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Wagenknechts Bündnis: Parteimitglieder klagen gegen Satzung


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Mitglieder ziehen vor Gericht
Aufstehen gegen Wagenknecht


Aktualisiert am 05.12.2024Lesedauer: 7 Min.
Es gibt Kritik an der Aufnahme von Mitgliedern beim BSWVergrößern des Bildes
Sahra Wagenknecht: Es gibt Kritik an der Aufnahme von Mitgliedern beim BSW (Quelle: IMAGO)
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Lange schien das BSW eine Partei ohne internen Streit und mit einem klaren Ziel zu sein. Doch allmählich bröckelt dieses Bild. Zwei Hamburger Parteimitglieder ziehen nun sogar vor Gericht – sie klagen gegen die Praxis der Mitgliederaufnahme.

Seit sich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gegründet hat, wird die Aufnahmepraxis von Parteimitgliedern kritisiert. Nur handverlesene Unterstützer werden aufgenommen, mit Anwärtern wird mehrmals gesprochen, und die Aufnahme genehmigen darf nur der Parteivorstand in Berlin.

Zuletzt sorgte die Aufnahme von Wagenknecht-treuen Mitgliedern in Thüringen für Aufruhr, weil sie ohne Wissen des Landesverbandes geschehen ist. Das ist jener Landesverband, der mit der Parteigründerin Sahra Wagenknecht wegen seiner Verhandlungen mit der CDU und der SPD Streit hatte. Es schien dabei, als wolle der Parteivorstand mehr Einfluss auf den widerspenstigen Landesverband nehmen.

Damit soll jetzt Schluss sein. Zumindest, wenn es nach zwei Parteimitgliedern aus Hamburg geht. Sie ziehen wegen der Satzung vor Gericht. Und sie haben einen Bezirksverband gegründet, in dem sie unabhängig vom Parteivorstand in Berlin Mitglieder aufnehmen. Der innerparteiliche Streit um die Mitglieder eskaliert, es geht im Kern um die Frage: Wie demokratisch ist das BSW wirklich aufgebaut?

Es begann mit 400 Mitgliedern

Der 27. Januar 2024 war der Tag, an dem das BSW seinen ersten Parteitag abhielt. Im Kosmos-Theater in Berlin-Friedrichshain trafen sich 400 Mitglieder der Partei, die in den darauffolgenden Monaten die politische Landschaft in Deutschland verändert hat. Das Bündnis Sahra Wagenknecht zog danach in das Europaparlament und drei Landtage ein – und hat auch gute Chancen, bei der Bundestagswahl die 5-Prozent-Hürde zu nehmen.

Der Parteitag beeindruckte die anwesenden Mitglieder, aber auch die Journalisten vor Ort beobachteten Ungewöhnliches: Alle Anträge wurden nahezu einstimmig beschlossen, es gab keinen Streit, keine Diskussion, die Euphorie war groß und man bekam den Eindruck bemerkenswerter Harmonie beim Bündnis Sahra Wagenknecht. Doch schon damals brodelte unter der Oberfläche ein Streit um die innerparteiliche Demokratie. Nur die Aufbruchstimmung sorgte dafür, dass er nicht schon damals eskalierte.

"Es erinnerte mich an eine Sekte"

Die 400 Mitglieder, die das BSW ins Leben riefen, waren handverlesen. Sahra Wagenknecht hatte ihre direkten Vertrauten damit beauftragt, weitere, vertrauenswürdig erscheinende Menschen aus ihren jeweiligen Heimatstädten oder Bundesländern für die Partei zu gewinnen. Menschen wie Dejan Lazić. Der Hamburger bekam einen Anruf von Żaklin Nastić, der ehemaligen Hamburger Linkenpolitikerin, die mittlerweile für das BSW im Bundestag sitzt – und als enge Vertraute Wagenknechts gilt. "Sie sagte mir: Dejan, ich habe eine tolle Nachricht für Dich. Du bist aufgenommen", erzählt Lazić t-online. "Sie feierte mich, als hätte ich einen großen Preis gewonnen", erinnert sich der Jurist, der bis dahin noch nie Mitglied einer Partei gewesen war. Lazić kam das schon damals komisch vor: "Es erinnerte mich an eine Sekte."

Für Lazić bedeutete die Nachricht auch, dass er einer von 14 Mitgliedern in Hamburg wurde, die zum ersten Bundesparteitag nach Berlin fahren durften. Doch so groß seine Euphorie auch war: Ebenso groß war seine Skepsis, als er die Satzung des BSW las. Als Jurist fiel ihm vor allem ein Paragraf in dem neunseitigen Dokument auf. Nämlich der vierte, dieser regelt die Aufnahme von neuen Mitgliedern.

Aufnahmepraxis rechtswidrig?

In Absatz vier steht dort: "Über die Aufnahme entscheidet grundsätzlich der Bundesvorstand." Ein Bundesvorstand als Türsteher für eine ganze Partei? Das ist ungewöhnlich. In allen anderen großen Parteien regeln die untersten Parteigliederungen – also Kreis-, Bezirks-, oder Landesverbände – die Aufnahme von Neumitgliedern. Doch nicht beim BSW: Hier hat der Vorstand das Sagen. "Das dürfte rechtswidrig sein", sagt Lazić. Das vermutete er auch schon vor der Gründung des BSW.

Dem Nachrichtenportal t-online liegt Schriftverkehr zwischen Lazić und dem BSW-Bundesgeschäftsführer Lukas Schön vor. Datiert ist die Mail auf den 27. Januar 2024, 0.13 Uhr. Also wenige Stunden vor Beginn des ersten Bundesparteitages. In dieser Mail weist Lazić das Vorstandsmitglied Schön auf die möglichen Fehler in der Satzung hin. "Zwar bin ich kein Parteienrechtler, mein juristischer Sachverstand hat mich jedoch sofort gewarnt", formuliert Lazić. In der Mail äußert Lazić ausdrücklich, dass er keinen Änderungsantrag stellen würde. Er wollte dem Bundesvorstand ermöglichen, den Fehler selbst zu korrigieren. Doch er wurde enttäuscht. Die Satzung wurde in der vorliegenden Fassung beschlossen, mitsamt der Regel, dass nur der Bundesvorstand Mitglieder aufnehmen darf.

"Sahra entscheidet alles"

In den darauffolgenden Monaten versuchte er gemeinsam mit einem Parteikollegen aus Hamburg, eine Änderung der Satzung anzustoßen. Norbert Weber ist dieser Kollege, ein ehemaliges Mitglied der Linken in Hamburg. Er war auch eines der auserwählten Mitglieder, die zum ersten Bundesparteitag fuhren. In der Linken engagierte er sich für die Aufklärung des HSH Nordbank-Skandals. Weber und Lazić waren anfangs begeisterte BSW-Mitglieder, erkannten dann aber, dass es ein demokratisches Defizit in der Partei gibt. "Sahra entscheidet alles", so die beiden. Eine Partei müsse "von unten nach oben" aufgebaut werden, nicht "top-down", wie sie sagen. Also von oben herab.

Deshalb wandte sich Lazić im März noch einmal an den Parteivorstand. Er trug seine Bedenken sowohl telefonisch als auch schriftlich vor. Der Paragraf vier, der die Aufnahme von Mitgliedern regelt, könne "zum Problem für die Partei werden", so Lazić. Er schrieb eine Mail an den Bundesschatzmeister Ralph Suikat und den stellvertretenden Parteivorsitzenden Amid Rabieh.

Folgen für die Partei

"Lieber Ralph, lieber Amid, wie besprochen, im Folgenden einige Kritikpunkte von mir zur BSW-Satzung. Bitte beachtet am Ende meinen Hinweis." So beginnt das fünf-seitige Papier. Danach erklärt Lazić detailliert seine Bedenken. Es geht nicht nur um den Paragrafen 4, Absatz 4 und die Aufnahme der Mitglieder – aber dieser Paragraf bereitete Lazić die meisten Kopfschmerzen. Lazić blieb immer noch freundlich, bat um eine Anpassung der Satzung, auch weil er sich sorgte, dass das bisherige Vorgehen die gesamte Partei gefährden könnte. Gefasste Beschlüsse von rechtswidrig aufgenommenen Mitgliedern könnten unwirksam werden.

Zugleich befürchtete er, dass sich eine problematische Praxis immer weiter verfestigen könnte: Die Partei, die schnellstmöglich einen funktionierenden Apparat aufbauen muss, nimmt nur sehr zögerlich Mitglieder auf. Und dies auch nur nach einer Art "Gesinnnungstest", wie es Lazić und Weber nennen. "Nur wer auf Sahras Linie ist, wird Teil des Spiels", so Norbert Weber. Das stellt der Vorstand um Sahra Wagenknecht mit einem ausgeklügelten System sicher, das auf Loyalität und Linientreue beruht. t-online liegt dazu ein Beschluss des Präsidiums vom März 2024 vor.

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Aufbau im Schneeballprinzip

Demnach hat der Parteivorstand zwei Personen benannt, die sich um den Aufbau der Landesverbände kümmern sollen: den Generalsekretär Christian Leye und die stellvertretende Vorsitzende Amira Mohamed-Ali. Unterhalb dieser beiden gibt es weitere Verantwortliche, die wie in einem Schneeballsystem organisiert sind. Zunächst Frederike Benda und Amid Rabieh, und unter ihnen dann vier weitere Personen, die sich um den Aufbau der Landesverbände in jeweils vier Bundesländern kümmern sollen.

Diese vier Parteimitglieder stehen also in einer direkten Befehlskette zum Bundesvorstand. Und sie organisieren, jeweils für ihre vier Bundesländer, auch die Rekrutierung von neuen Mitgliedern, führen Gespräche und schlagen dann einzelne Personen dem Bundesvorstand vor. Die Mitglieder vor Ort in den schon gegründeten Landesverbänden oder in den Ländern ohne gegründeten Verband haben kein Mitspracherecht. Sie können sich lediglich für eine Aufnahme einsetzen.

Innerparteiliche Diskussionen

Im Norden, auch in Hamburg, ist Żaklin Nastić diese "Landesbeauftragte". Weber und Lazić stellten schon im März fest, dass hinter verschlossenen Türen Bewerbergespräche geführt wurden. In Hamburg werden offenbar Personen nur dann als Mitglieder aufgenommen, wenn sie sich zu Sahra Wagenknecht bekennen. Kritische Stimmen, die zu innerparteilichen Diskussionen führen könnten, werden laut Lazić und Weber aussortiert.

Vom selben Vorgehen berichten t-online auch Verantwortliche aus anderen Bundesländern, die sich ebenfalls daran stoßen. Die Stimmung in der Partei wird schlechter – und das nicht erst mit der Aufnahme von 25 Mitgliedern in Thüringen vor wenigen Tagen, die als Gegengewicht zu der Landesvorsitzenden Katja Wolf und dem Spitzenkandidaten Steffen Schütz in einem Eilverfahren installiert wurden. "Dies zeigt, dass der zentrale Zugriff des Bundesvorstands auf die Mitgliedsaufnahme nicht nur eine theoretische, sondern eine reale Bedrohung für die demokratische Selbstverwaltung der Landesverbände darstellt", sagt Lazić.

Schütz und Wolf hatten sich bei den Verhandlungen in Thüringen mit der CDU und der SPD, nach der Meinung Sahra Wagenknechts und des Bundesparteivorstands, zu weit von der von Wagenknecht dominierten Parteilinie entfernt. Es ging um die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland. Mittlerweile gibt es wohl eine Einigung mit dem Landesverband, der nun doch einige Mitglieder selbst aufnehmen darf - nicht 25 wie der Bundesvorstand, aber immerhin 15.

Der Rechtswissenschaftler Martin Morlok hat sich die Satzung genauer angeschaut. Er sagt, dass das BSW das "Prinzip einer Kaderpartei" verfolge. "Das ist mit der innerparteilichen Demokratie nicht vereinbar", meint der emeritierte Professor für Öffentliches Recht. Landesverbände müssten wesentliche Entscheidungen treffen können, dazu gehöre auch die Aufnahme von Mitgliedern. Eine "gerichtliche Klärung wäre notwendig", sagt Professor Morlok.

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Für Lazić und Weber ging es nach dem Schreiben an Suikat und Rabieh ernüchternd weiter. Der telefonische Kontakt riss ab, sie bekamen auch keine Antwort auf eine Mail. Deshalb entschieden sich die beiden, vor das Bundesschiedsgericht der Partei zu ziehen. Dabei handelt es sich um eine innerparteiliche Beschwerdestelle, die Streitigkeiten lösen soll. Es vergingen Wochen, ohne dass von dort überhaupt eine Eingangsbestätigung kam. Dann wurde der Antrag im November abgelehnt. Auch der Schritt in die höhere Instanz des internen Schiedsgerichts scheiterte.

Mitglieder gründen Bezirksverband

Die beiden BSW-Mitglieder aus Hamburg möchten sich damit aber nicht zufriedengeben. Sie werden nun vor ein ordentliches Gericht ziehen und den Klageweg beschreiten. "Wagenknecht lockt mit den Aussagen, die sie in der Öffentlichkeit tätigt, Rebellen an", sagt Lazić. "Und die lassen sich natürlich nicht kleinhalten."

Das Ausmaß der Kontrolle des Parteivorstands "widerspricht den Grundsätzen des Parteiengesetzes, das darauf abzielt, eine demokratische Struktur in allen Ebenen der Partei sicherzustellen", sind Lazić und Weber überzeugt. Die Partei müsse diese Prüfung auf innerparteiliche Demokratie bestehen, sagen die beiden. Sie wissen, dass eine gerichtliche Entscheidung in ihrem Sinne die Partei in erhebliche Schwierigkeiten bringen könnte. Und zwar, falls die Richter entscheiden sollten, dass die aktuell geltende Praxis der Mitgliederaufnahme beim BSW rechtswidrig ist.

Lazić und Weber haben sich nun für ein spezielles Vorgehen entschieden. Sie haben am Mittwoch den BSW-Bezirksverband Hamburg-Mitte/Nord gegründet. Dort werden sie jetzt nach und nach weitere Mitglieder in die Partei aufnehmen. So, wie es ihrer Auffassung nach rechtskonform wäre. Ohne Absprache mit der Parteiführung. Der Bundesverband hat bislang nicht auf eine Anfrage von t-online zu dem Sachverhalt geantwortet.

Hinweis 16:15 Uhr: Die Anfrage von t-online lässt die Partei weiter unbeantwortet. Gegenüber der DPA sagte ein Sprecher: "Unsere Regelungen zur Mitgliederaufnahme sind rechtlich geprüft worden und mit dem Parteiengesetz im Einklang. Zu laufenden Verfahren äußern wir uns nicht."

Verwendete Quellen
  • Interne Dokumente des BSW
  • Interview Dejan Lazić
  • Gespräche mit Norbert Weber
  • Gespräche mit weiteren Mitgliedern des BSW, die anonym bleiben wollen
  • Eigene Recherche
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