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HomePolitikTagesanbruch

Tagesanbruch: D-Day-Bedeutung – ein Wendepunkt in der Geschichte


Was heute wichtig ist
Ein Wendepunkt in der Geschichte

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 05.06.2019Lesedauer: 7 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Amerikanischer D-Day-Veteran auf einem Soldatenfriedhof in Holland.Vergrößern des Bildes
Amerikanischer D-Day-Veteran auf einem Soldatenfriedhof in Holland. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

In der Hölle feiern sie die besten Feste, heißt es. Die SPD jedenfalls weiß, wie das geht. Tiefer als die Sozialdemokraten kann eine Volkspartei kaum ins Inferno sinken. Aber sie lässt sich davon die Laune nicht verderben. Kostprobe gefällig? "Wichtig ist, dass wir uns unterhaken!", rief Parteivize Olaf Scholz seinen Genossen gestern Abend auf der Spargelfahrt des Seeheimer Kreises zu. “Die Sozialdemokratie ist wichtig für den Zusammenhalt und die Demokratie in unserer Gesellschaft!“ Feuriger Applaus auf dem Raddampfer, den der Hamburger Abgeordnete Johannes Kahrs in jedem Sommer chartert, um die Bundestagsfraktion mit Spargel und Bier auf dem Wannsee zu verköstigen.

In diesem Jahr hatten sie genug Platz auf dem Dampfer. Die Bundestagsfraktion ist auf 152 Abgeordnete zusammengeschmolzen, knapp 100 wollten mitschippern. Im vergangenen Jahr mokierten sich viele über naive Sätze in der Rede der Parteivorsitzenden Andrea Nahles. In diesem Jahr hat die SPD gar keinen regulären Vorsitzenden mehr, aber einen Mann, der wahnsinnig gerne nächster Kanzlerkandidat wäre. Bei vielen ist er als kalter Technokrat verschrien, aber gestern Abend zeigte er, dass in seinen Finanzministeradern Herzblut pulsiert. "Die Frage ist: Wie können wir sicherstellen, dass wir trotz aller Veränderungen in den westlichen Gesellschaften auch in den nächsten 20, 30 Jahren ein sicheres Leben leben können?", rief Scholz und beantwortete die Frage praktischerweise gleich selbst: "Dafür ist es wichtig, dass es eine Partei des sozialen Zusammenhalts in Deutschland gibt!" Und dann die Losung: "Demokratie, Rechtsstaat, soziale Marktwirtschaft!"

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Sicher, das mag nicht der Gipfel der Originalität sein, aber es ist immerhin mal eine Parole, der wirklich jeder applaudieren kann. Mehr jedenfalls als dem schrulligen Bekenntnis des neuen kommissarischen Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, der festzustellen geruhte: "Ich arbeite nicht mit Twitter; ich bin darauf angewiesen, dass man mir seine Meinung konventionell übermittelt!" So einen Satz mag man als launiges Kontra zum überdrehten Berliner Politik- und Medienzirkus beklatschen. Oder darin ein zentrales Problem der überalterten SPD-Fraktion sehen, die den Anschluss an die digitale Gegenwart verpasst hat. Dem Applaus der Spargelfahrer nach zu urteilen entscheidet sich die Fraktion eher für Ersteres. Auch das ist ein Statement.


Ein Kriminalfall erschüttert Hessen: Der CDU-Politiker Walter Lübcke ist erschossen worden. Im Jahr 2015 hatte er über eine Flüchtlingseinrichtung gesagt: Wer mit den hiesigen Werten nichts anfangen könne, sei frei, Deutschland jederzeit zu verlassen. Daraufhin wurde er im Internet angefeindet und erhielt Morddrohungen. Wurde er nun tatsächlich ermordet? Verdächtige gibt es bislang nicht – doch Rechtsextreme bejubeln das Verbrechen in den "sozialen" Netzwerken. Der Fall zeigt uns exemplarisch, wie Kriminelle im Netz ungestört Hass säen können – und wie Facebook und die YouTube-Mutter Google mit dem Hass Klicks generieren, um ihren Profit zu mehren.

"Solche Hetze darf nicht ohne Folgen bleiben. Nicht nur für die Täter. Ohne Plattformen wie YouTube und Facebook wären sie kaum wahrnehmbar. Solche Netzwerke machen oft aus Einzelgängern erst Gruppen – bis hin zu Kameradschaften übelster Form", kommentiert die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Ich erlaube mir die Frage hinzuzufügen: Wann trauen sich deutsche Europapolitiker endlich, gegen die Lobby der amerikanischen Tech-Konzerne in Brüssel einzuschreiten und wirksame Regeln gegen Hass, Lügen und Verleumdung im Web durchzusetzen? Solange allerdings der Fraktionschef einer Regierungspartei sich weigert, überhaupt mal in die Netzwerke hineinzuschauen, wird da wohl nichts passieren. Auch so gesehen braucht Deutschland dringend andere Entscheider.


WAS STEHT AN?

Dicht vor der Küste rammte sich das Landeschiff in den Grund. Die Rampe klappte herunter, der erste Panzer rollte von Bord. "Er fuhr runter und runter, und plötzlich – buff – drehte er sich auf den Kopf, mitsamt der Männer drinnen, und verschwand." Eine unerwartet tiefe Stelle unter Wasser lag direkt unter der Rampe, erzählt David Render (den Sie hier sehen können). Er kommandierte einen britischen Panzertrupp, der am Morgen des 6. Juni 1944, des D-Day, in der Normandie landete. "Ich sah das, und mir wurde klar, dass die Jungs, mit denen ich gerade noch gesprochen hatte, in diesem Panzer in der Falle saßen und ertranken. Und in diesem Moment starben. Ich wäre lieber zuhause bei Mama gewesen."

Man nennt sie "Gefallene", die toten Soldaten, das Wort gehört zu den vielen Lügen des Krieges. Es klingt tragisch, aber fast schon elegant. Doch niemand fällt im Krieg nur so zu Boden. Von den Zerfetzten müsste man sprechen, den Verbluteten, von denen, die gefangen in ihrem Panzer bis zuletzt das Wasser steigen sahen, bevor es sie ertränkte. Der blickdichte Mantel, mit dem unsere Worte die Brutalität der Kämpfe bedecken, macht es den Angehörigen ein bisschen leichter, aber auch den Kriegstreibern. In der realen Hölle ist wenig Raum für Ruhm und Heldentum. "Gefallene" lassen sich leichter ehren – und ihr wahres Schicksal lässt sich leider leichter vergessen.

Umso mehr müssen wir denen Respekt zollen, die vor 75 Jahren sehenden Auges in das Gemetzel an den Stränden der Normandie marschiert sind. Die den Horror ertrugen, um dem Naziterror in Europa ein Ende zu bereiten. Es ist paradox, dass unsere eigenen Vorfahren, unsere Groß- und Urgroßväter, auf der anderen Seite standen – auf der falschen. Aber auch das zeichnet uns aus: Wir sind keine Herde. Wir gehören nicht zu einem Rudel, wo nur die Blutsbande zählen. Deshalb ehren wir diejenigen, die der Gerechtigkeit gedient und für sie ihr Leben riskiert haben. Für die auf der anderen Seite, unsere Verwandten, darf Trauer genügen.

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Diese Haltung ist in Deutschland längst Teil der Staatsraison geworden. Sie hat den primitiveren Impulsen des Patriotismus abgeschworen und schätzt die Werte unserer Nation, nicht bloß die Gene. Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, hat mir dazu diese Sätze gesagt:

"Für Europa und Deutschland ist der D-Day ein Wendepunkt in der Geschichte, der uns für immer dankbar auf den mutigen und selbstlosen Einsatz von amerikanischen, britischen und vielen weiteren Soldaten unterschiedlicher Nationalitäten blicken lässt. Zu dieser Bereitschaft, gemeinsame Ziele vor nationale Interessen zu stellen, müssen wir dringend zurückfinden – denn noch nie waren die Staaten, die vor 75 Jahren so viel für Europa und die Welt erreicht haben, so zerstritten wie heute. Die Institutionen wie die EU und die NATO, aber auch die UN, die in der Nachkriegszeit geschaffen wurden, müssen verteidigt und gleichzeitig im Hinblick auf die neue geopolitische Situation in unserer Zeit fortentwickelt werden."

Von den Stränden der Normandie führt der Weg also direkt ins Hier und Jetzt. Im britischen Portsmouth, wo die Invasionsflotte damals in See stach, wird US-Präsident Trump heute gemeinsam mit Angela Merkel, Emmanuel Macron und der britischen Königin Elizabeth II. an der Gedenkfeier teilnehmen, und sicher auch ein paar Worte über das historische Ereignis sagen. Wir dürfen gespannt sein, ob er ähnlich weise Schlussfolgerungen wie ein deutscher Außenpolitiker daraus zieht.


Auf der anderen Seite des Ärmelkanals wird derweil aktuelle Europapolitik gemacht: Die EU-Kommission präsentiert ihren Haushaltsentwurf für 2020 und berichtet über die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedsstaaten. Dabei legt sie besonderes Augenmerk auf Italien: Sollte Brüssel zu dem Schluss kommen, dass Rom mit seiner verschwenderischen Schuldenpolitik gegen EU-Regeln verstößt, kann es harte Strafen verhängen, was wiederum den Sturz der populistischen Regierung beschleunigen dürfte.

Anschließend trifft EU-Ratschef Donald Tusk einen Mann, dessen Worte und Taten alle europäischen Regierungschefs in diesen Tagen neugierig verfolgen: Der neue ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj absolviert in Brüssel seinen Antrittsbesuch. Der ehemalige Schauspieler hat die Herzen der Ukrainer im Sturm erobert, riesige Erwartungen in überfällige Reformen geschürt – und in der Regierungszentrale des Nachbarlandes Russland große Angst ausgelöst. Sagt zumindest Michail Chodorkowski, der ehemalige russische Oligarch und heutige Dissident. Gestern traf ich ihn in Berlin und ließ mir seine Sichtweise auf die aktuelle Lage in Russland und der Ukraine erläutern. Neutral ist sein Blick selbstverständlich nicht, aber aufgrund seiner vielen Kontakte vermag er ein treffendes Bild der Befindlichkeiten im Kreml zeichnen.

"Selenskyj ist ein riesiges Problem für Putin“, sagt Chodorkowski. “Weil er durch sein Vorbild zeigt: Machtwechsel sind möglich. Die Ukrainer haben den jahrelangen Führer Poroschenko einfach abgewählt und einen Mann ins Amt gehoben, der nah bei den Bürgern ist, die reformunfähige Regierung ab- und Neuwahlen angesetzt hat. Da fragen sich viele Russen natürlich: Geht das auch bei uns?" Putins Zustimmungswerte seien wegen der ungerechten Rentenreform, dem sinkenden Lebensstandard und seinem Festhalten am unbeliebten Regierungsteam von Premier Medwedew deutlich gesunken. "Die Russen sind Putins überdrüssig – so wie sie Anfang der achtziger Jahre Breschnews überdrüssig waren", meint Chodorkowski. Russland sei einem Aufstand näher als je zuvor in der Ära Putin. Allerdings würden die Menschen noch keine Revolte wagen, weil sie die 340.000 Nationalgardisten fürchteten. "Putin hat das russische Volk als Geisel genommen. Und die Geisel beginnt, das Stockholm-Syndrom zu entwickeln", resümiert der Regimekritiker. Ein düsterer Blick auf das große Land im Osten, dessen Entwicklung uns nicht egal sein kann.

Viel hängt nun davon ab, wie die EU sich zu dem neuen ukrainischen Präsidenten stellt. Macht sie den Fehler, Selenskyj einseitig zu unterstützen, ohne Putin gleichermaßen einzubinden, könnte uns eine Neuauflage der Ukrainekrise von 2014 drohen. Frieden und Stabilität bekommt hier nur, wer die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt.


Einige Leser des Tagesanbruchs ermahnen mich, mehr über Kultur zu schreiben. Also los: In Hamburg öffnet heute das neue Bucerius Kunst Forum seine Pforten und zeigt die Ausstellung “Das Bild der Welt in Foto- & Videokunst“. Beeindruckende Exponate, finde ich. In Stuttgart singt Phil Collins das erste seiner sieben Deutschlandkonzerte. Es gibt Leute, die den Mann für einen überschätzten Schnulzensänger halten. Die haben halt noch nie "Mama" gehört.


WAS LESEN?

Die Groko kriegt überhaupt nichts hin? Stimmt nicht. Zu den Themen Pflege und Zuwanderung und Asylrecht hat die Koalition jetzt Gesetzespakete vorgelegt.


Der Chefdiplomat endet im Arbeitslager, ein Onkel des Diktators wird Hunden zum Fraß vorgeworfen: Aus Nordkorea erreichen uns immer wieder erschreckende Nachrichten. Das Problem ist: Viele davon sind falsch. Die “FAZ“ klärt uns auf.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ja, der Donald, der weiß halt Bescheid.

Ich wünsche Ihnen einen großartigen Tag.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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