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Kommentar zur Groko-Einigung: Für Deutschland hat es sich schon jetzt gelohnt


Für Deutschland hat es sich schon jetzt gelohnt

Ein Kommentar von Florian Harms

Aktualisiert am 07.02.2018Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Koalitionsverhandlungen von Union und SPDVergrößern des Bildes
Horst Seehofer (CSU), Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz in der CDU-Parteizentrale. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa-bilder)

Mehr als vier Monate lang haben die Parteien in Berlin über die künftige Bundesregierung verhandelt. Das war zäh und oft nervenaufreibend.

Wir leben in unruhigen Zeiten. In Europa erstarken radikale Parteien. Vor Europas Haustür tobt der syrische Krieg, wanken die nordafrikanischen Staaten unter dem Druck von Armut, Dürre, Migrationswellen. In Washington irrlichtert ein narzistischer Präsident, dem der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge egal ist. In Russland unterdrückt der Präsident jede Opposition, um nach der Wahl im März im Kreml zu bleiben. Noch weiter im Osten schwingt sich die Parteidiktatur China zur neuen Weltmacht auf und entwickelt perfide Überwachungssysteme, um ihre Untertanen Tag und Nacht zu kontrollieren. In wenigen Tagen beginnen in Südkorea die Olympischen Spiele unter dem Schatten der nuklearen Bedrohung aus dem Norden.

Und in Deutschland? Grämen wir uns darüber, dass demokratisch gewählte Parteien monatelang über eine Regierungsbildung verhandeln. Dass die älteste Partei des Landes hart mit sich ringt, ob und wie sie künftig mitregieren soll. Wie kurzsichtig.

Zu kleine Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit

Ja, der politische Verhandlungsmarathon nervt. Jamaika, doch nicht Jamaika, große Koalitionsrunden, kleine Koalitionsrunden, Nachtsitzungen, Worthülsen vor den Kameras, die 45. Talkshow zum selben Thema, politisches Personal, dem zum Teil die eigene Macht und das eigene Pöstchen wichtiger zu sein scheint als die eigene Glaubwürdigkeit. Viel zu kleine Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit – den Klimawandel, die Digitalisierung, den demografischen Wandel, die weltweiten Fluchtbewegungen.

Ja, unsere Politiker könnten einen besseren Job machen. Und ja, unsere föderalistische Parteiendemokratie ist schwerfällig. Wenn wir ihre Vertreter über "sachgrundlose Befristung" sprechen hören oder über die "Veränderung des Systems der Grunderwerbsteuer, sodass es den Ländern ermöglicht wird, den erstmaligen Grunderwerb von der Grunderwerbsteuer freizustellen oder mit entsprechenden Freibeträgen zu versehen", dann greifen wir uns mitunter an den Kopf.

Aber genau dieser politische Prozess ist ein großer Schatz. Die öffentliche Debatte, das friedliche Ringen um Konzepte, Lösungen, Ideen. Die Transparenz der demokratischen Abläufe. Die umfassende Berichterstattung in den unabhängigen Medien. Auch wenn es zwischen all den Eilmeldungen schwer fällt, weiten wir doch mal für einen Moment den Blick und schauen auf unsere Situation in der Welt. Verglichen mit anderen Staaten, Regionen, ganzen Kontinenten, die unter Armut, Repression, Instabilität leiden, geht es uns in Deutschland blendend. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit ist gering. Mindestens 46 Milliarden Euro kann die künftige Bundesregierung zusätzlich verteilen. Und über jeden Euro wird in einem transparenten parlamentarischen Prozess entschieden. Das System funktioniert. Dazu gehören eben auch monatelange Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen.

Vieles bleibt im Ungefähren

Vertieft man sich in die Details, verblasst der Glanz selbstverständlich hier und da, und noch ist die Einigung von CDU, CSU und SPD nicht mehr als ein Stück Papier. Die Formulierung "Wir wollen" taucht im Entwurf des Koalitionsvertrags, Stand Mittwochmittag, 419 Mal auf. "Wir werden" dagegen nur 298 Mal. Im Vertragsentwurf heißt es dazu: "Formulierungen mit ‘werden‘ sind grundsätzlich prioritär; Formulierungen mit ‘wollen‘ nicht". Sehr vieles bleibt also noch im Ungefähren, bleibt bloße Absichtserklärung, wird erst im Laufe der Legislaturperiode konkret verhandelt und kann sich dann noch mal komplett verändern. Die SPD kann ein Klagelied davon singen. Sie hat damit schon in der letzten großen Koalition schlechte Erfahrungen gemacht, etwa bei der großspurig angekündigten und später von der CDU weichgespülten Mietpreisbremse. Das erklärt die Hartnäckigkeit der Genossen in den gegenwärtigen Verhandlungen.

Das und die Angst der Parteispitze vor ihren eigenen Leuten. Rund 450.000 SPD-Mitglieder haben nun das letzte Wort, ob 82 Millionen Deutsche eine neue Regierung bekommen. Überwiegend sind es ältere Männer in Westdeutschland. Das ist nicht repräsentativ für unser Land und es verengt den monatelangen Prozess der Koalitionsverhandlungen auf einen parteiinternen Richtungskampf – einerseits. Andererseits: Niemand hält ja Angela Merkel und Horst Seehofer davon ab, es der SPD gleichzutun und die Verhandlungsergebnisse in CDU und CSU ebenfalls zur Abstimmung zu stellen. Aber mit der innerparteilichen Demokratie sind sie dort noch nicht so weit. Schade. Für Deutschland wäre es eine Bereicherung.

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