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Alexander Dobrindt: "In der Migrationskrise hat Faeser die Kontrolle verloren"


Alexander Dobrindt
"Dauerstreit, Arroganz und Respektlosigkeit"

InterviewVon Sara Sievert, Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 22.09.2023Lesedauer: 8 Min.
Interview
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CSU-Landesgruppenchef Dobrindt: "Die Politik der Ampel führt zu Wut."Vergrößern des Bildes
CSU-Landesgruppenchef Dobrindt: "Die Politik der Ampel führt zu Wut." (Quelle: Robert Recker)

Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt fordert die Ampelregierung auf, endlich zu handeln. Im Interview mit t-online macht er einen Vorschlag zur Umsetzung einer Obergrenze für Geflüchtete.

Die Migration gehört gegenwärtig zu den größten Sorgen der Deutschen: 220.000 Menschen sind seit Anfang des Jahres ins Land gekommen. Viele Kommunen schlagen Alarm, weil sie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geraten.

Die Union will heute im Bundestag einen eigenen Antrag mit Vorschlägen zur Bewältigung der Krise stellen. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt, erklärt im Interview, was es damit auf sich hat. "Unsere Hand ist ausgestreckt", sagt er während seines Redaktionsbesuchs bei t-online. Er sieht Deutschland in einer "Migrationskrise" und fordert den SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz auf, die Asyl- und Migrationsfragen zur Chefsache zu machen.

t-online: Herr Dobrindt, die Legislaturperiode ist zur Hälfte vorbei. Ihre Bilanz?

Alexander Dobrindt: Die Union hat es geschafft, die Rolle einer konstruktiv-kritischen Opposition anzunehmen. Wir unterstützen die Regierung da, wo es möglich ist, aber wir zögern nicht, auch sehr deutlich die Respektlos-Politik der Ampel zu kritisieren. Das ist gelebter Parlamentarismus. Von daher bin ich mit der Rolle der CDU/CSU sehr zufrieden. Wenn es um die Bilanz der Ampel geht, dann ist das Ergebnis der Politik schlimmer, als man sich das vorstellen konnte. Links-Gelb hat zu einer negativen Emotionalisierung und Polarisierung in unserer Gesellschaft geführt, wie wir sie seit langer Zeit nicht erlebt haben.

Ihre Zufriedenheit mit sich selbst erstaunt uns. Die Ampel streitet, steht schlecht da – und die Union klebt trotzdem in den Umfragen bei 27 bis 29 Prozent fest. Was machen Sie falsch?

Die Politik der Ampel führt zu Wut und sie führt zu Protest. Und dieser Protest sucht sich auch in der Sonntagsfrage seinen Weg. CDU und CSU sind keine Protestparteien, wir sind Volksparteien. Und deswegen sind wir nicht der Profiteur von Protest, der landet an den Rändern. Es ist die Aufgabe der Ampel, in erster Linie dafür zu sorgen, dass diese Polarisierung aufhört, dann bewegen sich Stimmen aus den Rändern wieder in die demokratische Mitte.


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"Die Politik der Ampel führt zu Wut und sie führt zu Protest."


Alexander Dobrindt


Friedrich Merz polarisiert doch auch, wenn er von "kleinen Paschas" spricht oder sagt, Gillamoos sei Deutschland, und nicht Kreuzberg.

Ich habe vor ein paar Jahren den Satz geprägt: Deutschland ist nicht der Prenzlauer Berg. Mit der gleichen Reaktion, wie Friedrich Merz sie jetzt erfahren hat. Die Grundlage dieses Satzes waren Umfragen in Berlin-Prenzlauer Berg, bei denen die Linkspartei 30 Prozent erreicht hatte. Und deswegen kann man doch sagen: Weder der Prenzlauer Berg noch Kreuzberg sind repräsentativ für Deutschland.

Sie glauben also nicht, dass Friedrich Merz polarisiert?

Der Auslöser für die Polarisierung ist die respektlose Ampelpolitik! Übrigens nicht nur gegenüber den Bürgern, sondern auch gegenüber dem Parlament.

Die Zusammenarbeit, die Sie gerade angesprochen haben, wurde Ihnen ja jetzt von Olaf Scholz angeboten, mit dem Deutschlandpakt. Wie lauten denn die Bedingungen der Union, um mitzumachen?

Olaf Scholz hat eine Deutschland-Fata-Morgana in den Raum gestellt, ohne sie mit echtem Inhalt zu füllen. Offensichtlich sieht er für wesentliche Projekte keine Mehrheit mehr in seiner eigenen Koalition, sonst würde er der Union so etwas nicht anbieten. Ich habe trotzdem dieses Angebot im Bundestag angenommen und vorgeschlagen, einen "Deutschlandpakt zum Stopp der illegalen Migration" mit uns zu machen. Das werden wir der Ampel heute im Bundestag erneut anbieten. Unsere Hand ist ausgestreckt, um die Überforderung unseres Landes durch steigende Migrationszahlen zu beenden. Konkret: mehr sichere Herkunftsstaaten benennen, Grenzkontrollen ausweiten, Sachleistungen statt Geldleistungen für Migranten, freiwillige Aufnahmeprogramme beenden und Pullfaktoren abstellen. Das sind Dinge, die der Bundeskanzler sofort mit uns umsetzen kann, um die Überforderung unseres Landes durch die steigenden Flüchtlingszahlen zu stoppen.

Aber Herr Dobrindt, Sie wissen doch, dass er das nicht annehmen kann, weil Teile seiner Koalition einige dieser Punkte, die Sie aufgezählt haben, so politisch nicht kaufen. Ist das nicht ein bisschen durchsichtig, im Grunde den Knochen wieder auf die andere Wiese zu schmeißen?

Wenn der Kanzler uns einen Deutschlandpakt anbietet, dann kann doch die Öffentlichkeit erwarten, dass wir auf diesen Vorschlag mit einem konkreten Angebot reagieren. Die Migrationskrise ist die größte Herausforderung aktuell neben der wirtschaftlichen Lage. Das Dilemma liegt bei diesem Thema offensichtlich in seiner links-gelben Koalition. Teile der Ampel wären doch bereit, diese Themen mit uns zu vereinbaren. Es sind doch die Grünen, die sogar abstreiten, dass es illegale Migration überhaupt gibt.


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"Olaf Scholz hat eine Deutschland-Fata-Morgana in den Raum gestellt, ohne sie mit echtem Inhalt zu füllen."


Alexander Dobrindt


Ist die Frage dann nicht in Wahrheit Große Koalition statt Ampel?

Der Bundeskanzler hat einen Pakt angeboten und noch keine neue Koalition. Wenn Olaf Scholz keinen Pakt, sondern eine neue Mehrheit für notwendige Entscheidungen will, dann kann man mit uns darüber sprechen.

Glauben Sie, dass die Ampel bis zum Ende der Legislatur hält?

Mein Eindruck ist, dass die Gemeinsamkeiten zwischen den Ampelparteien seit langer Zeit aufgebraucht sind. Aus einem angekündigten neuen Stil des Regierens sind Dauerstreit, Arroganz und Respektlosigkeit geworden. Allein der Machterhalt ist der Kitt dieser Koalition.

Sie sprechen von einer "Migrationskrise". Hat Innenministerin Nancy Faeser ihr Amt noch im Griff?

Frau Faeser hat in den vergangenen Monaten keinen Anlass dafür geboten, dass man glauben könnte, sie hätte ihr Amt im Griff.

Ist sie dann Ihrer Meinung nach noch die Richtige für den Posten?

Frau Faeser hat seit ihrem Amtsantritt maßgeblich zur Überforderung der Gesellschaft beigetragen. Sie hat mit dem sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht und mit der Express-Einbürgerung im Staatsangehörigkeitsrecht einen lange bestehenden gesellschaftlichen Kompromiss aufgekündigt. In der Migrationskrise hat sie die Kontrolle verloren. Das macht auf mich nicht den Eindruck, den Herausforderungen gewachsen zu sein.

Oder muss der Kanzler im Zweifel für Faeser entscheiden?

Vor der Landtagswahl in Hessen wird er keine Entscheidung treffen.

Sollte der Kanzler das Thema Migration zur Chefsache machen?

Olaf Scholz hat monatelang zugesehen, wie seine Innenministerin die Kontrolle über die Migrationskrise verloren hat. Der Kanzler muss das zu seiner Sache machen. Was sollte sonst das Gerede zum Deutschlandpakt? Wenn der Bundeskanzler in einer solchen Lage einen Deutschlandpakt in einer Generaldebatte des deutschen Bundestages ausruft, dann muss er den doch auch mit Substanz füllen. Tut er das nicht, entsteht der Eindruck, dass er große Worte wie Nebelkerzen in die politische Debatte schmeißt, um sie dann gleich wieder zu vergessen.

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Friedrich Merz und Markus Söder fordern eine Obergrenze von 200.000 Geflüchteten pro Jahr. Das ist weder neu, noch ist es nach aktueller Rechtslage umsetzbar. Handelt es sich nicht um eine Scheindebatte?

Nein. Es gibt in der Asyl- und der Migrationsdebatte mittlerweile zwei Ebenen, die wir beachten müssen. Das eine ist das, was kurzfristig zu machen ist, um das Migrationsgeschehen zu steuern. Das andere ist die Frage, wie wir uns in Europa mittelfristig auf Migrationsbewegungen vorbereiten. Joachim Gauck hat das in seinem bemerkenswerten Interview, das ich eher als Rede an die Nation empfunden habe, deutlich beschrieben. Er warnt vor der Überforderung Deutschlands in der Migrationsfrage und fordert "Begrenzungsstrategien". Er fordert eine "neue Entschlossenheit" von der Politik und spricht davon, dass wir Spielräume entdecken müssen, die uns zunächst unsympathisch sind, weil sie inhuman klingen.

Aber noch mal, wie will man eine Obergrenze durchsetzen? Ist Thorsten Frei nicht ehrlicher, wenn er sagt, eine Obergrenze sei nur machbar, wenn man das Individualrecht auf Asyl abschafft?

Bei circa 200.000 liegt die Überforderungsgrenze, das zeigen unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit und jetzt. Bis zu dieser Größenordnung kann unser Staat mit der Migration umgehen. Alles darüber hinaus führt zum Verlust der Kontrolle. Deshalb müssen wir auch über neue Wege zur Bewältigung der Migration reden. Das Recht auf Asyl heißt nicht zwingend, dass dieser Schutz in Europa gewährt werden muss. Schutz für Personen kann durch die EU auch außerhalb Europas gewährleistet werden. Dafür braucht es ein Konzept eines europäischen Asyl-Schutzmechanismus, der in Drittstaaten erfüllt wird.

Profiteur der aktuellen Situation ist die AfD. Die rechtsextreme Partei ist mittlerweile bei über 20 Prozent in den Umfragen. Glauben Sie daran, dass die AfD mittelfristig kleinzukriegen ist?

Umfragen sagen uns, dass die Hälfte der AfD-Wähler kein radikales Gedankengut hat, aber aus Protest oder aus der Motivation heraus einen Denkzettel zu verteilen, bereit sind, AfD zu wählen. Das ist engstens verknüpft mit dem Nichthandeln der Regierung. Es ist jetzt nicht nur dringend notwendig, die Migrationsfrage zu lösen, sondern vor allem dafür zu sorgen, dass die Polarisierung in der Gesellschaft zurückgeht, indem die ständige negative Emotionalisierung durch politische Vorhaben der Ampel aufhört.

Herr Dobrindt, wollen Sie uns wirklich erzählen, dass die Union keine Mitverantwortung für die Umfragewerte der AfD trägt?

Ich kann jetzt länger über die Geschichte der AfD ausführen, aber seit der letzten Bundestagswahl hat die AfD ihr Umfrageergebnis verdoppelt. Der Zusammenhang mit der Ampelpolitik lässt sich doch nicht uminterpretieren.


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"Das Recht auf Asyl heißt nicht zwingend, dass dieser Schutz in Europa gewährt werden muss."


Alexander Dobrindt


Vergangene Woche hat die CDU in Thüringen mithilfe von AfD-Stimmen ein Gesetz durchgebracht. Markus Söder findet das legitim. Sie auch. Wo fängt Zusammenarbeit für Sie an?

Der CDU in Thüringen ging es darum, die Grunderwerbssteuer zu reduzieren. Das ist ureigenste CDU-Politik. Der Bundeskanzler hat erst vor wenigen Wochen gesagt: "Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt." Ich finde, an der Stelle hat er recht. Es wäre politische Selbstaufgabe, wenn wir unsere eigene Politik in den Parlamenten nicht mehr vertreten würden.

Und wo ist dann die Grenze?

Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD. Wir werden keinen Anträgen der AfD zustimmen. Es gibt auch keine Absprachen. Aber wir können nicht verhindern, dass Anträge, die die Union einbringt, von anderen unterstützt werden.

Und wenn sich doch herausstellt, dass es Absprachen gab?

Nein, es gab und gibt keine Absprachen mit der AfD und deswegen gibt es auch kein "wenn doch". Ich lehne jede Zusammenarbeit mit der AfD auch zukünftig ab. Diese Botschaft bleibt eindeutig und gilt.

Wir reden jetzt knapp 35 Minuten und haben noch gar nicht den Namen Hubert Aiwanger in den Mund genommen. Der SPD-Spitzenkandidat, Florian von Brunn, schert die AfD und die Freien Wähler im Interview mit t-online über einen Kamm – und nennt Hubert Aiwanger einen Rechtspopulisten. Für wie rechts halten Sie die Freien Wähler?

Die Freien Wähler sind keine Rechtsaußenpartei.

Sind die Freien Wähler rechts der CSU?

Die Freien Wähler kommen aus einem sehr heterogenen kommunalen Feld und haben deswegen auch keine eindeutige Definition. 2013 wollte Hubert Aiwanger eine Koalition mit SPD und Grünen gegen die CSU eingehen. Daran sieht man schon, dass sich die Freien Wähler über eine Positionierung auf der politischen Skala nicht im Klaren sind.

Steht Hubert Aiwanger für bayerische Werte?

Ich habe seit Langem aufgehört, mir über Hubert Aiwanger solche Gedanken zu machen. Mich persönlich hat er weder durch sein Auftreten noch durch seine Inhalte jemals überzeugt.

Er ist immerhin stellvertretender Ministerpräsident. Kann er Bayern würdig auf internationalem Parkett vertreten?

Hubert Aiwanger hat die letzten fünf Jahre die bayerische Wirtschaft nicht auf internationalem Parkett vertreten. Ich glaube nicht, dass sich das ändern wird.

Heißt, Sie glauben nicht, dass er es kann.

Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur festgestellt, dass das internationale Parkett offensichtlich nicht seinen Interessenslagen entspricht.

Die CSU steht in Bayern in den Umfragen aktuell zwischen 36 und 38 Prozent. Sind die Zeiten der absoluten Mehrheit endgültig vorbei?

Das war immer schon schwierig und ist mit der wachsenden Parteienlandschaft noch schwieriger geworden. Absolute Mehrheiten werden in Deutschland auf absehbare Zeit nicht möglich sein.

Was passiert, wenn Söder zum zweiten Mal in Folge ein historisch schlechtes Ergebnis einfährt? Ist er dann genauso fest im Sattel wie bisher?

Ja. Wir waren auf einem sehr guten Weg in Bayern, was die Zustimmung angeht. Wir waren im Juni bei Zustimmungswerten von 40 Prozent. Die Situation hat sich durch die Causa Aiwanger verändert. Allerdings hat Markus Söder gezeigt, dass er mit dieser krisenhaften Situation, die wir nicht zu verantworten haben, exzellent umgegangen ist. Unsere Zustimmungswerte wachsen gerade wieder. Eine negative Auswirkung auf Umfragen hat der Sachverhalt dennoch gehabt.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Alexander Dobrindt in Berlin
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