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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Johann Wadephul Die 180-Grad-Drehung des neuen Außenministers

215 Milliarden Euro für Waffen und Rüstung? Mit seiner Fünf-Prozent-Forderung hat der neue Außenminister Johann Wadephul für mächtig Unruhe gesorgt und den Koalitionspartner verärgert. Was steckt dahinter?
Nach den heftigen Erschütterungen der vergangenen Monate, die US-Präsident Donald Trump im westlichen Bündnis ausgelöst hat, lässt sich das Treffen von Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) mit seinem US-Amtskollegen Marco Rubio durchaus als hoffnungsvolles Zeichen deuten.
Bei ihrem Gespräch im türkischen Ankara am Donnerstag scheint die Chemie zwischen beiden auf Anhieb zu stimmen: ein freundliches Händeschütteln, ein kumpeliges An-die-Schulter-Fassen, vor allem der US-Vertreter grinst auffällig breit in die Fernsehkameras.
Rubios gute Laune dürfte damit zu tun haben, was sein deutscher Amtskollege wenig später aus der Türkei vermelden wird: Wadephul bestätigte die Forderung von US-Präsident Donald Trump an die Nato-Partner, künftig fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren. Die US-Regierung drängt schon länger auf eine stärkere Lastenverteilung innerhalb des Bündnisses. Nun schwenkt auch der deutsche Außenminister offiziell auf die Trump-Linie ein.
In Deutschland löste Wadephul damit ein kleines politisches Erdbeben aus. Vor allem in der SPD war man verärgert über den unabgestimmten Vorstoß des CDU-Manns. Chef-Genosse und Vizekanzler Lars Klingbeil mahnte von Berlin aus, der Außenminister solle sich bitte an den Koalitionsvertrag halten. Andere, wie Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte, nannten den Vorschlag schlicht "irre". Selbst Kanzler Friedrich Merz (CDU) distanzierte sich sanft von seinem Außenminister und betonte bei "Illner", es gehe vor allem um "Fähigkeiten" der Bundeswehr, nicht um Prozentzahlen.
Die Aufregung um Wadephul ist verständlich: Fünf Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung betragen nach derzeitigem Stand rund 215 Milliarden Euro. Das wäre fast eine Verdreifachung der Verteidigungsausgaben, die im vergangenen Jahr bei rund 80 Milliarden Euro lagen. Woher der Staat so viel Geld für die Bundeswehr nehmen soll, ist mehr als fraglich. Bislang erreichte Deutschland immer nur mit Ach und Krach die Nato-Quote von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung – und auch das nur dank eines milliardenschweren Bundeswehr-Sondervermögens.
Was bezweckt Wadephul also mit seiner Forderung, die Deutschland enorm viel abverlangen würde? Hat er sich das genau überlegt?
Eine 180-Grad-Drehung
Klar ist: Die fünf Prozent wären nicht nur für Deutschland eine neue Weichenstellung. Auch Wadephul selbst, gerade wenige Tage im Amt, ändert mit dem Vorstoß seine bisherige Linie. Denn als Bundestagsabgeordneter sprach er vor Kurzem noch ganz anders. Als Trump im Januar die Fünf-Prozent-Forderung erstmals erhob, widersprach Wadephul deutlich: Fünf Prozent wären 200 Milliarden Euro. Das sei "eine Steigerung, die wir in absehbarer Zeit realistischerweise nicht schaffen können und ehrlich gesagt auch nicht schaffen müssen", so der CDU-Politiker in einem Interview.
Statt "Prozente-Debatten" und "Zahlenspielereien" müsse man den Fokus darauf legen, was die Bundeswehr brauche. Das war im Januar. Vier Monate später ist Wadephul als Außenminister in einer anderen Wirklichkeit angekommen.
Will Wadephul jährlich 215 Milliarden Euro in Waffen stecken?
Auch wenn Wadephuls Forderung offenbar unabgestimmt war und selbst der Kanzler zur Zurückhaltung mahnt, war seine Fünf-Prozent-Forderung weder eine ausgedachte Zahl noch als knallige Schlagzeile gedacht. Sie folgte einem durchdachten Kalkül.
Sie geht zurück auf einen Plan von Nato-Generalsekretär Mark Rutte, der Anfang Mai damit begann, die Idee des Fünf-Prozent-Ziels in Umlauf zu bringen. Rutte schlug den Nato-Verbündeten vor, künftig 5 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu investieren: 3,5 Prozent davon sollen in "klassische" militärische Aufrüstung fließen, 1,5 Prozent in sicherheitsrelevante Infrastruktur. Die 5 Prozent sollen also nicht komplett in Waffen und Rüstung gehen, sondern "nur" 3,5 Prozent.
Die Zahl ergibt sich aus den militärischen Notwendigkeiten der neuen Nato-Verteidigungspläne, die gerade erarbeitet werden. Die Mitgliedsstaaten erhalten dazu detaillierte und streng geheime Listen mit Waffen und anderen militärischen Fähigkeiten, die sie vorhalten müssen. Auch wenn die Zahl noch nicht öffentlich ist, wird sich Deutschland vermutlich darauf einstellen müssen: Das 3,5-Prozent-Ziel wird womöglich auf dem Nato-Gipfel am 24./25. Juni in Den Haag offiziell beschlossen werden. Zeitliche Zielmarke soll das Jahr 2032 sein.
Verteidigungsrelevante Infrastruktur
Die 1,5 Prozent der 5 Prozent sollen hingegen breiter gefasst werden: Investitionen in Straßen, Schienen und Brücken etwa, um im Ernstfall militärisches Gerät zu transportieren, ebenso wie in den Zivilschutz oder die Cyberabwehr. Maßnahmen also, die Deutschland ohnehin geplant hatte.
Was genau als Ausgabe in die 1,5 Prozent hineingerechnet werden darf, und ob damit auch bestehende oder nur neue Investitionen gemeint sind, wird derzeit noch von den Mitgliedstaaten verhandelt. Vor allem Länder mit kleineren Wehrbudgets, etwa Italien und Spanien, dürften an möglichst schwammigen Kriterien interessiert sein. Denn so lassen sich mithilfe kreativer Buchhaltung eine Vielzahl an Ausgaben hineinrechnen, die nicht im engeren Sinne die Verteidigung stärken.
Wie das geht, hat Deutschland in den vergangenen Jahren vorgemacht, indem es der Nato auch Versorgungsleistungen ehemaliger NVA-Soldaten oder Zinsen für Rentenzahlungen als "verteidigungsrelevante Ausgaben" gemeldet hatte. Nur mit solchen Rechentricks konnte die Bundesregierung überhaupt das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen.
Von den 215 Milliarden Euro, die 5 Prozent der Wirtschaftsleistung entsprechen, würden in Deutschland also rund 65 Milliarden Euro in die Infrastruktur fließen. Da die Bundesregierung ohnehin mit einem 500 Milliarden Euro schweren Infrastruktur-Sondervermögen plant, wäre ein Teil der Ausgaben also womöglich bereits abgedeckt. Blieben 150 Milliarden pro Jahr für Verteidigung. Immer noch eine sehr hohe Summe, aber bis 2032 wohl erreichbar.
Deutschland als Logistikdrehscheibe für den Ernstfall
Unklar war zunächst, warum Wadephul seine Fünf-Prozent-Forderung gerade jetzt, also Wochen vor dem Nato-Gipfel in die Öffentlichkeit trägt. Der Außenminister könnte ein doppeltes Kalkül verfolgen: Einerseits könnte er ein Zeichen setzen wollen, um die deutsche Öffentlichkeit vorzubereiten auf das, was in den nächsten Jahren bevorsteht: eine militärische Aufrüstung in einer Dimension, die das Land lange nicht erlebt hat.
Zudem: Die Zeit drängt. Nach den Einschätzungen deutscher Sicherheitsbehörden ist Russland ab 2029 in der Lage, die Nato militärisch zu testen. Die Verteidigungspläne Deutschlands und der Nato richten sich entsprechend auf dieses mögliche Datum aus, wenn Russland zuschlagen könnte. Der Bundesrepublik kommt dabei eine besondere Rolle zu: Als Logistikdrehscheibe in der Mitte Europas müsste Deutschland im Ernstfall eine erhebliche Zahl an Kampftruppen an die Nato-Ostflanke verlegen. Dafür müssen Häfen, Straßen, Schienen, Tunnel und Bahnhöfe funktionieren – was sie bekanntermaßen im Augenblick nur zum Teil tun.
Das Ziel, Deutschlands marode Infrastruktur schleunigst auf Vordermann zu bringen, dient also nicht nur der inneren Stabilisierung des Landes, wie es aus der schwarz-roten Koalition derzeit oft zu hören ist. Es ist, zumindest aus Sicht der Nato, eine militärische Notwendigkeit und entspricht den daraus abgeleiteten Pflichten, die auf Deutschland im Rahmen der Nato-Verteidigungspläne zukommen. Dazu sind enorme Investitionssummen nötig – und Zeit.
Es geht vor allem um einen Mann
Andererseits dürfte es Wadephul wie auch Nato-Generalsekretär Rutte wohl vor allem um einen Mann gehen: US-Präsident Donald Trump. Seit dessen Amtsantritt im Weißen Haus befürchten die Europäer, die USA könnten Truppen aus Europa abziehen oder sich ganz aus der Nato zurückziehen. Auch gibt es Zweifel daran, wie ernst Washington die Nato-Beistandsgarantie noch nimmt. Ruttes Plan für den Gipfel in Den Haag ist es daher, vor allem Trump zufriedenzustellen und die USA im Bündnis zu halten.
Der Nato-Gipfel soll daher ein Signal für den transatlantischen Zusammenhalt senden – nach außen wie nach innen. Wichtigstes Instrument dazu ist das "burden shifting": eine neue Lastenverteilung innerhalb der Nato, um den übergroßen Anteil der USA auszugleichen. Schätzungen zufolge tragen die USA derzeit rund 64 Prozent der Verteidigungsausgaben, Kanada und Europa zusammen rund 36 Prozent.
Ruttes Fünf-Prozent-Plan setzt hier an und folgt dem Kalkül, die Nato stärker an den Wünschen des US-Präsidenten zu orientieren: weniger Kosten für die USA, mehr Lasten für Europa und Kanada. Trump, der den Nato-Partnern seit Jahren vorwirft, zu wenig für die eigene Sicherheit zu tun, soll den Nato-Gipfel als Sieg verbuchen können, als seinen Sieg. Rutte soll Berichten zufolge sogar die Organisation des Gipfels auf Trumps Bedürfnisse zugeschnitten haben: So soll es etwa nur eine Arbeitssitzung der Staats- und Regierungschefs der Nato geben und eine knappe, einseitige Gipfelerklärung, wie der "Spiegel" berichtet. Trump ist für seine Ungeduld und Abneigung gegenüber langen Dokumenten bekannt.
Für Tag zwei haben sich die Gipfelarchitekten etwas Besonders einfallen lassen: ein Galadinner beim niederländischen König. Auch das dürfte ganz nach Trumps Geschmack sein.
- bloomberg.com: "NATO Is Sketching Out Plan to Meet Trump Call for 5% of GDP on Defense" (englisch)
- france24.com: "NATO hatches deal on higher spending to keep Trump happy" (englisch)
- spiegel.de: "Was es mit Wadephuls Fünfprozentplan auf sich hat"
- swr.de: "Fünf Prozent für Verteidigung: "Schaffen wir nicht und müssen wir nicht"
- reuters.com: "Exclusive: NATO's Rutte floats including broader security spending to hit Trump's 5% defence target"