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AfD | Misstrauen und Kritik: So anders sieht es hinter der Fassade aus


Es brodelt in der AfD
Hinter den Kulissen herrscht Misstrauen

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 15.09.2023Lesedauer: 5 Min.
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Alice Weidel und Tino Chrupalla: Die AfD-Bundesvorsitzenden lassen ihre Europakandidaten prüfen – und stehen selbst in der Kritik.Vergrößern des Bildes
Alice Weidel und Tino Chrupalla: Die AfD-Bundesvorsitzenden lassen ihre Europakandidaten prüfen – und stehen selbst in der Kritik. (Quelle: imago images)

Die AfD feiert nach außen Einigkeit und Erfolge. Doch hinter der Fassade sieht es anders aus. Misstrauen und Kritik sind groß.

Sie fährt Spitzenwerte in Umfragen ein, ist stärkste Kraft in vier Bundesländern und feiert dank der CDU in Thüringen gerade das Einreißen der schon länger bröckelnden Brandmauer: Die Fassade der AfD glänzt, der Jubel der Funktionäre ist groß.

Hinter dieser Fassade aber ist gerade wenig in Ordnung. Da brodelt es nicht nur, es brennt inzwischen auf vielen Ebenen. In gleich drei mächtigen Parteigremien protestieren Funktionäre und Mitglieder gegen mutmaßliche Hochstapler in ihren Reihen und setzen den Bundesvorstand unter Druck: vor dem Bundesschiedsgericht der Partei, im Parteikonvent und im Landesvorstand Brandenburg.

Misstrauen gegen Kandidaten und Parteispitze

Grund sind Vorwürfe von Lügen, Filz und "Beutegemeinschaften", die es auf wohldotierte Mandate im EU-Parlament abgesehen hätten. Wie Recherchen von t-online offenlegten, machte AfD-Politiker Arno Bausemer bei seiner Bewerbung für die Europawahlversammlung in Magdeburg Anfang August online eine ganze Reihe von Falschangaben, erschwindelte sich so einen wohlklingenden Lebenslauf – und schaffte es auf den aussichtsreichen Listenplatz 10.

Und Bausemer ist nicht der einzige Problemfall: Gegen Mary Khan-Hohloch erheben Parteimitglieder Vorwürfe, sie habe mit Blick auf ihr Studium sowie ihre Berufserfahrung in Magdeburg vor 600 Delegierten die Unwahrheit gesagt. Obwohl der Verdacht bereits in Magdeburg im Raum stand, habe sie es nur mit Unterstützung ihres Ehemannes Dennis Hohloch, der im Bundesvorstand der AfD sitzt, und von Parteichefin Alice Weidel trotzdem auf Platz 14 der Europawahlliste geschafft.

Die Basis protestierte wegen dieser Fälle so laut, dass der Bundesvorstand notgedrungen eine Prüfung anstrengte – alle 35 Kandidaten sollten bis Anfang dieser Woche Belege über Studien- und Berufsabschluss vorlegen. Seither kursieren in der Partei eine Vielzahl an Gerüchten, welcher Kandidat wohl welche Papiere vorgelegt hat – oder eben nicht liefern konnte.

Wie viele Kandidaten der Aufforderung des Bundesvorstands tatsächlich nachgekommen sind? Das ist unklar, entsprechende Anfragen von t-online beantwortete die Pressestelle der Partei in dieser Woche nicht.

Am Montag will sich der Bundesvorstand von den Vertrauensleuten, die er extra einsetzte, über die Ergebnisse der Prüfung informieren lassen. Doch das Misstrauen in der Partei gegen die eigene Spitze ist in der Frage groß. Auch den Vertrauensleuten wird wenig Vertrauen entgegengebracht. Zu eng seien die Verbindungen von Teilen des Vorstands zu Khan-Hohloch, zu nah stünden die Vertrauensleute wiederum der Parteispitze, so die Kritik.

Bundesschiedsgericht wird aktiv

Deswegen laufen parallel nun mehrere Bemühungen, auf andere Art aufzuräumen. Den Vorstoß mit den potenziell radikalsten Folgen für die Partei behandelt gerade das Bundesschiedsgericht der AfD, die höchste juristische Instanz in der Partei.

In den Fällen Khan-Hohloch und Bausemer erreichte das Gericht bereits Ende August ein Antrag auf "Feststellung der Nichtigkeit beziehungsweise Unwirksamkeit der AfD-Aufstellungsversammlung zur Europawahl 2024". Er listet die Vorwürfe gegen die beiden Kandidaten auf, ficht ihre Wahl wegen nicht wahrheitsgemäßer Angaben an und betont: Die gesamte fünftägige Versammlung sei mit ihrer Wahl nicht ordnungsgemäß durchgeführt, Konkurrenten benachteiligt worden.

In Chatgruppen der Partei kursierte der Antrag, manche schmunzelten darüber und hielten ihn für aussichtslos. Das Schiedsgericht aber ist in der Sache aktiv geworden. Auf Anfrage von t-online bestätigt Schiedsgericht-Präsident Gereon Bollmann: "Es trifft zu, dass ein Verfahren auf Überprüfung der in Magdeburg verabschiedeten Europa-Wahlliste beim Bundesschiedsgericht eingegangen und eröffnet worden ist." Man sei bemüht, in "nächster Zeit" zu einer Entscheidung in dem Verfahren zu kommen.

Fällt diese Entscheidung im Sinne des Antragstellers aus, hat das weitreichende Folgen: Wahrscheinlich müssten die Plätze 10 und 14 neugewählt werden, vermutlich sogar die danach folgenden oder alle Plätze. In jedem Fall müsste wohl eine neue Aufstellungsversammlung zusammenkommen – das kostet Geld und ist viel Aufwand.

Selbst bei größtem Bemühen des Schiedsgerichts kann es wegen Einlassungsfristen der beteiligten Parteien außerdem Monate dauern, bis eine Entscheidung fällt. Der Wahltermin läge dann näher, der Schaden für die Partei wäre groß – vielleicht auch an der Wahlurne.

Landesvorstand lässt nicht locker

Und auch Brandenburg lässt nicht locker. Der Landesverband von Mary Khan-Hohloch vertraut nicht auf die Prüfung des Bundesvorstands, sondern hat Khan-Hohloch selbst aufgefordert, dem Datenschutzbeauftragten der Landespartei Belege für Studium und Berufserfahrung vorzulegen. Die erwiderte bereits: Das werde sie nicht tun und griff ihrerseits den Landesvorstand an. Der nämlich habe einen Datenschutzbeauftragten aus dem Vorstand gekürt, der befangen und nicht rechtmäßig im Amt sei, schrieb sie.

Damit traf Khan-Hohloch einen wunden Punkt – nicht nur in Brandenburg, sondern auch in anderen AfD-Landesvorständen. Denn die Besetzung des Amts mit einem Vorstandsmitglied widerspricht tatsächlich den Datenschutzregeln und kann Ordnungsmaßnahmen nach sich ziehen.

Der Landesvorstand Brandenburg aber ließ sich nicht weiter beeindrucken: Er tauschte seinen Datenschutzbeauftragten rasch aus – und antwortete in dieser Woche auf Khan-Hohlochs Brief. Nach Informationen von t-online fordert er erneut und in scharfen Worten, dass Khan-Hohloch Studien- und Arbeitsbelege vorlegt – nun wahlweise dem Vorstand oder dem neuen Datenschutzbeauftragten. Und er erinnert sie daran, dass sie Mitglied in Brandenburg ist, unter seiner Zuständigkeit steht – und die Verhängung von Ordnungsmaßnahmen gegen sie in seinem Ermessen liegt. Die neue Frist für Khan-Hohloch: Mitte nächster Woche.

Kritischer Katalog beim Konvent

Bis dahin wird die Hochstapler-Affäre bereits Thema im Partei-Konvent gewesen sein. Der bringt Delegierte aus allen AfD-Landesverbänden zusammen mit Mitgliedern des Bundesvorstands und tagt an diesem Samstag. Und mit Torben Braga hat ein Delegierter mit Renommee einen kritischen Fragenkatalog zur Hochstapler-Affäre und zur Aufklärung, die dem Bundesvorstand vorschwebt, eingereicht.

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Braga kommt aus Thüringen, dem parteiintern starken Landesverband von Rechtsextremist Björn Höcke. Er gehört dort dem Vorstand an und ist Abgeordneter im Parlament. Wichtiger in der Hochstapler-Affäre aber noch: In der AfD gilt Braga als recht unabhängig, der Sache und nicht dem Bundesvorstand verpflichtet.

Ob sein Fragenkatalog ein Angriff auf die Parteispitze ist? Das weist Braga von sich. "Es stehen wichtige Fragen für die Partei im Raum", sagte er t-online. "Ich möchte besser informiert sein, was Sache ist." Dafür sei der Konvent der richtige Ort.

Höcke und den Thüringer Landesvorstand habe er vor dem Stellen des Antrags nicht miteinbezogen, sagt Braga. Das sei auch so üblich, Konvent-Delegierte seien an keine Weisung gebunden.

"Das muss sich die Partei nicht gefallen lassen"

Er habe kein Problem damit, wenn Kandidaten Soll-Bestimmungen wie die fünf Jahre Berufserfahrung außerhalb der Politik nicht erfüllten – und ehrlich damit umgingen. "Ich habe aber ein Problem damit, falls Kandidaten gelogen haben", betonte Braga. "Das muss sich die Partei nicht gefallen lassen."

Seinen Antrag könnte der Bundesvorstand beim Konvent am Samstag leicht vom Tisch wischen oder oberflächlich beantworten – mit dem Verweis darauf, dass die Parteispitze selbst erst am Montag von den Vertrauensleuten über das Ergebnis der Kandidatenprüfung unterrichtet werde. Von Kritikern in der Partei aber heißt es schon jetzt: Kein Problem, der Konvent tage ja regelmäßig. Dann eben beim nächsten Mal.

Deutlich zeichnet sich ab: Mit Abschluss der Prüfung und seiner Sitzung am Montag ist die Hochstapler-Affäre für die Parteispitze noch lange nicht ausgestanden. Dann geht es vermutlich erst so richtig los.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Anfrage an AfD-Bundesschiedsgericht
  • Anfragen an Pressestelle der Partei
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