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FDP in der Corona-Krise: Krawall first, Einigkeit second


Liberale in der Krise
Streit first, Einigkeit second


Aktualisiert am 11.05.2020Lesedauer: 9 Min.
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FDP-Schriftzug versinkt im Wasser: Symbolbild für den schwierigen Zustand der Partei.Vergrößern des Bildes
FDP-Schriftzug versinkt im Wasser: Symbolbild für den schwierigen Zustand der Partei. (Quelle: imago-images-bilder)

In der Corona-Krise kämpft die FDP um ihr politisches Überleben. Bei den Liberalen tobt ein Richtungsstreit um die Frage: Wie konservativ wollen sie sein? Porträt einer zerrissenen Partei.

Linda Teuteberg versuchte erst gar nicht, ihre Wut zu verbergen: Nicht sinnvoll sei der Vorschlag, Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern einzufliegen und in der Europäischen Union und deutschen Kommunen zu verteilen. Der Ärger der FDP-Generalsekretärin Teuteberg richtete sich gegen eine Kollegin aus ihrer eigenen Fraktion: Die Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann hatte die Empfehlung zur Aufnahme von "Minderjährigen unter 14 Jahren" gegeben.

In einem Online-Forum konnten die anderen FDP-Abgeordneten den Zwist der beiden Politikerinnen verfolgen, der tagelang gärte. Es drohte eine öffentliche Eskalation, dann verständigten sie sich doch noch auf einen Kompromiss.

Der Tonfall ist ruppiger geworden in der FDP, sogar in der sonst so harmonischen Bundestagsfraktion. "Diese Auseinandersetzung zwischen Marie-Agnes und Linda ist symptomatisch für die aktuelle Lage bei uns. Jetzt wird gekämpft, da tun sich Abgründe auf", sagt einer aus dem Umfeld der Fraktionsführung. Der Dissens der beiden Politikerinnen offenbart einen Graben, der sich durch die gesamte Partei zieht.

Zwei Ansätze zur Lösung der Krise

Ab dem Jahr 2021 würde die FDP in der Bundesrepublik mitregieren – davon gingen viele Liberale noch vor wenigen Monaten aus. Doch mittlerweile ist nicht einmal mehr klar, ob es die Partei bei der nächsten Wahl in den Bundestag schafft: In Umfragen kommt die FDP bestenfalls auf sechs Prozent. Mitten in der Corona-Pandemie kämpfen die Liberalen um ihr politisches Überleben.

Für die Lösung der existenziellen Krise gibt es in der Partei zwei Ansätze: Die einen glauben, dass sich die FDP eher dem konservativen Teil der CDU zuwenden sollte, ab dem Jahr 2021 wünschen sie sich eine Neuauflage der schwarz-gelben Koalition. Einen Staat, der zur Bewältigung der Corona-Krise allerhand reglementiert und Grundrechte einschränkt, finden Anhänger dieser Marschrichtung nicht weiter schlimm.

Die anderen glauben, dass man die Wähler eher mit moderaten, wirklich liberalen Ansichten überzeugt. Diese Parteimitglieder sind der Überzeugung, dass man Ökologie und Ökonomie gleich gewichten solle und wünschen sich für 2021 – dann aber wirklich – eine Jamaika-Regierung. Die Frage, wer diesen Richtungsstreit gewinnt, ist entscheidend. Denn von ihr hängt mit hoher Wahrscheinlichkeit ab, wie und ob die FDP künftig Deutschland prägen wird.

"Wir brauchen ihn nicht"

Die Fliehkräfte bei den Liberalen nehmen zu, wie sich schon an diesem Wochenende beobachten ließ. In Baden-Württemberg bot der Landesvorsitzende Michael Theurer dem grünen Oberbürgermeister von Tübingen und "Enfant terrible" der Grünen, Boris Palmer, den Eintritt in die Partei an. Palmer hatte zuvor zum Schrecken der Grünenvorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck erklärt, man rette in der Corona-Krise teilweise Menschen, die ohnehin bald sterben würden.

Keine problematische Aussage, fand der baden-württembergische FDP-Mann Micheal Theurer. Der oberste Parteichef sah das anders. Lindner wies Theurer am Sonntag via Twitter zurecht: "Für mich passt Palmer nicht zur FDP. Wir brauchen ihn auch nicht."

Ärger für Lindner im Westen, Ärger für Lindner im Osten: Am Samstag hatte der Kurzzeit-Ministerpräsident und thüringische Landeschef Thomas Kemmerich auf einer Veranstaltung gemeinsam mit AfD-Politikern und Antisemiten demonstriert. Erneut musste Lindner zur Ordnung rufen: "Die Aktion von Thomas Kemmerich schwächt unsere Argumente. Ich habe dafür kein Verständnis."

Der Parteichef hat zunehmend Mühe, alle Mitglieder auf Kurs zu halten. So weit ist es gekommen in der FDP, die noch vor Kurzem allein auf Lindner als Frontmann ausgerichtet war. Marie-Agnes Strack-Zimmermann geht bei der Kritik an ihrem Parteifreund Kemmerich sogar noch weiter. "Offensichtlich ist er nicht nur physisch bei der AfD angekommen. Er täte gut daran, seinen Hut zu nehmen und die FDP zu verlassen", sagte sie zu t-online.de.

Strack-Zimmermann ist Mitglied des Bundesvorstands der Partei, noch sitzt sie im Bundestag und zofft sich dort gelegentlich mit der konservativen Generalsekretärin Teuteberg. Doch es zieht sie woanders hin: Ins Düsseldorfer Rathaus, im September will sie dort zur Oberbürgermeisterin gewählt werden. Niemand steht mehr für den liberalen, eher linken Teil der FDP als die Rheinländerin. Wer Strack-Zimmermann trifft, versteht, wie der gemäßigte Teil der Liberalen tickt, die ein Erstarken der erzkonservativen Positionen innerhalb der Partei eher kritisch sehen.

Man müsse eben auch Kompromisse machen

Es ist ein sonniger Tag Anfang Mai, als Strack-Zimmermann nach einer Eisdiele in Düsseldorf sucht. Eigentlich kennt sich die 62-Jährige in der Innenstadt gut aus, doch in der Corona-Krise sind viele Geschäfte geschlossen. Im Gehen deutet sie ab und zu auf verschiedene Häuser und erzählt, was ihr dazu einfällt. Jahrelang war sie Stellvertreterin des Oberbürgermeisters, sorgte für Umbauten in der Stadt und war dabei doch stets in der zweiten Reihe.

Jetzt sei die Zeit reif, den Job "selbst zu machen". Und den Wahlsieg, erklärt sie, erreiche man am besten mit "pragmatischer, liberaler Politik". Eine offene Eisdiele findet Strack-Zimmermann nicht, aber immerhin ein Café, wo man einen Cappuccino bekommt. Man müsse eben auch Kompromisse machen können, findet sie.

Noch im Januar dieses Jahres rechnete sich Strack-Zimmermann gute Chancen für ihre Kandidatur als Oberbürgermeisterin aus. Doch am 5. Februar 2020 bekam die Siegesgewissheit der 62-Jährigen ihren ersten Dämpfer. An dem Tag geriet der Kurs der FDP endgültig ins Schlingern, es war die Stunde Null der jetzt aufkeimenden Grabenkämpfe: Mit den Stimmen der AfD ließ sich Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten wählen.

Strack-Zimmermann und viele ihrer Kollegen distanzierten sich schnell. Andere, wie der stellvertretende Parteichef Wolfgang Kubicki sprachen zunächst von einem "großen Erfolg" und ruderten erst später zurück. Der Imageschaden für die FDP ist gigantisch: Thomas Kemmerich stand für eine Partei, die sich ausgerechnet vom AfD-Steigbügelhalter Björn Höcke in den Sattel des Ministerpräsidenten hieven ließ. Strack-Zimmermann spricht heute von einem "Desaster" in Thüringen.

"Wir sahen das ein wenig anders"

Dort, in der kleinen thüringischen Stadt Saalfeld, sitzt Reginald Hanke und lehnt sich zurück. Er seufzt tief, wenn man ihn drei Monate später noch auf Kemmerichs Wahl anspricht, und sagt dann: "Sehen Sie: Wir hier in Thüringen, wir sahen die Wahl von Thomas Kemmerich ein wenig anders, nämlich in erster Linie als Erfolg gegen Rot-Rot-Grün."

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Hanke, ein korpulenter 63-jähriger Mann mit Schnauzbart und stramm sitzendem Hemd ist der Nachfolger von Kemmerich im Bundestag, als dieser in den Landtag von Erfurt gewählt wurde. Er versteht die ganze Aufregung um seinen Parteifreund nicht.

Dass "der Thomas" danach zurückgetreten ist, na ja, das sei halt so gewesen, die Frau und die Kinder hätten viel Ablehnung in der Zeit aushalten müssen. Von einem politischen Grund für den Rücktritt spricht Hanke nicht. Christian Lindner fuhr damals extra nach Erfurt und setzte den Rücktritt von Kemmerich persönlich durch. Einer seiner Parteikollegen aus Ostdeutschland sagt hingegen: "Da haben sich die lieben Kollegen aus Berlin aber ganz schön aufgebäumt. Absurd war das."

Es sind zwei Sichtweisen auf die Wahl von Kemmerich, die für die Spaltung in der jetzigen FDP stehen: Die einen waren entsetzt. Die anderen wiederum verwundert, dass ihre Parteifreunde so entsetzt waren. Konstantin Kuhle gehört zur Gruppe der Schockierten, der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion sagt heute: "Thüringen hat uns etwa drei Prozentpunkte gekostet. Die müssen wir schnellstmöglich wieder gut machen."

Keine Einigkeit in der Frage, was Freiheit in Zeiten von Corona bedeutet

Doch nach der Aufregung um Kemmerich verbreitete sich die Corona-Pandemie in Deutschland – und der Graben innerhalb der Partei, der sich schon zuvor deutlich abgezeichnet hatte, vertieft sich in der Krise noch, wie Thomas Kemmerichs gemeinsamer Protest am Wochenende mit der AfD zeigte.

Seit Jahrzehnten versteht sich die FDP als eine Partei, die sich für mehr Freiheit stark macht. Aber in der Frage, was Freiheit in der Bewältigung der Corona-Pandemie bedeutet, sind sich die Liberalen alles andere als einig: Das konservative Lager glaubt, Freiheit meine tatsächlich die individuelle Freiheit des Einzelnen. Entsprechend kritisieren Anhänger dieser Richtung die vielen Auflagen und Restriktionen in der Corona-Krise.

Die parteiinternen Widersacher widersprechen dieser urliberalen Haltung. Ihre Argumentation lautet: Wenn die Menschen, die weniger durch den Coronavirus gefährdet sind, zu schnell ihre individuelle Freiheit ausleben, geht das zu Lasten der Freiheit derjenigen, die von dem Erreger stark bedroht sind. Ein liberales Dilemma.

"Larifari-Klimaprogramm interessiert ja niemanden mehr"

Konstantin Kuhle, kein Anhänger des konservativen Lagers, weiß, wie groß der Druck in der Krise ist: "Gerade wegen der aktuellen Umfragen ist klar: Wir müssen uns gut überlegen, welches Angebot wir jetzt den Bürgern machen wollen." Kuhle versucht den Spagat: "Wir setzen uns in der Krise dafür ein, dass wir jetzt das Leben schützen und trotzdem viele Freiheiten ermöglichen." Kuhle glaubt gleichwohl, genauso wie seine Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern, dass die FDP in der Corona-Krise bei den Menschen mit Appellen an Eigenverantwortung punkten kann.

Torsten Herbst sieht das alles anders, auch deswegen hat er den sogenannten "Liberal-konservativen Kreis" mitbegründet. Dieser Kreis ist ein interner Zirkel für Politiker aus FDP und Union. Und sie haben ein klares Ziel: "Am liebsten wäre mir nach der nächsten Bundestagswahl eine Koalition aus Union und FDP", sagt Herbst. Von den Grünen wollen sie beim Liberal-konservativen-Kreis nichts wissen, deren "Larifari-Klimaprogramm interessiert in der existenziellen Corona-Krise ja niemanden mehr", wie es ein Parteifreund ausdrückt.

Herbst findet: "In der Corona-Krise muss die FDP die Marktwirtschaft und Bürgerrechte davor schützen, dass der Staat die Gunst der Stunde zu allzu tiefen Eingriffen missbraucht." Die Vertreter des Liberal-konservativen Kreises glauben, Deutschland könne nur dann gut aus der Corona-Krise kommen, wenn das Land wieder mit konservativer Linie geführt wird. In der FDP-Bundestagsfraktion haben Herbst und seine Mitstreiter keine Mehrheit. Doch trotzdem sind es so viele, dass sie ihre Ansichten immer wieder prominent platzieren können.

"Die Dominanz des Vorsitzenden ist gefährlich"

Die Spaltung der FDP, die in den Jahren vorher von Lindner zusammengehalten wurde, begann mit der Wahl von Kemmerich – und verschärft sich jetzt in der Corona-Krise. Gerhart Baum, früherer FDP-Bundesinnenminister, sieht die Entwicklung mit Sorge. Im Gespräch mit t-online.de sagt er: "Die FDP ist traumatisiert von der Zeit nach Westerwelle, als wir aus dem Bundestag gewählt wurden: Damals war die Partei völlig zerstritten."

In der Partei würde schon diskutiert, doch eben nicht öffentlich – und genau das schade der FDP, glaubt Baum. Der Ausstieg aus Jamaika, Thüringen: "Das ist alles nicht so leicht zu kitten. Jetzt muss eine liberale Zukunftsperspektive kommen, in dieser globalen Zeitenwende." Und Baum sieht noch ein Problem: "Die Dominanz des Vorsitzenden ist gefährlich." Der Parteivorsitzende Lindner gilt in der Krise nicht mehr als unantastbar. Noch könnte ihn wohl niemand beerben, doch sein Rückhalt schwindet. Auch, weil die Positionen bei der FDP immer mehr auseinander driften.

Öffentlich hatte sich der Vorsitzende zurückgezogen: Christian Lindner saß zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen im Homeoffice, schrieb Texte an seinem MacBook und steuerte die Partei von zu Hause aus. Manchmal setzte er sich abends auf die Dachterrasse und streamte auf Instagram. Dann schaltete er Zuschauer dazu – und erzählte, welche Defizite Deutschland seiner Ansicht nach in der Corona-Krise habe. Am liebsten attackierte er dabei die Bundeskanzlerin. Dies gipfelt bislang darin, dass er gegenüber der "Bild"-Zeitung äußerte, die Regierung spreche zu den Menschen "wie zu Kindern".

Doch die FDP steigt nicht in der Beliebtheit, Lindner dringt kaum zu den Wählern durch. Der Grund dafür ist der aktuelle Standard-Satz der Oppositionsparteien: "Krisen sind Zeiten der Exekutive." Alles fokussiert sich auf Merkel und die Ministerpräsidenten. Am 8. Mai gaben 61 Prozent der Befragten in Deutschland an, mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung zufrieden zu sein. Die Stars der Krise heißen Laschet, Söder, Kretschmann. Schwere Zeiten für einen Rebellen wie den FDP-Chef. Lindner gibt sich trotzdem optimistisch im Gespräch mit t-online.de: "Wir sind mit unserer Position einer Öffnung von Gesellschaft und Wirtschaft gut wahrnehmbar. Unsere Themen wie Digitalisierung, Wirtschaft und Bürgerrechte sind aktueller denn je."

Doch Lindners zweites Problem ist noch größer: Es ist seine eigene Partei. Der FDP-Chef muss genau abwägen, wie scharf er wen kritisiert. In Nordrhein-Westfalen sitzt die FDP mit in der Landesregierung, der dortige Ministerpräsident Armin Laschet gilt als einer der energischsten Verfechter von Lockerungen. Auch deshalb unterstützt Lindner die Aufhebung von Maßnahmen, wetterte Anfang Mai gegen das "Hin und Her" der Virologen.

Niemanden bevorzugen, niemandem wehtun

Genau die verteidigt Gerhart Baum jedoch im Gespräch mit t-online.de: "In der Corona-Krise ist natürlich Kritik geboten, aber kein Angriff auf die Wissenschaft. Eine der Aufklärung verpflichtete Partei darf sich nicht in diese populistische Ecke begeben." Lindner weiß selbst, wie uneinig sich seine Partei in der Krise ist. Er versucht, niemanden zu verprellen, der Parteichef glaubt, das ginge schon mit einem mittigen Kurs. Niemanden bevorzugen, niemandem wehtun, das ist im Moment sein Führungsstil.

Lindner wägt weiter ab. Aus seinem Umfeld ist zu hören, dass er sich dieses Jahr über die inhaltliche Ausrichtung der Partei Gedanken machen will. Einer seiner früheren Berater sagt dazu: "Wenn Christian wirklich noch mal an den Grundsätzen schleifen will, dann aber schnell." Der Bundestagswahlkampf wird in wenigen Monaten eröffnet, die Zeit läuft. Für die FDP und für Christian Lindner. Und der Richtungskampf? Den, so der ehemalige Weggefährte von Lindner, sollte die Partei in diesem Sommer entscheiden. Sonst wüsste bald keiner mehr, wofür die FDP eigentlich steht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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