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Spahn will erstes Fusionskraftwerk der Welt bauen – realistisch?


Energie der Zukunft
Spahn will erstes Fusionskraftwerk der Welt bauen – ist das realistisch?


14.05.2025 - 19:24 UhrLesedauer: 4 Min.
Blick auf Kohlestoff-Kacheln im ringförmigen Plasmagefäß des Forschungsreaktor "Wendelstein 7-X".Vergrößern des Bildes
Blick auf Kohlestoff-Kacheln im ringförmigen Plasmagefäß des Forschungsreaktors "Wendelstein 7-X": Kann die Technologie bald Strom produzieren? (Quelle: Stefan Sauer/dpa./dpa)
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Union und SPD wollen die Kernfusion in Zukunft stärker fördern. In der Technologie sieht die neue Bundesregierung einen Schlüssel zu klimaneutraler Energieversorgung. Zu Recht?

Kernfusion gilt vielen als unerschöpfliche Energiequelle und mögliche Lösung für die Klimakrise. Die Bundesregierung plant, die Fusionsforschung in Deutschland stärker zu fördern. Unionsfraktionschef Spahn nannte am Mittwoch gar das Ziel, Deutschland solle das erste funktionsfähige Fusionskraftwerk der Welt bauen. In der Fachwelt ist man allerdings skeptisch.

Bei der Kernfusion werden Wasserstoffatome miteinander verschmolzen und so die Funktionsweise der Sonne nachgeahmt. Dazu wird ein Wasserstoffplasma auf 150 Millionen Grad Celsius erhitzt. Anders als in Atomkraftwerken werden in Fusionsreaktoren Atome bei extremen Temperaturen verschmolzen, statt gespalten. Die Rede ist dann von einer Kernfusion. Dabei werden enorme Energiemengen freigesetzt – und das nahezu klimaneutral. Doch in der Praxis ist es bislang nicht gelungen, aus der Kernfusion mehr Energie zu gewinnen, als für den Prozess aufgewendet werden muss.

Fortschritte in der Fusionsforschung

Seit 2007 baut ein Verbund von internationalen Wissenschaftlern in Frankreich den Fusions-Forschungsreaktor Iter. Er soll mehr Fusionsenergie freisetzen, als zur Zündung der Reaktion erforderlich ist, aber noch keinen Strom liefern.

Iter gilt als vielversprechendes Projekt und könnte zur größten Anlage für Kernfusion werden. Kürzlich teilte das internationale Forschungsprojekt mit, dass alle Bauteile für das Magnetsystem, das Herzstück des Projekts, fertiggestellt seien. Damit werde Iter über das stärkste Magnetsystem weltweit verfügen. Ziel der Forschungsanlage südfranzösischen Cadarache ist es, den Weg für künftige Fusionskraftwerke zur Stromerzeugung zu ebnen.

Magnet könnte einen Flugzeugträger anheben

Die nun hinzugefügte Komponente ist der sechste Teil des Magneten im Zentrum des riesigen, wie ein Donut angeordneten Reaktors. Der komplette Zentralmagnet ist nach Betreiberangaben etwa 18 Meter hoch und hat einen Durchmesser von 4,25 Metern. Er habe ausreichend Kraft, um einen Flugzeugträger anzuheben – und sei der stärkste einzelne Magnet weltweit.

Der Zentralmagnet wird mit mehreren anderen Magneten zusammenarbeiten. Das Magnetsystem ist nötig, um das Wasserstoffplasma – eine Wolke geladener Teilchen – in Form zu halten. Das Plasma wird dabei erhitzt, damit die Fusion stattfinden kann.
Bis die Anlage in Betrieb genommen werden kann, dürfte aber noch einige Zeit vergehen. Der geplante Start war zuvor auf das Jahr 2034 verschoben worden.

Die Kosten für Iter werden auf mehr als 20 Milliarden Euro geschätzt. Neben der EU sind auch die USA, Russland, China, Indien, Japan und Südkorea beteiligt.

Übertriebene Erwartungen

Investoren stecken aufgrund des politischen Rückenwinds Milliarden in die Entwicklung der Fusionsenergie. Experten gehen jedoch davon aus, dass die Technologie auch in 15 Jahren noch nicht einsatzbereit sein wird. Selbst bei einem Durchbruch in der nahen Zukunft bliebe die Frage der Wirtschaftlichkeit offen. Milena Roveda von der Firma Gauss Fusion in Garching bei München glaubt nicht, "dass die Fusion so günstig sein wird wie die Windenergie". Sie sieht in ihr eher eine Ergänzung, um eine zuverlässige Grundlastversorgung sicherzustellen.

Neben der zeitlichen Perspektive und den hohen Kosten bleibt auch bei der Kernfusion die Frage der Endlagerung. Zwar produzieren Fusionsreaktoren keine langanhaltend stark strahlenden Abfälle wie Atomkraftwerke. Organisationen wie Green Peace kritisieren dennoch, dass die Kernfusion eine "Scheinlösung" sei. Union und SPD würden ihre Pläne auf "Phantasien stützen", heißt es.

Wozu braucht es Tritium?

Die Kernfusion auf der Erde unterscheidet sich von der in der Sonne. In der Sonne verschmelzen Wasserstoffkerne direkt miteinander – das klappt dort, weil im Sonneninneren extrem hoher Druck und sehr hohe Dichte herrschen, verursacht durch die starke Schwerkraft. Auf der Erde geht das nicht so einfach. Hier greift man deshalb auf Tritium zurück. Ein sehr seltenes, radioaktives Wasserstoff-Isotop, das es nur in winzigen Mengen gibt. Schon ein einziger großer Fusionsreaktor wie Iter in Frankreich würde fast den gesamten Vorrat an Tritium auf der Erde benötigen – nur um überhaupt starten zu können.

Damit auf der Erde also überhaupt eine Reaktion zustande kommt, müssen die Temperaturen rund zehnmal so hoch sein wie in der Sonne – also über 100 Millionen Grad Celsius. Denn: Ohne den enormen Druck in der Sonne ist es hier viel schwieriger, Atomkerne zur Verschmelzung zu bringen.

Die Produktion von Tritium im Kernfusionsreaktor selbst wäre zwar möglich, allerdings steht diese im Konflikt mit der Energiegewinnung des Reaktors. Die Produktion würde sehr viel Energie kosten. Dazu kommen die enormen Materialkosten, da alle verbauten Teile die enorme Strahlung und Hitze im Reaktor aushalten müssen.

Pilotprojekt in Bayern

In Deutschland treibt das bayerische Unternehmen Proxima die Forschung voran. Bis 2031 soll ein Pilotreaktor der Firma in Betrieb gehen, die kommerzielle Nutzung soll in den folgenden Jahren möglich werden. Proxima-Chef Francesco Sciortino begrüßte die Zuwendungen der neuen Bundesregierung. Er sagte der Nachrichtenagentur Reuters: "Wir finden es sehr spannend, dass CDU, CSU und SPD besonders optimistisch sind und dieses Thema in ihr Programm aufnehmen."

Proxima wurde 2023 als Ableger des deutschen Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Garching bei München und in Greifswald gegründet. Das Unternehmen mit rund 75 Physikern und Ingenieuren zählt wie die bayerischen Konkurrenten Marvel Fusion und Gauss Fusion zu den deutschen Vorzeigeunternehmen der Branche.

Wie sich die Kernfusion in den nächsten vier Jahren der schwarz-roten Regierung entwickelt, bleibt abzuwarten. Ein Durchbruch ist laut den Experten eher unwahrscheinlich.

Verwendete Quellen

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