanger schreibt einen Brief, in dem er Robert Habeck um etwas bittet. Also den grünen Wirtschaftsminister, dessen Partei er so oft beschimpft.

Am nächsten Tag soll Aiwanger wieder etwas eröffnen, dieses Mal ist es eine Wasserstoff-Tankstelle. Wasserstoff, glaubt Aiwanger, sei die beste Lösung für die Verkehrswende. Er sagt am Rande des Termins: "Die Grünen beißen sich natürlich vor Ärger in den Hintern. Die dachten, das Auto liege schon im Sarg, sie müssten nur noch den Deckel zunageln." Er grinst. Dann wird er wieder ernst und sagt: "Die individuelle Mobilität sollte zerstört werden!" Und jetzt? "Haben findige Ingenieure doch noch herausgefunden, dass das Auto nicht tot ist und das Klimaargument beim Wasserstoff nicht greift."

Aiwanger ist sich sicher: "Natürlich gibt es ein Wasserstoff-Publikum: Es gibt auch Leute, die schämen sich wegen der umstrittenen Rohstoffgewinnung, am Stammtisch zu sagen, dass sie ein Batterieauto kaufen. Das sind Kunden, die ein Wasserstoffauto kaufen wollen!" Lediglich die Hersteller müssten eben mehr produzieren. Mit solchen Thesen will Aiwanger auch auf Bundesebene punkten. Es sind einzelne Säulen der Sachpolitik, die ihn nach oben tragen sollen.

Tritt er eigentlich bei der nächsten Bundestagswahl noch mal an? Aiwanger schaut einen bei dieser Frage an, als wolle man von ihm wissen, welche Farbe der Himmel in Bayern hat. "Ja, freilich, die Freien Wähler müssen in den Bundestag, sie fehlen aktuell schmerzlich dort."

Auch bei diesem Termin braucht es natürlich ein Bild. Aiwanger geht zur Wasserstoff-Zapfsäule, die Fotoapparate klicken. Das reicht Aiwanger aber noch nicht, es soll etwas plakativer sein. Also geht er hinüber zur Anzeigetafel an der Einfahrt der Tankstelle. Der Wasserstoff-Preis ist niedrig, es werden 1,28 Euro angezeigt. Aiwanger, der selbsternannte Wasserstoff-Minister, stutzt: "Wie konn jetzt des soi?" Der Preis beziehe sich auf die Menge von 100 Gramm Wasserstoff, damit komme man nur etwa zehn Kilometer weit, wird er belehrt. Die Anzeigetafel könne man fürs Foto leider nicht umstellen. Und jetzt?

Aiwanger findet, das würde ein falsches Bild vom Wasserstoff vermitteln, ganz so günstig sei der ja auch wieder nicht. Er schaut unzufrieden. Aber nur für einen Moment. Denn dann hat der Pragmatiker Aiwanger schon eine Lösung gefunden: "Do stellt sich oiner dvoa, dann sieht ma de Prois ned."

Gesagt, getan, einer der umstehenden Anzugträger wird vor dem Preisschild postiert. Wieder klicken die Kameras und Hubert Aiwanger lächelt. Hauptsache, das Bild stimmt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Persönliche Gespräche mit Hubert Aiwanger in Schwabmünchen und Landshut
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