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Merz' Asylpläne durch Urteil in Frage gestellt: Was folgt nun?


Zurückweisungen an Grenze
Dämpfer für Regierung? Diese Folgen hat das Asyl-Urteil

Von t-online, mak

Aktualisiert am 03.06.2025Lesedauer: 5 Min.
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Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU): Sie wollen Geflüchtete schon an der Grenze zurückweisen. (Quelle: IMAGO/Jens Schicke/imago)
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Ein aktuelles Urteil stellt die Asylpolitik der neuen Regierung unter Friedrich Merz infrage. Welche Folgen hat die Entscheidung?

Seit Mai lässt die neue Bundesregierung von Kanzler Friedrich Merz Schutzsuchende an deutschen Grenzen zurückweisen – ohne Asylverfahren. Möglich machen soll das eine Anweisung von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU). Doch ein Gericht hat nun entschieden: Genau das ist rechtswidrig. Das Urteil wirft mehrere Fragen auf.

Was ist die aktuelle Praxis der Merz-Regierung?

Seit dem Amtsantritt von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Mai 2025 verfolgt die Bundesregierung eine restriktive Migrationspolitik, die insbesondere auf die konsequente Zurückweisung von Migranten ohne gültige Einreisepapiere an den deutschen Grenzen abzielt.

Innenminister Dobrindt ordnete am 7. Mai die Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen an. Konkret wies er die Bundespolizei an, Personen ohne gültige Einreisepapiere – auch solche, die erkennbar Schutz suchen – direkt an der Grenze zurückzuweisen, sofern sie bereits in einem anderen EU-Staat registriert wurden oder keine Ausweisdokumente vorlegen können.

Diese Praxis wurde jedoch am 2. Juni vom Verwaltungsgericht Berlin in einem Eilbeschluss für rechtswidrig erklärt.

Was hat das Berliner Verwaltungsgericht entschieden?

Das Gericht hatte festgestellt, dass die Zurückweisung von Asylsuchenden bei Grenzkontrollen auf deutschem Gebiet rechtswidrig sei. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für ihren Asylantrag zuständig ist, dürften sie nicht abgewiesen werden. Konkret geht es um die Anwendung des sogenannten Dublin-Verfahrens.

Im vorliegenden Fall ging es um zwei Männer und eine Frau aus Somalia, die mit dem Zug aus Polen nach Deutschland eingereist waren. Am 9. Mai wurden sie am Bahnhof Frankfurt (Oder) von der Bundespolizei kontrolliert. Nachdem die Somalier ein Asylgesuch geäußert hatten, wurden sie noch am selben Tag nach Polen zurückgewiesen. Laut dem Gericht begründete die Bundespolizei die Zurückweisung mit der Einreise aus einem sicheren Drittstaat.

Dagegen wehrten sich die Betroffenen per Eilverfahren erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht. Die Beschlüsse sind nach Gerichtsangaben unanfechtbar. Einer Gerichtssprecherin zufolge handelt es sich um die erste gerichtliche Entscheidung zu der Neuregelung von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt.

Muss Dobrindt die Zurückweisungen nun stoppen?

Nein – zumindest vorerst nicht. Denn bei dem Urteil handelt es sich nicht um eine letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung – also kein endgültiges Urteil, das nicht mehr angefochten werden kann.

Auch Bundesinnenminister Dobrindt sagte nach der Gerichtsentscheidung, er wolle die Praxis an der Grenze nicht ändern und ein Hauptsache-Verfahren anstreben – im Gegensatz zu dem jetzigen Eilsacheverfahren. Man glaube, dass man dort "deutlich Recht bekommen" werde.

CDU-Mann verweist auf Juristen

Günter Krings, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von CDU und CSU im Bundestag, sagte der "Welt": "Das ist eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz eines erstinstanzlichen Gerichts und damit das Ergebnis einer bloß summarischen Prüfung." Im konkreten Fall und Verfahrensstadium sei die Entscheidung "natürlich zu beachten", sie könne aber "keine allgemeine Wirkung entfalten" und solle daher nicht überbewertet werden.

Es gebe indes viele "namhafte Juristen", die bei diesem Thema zu einer anderen Einschätzung gekommen seien als das Berliner Verwaltungsgericht, so Krings weiter. Um welche Juristen es sich dabei handeln soll, erläuterte er nicht.

Krings weiter: "Ich halte es für richtig, auch das europäische Recht nach seinem Sinn und Zweck auszulegen, und halte die Zurückweisungen daher für zulässig. Von daher halte ich es für nicht notwendig, dass das Innenministerium seine maßvolle Praxis an unseren Grenzen ändert."

Video | Diese Feststellungen haben deutlich zugenommen
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Quelle: t-online

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Er sieht nach der Gerichtsentscheidung vorerst keine Notwendigkeit, das derzeitige Vorgehen zu ändern. "Wir werden die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Berlin natürlich genau prüfen", sagte der CDU-Politiker der Nachrichtenagentur dpa. Er betonte gleichzeitig: "Die Zurückweisungen müssen fortgesetzt werden."

Was sagen Experten dazu?

Die rechtliche Zulässigkeit der Zurückweisungen ist umstritten. Rechtsexperten weisen darauf hin, dass pauschale Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Grenzen gegen europäisches Recht verstoßen könnten.

Migrationsrechtsexperte Winfried Kluth sagte der Nachrichtenagentur dpa, die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts liege "ganz auf der Linie der herrschenden Meinung im Migrationsrecht und der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs" (EuGH).

Die neue Bundesregierung wolle die Rechtsprechung dazu bewegen, ihren Standpunkt zu ändern, sagte Kluth weiter. Ziel seien letztlich Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die mehr Spielräume eröffnen würden, so der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration.

Zudem werde versucht, unter Verweis auf die Überlastung der Kommunen eine neue Argumentation zu etablieren – nämlich für eine weitreichendere Auslegung der Wahrung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit gemäß Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Diese sogenannte Notlagenklausel erlaubt Ausnahmen vom europäischen Freizügigkeitsrecht.

"Ob man von der Lage in einzelnen Kommunen auf ganz Deutschland schließen kann, ist aber sehr fraglich", gab Kluth zu bedenken. Solange das zuständige höchste Gericht nicht ausdrücklich anders entschieden habe, sei es durchaus möglich, eine neue, bislang nicht etablierte Auslegung einer Norm anzustreben, erklärte er.

Experte: Urteil wirft weitere Frage auf

Der aktuelle Fall werfe aber auch die Frage auf, wer die Feststellung treffen könne, dass eine Ausnahmelage im Sinne von Artikel 72 vorliegt. "Das ist eine Entscheidung von großer Tragweite, weil damit der Vorrang des Unionsrechts partiell durchbrochen wird", sagte der Jurist, der als Professor für Öffentliches Recht an der Uni Halle-Wittenberg lehrt.

Aus seiner Sicht müsste eine solche Entscheidung die gesamte Bundesregierung oder sogar der Bundestag treffen – ähnlich wie die Entscheidung über die epidemische Lage von nationaler Tragweite in der Corona-Pandemie. Dies müsste dann auch förmlich den Nachbarstaaten und der EU-Kommission mitgeteilt werden.

Experte sieht Möglichkeit für andere Rechtsgrundlage

Rechtsexperte Daniel Thym ist der Ansicht, dass es für die Zurückweisungen an der Grenze einer anderen Begründung bedarf. Der Professor der Uni Konstanz sagte im Deutschlandfunk: "Wenn ich eine Begründung liefern würde, dann würde ich auf die Herausforderungen bei der mittel- und dauerhaften Integration abstellen."

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Er verweist auf die Statistiken des UN-Flüchtlingshochkommissariats: "In Deutschland leben achtmal so viele Flüchtlinge im weiteren Sinne, unter Einschluss von Ukrainern, wie etwa in Italien, obwohl Deutschland nur etwa anderthalbmal so viel Einwohner hat wie in Italien. Es stimmt also nicht, dass andere Länder in Europa überlastet sind."

Thym weiter: "Deutschland hat relativ gesehen schon die meisten Leute aufgenommen, wie Österreich und andere Länder auch und darauf würde ich anstelle der Bundesregierung abstellen. Ob das dann die Gerichte überzeugt, das werden wir sehen, aber damit hat sich das Berliner Gericht bisher gar nicht beschäftigt."

Thym erklärte auch, was seiner Meinung nach keine Begründung für die aktuelle Praxis der Merz-Regierung sein sollte, nämlich, "dass die Asylantragszahlen derzeit hoch sind, weil das stimmt ja nicht". Vielmehr gingen sie derzeit zurück. Ebenso könne man Terrorakte nicht als Begründung vorschieben, denn bei diesen könne man "immer durch sonstige staatliche Maßnahmen entsprechende Vorkehrungen treffen". Mit einer soliden Begründung sollten weitere Eilverfahren zugunsten der Merz-Regierung ausgehen, schätzt der Experte.

Thym sagte auch, dass es in der Asylpolitik nicht nur bei Zurückweisungen bleiben könne: "Wenn man wirklich in der Migrationspolitik was ändern will, dann sind Zurückweisungen allenfalls eine Brücke, um viele sonstige Reformen anzustoßen."

Welche Kritik gibt es an Dobrindt?

Aus der Opposition kam erwartungsgemäß scharfe Kritik an Dobrindt. So sagte etwa Grünen-Chef Felix Banaszak den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Es ist unseriös und höchst bedenklich, wenn man wiederholt versucht, den rechtlichen Rahmen maximal auszutesten und dafür auch bereit ist, den Rechtsbruch in Kauf zu nehmen."

Linken-Chef Jan van Aken warf der Bundesregierung in der Düsseldorfer "Rheinischen Post" vor, sie verstoße gegen geltendes Recht, "nur weil sie Sündenböcke braucht".

Doch auch aus der schwarz-roten Koalition kamen kritische Stimmen – etwa von Ralf Stegner (SPD). Die Sozialdemokraten hätten in der Asylpolitik immer "auf Humanität und die Einhaltung der deutschen und europäischen Rechtsgrundlagen an unseren Landesgrenzen bestanden", sagte Stegner dem "Spiegel". Dies hätten die Konservativen stets lässig zurückgewiesen.

Im Wahlkampf habe es dann "die bekannte flotte Zurückweisungsrhetorik der Union gerade aus der CSU" gegeben. Diese stehe nun vor dem Praxistest im Regierungshandeln. "Das wird für Herrn Dobrindt möglicherweise nicht ohne ein paar politische Schrammen abgehen – so was kommt von so was", sagte Stegner.

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